Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.11.2017, Az. IX B 66/17

9. Senat | REWIS RS 2017, 2452

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör: Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Klagebegehrens


Leitsatz

1. NV: Lässt sich im Auslegungsweg das Klagebegehren nicht hinreichend genau bestimmen, kann ein auf eine versäumte Ausschlussfrist i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO gestütztes Prozessurteil ergehen .

2. NV: Eine hinreichende Bestimmung des Klagebegehrens kann erfolgen, indem die angefochtenen Bescheide bezeichnet und die Einspruchsentscheidung beigefügt werden, wenn sich die konkreten Streitpunkte aus der Einspruchsentscheidung entnehmen lassen .

3. NV: Im Fall einer Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO ist auf die innerhalb der Ausschlussfrist dem FG mitgeteilte Begründung abzustellen .

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 4. April 2017 1 K 1200/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

Die Bes[X.]hwerde ist ni[X.]ht begründet. Die vom Kläger und Bes[X.]hwerdeführer (Kläger) geltend gema[X.]hten Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgeri[X.]htsordnung ([X.]O) liegen ni[X.]ht vor.

2

1. Na[X.]h ständiger Re[X.]htspre[X.]hung stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O dar, wenn über eine zulässige Klage ni[X.]ht zur Sa[X.]he, sondern dur[X.]h Prozessurteil ents[X.]hieden wird (vgl. u.a. Bes[X.]hlüsse des [X.] --BFH-- vom 15. Januar 2015 I B 45/14, [X.], 696, unter [X.], und vom 29. September 2015 I B 37/14, [X.], 415, jeweils m.w.N.). Im Streitfall hat das Finanzgeri[X.]ht ([X.]) die Klage zu Re[X.]ht als unzulässig abgewiesen und insoweit au[X.]h den Anspru[X.]h des [X.] auf re[X.]htli[X.]hes Gehör (§ 96 Abs. 2 [X.]O, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) ni[X.]ht verletzt. Denn der Gegenstand des Klagebegehrens war vom Kläger innerhalb der Auss[X.]hlussfrist na[X.]h § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 [X.]O ni[X.]ht hinrei[X.]hend bezei[X.]hnet worden, so dass ein Prozessurteil ergehen konnte.

3

a) Na[X.]h § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O muss die Klage den Kläger, den Beklagten, den Gegenstand des Klagebegehrens, bei [X.] au[X.]h den Verwaltungsakt und die Ents[X.]heidung über den außergeri[X.]htli[X.]hen Re[X.]htsbehelf bezei[X.]hnen. Entspri[X.]ht die Klage diesen Anforderungen ni[X.]ht, hat der Vorsitzende oder der Beri[X.]hterstatter den Kläger zu der erforderli[X.]hen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern (§ 65 Abs. 2 Satz 1 [X.]O). Er kann dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit auss[X.]hließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O genannten Erfordernisse fehlt (§ 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O).

4

Wie weit das Klagebegehren im Einzelnen zu [X.] ist, hängt von den Umständen des Falles ab, insbesondere von dem Inhalt des angefo[X.]htenen Verwaltungsakts, der Steuerart und der Klageart. Ents[X.]heidend ist, ob das Geri[X.]ht dur[X.]h die Angaben des [X.] in die Lage versetzt wird zu erkennen, worin die den Kläger betreffende Re[X.]htsverletzung na[X.]h dessen Ansi[X.]ht liegt. Als prozessuale Willenserklärung ist die Klages[X.]hrift in glei[X.]her Weise wie Willenserklärungen i.S. des Bürgerli[X.]hen Gesetzbu[X.]hs (BGB) analog § 133 BGB auszulegen. Dabei sind zur Bestimmung des Gegenstands des Klagebegehrens alle dem [X.] und dem Beklagten und Bes[X.]hwerdegegner (Finanzamt) bekannten und vernünftigerweise erkennbaren Umstände tatsä[X.]hli[X.]her und re[X.]htli[X.]her Art zu berü[X.]ksi[X.]htigen. Insoweit hat das [X.] hinsi[X.]htli[X.]h des Mussinhalts einer Klage insbesondere auf den Inhalt der Klages[X.]hrift und die hierin bezei[X.]hneten Bes[X.]heide und [X.] zurü[X.]kzugreifen (vgl. [X.] vom 26. März 2014 III B 133/13, [X.], 894, unter [X.]b, und in [X.], 415, unter [X.][X.]).

5

b) Wird dem Kläger zur Bezei[X.]hnung des Gegenstands des Klagebegehrens zu Unre[X.]ht oder ni[X.]ht wirksam eine Auss[X.]hlussfrist na[X.]h § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 [X.]O gesetzt oder bezei[X.]hnet er im Falle re[X.]htmäßiger Auss[X.]hlussfristsetzung das Klagebegehren dur[X.]h weitere, fristgere[X.]ht erfolgte Darlegungen, dann führt die unterbliebene Berü[X.]ksi[X.]htigung des weiteren Klagevorbringens und die Abweisung der Klage als unzulässig zu einer Verletzung des Anspru[X.]hs auf re[X.]htli[X.]hes Gehör (vgl. [X.] in [X.], 894, unter [X.], und vom 17. November 2003 XI B 213/01, [X.], 514, unter II.2.).

