Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.03.2016, Az. VII B 102/15

7. Senat | REWIS RS 2016, 14431

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Gegenstand

Abtretung eines Anspruchs aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss und Aufrechnung durch das FA - Keine Auslegung eines Antrags auf Verrechnungsstundung als Aufrechnungserklärung


Leitsatz

1. NV: Die Aufrechnung des FA mit einem Steueranspruch gegen einen Kostenerstattungsanspruch des Steuerpflichtigen nach § 226 AO ist grundsätzlich zulässig .

2. NV: Der Kostenfestsetzungsbeschluss hat keine anspruchs- oder fälligkeitsbegründende Funktion .

3. NV: Eine Aufrechnung des FA mit einem Steueranspruch ist bereits vor dem Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses zulässig; ausreichend ist der Erlass der Kostengrundentscheidung .

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des [X.] vom 8. Juli 2015  8 S 8084/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Tatbestand

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I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) hat wegen Umsatzsteuer für April 2010 eine seit dem 8. August 2011 fällige Forderung gegen eine GmbH. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31. Mai 2013 setzte das Amtsgericht (AG) [X.] vom [X.] der GmbH in einem Rechtsstreit zu erstattende außergerichtliche Kosten auf 4.452,50 € nebst Zinsen fest. Die GmbH trat den Erstattungsanspruch dem Antragsgegner und Beschwerdeführer (Antragsgegner) mit Abtretungserklärung vom 25. Juli 2012 ab. Mit Schreiben vom 16. Mai 2013 erklärte das [X.] gegenüber dem Antragsgegner die Aufrechnung der Steuerforderung gegen die Forderung des Antragsgegners. Am 20. Juni 2013 erklärte es zudem die Aufrechnung des [X.] aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss mit der Umsatzsteuerforderung für April 2010. Mit Schreiben vom 29. Juli 2013 erklärte der Antragsgegner seinerseits gegenüber dem Finanzamt [X.], dem Betriebsstättenfinanzamt der GmbH, die Aufrechnung. Dabei vertrat er die Auffassung, die Aufrechnung des [X.] vom 16. Mai 2013 gehe fehl, da sie vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses und vor Entstehung des [X.] und somit verfrüht erklärt worden sei. Sodann hat der Antragsgegner nach § 152 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) einen Vollstreckungsantrag gestellt. Daraufhin hat das [X.] beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des AG bis zum Erlass des Urteils über die Vollstreckungsabwehrklage gegen den Antragsgegner einzustellen. Diesen Antrag erachtete das Finanzgericht ([X.]) für begründet. Da das [X.] mit einem Anspruch aufrechne, der aus der Umsatzsteuerfestsetzung für April 2010 resultiere, sei der Anwendungsbereich des § 226 der Abgabenordnung ([[X.].]) eröffnet. Die Aufrechnung sei gegenüber dem Antragsgegner wirksam erklärt worden. Die aufgerechneten Forderungen stünden in einem Verhältnis der Gegenseitigkeit. Obwohl die Schuldnerin die GmbH sei, habe das [X.] auch gegenüber dem Antragsgegner nach § 406 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) aufrechnen können. Der Antragsgegner sei im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung des [X.] Gläubiger des [X.] gewesen, daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass die Titelumschreibung später erfolgt sei. Da der Kostenerstattungsanspruch bereits mit der Kostengrundentscheidung entstehe, sei eine Aufrechnung auch bereits vor dem Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses möglich.

2

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners, mit der er geltend macht, die Aufrechnungserklärung des [X.] sei ins Leere gegangen. Denn mit seinem Schreiben vom 8. Mai 2013, das im Betreff mit "Antrag auf [X.]" bezeichnet worden sei, und aus dem bei verständiger Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB der [X.] deutlich hervorgehe, habe bereits eine wirksame Aufrechnungserklärung vorgelegen, so dass die Forderung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss bereits im Wege der Aufrechnung erloschen sei. Dementsprechend sei das Betreiben der Zwangsvollstreckung aus dem streitgegenständlichen Kostenfestsetzungsbeschluss rechtmäßig. Hilfsweise werde gerügt, dass die vom [X.] mit Schreiben vom 16. Mai 2013 erklärte Aufrechnung verfrüht gewesen sei.

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Das [X.] ist der Beschwerde entgegengetreten. Im Ergebnis schließt es sich den Ausführungen des [X.] an. Selbst wenn in dem Schreiben vom 8. Mai 2013 eine Aufrechnungserklärung gesehen werden könnte, sei diese aufgrund der Verknüpfung mit einer Zeitbestimmung unwirksam, denn die Aufrechnung sei erst zum Zeitpunkt des Erlasses des Kostenfestsetzungsbeschlusses erklärt worden. Der Antragsgegner habe selbst ausgeführt, dass eine Aufrechnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich sei, da der Anspruch erst mit Erlass eines Kostenfeststellungsbeschlusses fällig werde. Infolgedessen lasse sich ein Wille zur Aufrechnung dem Schreiben nicht entnehmen. Auf diesen Umstand sei das [X.] nicht eingegangen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Nach der in diesem Verfahren gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung hat das [X.] zu Recht entschieden, dass der Antrag des [X.] auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung begründet ist, weil das [X.] gegenüber dem Antragsgegner wirksam die Aufrechnung erklärt hat, die unter den Umständen des Streitfalls bereits vor Erlass des [X.] zulässig war.

