Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.11.2014, Az. X ZR 32/14

X. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 1459

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR
32/14
Verkündet am:

11.
November 2014
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

Fahrbahnerneuerung II
BGB § 241 Abs. 2
Die Erteilung des Zuschlags auf ein von einem Kalkulationsirrtum beeinfluss-tes Angebot kann einen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des betreffenden [X.] darstellen. [X.] zu einem solchen Pflichtenverstoß ist überschritten, wenn dem Bieter aus Sicht eines verständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung schlechterdings nicht mehr angesonnen werden kann, sich mit dem irrig [X.] Preis als einer auch nur annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu erbringende Bau-, Liefer-
oder Dienstleistung zu begnügen ([X.] von [X.], Urteil vom 7.
Juli 1998

X
ZR
17/97, [X.], 177).
[X.], Urteil vom 11. November 2014 -
X [X.] -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-
Der X.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] vom 11.
November 2014 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr.
MeierBeck, [X.] Gröning
und Dr.
Bacher sowie [X.]innen Schuster und
Dr.
Kober-Dehm

für
Recht erkannt:

Die Revision gegen das am 20.
Februar 2014 verkündete Urteil des 5.
Zivilsenats des [X.] wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin wurde in einem von der Straßenbaubehörde des beklagten [X.]
durchgeführten
Vergabeverfahren mit Straßenbauarbeiten an der L
200 beauftragt und erbrachte die entsprechenden Leistungen. Ihre daraus resultie-rende Werklohnforderung, von der sie im vorliegenden Rechtsstreit restliche 164.567,29

einklagt, ist nach Grund und Höhe unstreitig. Die Parteien streiten
allein darum, ob die Klageforderung durch Aufrechnung der Beklagten mit einer Gegenforderung erloschen ist. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde.

Die Beklagte hatte auch Bauarbeiten zur Fahrbahnerneuerung an der L
341 ausgeschrieben und die Klägerin dort mit einer Angebotssumme von 455.052,29

weitaus
günstigste Angebot abgegeben. Nach dem Eröff-1
2
-
3
-
nungstermin teilte sie der Vergabestelle mit, sie habe in der Position 00.02.0009 des Leistungsverzeichnisses einen
falschen
Mengenansatz für den [X.] gewählt. Statt der geforderten Abrechnungseinheit "Tonne" (Menge: 4.125) sei die Abrechnungseinheit "m2" und als [X.] 150
kg/m2
zugrunde gelegt worden.
Der korrekte Einheitspreis müsse auf 59,59

Die Klä-gerin bat, ihr Angebot wegen dieses Irrtums aus der Wertung zu nehmen. Dem entsprach die Vergabestelle nicht, sondern erteilte der Klägerin nach weiterer Korrespondenz
den Zuschlag. Nachdem diese
zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie den Auftrag nicht ausführen werde, erklärte die Vergabestelle den Rücktritt vom Vertrag
und beauftragte einen anderen Bieter. Dieser rechnete für die Ausführung einen Betrag ab, der um 175.559,14

der Klägerin lag.

Die Klage auf restlichen Werklohn aus dem Bauvorhaben L
200 hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Land-
und Oberlandesgericht haben eine aufre-chenbare Gegenforderung des [X.] verneint. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt das Land seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

I.
Das Berufungsgericht hat
in Übereinstimmung mit dem Landgericht
verneint, dass die Klägerin berechtigt gewesen sei, ihr Vertragsangebot betref-fend die Arbeiten an der L
341 wegen (Erklärungs-)Irrtums

119 Abs.
1 BGB) anzufechten. Die Annahme des Vertragsangebots durch das beklagte Land stelle jedoch eine unzulässige Rechtsausübung dar. Das Berufungsgericht hat hierzu erwogen, ob die für das Land handelnde Vergabestelle verpflichtet ge-3
4
-
4
-
wesen sein könnte, das Angebot der Klägerin auf Plausibilität und Richtigkeit zu überprüfen, weil es in Anbetracht der Angebotssumme und der Preisstruktur aller Angebote einen "Ausreißer nach unten" dargestellt habe. Dies hat es mit Blick darauf dahinstehen
lassen, dass die Klägerin die Vergabestelle vor [X.] auf ihren Irrtum hingewiesen habe. Aufgrund der gemachten An-gaben habe diese
den [X.] ohne Weiteres nachvollziehen [X.]. Die Prüfrechnung zur Schlussrechnung des
Unternehmens, welches den Auftrag schließlich ausgeführt habe, weise einen Positionspreis von 55,29

