Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2024, Az. 5 StR 577/23

5. Strafsenat | REWIS RS 2024, 350

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Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Juli 2023

a) hinsichtlich Fall II.2 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und das Verfahren insoweit eingestellt; im Umfang der Einstellung trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten;

b) im Ausspruch über die Jugendstrafe aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Die Verurteilung im Fall II.2 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil es insoweit an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt.

3

a) Die Staatsanwaltschaft hat im Fall II.2 der Urteilsgründe Anklage zum Amtsgericht und nachfolgend im Fall II.1 Anklage zum [X.] erhoben. Die [X.] hat am 25. Januar 2023 in der bei ihr anhängigen Sache die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen. Das Amtsgericht hatte keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen, als das [X.] mit Beschluss vom 1. Februar 2023 das beim Amtsgericht anhängige – sowie ein weiteres – Verfahren übernommen und die Sachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Nach Beginn der Hauptverhandlung hat die [X.] das Verfahren nach § 270 Abs. 1 [X.] an die [X.] verwiesen, weil der Angeklagte bei Tatbegehung noch Heranwachsender gewesen sei. Mit Beschluss vom 14. April 2023 hat die [X.] unter anderem die Besetzung mitgeteilt; ferner hat der Vorsitzende am gleichen Tag den Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Die [X.] hat den Angeklagten wegen beider Anklagevorwürfe verurteilt.

4

b) Hinsichtlich der Tat II.2 ist die Hauptverhandlung ohne Eröffnungsbeschluss durchgeführt worden. Eine dahingehende Entscheidung ist weder ausdrücklich noch konkludent ergangen. Insbesondere kommt dem Übernahme- und Verbindungsbeschluss der [X.] vom 1. Februar 2023 eine solche Wirkung nicht zu. Dies kann zwar ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn das übernehmende Gericht die Eröffnungsvoraussetzungen erkennbar selbst geprüft hat und sich seiner eigenen Eröffnungsentscheidung bewusst war (vgl. [X.]/[X.], 2. Aufl., § 207 Rn. 30 mwN). Dass die [X.] hier aber selbst nicht von einer bereits ergangenen, sondern von einer noch vorzunehmenden Eröffnungsentscheidung ausgegangen ist, zeigt sich darin, dass die Vorsitzende in nachfolgenden Verfügungen wiederholt die angeordnete Wiedervorlage der Akten um den Zusatz „(Eröffnung verbundene Sache)“ ergänzt hat.

5

c) Der Eröffnungsbeschluss ist auch nicht im weiteren Verfahren wirksam nachgeholt worden.

6

Die Verweisung durch die große [X.] an die [X.] nach § 270 Abs. 1 [X.] kann diesen nicht nach § 270 Abs. 3 [X.] ersetzen. Dafür wäre erforderlich gewesen, dass das verweisende Gericht – anders als hier – die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft hat. Denn der Verweisungsbeschluss kann nur an die Stelle eines früheren [X.] treten, einen solchen aber nicht ersetzen (vgl. [X.], Beschluss vom 20. November 1987 – 3 [X.], [X.], 236).

7

Auch der Beschluss der [X.] vom 14. April 2023 stellt keine Eröffnungsentscheidung für Fall II.2 dar. Die Mitteilung der Gerichtsbesetzung, die Anordnung der Aufrechterhaltung des im Zusammenhang mit Fall II.1 ergangenen Untersuchungshaftbefehls und die Einstellung nach § 154 Abs. 2 [X.] betreffend eine weitere Tat geben keinen Anhalt dafür, dass die [X.] im Fall II.2 eine eigene Eröffnungsentscheidung hat treffen wollen.

8

2. Es fehlt mithin an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss als Prozessvoraussetzung für das Hauptverfahren. Das Urteil ist daher entsprechend dem Antrag des [X.] aufzuheben (§ 349 Abs. 4 [X.]) und das Verfahren nach § 354 Abs. 1 [X.] mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 [X.] einzustellen, soweit es Fall II.2 betrifft (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Februar 2021 – 3 [X.] mwN; [X.]/[X.], [X.], 66. Aufl., § 206a Rn. 6a, § 349 Rn. 29, [X.], § 354 Rn. 6).

9

3. Das Prozesshindernis führt zum Wegfall des Strafausspruchs. Das Verfahren ist daher zur Festsetzung einer neuen Jugendstrafe für die Tat II.1 an eine andere [X.] des [X.]s zurückzuverweisen. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben; ergänzende, den bisherigen nicht widersprechende Feststellungen sind möglich.

4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils zu Fall II.1 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler ergeben.

[X.]     

      

[X.]     

      

Köhler

      

Resch     

      

von Häfen     

      

Meta

5 StR 577/23

30.01.2024

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 14. Juli 2023, Az: 610 KLs 3/23 jug

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2024, Az. 5 StR 577/23 (REWIS RS 2024, 350)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 350

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