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1. Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats ist eine Aufrechnung des [X.] mit einem Steueranspruch gegen einen Kostenfestsetzungsanspruch des Steuerpflichtigen nach Maßgabe des § 226 AO grundsätzlich zulässig (Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 1999 VII B 29/99, [X.], 4, und vom 30. Juli 1996 VII B 7/96, [X.] 1997, 93, m.w.N.). Dem [X.] stand im Zeitpunkt der Aufrechnung ein fälliger Anspruch i.S. des § 226 Abs. [X.] aus der Umsatzsteuerfestsetzung für April 2010 gegen den Antragsgegner zu. In diesem Zeitpunkt war der Antragsgegner Gläubiger des ihm von der GmbH wirksam abgetretenen Kostenerstattungsanspruchs. Zu Recht hat das [X.] entschieden, dass die beiden Forderungen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis standen (§ 406 [X.]).

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2. Entgegen der Auffassung der Beschwerde war der Kostenerstattungsanspruch bereits vor dem Erlass des [X.] bestimmbar und fällig, so dass das [X.] vor Erlass dieses Beschlusses nicht an der Aufrechnung gehindert war. Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte hat der [X.] keine rechtsgestaltende, anspruchs- oder fälligkeitsbegründende Funktion (Urteile des [X.] vom 8. Januar 1976 III ZR 146/73, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 1976, 475, und Beschluss des [X.] vom 19. Mai 1988  2 W 25/88, Neue Juristische [X.] Zivilrecht 1989, 503, m.w.N., sowie Beschluss des Großen Senats des [X.] --BFH-- vom 18. Juli 1967 GrS 8/66, [X.], 156, [X.] 1968, 59, nach dem ein Kostenerstattungsanspruch bereits mit dem Erlass der gerichtlichen Kostenentscheidung auflösend bedingt durch deren Rechtskraft entsteht). Demzufolge ist eine Aufrechnung mit einer Kostenerstattungsforderung nicht nur dann zulässig, wenn die Kosten rechtskräftig festgestellt sind, sondern auch ohne [X.], wenn die Höhe der zu erstattenden Kosten zwischen den Parteien unstreitig ist. Für eine Aufrechnung reicht somit der Erlass der Kostengrundentscheidung aus (Beschluss des [X.] vom 3. August 2011  18 W 130/11; Urteil des [X.] vom 27. Juli 2006  5 U 160/05, Neue Justiz 2006, 509; Beschluss des [X.] vom 11. April 2000  11 WF 745/00, [X.], 850). Soweit im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, die Aufrechnung gegen einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch könne grundsätzlich erst nach Erlass des [X.] erfolgen ([X.] in [X.], Kommentar zum [X.], § 387 Rz 118), gilt dies nicht, wenn über den Bestand und die Höhe der Aktivforderung und über die Aufrechnungslage kein Streit besteht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass im Streitfall die Aufrechnung außerhalb des Kostenfestsetzungsverfahrens erfolgt ist, so dass es nicht zu einer dem Rechtspfleger nicht zustehenden Entscheidung i.S. des § 322 Abs. 2 der Zivilprozessordnung über die Aktivforderung kommen kann, die die zitierte Meinung im Schrifttum durch die Annahme der Unzulässigkeit der Aufrechnung vor Erlass des [X.] verhindern will.

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3. Soweit sich die Beschwerde darauf beruft, bereits mit dem Schreiben des Antragsgegners vom 8. Mai 2013, das im Betreff mit "Antrag auf [X.]" bezeichnet worden ist, sei wirksam aufgerechnet worden, so dass die erst später vom [X.] abgegebene [X.] ins Leere gegangen sei, ist die Entscheidung des [X.] auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu beanstanden. Zwar ist das [X.] in seiner Begründung nicht ausdrücklich auf das Vorbringen des Antragsgegners eingegangen, der [X.] sei erst zwei Wochen nach der [X.] durch den Antragsgegner erlassen worden, doch lassen die Ausführungen des [X.] darauf schließen, dass es diesem Vorbringen offensichtlich nicht gefolgt ist, denn ansonsten hätte es von einem Erlöschen der aufgerechneten Forderungen ausgehen müssen und hätte nicht die Einstellung der Zwangsvollstreckung anordnen dürfen. Dass das [X.] den Antrag des Antragsgegners auf [X.] nicht als [X.] ausgelegt hat, kann nicht beanstandet werden. Eine solche Auslegung erscheint zumindest möglich, wenn nicht sogar naheliegend, und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, so dass das [X.] nicht gegen die Vorgaben der §§ 133, 157 [X.] verstoßen hat (vgl. zur eingeschränkten Überprüfung der Auslegung von Willenserklärungen BFH-Urteil vom 29. November 2007 IV R 62/05, [X.], 85, [X.] 2008, 557, m.w.N.). Denn in seinem Schreiben hat der Antragsgegner ausdrücklich darauf hingewiesen, dass seiner Ansicht nach eine Aufrechnung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich sei und infolgedessen nur um eine Stundung der Umsatzsteuervorauszahlung für das erste Quartal 2013 und um anschließende Aufrechnung --nach Erfüllung der Voraussetzungen nach § 226 AO i.V.m. den §§ 387 ff. [X.]-- gebeten. Es ist daher nachvollziehbar, dass das [X.] dem Schreiben vom 8. Mai 2013 keine unbedingte [X.] entnommen hat.

8

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VII B 102/15

16.03.2016

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 8. Juli 2015, Az: 8 S 8084/15, Beschluss

§ 152 FGO, § 226 AO, § 133 BGB, § 157 BGB, § 322 Abs 2 ZPO, § 406 BGB, § 387 BGB, § 143 Abs 1 FGO, § 149 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.03.2016, Az. VII B 102/15 (REWIS RS 2016, 14431)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14431

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

B 14 AS 3/19 R

B 14 AS 4/19 R

B 14 AS 17/19 R

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