aus gegenüber 9,60

m2
im Angebot der Klägerin. Dem habe das Land sich ebenso wenig verschließen dürfen, wie es das Loskommen der Klägerin von ihrem Angebot nicht von dem Nachweis habe abhängig machen können, dass das Angebot deutlich unauskömmlich sei und die Auftragsausführung sie in er-hebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten bringe
und eine Insolvenz zu erwarten sei oder dass vergleichbar schwerwiegende Gründe gegen die [X.] sprächen. Die Unzumutbarkeit der Auftragsausführung habe sich vielmehr bereits aus den dem Land bekannten Umständen
ergeben. Unzumutbarkeit müsse nicht mit dem ausführenden Unternehmen, seiner Größe und seiner Leistungsfähigkeit zusammenhängen, sondern liege bereits vor, wenn die Aus-führung des Auftrags infolge der Unangemessenheit des verlangten Preises erkennbar unauskömmlich sei. Davon sei
jedenfalls dann auszugehen, wenn der [X.]
so massiv sei
wie hier, wo bei der betreffenden Position ein Sechstel des üblichen Preises angeboten
worden und der Endpreis mit 27
% besonders auffällig
niedriger gewesen sei als der Preis, den der nächst-günstigste Bieter als auskömmlich angeboten habe. [X.] die Unzumutbarkeit so offen zutage, handle der Auftraggeber rechtsmissbräuchlich, wenn er den Zuschlag erteile, um einen in keiner Weise marktkonform günstigen Vertrags-preis mit der Folge einer deutlichen wirtschaftlichen Schädigung des [X.] zu erzielen.

-
5
-
II.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im Ergebnis keinen Erfolg.
1.
Das Berufungsgericht ist bei
seiner Beurteilung von der bisherigen Rechtsprechung des [X.] zur Behandlung von Kalkulationsirr-tümern ausgegangen, wonach der öffentliche Auftraggeber aufgrund des mit der Ausschreibung und der Abgabe von Angeboten entstehenden, Vertrauens-schutz begründenden Rechtsverhältnisses unter dem Gesichtspunkt des [X.] bei Vertragsschluss verpflichtet sein
konnte, den Bieter auf einen von ihm, dem Auftraggeber, erkannten [X.] hinzuweisen ([X.], Urteil vom
7.
Juli 1998 -
X
ZR
17/97, [X.], 177
= NJW 1998, 3192; Urteil vom 19.
Dezember 1985 -
VII
ZR
188/84, NJW-RR 1986, 569; Urteil vom 4.
Oktober 1979 -
VII
ZR
11/79, [X.], 180). Darüber hinaus konnte es eine unzuläs-sige Rechtsausübung (§
242 BGB) darstellen, wenn der Empfänger eines [X.] dieses annimmt und auf der Durchführung des [X.], obwohl er erkannt hat
oder sich treuwidrig der Erkenntnis verschloss, dass es auf einem (erheblichen) Kalkulationsirrtum des Anbieters beruht ([X.], 177, 184 unter 2
b mwN).
2.
Die für den Beklagten handelnde Vergabestelle hat mit der Erteilung des Zuschlags an die Klägerin gegen §
241 Abs.
2 BGB verstoßen.
a)
Nach der neueren Rechtsprechung des [X.] ist der Schadensersatzanspruch wegen Fehlverhaltens in Vergabeverfahren nicht mehr an in Anspruch genommenes und enttäuschtes Vertrauen in die Recht-mäßigkeit des vergabebezogenen Handelns geknüpft, sondern an die Verlet-zung der in §
241 Abs.
2 BGB
konstituierten
Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils ([X.], Urteil vom 9.
Juni 2011 -
X
ZR
143/10, [X.]Z 190, 89
ff.

Rettungsdienstleistungen
II). Diese 5
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7
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-
6
-
Pflichten hat die Vergabestelle verletzt, als sie den Zuschlag auf das Angebot der Klägerin erteilte, obwohl ihr bekannt war, dass dieses von einem erhebli-chen Kalkulationsirrtum beeinflusst war. Der Schutz aus
§
241 Abs.
2 BGB ist nicht auf Einhaltung der spezifisch vergaberechtlichen,
den Schutz der [X.] bezweckenden Bestimmungen über das Vergabeverfahren im Gesetz ge-gen Wettbewerbsbeschränkungen, der Vergabeverordnung und den Vergabe-
und Vertragsordnungen
begrenzt, sondern
schließt das gesamte vorvertragliche Verhalten im Vergabeverfahren
ein. Da die Herbeiführung des Vertragsschlus-ses im Streitfall gegen §
241 Abs.
2 BGB verstieß, kann der Beklagte aus der Nichterfüllung des Vertrages durch die Klägerin keine Ansprüche herleiten
und keine vermeintlichen Mehrkosten aus der Ausführung des Auftrags zur [X.] gegen die Werklohnforderung der Klägerin stellen.

