VG Würzburg, Urteil vom 04.08.2016, Az. W 5 K 15.606

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Gegenstand

Löschung erkennungsdienstlicher Unterlagen


Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Löschung bzw. Vernichtung erkennungsdienstlicher Unterlagen und gespeicherter Informationen, die im Zusammenhang mit einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gewonnen wurden.

1.

Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger wegen Verdachts der Hehlerei wurden beim Kläger durch die Kriminalpolizeiinspektion Würzburg gemäß § 81b Alt. 2 StPO am 3. April 2012 erkennungsdienstliche Maßnahmen durchgeführt. Mit Anklageschrift vom 15. Mai 2013 (Az. 641 Js 7055/12) erhob die Staatsanwaltschaft Würzburg Anklage zum Amtsgericht Würzburg. Dabei wurde der Kläger beschuldigt, durch vier selbstständige Handlungen jeweils gewerbsmäßig eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, angekauft zu haben, um sich zu bereichern, strafbar als gewerbsmäßige Hehlerei in vier Fällen gemäß §§ 259 Abs. 1, 260 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB. In der Hauptverhandlung vom 14. Juli 2014 stellte das Amtsgericht - Schöffengericht - Würzburg unter dem Az. 301 Ls 641 Js 7055/12 das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 1.000,00 EUR vorläufig ein. Mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 27. August 2014 wurde das Verfahren endgültig eingestellt.

Im Kriminalaktennachweis (KAN) sind folgende personenbezogene Daten über den Kläger gespeichert: „- Betrug § 263 am 28.12.12 (Sb. KPI WÜ, KHK R.). Verfahrensausgang: Einstellung gem. § 153a II StPO durch StA Würzburg. - Hehlerei am 03.04.12 in drei Fällen (z.N. versch. Geschädigter) und in einem weiteren Fall am 01.01.12 (Sb KPI WÜ, KHK M.) Verfahrensausgang: s.o. - 153a StPO. - Hehlerei am 14.03.12 (Sb PI Würzburg-Land, PHK K.). Verfahrensausgang: Einstellung gem. § 170 II StPO durch StA WÜ am 03.04.13“.

2.

Mit Schriftsatz vom 8. September 2014 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers bei der Kriminalpolizeiinspektion Würzburg die Vernichtung der im Rahmen des vg. Ermittlungsverfahrens gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2014 mahnte der Klägerbevollmächtigte die Erledigung des vg. Schreibens an. Nachdem das Polizeipräsidium Unterfranken mit Schreiben vom 13. Oktober 2014 den Bevollmächtigten des Klägers an das Bayerische Landeskriminalamt verwiesen hatte, bat der Klägerbevollmächtigte dieses mit Schreiben vom 9. Dezember 2014 um Mitteilung, ob die erkennungsdienstlichen Maßnahmen gelöscht worden seien. Nach einer nochmaligen Anmahnung seitens des Klägerbevollmächtigten antwortete das Bayerische Landeskriminalamt mit Schreiben vom 6. Mai 2015 und teilte mit, dass dem Antrag auf Vernichtung der erkennungsdienstlichen Unterlagen nicht stattgegeben werden könne. Der den polizeilichen Ermittlungen zugrunde liegende Verdacht sei ausreichender Grund für die weitere Aufbewahrung der Unterlagen. Das Amtsgericht Würzburg habe das Verfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt; eine solche Einstellung sei nur zulässig, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung gegeben sei. Es müsse aber ein für die Anklageerhebung ausreichender Tatverdacht bestehen. Unter Berücksichtigung des durch den Kläger gezeigten Verhaltens und der Angaben des anderweitig Beschuldigten bestehe ein erheblicher polizeilicher Resttatverdacht weiterhin fort. Weiterhin bestehe aufgrund der Gesamtumstände Grund zu der Annahme, dass gegen den Kläger auch künftig wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung Ermittlungsverfahren zu führen seien. Es bestehe erhebliche Wiederholungsgefahr. Die gefertigten Lichtbilder sowie die Fingerabdrücke seien im Wiederholungsfall geeignet, einen Nachweis der Täterschaft zu führen oder könnten gegebenenfalls auch zur Entlastung herangezogen werden. Daher könnten diese Unterlagen zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus polizeilicher Sicht nicht vernichtet werden. Zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung erscheine die weitere Speicherung innerhalb der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist erforderlich und verhältnismäßig. Hierfür sei der den polizeilichen Ermittlungen zugrunde liegende Verdacht ausreichender Grund (siehe Art. 38 Abs. 2 PAG).