6

[X.]) Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das [X.] im Streitfall zu Re[X.]ht ein Prozessurteil erlassen.

7

Weder dem [X.] vom 21. August 2016 no[X.]h der als Anlage zur Klage eingerei[X.]hten Einspru[X.]hsents[X.]heidung no[X.]h den ergänzend eingerei[X.]hten weiteren S[X.]hreiben konnte das [X.] ein konkretes Klagebegehren entnehmen. Der Kläger hatte si[X.]h dana[X.]h zwar gegen die Festsetzung der Einkünfte aus Land- und Fortwirts[X.]haft gewandt. Es lässt si[X.]h seinem Vorbringen aber selbst dur[X.]h Auslegung und Heranziehung der beigefügten S[X.]hriftstü[X.]ke und der Steuerakten weder eine konkrete (betragsmäßige) Bes[X.]hwer entnehmen no[X.]h wel[X.]he Besteuerungsgrundlagen er konkret in wel[X.]hem Umfang in Streit stellt. Denn hinsi[X.]htli[X.]h der Einkünfte aus Land- und Forstwirts[X.]haft war der Kläger seinen Angaben entspre[X.]hend veranlagt worden.

8

Zwar kann eine hinrei[X.]hende Bestimmung des Klagebegehrens au[X.]h erfolgen, indem die angefo[X.]htenen Bes[X.]heide bezei[X.]hnet und die Einspru[X.]hsents[X.]heidung beigefügt wird (vgl. [X.] in [X.], 514, unter [X.]; in [X.], 894, unter [X.]b und [X.], und in [X.], 415, unter II.2.). Dies gilt allerdings ni[X.]ht, wenn, wie im Streitfall, der Kläger in Übereinstimmung mit seinen bisherigen Angaben veranlagt worden ist und si[X.]h die konkreten Streitpunkte, die Gegenstand des Klageverfahrens sein könnten, aus der Einspru[X.]hsents[X.]heidung ni[X.]ht entnehmen lassen.

9

Das Vorbringen des [X.] in seinem S[X.]hriftsatz vom 8. März 2017 und in der mündli[X.]hen Verhandlung vom 4. April 2017 kann ni[X.]ht zur Bestimmung seines Klagebegehrens herangezogen werden. Denn im Fall einer Auss[X.]hlussfrist na[X.]h § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 [X.]O ist auf die innerhalb der Auss[X.]hlussfrist dem [X.] mitgeteilte Begründung abzustellen (vgl. BFH-Bes[X.]hluss vom 18. Juni 2013 III B 83/12, [X.], 1596, unter [X.]b; Gräber/[X.], Finanzgeri[X.]htsordnung, 8. Aufl., § 65 Rz 71).

2. Das [X.] hat au[X.]h die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Re[X.]ht abgelehnt. Denn der Kläger hatte innerhalb von zwei Wo[X.]hen na[X.]h Wegfall des Hindernisses, das ursä[X.]hli[X.]h für die Ni[X.]hteinhaltung der Auss[X.]hlussfrist war (§ 56 Abs. 2 [X.]O), keinen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt.

3. Die vom [X.] gesetzte Auss[X.]hlussfrist war au[X.]h ni[X.]ht unangemessen kurz. Das [X.] hatte den Kläger mit Fristsetzung vom 1. Dezember 2016 aufgefordert, bis zum 10. Januar 2017 das Klagebegehren zu bezei[X.]hnen. Das S[X.]hreiben wurde dem Kläger am 3. Dezember 2016 zugestellt. Dem Kläger standen damit mehr als fünf Wo[X.]hen zur Beantwortung zur Verfügung, was selbst unter Berü[X.]ksi[X.]htigung der Feiertage um den Jahreswe[X.]hsel ni[X.]ht zu kurz bemessen ist (zur Fristdauer vgl. Gräber/[X.], a.a.[X.], § 65 Rz 60 f., m.w.N.).

4. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O abgesehen. Die Kostenents[X.]heidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IX B 66/17

14.11.2017

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend FG Nürnberg, 4. April 2017, Az: 1 K 1200/16, Urteil

§ 65 Abs 1 FGO, § 65 Abs 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 133 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.11.2017, Az. IX B 66/17 (REWIS RS 2017, 2452)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2452


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX B 66/17

Bundesfinanzhof, IX B 66/17, 14.11.2017.


Az. 1 K 1200/16

FG Nürnberg, 1 K 1200/16, 04.04.2017.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I B 37/14 (Bundesfinanzhof)

Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Klagebegehrens


IX B 61/19 (Bundesfinanzhof)

(Nichtzulassungsbeschwerde: Verfahrensfehler (Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO))


VIII B 56/15 (Bundesfinanzhof)

(Zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens gem. § 65 Abs. 1 FGO)


III B 65/13 (Bundesfinanzhof)

Unwirksame Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Klagebegehrens


III B 133/13 (Bundesfinanzhof)

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Prozessurteil statt Sachurteil; Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.