b)
Die Rücksichtnahmepflicht aus §
241 Abs.
2 BGB verpflichtet den öf-fentlichen Auftraggeber allerdings nicht,
bei jeglichem noch so geringen Kalku-lationsirrtum von der Annahme des Angebots abzusehen. Die Regelung ist kein Korrektiv, durch das Unternehmen
sich bei Ausübung ihrer gewerblichen Tätig-keit von jeder Verantwortung für ihr eigenes geschäftliches Handeln freizeich-nen könnten. Sie dient vielmehr als Ausprägung des Gedankens von Treu und Glauben dem Schutz eines redlichen Geschäftsverkehrs. Dieser setzt die prin-zipielle Bindung an das eigene geschäftliche Handeln gerade da voraus, wo beim Leistungsaustausch die andere Seite
gleichermaßen auf ihren Vorteil be-dacht sein darf. Das ist auch in Vergabeverfahren
der Fall, wo öffentliche [X.] Waren oder Bau-
und Dienstleistungen im Wettbewerb
beschaffen (vgl. §
97 Abs.
1 GWB), um die ihnen zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel effektiv
einzusetzen.

9
-
7
-
Die Rücksichtnahmepflicht
aus §
241 Abs.
2 BGB darf [X.] auch kei-nen Vorwand liefern, sich im Nachhinein unter Berufung auf einen vermeintli-chen Kalkulationsirrtum von einem in Wirklichkeit mit Bedacht sehr günstig ge-stalteten Angebot zu lösen, wenn sie die diese besonders günstige Kalkulation nach Angebotsabgabe reut.

c) [X.] zum Pflichtenverstoß durch Erteilung des Zuschlags zu
einem kalkulationsirrtumsbehafteten Preis ist im Bereich der Vergabe öffentli-cher Aufträge aber dann überschritten, wenn dem Bieter aus Sicht eines ver-ständigen öffentlichen Auftraggebers bei wirtschaftlicher Betrachtung [X.] nicht mehr angesonnen werden kann, sich mit dem irrig kalkulierten Preis als einer auch nur annähernd äquivalenten Gegenleistung für die zu [X.], Liefer-
oder Dienstleistung zu begnügen.
Verhält es sich so und führt der Auftraggeber gleichwohl den Vertragsschluss herbei, kann der Bieter vertraglichen Erfüllungs-
oder Schadensersatzansprüchen
ein Leistungs-verweigerungsrecht entgegensetzen.
3.
Steht der Kalkulationsirrtum, wie hier, im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zuschlagserteilung außer Streit, hängt die Entscheidung nur noch da-von ab, ob der Auftraggeber im Hinblick auf die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des betroffenen [X.] (§
241 Abs.
2 BGB) von der [X.] hätte absehen müssen (vorstehend
II
2
c). Das hat das [X.] im Ergebnis zu Recht bejaht.

a) Im Streitfall, kommt es
nicht darauf an, unter welchen indiziellen [X.] anzunehmen ist, die Vergabestelle habe sich treuwidrig der Er-kenntnis
verschlossen, dass ein Angebot von einem ganz erheblichen Kalkula-tionsirrtum beeinflusst sein muss. Denn die Klägerin hatte der Vergabestelle ihren Irrtum noch vor Vertragsschluss schriftlich hinreichend erläutert.
Der im 10
11
12
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-
8
-
Leistungsverzeichnis angegebene Einheitspreis von 9,60

2
ergab nach dem Mengenansatz des Leistungsverzeichnisses (4.125) den im Angebot angege-benen Gesamtpreis von 39.600

ansetzen wollte, einmal auf 59,59

dies ersichtlich damit zusammen, dass sie ihren Berechnungen einmal die ei-genen,
aus der Übersicht "Herstellkosten" (Anlage
K9) ersichtlichen Kosten von 8,94

,
und einmal ihren im Leistungsverzeichnis geforderten Preis von 9,60

zugrunde gelegt hat. Die Vergabestelle hat dementsprechend auch nicht infrage gestellt, dass das Angebot der Klägerin überhaupt von einem Kalkulationsirrtum beeinflusst war, sondern lediglich
die Ansicht vertreten, dieser habe kein hinrei-chend gravierendes Ausmaß.