Nachdem der Klägerbevollmächtigte hiergegen mit Schriftsatz vom 1. Juni 2015 „Widerspruch“ eingelegt hatte, teilte das Bayerische Landeskriminalamt mit Schreiben vom 2. Juni 2015, eingegangen beim Klägerbevollmächtigten am 5. Juni 2015, mit, dass keine Möglichkeit des Widerspruchs bestehe und fügte eine Rechtsbehelfsbelehrung bei, nach der binnen Monatsfrist Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erhoben werden könne.

2.

Am 6. Juli 2015 ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben mit dem Antrag,

den Bescheid des Bayerischen Landeskriminalamts vom 6. Mai 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die von ihm erhobenen erkennungsdienstlichen Unterlagen und gespeicherten Informationen in Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Würzburg mit dem Az. 641 Js 7055/12 zu vernichten bzw. zu löschen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht: Der Kläger sehe sich in seinen Grundrechten erheblich verletzt, da er bis zu diesem Ermittlungsverfahren noch nie in irgendeiner Weise strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Besonders beanstandet werde die Tatsache, dass das Bayerische Landeskriminalamt einfach pauschal von einer sog. „Wiederholungsgefahr“ ausgehe, ohne konkret darzulegen, worin denn diese Wiederholungsgefahr bestehen solle. Der Kläger habe einen Anspruch auf Vernichtung der Unterlagen gemäß Art. 14 Abs. 2 PAG. Die Behörde sei im vorliegenden Fall bei ihrer Prognose nur von pauschalen Überlegungen, Daten und allgemeinen Wertungen ausgegangen und habe nicht die konkrete Situation des Klägers berücksichtigt. So spreche hier gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr der Umstand, dass der Kläger 71 Jahre alt sei und seit über 40 Jahren einen Antiquitätenhandel betreibe, wobei er einen ausgezeichneten Leumund besitze, dass er zuvor noch nie strafrechtlich in irgendeiner Weise in Erscheinung getreten sei, es seit der Durchsuchung kein weiteres Ermittlungsverfahren gegeben habe, die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO äquivalent sei mit der Feststellung, dass eine Schwere der Schuld zu keinem Zeitpunkt bestanden habe und dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht bestehe. Nach allem könne nur von einer positiven Prognoseentscheidung ausgegangen werden. Mithin sei beim Beklagten im Rahmen der Prognoseentscheidung von einem Beurteilungsfehler auszugehen, was umso mehr gelte, als die Entscheidung auf einer einzigen Zeugenaussage des sehr dubiosen und vorbestraften Zeugen C. begründet werde. Es müsse nämlich gesehen werden, dass der Zeuge C. wegen mehrerer Diebstähle zu einer hohen Haftstrafe verurteilt worden sei, so dass an ihn hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit ein besonders hoher Maßstab anzulegen sei. Fakt sei auch, dass der Kläger den Zeugen C. nicht gekannt habe. Aufgrund dieses Beurteilungsfehlers sei die Entscheidung rechtswidrig. Zudem sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte bei seiner Entscheidung alle erreichbaren Daten berücksichtigt habe.

4.