In diesem wesentlichen Punkt unterscheidet sich der Streitfall von der Entscheidung des [X.] vom 7.
Juli 1998
([X.], 177
ff.).
Nach den dort tatrichterlich getroffenen Feststellungen hatte der öffentliche [X.] im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Kenntnis der einen Kalkulationsirrtum und eine Unzumutbarkeit der Vertragsdurchfüh-rung begründenden Tatsachen. Aus dem Angebot des
dort beklagten [X.] war nicht zu entnehmen, dass
die Transport-
und Montagekosten, deren Nicht-berücksichtigung dieser Bieter als Kalkulationsirrtum geltend gemacht hatte, nicht in die Einheitspreise der einzelnen Leistungspositionen eingerechnet [X.],
und der vermeintliche Kalkulationsirrtum war auch sonst nicht hinreichend substantiiert worden ([X.], 177, 185
ff.). Deshalb kam es für die dortige Entscheidung darauf an, ob anzunehmen war, dass sich der Auftraggeber nach den gesamten Umständen treuwidrig der Kenntnis vom Kalkulationsirrtum ver-schlossen hatte.
In diesem Zusammenhang ist die Struktur der angebotenen Preise von Bedeutung. Auf einen Kalkulationsirrtum kann hindeuten, wenn [X.] der Abstand zum nächsthöheren Angebotspreis besonders groß ist ([X.]Z 14
-
9
-
139, 177, 189). So verhält es sich vorliegend, denn das dem Preis der Klägerin von 455.052,29

belief sich bereits auf 621.054,68

Der indizielle Wert der Angebotsstruktur kann demgegenüber ganz anders zu bewerten sein, wenn die Angebotssummen ohne signifikanten Abstand zwischen dem günstigsten und den folgenden
Angeboten breit ge-streut sind, wie in dem vom [X.] am 7.
Juli 1998 entschiedenen Fall, wo Preise von 305.812,60
DM, 312.094,70
DM, 349.014,10
DM, 403.344,10
DM, 405.202,50
DM und 476.209,83
DM angeboten worden waren (vgl. [X.] NJW 1998, 3192, insoweit nicht in [X.], 177
ff. abgedruckt). Von indiziellem Wert kann überdies je nach Fall auch sein, ob der geltend ge-machte Kalkulationsirrtum nur eine einzige oder allenfalls vereinzelte Positionen betrifft oder ob noch weitere Teile des Angebots davon beeinflusst sein sollen.
b)
Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist die Annahme des [X.]s, dass die Rücksichtnahmepflichten der Vergabestelle aus §
241 Abs.
2 BGB nicht
erst dann einsetzen, wenn dem betroffenen
Bieter bei [X.] des Auftrags zum Angebotspreis in absehbarer Zeit Insolvenz oder vergleichbar prekäre wirtschaftliche Schwierigkeiten drohen, wie die [X.] in dem vom Berufungsgericht erwähnten Schreiben vom 7.
Oktober 2011 gemeint hat. Die Verpflichtung, aus Rücksicht auf die Interessen des [X.] von der Zuschlagserteilung abzusehen, greift
nicht erst ein, wenn dessen wirt-schaftliche Existenz auf dem Spiel steht. Wie die Vergabestelle in dem genann-ten Schreiben selbst zutreffend erwogen hat, ist ein einzelner nicht auskömmli-cher Auftrag dafür normalerweise nicht ausreichend. Es wäre unbillig, das Ein-greifen von Rücksichtnahmepflichten aus §
241 Abs.
2 BGB gleichwohl davon abhängig zu machen, dass eine existenzielle Bedrohung des anderen Teils im Raum steht.
Dafür ist vielmehr darauf abzustellen, ob zwischen dem Wert der 15
-
10
-
für den Auftraggeber erbrachten Leistung und dessen Gegenleistung eine unbil-lige Diskrepanz herrscht (oben II
2
c).
c)
Raum dafür, im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe vom [X.] nach §
241 Abs.
2 BGB abzusehen, wenn der Auftraggeber den irrig kalkulierten Preis billigerweise nicht mehr als auch nur im Ansatz äquiva-lentes Entgelt für die erbrachte Leistung auffassen kann, bietet im Übrigen der
in den Vergabe-
und Vertragsordnungen seit jeher verankerte Appell, öffentliche Aufträge zu angemessenen Preisen zu erteilen (vgl. §
2 Abs.
1 Nr.
1 VOB/A, §
2 Abs.
1 VOL/A). Dieser darf zwar nicht als Handhabe dafür missverstanden werden, die Preisbildung in einem funktionierenden Vergabewettbewerb infrage zu stellen. Die Regelung rechtfertigt aber,
eine unmäßige Übervorteilung
eines [X.]
abzuwenden, die diesem aus der Bindung an einen Preis droht, der von einem erheblichen Kalkulationsirrtum beeinflusst ist.

d)
Hinsichtlich des
erforderlichen Gewichts der Umstände, unter denen der Bieter den Vertrag nicht erfüllen muss, ergibt sich, wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig erkannt hat, aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs
nichts Gegenteiliges. In der Entscheidung vom 7.
Juli 1998 ([X.], 177
ff.) wird die Unzumutbarkeit der Auftragsausführung ganz allgemein und beispielhaft damit in Verbindung gebracht, dass der Bieter in erhebliche
wirtschaftliche
Schwierigkeiten gerät, wenn er den Auftrag zu dem irrig [X.] Preis ausführen müsste ([X.], 177, 185). Nähere Vorgaben zur Ausfüllung des Begriffs der erheblichen wirtschaftlichen
Schwierigkeiten enthält die Entscheidung nicht, und zwar ersichtlich deshalb nicht, weil es für die Ent-scheidung darauf nicht
ankam, nachdem der Auftraggeber bereits keine zure-chenbare Kenntnis von dem geltend gemachten Kalkulationsirrtum erlangt [X.].
16
17
-
11
-
4.
Wann diese Voraussetzung
als erfüllt anzusehen ist, lässt sich nicht allgemeinverbindlich festlegen, sondern bedarf einer alle erheblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Bewertung. Das Ergebnis, zu dem das [X.] in tatrichterlicher Würdigung im Streitfall gelangt ist, kann im [X.] nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob dabei gegen Denkgesetze oder allgemein anerkannte Erfahrungssätze verstoßen wurde oder das Vorbringen der Parteien [X.] widersprüchlich oder unvollständig gewürdigt worden ist. Solche Rechtsfehler deckt die Revision nicht auf.

a)
Das Berufungsgericht hat zum einen auf die Massivität des Irrtums abgestellt, der zu einem Positionspreis in Höhe von etwa einem Sechstel des üblichen Preises geführt habe und zum anderen darauf, dass der Endpreis des Angebots der Klägerin
mit 27
%
in besonders auffälligem Maß
unter dem Preis gelegen habe, den der nächstgünstige Mitbewerber als auskömmlich angebo-ten habe. Das steht grundsätzlich in Einklang mit der Rechtsprechung des [X.], die dem Ausmaß des Irrtums im Rahmen der Frage, ob die Umstände für den Auftraggeber einen erheblichen Kalkulationsirrtum nahele-gen, wesentliche Bedeutung zumisst ([X.], 177, 185), und lässt auch in der Anwendung auf den vorliegenden Streitfall keinen Rechtsfehler erkennen. Es ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der Wert von 27
% nicht als [X.], in jedem Beschaffungsvorgang bei jedem beliebigen Auf-tragsvolumen erforderliches, aber auch hinreichendes
Maß für den die [X.] der Auftragsausführung begründenden Abstand zum nächstgünsti-gen Angebot zu verstehen
ist. Wie bereits ausgeführt, müssen stets die Um-stände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Dabei kann insbesondere auch das jeweilige
Auftragsvolumen von Bedeutung
sein. Stehen beispielsweise die Folgen eines Kalkulationsirrtums bei einem Auftragsvolumen in Rede, welches 18
19
-
12
-
dasjenige des Streitfalls um ein Vielfaches übersteigt, muss das nicht heißen, dass der Bieter auch in einem solchen Fall erst bei Erreichen einer gleichhohen Quote aus Gründen der Rücksichtnahme auf
seine Interessen nicht am irrtums-bedingten Preis festgehalten werden kann. Umgekehrt muss die bei einem [X.] großen Auftragsvolumen zugrunde gelegte Abweichung nicht auch für deutlich geringere
Volumina maßgeblich sein.