Das Bayerische Landeskriminalamt stellte für den Beklagten den Antrag,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen: Ein Anspruch auf Vernichtung der Unterlagen nach Art. 14 Abs. 2 PAG bestehe nicht. Eine Speicherung der Unterlagen werde weiterhin für erforderlich gehalten. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren sei gemäß § 153a Abs. 2 StPO eingestellt worden. Ein polizeilicher Resttatverdacht liege unzweifelhaft vor. Die Wiederholungsgefahr ergebe sich aus den Erkenntnissen des Ermittlungsverfahrens. So habe der Zeuge C. in seiner Zeugenvernehmung vom 18. April 2013 erklärt, dass der Kläger von den Brüdern K. regelmäßig gestohlene Gegenstände aufgekauft habe. So habe der Zeuge ausgesagt, dass der Kläger über die Herkunft der angelieferten Ware Bescheid wisse; der K. würde bei dem Kläger quasi „sein Gold waschen“ bzw. er würde dann die zuvor ergatterten Gegenstände über den Kläger weiter „verticken“. Gestützt würden die Aussagen des Zeugen auch durch die beim Kläger durchgeführte Durchsuchung seiner Geschäftsräume, bei der u. a. vier Schmuckgegenstände sichergestellt worden seien, die der Kläger von K. erworben habe und die Letzterer zweifelsfrei bei Trickdiebstählen ergaunert habe. Da der Kläger nach wie vor im Antiquitätengeschäft aktiv sei, sei eine Wiederholungsgefahr in jedem Fall zu bejahen. Eine Vernichtung der erkennungsdienstlichen Unterlagen komme daher nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 81b StPO bzw. Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 PAG weiter vorlägen.

Festzuhalten bleibe, dass für die Frage, ob im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die erkennungsdienstlichen Unterlagen aus dem Strafverfahren noch für Zwecke des polizeilichen Erkennungsdienstes bzw. der Gefahrenabwehr benötigt würden, entscheidend sei, dass der Kläger bei zukünftigen Ermittlungen im Zusammenhang mit einschlägigen Straftaten aus dem Kreis potenzieller Tatverdächtigen in jedem Fall mit einbezogen werden müsse. Die Würdigung der in den Ermittlungsverfahren zu Tage getretenen Tatsachen sowie des Gewichts und der Eigenart der jeweiligen Straftaten, deren der Kläger verdächtigt worden sei, reichten auch bei Berücksichtigung der Unauffälligkeit seines bisherigen Verhaltens für eine ihm günstige Prognose nicht aus. In Bezug auf die Aussage des Zeugen C. sei festzuhalten, dass dieser im Strafverfahren durch das Amtsgericht Würzburg als glaubwürdig eingestuft worden seien, da ansonsten eine Einstellung nach § 153a StPO ausgeschlossen gewesen wäre. Auch im Nachhinein hätten sich keine Erkenntnisse ergeben, die dieser Entscheidung zuwider liefen.

5.

Die Parteien erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen. Die einschlägigen Behördenakten lagen dem Gericht vor. Die Akten der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg 641Js 7055/12 wurden beigezogen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO) ist hinsichtlich des Löschungsanspruchs bzgl. der erkennungsdienstlichen Unterlagen zulässig, aber nicht begründet. Im Übrigen - bezüglich der Löschung gespeicherter Informationen - ist die Klage bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

1.

Der Kläger hat unter allen denkbaren rechtlichen Aspekten keinen Anspruch auf Löschung bzw. Vernichtung der im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Würzburg mit dem Az. 641 Js 7055/12 von ihm erhobenen erkennungsdienstlichen Unterlagen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der ablehnende Bescheid des Bayerischen Landeskriminalamts vom 6. Mai 2015 ist rechtmäßig.

1.1.

Zwischen den Parteien ist streitig, auf welche Rechtsgrundlage der geltend gemachte Löschungsanspruch zu stützen ist bzw. auf welcher Grundlage die Speicherung erfolgt ist. Während die Klägerseite zunächst (vgl. Schriftsatz vom 1.6.2015) ebenso wie der Beklagte (vgl. Schreiben des Bayer. Landeskriminalamts vom 6.5.2015) von einem Anspruch nach Art. 38 Abs. 2 PAG ausgegangen ist, stützt sie im Klageverfahren ihren Anspruch auf Art. 14 Abs. 2 PAG (vgl. Schriftsatz vom 23.9.2015).

Die weitere Verwendung von aus Anlass eines Ermittlungsverfahrens - wie hier auf der Rechtsgrundlage des § 81b Alt. 2 StPO - gewonnenen und gespeicherten Daten für präventive Zwecke richtet sich aufgrund von § 481 Abs. 1 und § 484 Abs. 4 StPO nach den jeweiligen polizeilichen Vorschriften (vgl. BayVGH, B. v. 3.4.2013 - 10 C 11.1967 - juris, m. w. N.). Ein Löschungsanspruch des Klägers ergibt sich jedoch nicht aus den danach maßgeblichen Regelungen von Art. 38 Abs. 2 Satz 2 und Art. 45 Abs. 2 PAG. Art. 14 Abs. 2 PAG kommt von vornherein nicht in Betracht. Dies ergibt sich aus Folgendem:

1.2.