b)
Soweit die Revision nähere Feststellungen des Berufungsgerichts zu den der Klägerin bei Vertragsdurchführung drohenden Nachteilen und zu ihrer Gewinnspanne vermisst, ist ihr zuzugeben, dass die Gewinnspanne für die [X.], ob die Auftragsausführung zu einem falsch kalkulierten Preis unzumutbar ist, grundsätzlich eine gewisse indizielle Bedeutung haben
kann. Aber selbst eine überdurchschnittliche Gewinnspanne
-
die das Berufungsgericht in Bezug auf das Angebot der Klägerin unangegriffen nicht festgestellt hat
-
verliert bei wirtschaftlicher Betrachtung umso mehr an Bedeutung, je größer die Preisab-weichung als solche ist. Das Berufungsgericht konnte die Abweichung vom nächstgünstigen Bieter nach den gesamten Umständen auch ohne genaue Kenntnis der Gewinnspanne der Klägerin als tragfähiges Indiz dafür bewerten, dass ihr Angebotspreis für sie äußerst
nachteilig war. Das legt schon der [X.] des tatsächlich verlangten und des irrtumsbereinigten Preises
nahe. Letzterer übersteigt nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des [X.] den tatsächlichen Angebotspreis der Klägerin von 455.052,29

um mehr als 224.400

c)
Die Klägerin handelte entgegen der Auffassung der Revision [X.] nicht treuwidrig, als sie den modifizierten Vergleichsvorschlag der Verga-bestelle
ablehnte, den Auftrag zum Angebotspreis auszuführen, gleichzeitig gerichtlich feststellen zu lassen, ob ein Anfechtungsrecht besteht und nur in 20
21
-
13
-
diesem Fall eine weitere Vergütung bis zur Höhe eines von ihr, der Klägerin selbst vergleichsweise vorgeschlagenen Preises für die Position 00.02.0009 zu erhalten. Mit dem von der Revision herangezogenen, vom [X.] entschiedenen Fall ([X.], Urteil vom 19.
Dezember 1985 -
VII
ZR
188/84, [X.] 1986, 569) ist der Streitfall nicht vergleichbar. Dort ging es nicht um die
Vergütung einer Position bis zur Höhe eines nachträglich vergleichsweise vorgeschlagenen Betrags, sondern darum, ob der dort geschlossene Vertrag dahin
auszulegen war, dass eine bestimmte Teilleistung einbezogen war oder nicht.
d)
Die Revision möchte der Klägerin schließlich in Analogie zu den [X.] für die Behandlung von Angeboten mit unangemessen niedrigen Preisen (vgl. §
16 Abs.
6 Nr.
1 und 2 VOB/A) die Berufung auf die Unzumutbarkeit der Vertragsausführung versagt wissen. Eine entsprechende Anwendung der dafür geltenden Regelungen kommt jedoch nicht in Betracht, weil sie anderen Schutzzwecken dienen. Sie schützen nach ständiger Rechtsprechung in erster Linie die öffentlichen Auftraggeber und sind kein Instrument dafür, dem einzel-nen Bieter
die Folgen seines
eigenen unauskömmlichen Angebots zu ersparen (vgl. [X.], Beschluss vom 31.
August 1994

2
StR
256/94, NJW 1995, 737; [X.] [X.], 180).
Vielmehr sollen die öffentlichen Auftraggeber
davor be-wahrt werden, dass der Unternehmer die geschuldete Leistung infolge der [X.] der Vergütung mangelhaft oder nicht vollständig erbringt. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen dem Auftragnehmer die Vertragsdurch-führung nicht mehr zugemutet werden kann, betrifft gänzlich anders gelagerte Interessen, was einem Rückgriff auf die für die Behandlung von Unterkostenan-geboten geltenden Grundsätze entgegensteht.
Auch aus der von der Revision herangezogenen Rechtsprechung des [X.] zu spekulativen [X.], die bei [X.] ein wucherähnliches Missverhältnis [X.]
-
14
-
schen Preis und Bauleistung nach sich ziehen können ([X.], Urteil vom 14.
März 2013, [X.]Z 196, 355),
lassen sich keine tragfähigen Parallelen für die Bindung an kalkulationsirrtumsbehaftete Angebotspreise ziehen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
97 Abs.
1 ZPO.

Meier-Beck
Gröning
Bacher

Schuster
Kober-Dehm

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 24.06.2013 -
19 [X.]/12 -

OLG [X.], Entscheidung vom 20.02.2014 -
5 [X.] -

23

Meta

X ZR 32/14

11.11.2014

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.11.2014, Az. X ZR 32/14 (REWIS RS 2014, 1459)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1459

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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