Rechtsgrundlage für den Löschungsanspruch ist vorliegend Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG, da es sich um personenbezogene Daten aus strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und somit aus dem repressiven Bereich handelt. Art. 38 PAG ist auch auf erkennungsdienstliche Unterlagen anwendbar (BayVGH VGH Kassel, U. v. 16.12.2004 - 11 UE 2982/02 - NJW 2005, 2727, Berner/Köhler/Käß, Polizeiaufgabengesetz, 20. Aufl., Art. 38 Rn. 6, Vorbem. zu Art. 30 - 49 Rn. 6).

Die Vorschrift des Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG stellt im Verhältnis zur allgemeinen Löschungsvorschrift in Art. 45 Abs. 2 PAG eine Sonderregelung dar, die immer dann eingreift, wenn Daten nach Abs. 2 Satz 1 gespeichert werden. Deshalb geht sie dem allgemeinen Löschungsanspruch bezüglich sonstiger personenbezogener Daten gemäß Art. 45 Abs. 2 PAG vor (Berner/Köhler/Käß, Polizeiaufgabengesetz, Art. 38 Rn. 10; s.a. BayVGH, B. v. 18.7.2005 - 24 C 05.788 - juris). Art. 14 Abs. 2 PAG (Anspruch auf Löschung erkennungsdienstlicher Unterlagen) ist vorliegend nicht einschlägig, da die Daten, deren Löschung der Kläger begehrt, im Rahmen einer strafverfolgenden Tätigkeit, nicht aber zu präventiven Zwecken im Sinne Art. 14 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 PAG gewonnen wurden.

Die Befugnis zur Speicherung personenbezogener Daten durch die Polizei ergibt sich aus Art. 38 Abs. 1 PAG. Danach kann die Polizei personenbezogene Daten in Akten oder Dateien speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben, zu einer zeitlich befristeten Dokumentation oder zur Vorgangsverwaltung erforderlich ist.

Ist der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht gegen den Betroffenen entfallen, kann dieser nach Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG gegen die Polizei einen Anspruch auf Löschung der gespeicherten Daten geltend machen. Dies betrifft die personenbezogenen Daten, die der Beklagte im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder von Personen gewonnen hat, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben, und deren Speicherung zur Gefahrenabwehr, insbesondere also zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, erfolgt (Art. 38 Abs. 2 Satz 1 PAG). Für alle anderen Daten in polizeilichen Sammlungen ergibt sich ein allgemeiner Löschungsanspruch aus Art. 45 Abs. 2 PAG. Beide einfachgesetzlichen Löschungsansprüche dienen der Gewährleistung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG und können grundsätzlich im Wege der Verpflichtungsklage verfolgt werden (vgl. zur Systematik: Berner/Köhler/Käß, Polizeiaufgabengesetz, Art. 38 Rn. 10 sowie die Vorb. zu den Art. 37-48. Rn. 11).

1.3.

Allerdings liegen hier die Löschungsvoraussetzungen des Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG nicht vor, da der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht nicht entfallen ist. Der gegen den Kläger als Beschuldigter bestehende Tatverdacht der gewerbsmäßigen Hehlerei in vier Fällen gemäß §§ 259 Abs. 1, 260 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB ist nicht nachträglich weggefallen.

Nach Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG sind die in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen und für präventive Zwecke genutzten Daten zu löschen, wenn der dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Tatverdacht (restlos) entfallen ist (BayVGH, B. v. 12.5.2011 - 10 ZB 10.778 - juris).

Bei einer Einstellung des Verfahrens, insbesondere nach den §§ 153 ff. StPO, ist der Straftatverdacht nicht notwendig ausgeräumt und deshalb auch die weitere Datenspeicherung zu Zwecken präventiver Gefahrenabwehr nicht ausgeschlossen (vgl. BayVGH, B. v. 24.2.2015 -- 10 C 14.1180 - juris). Eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 oder Abs. 1 StPO lässt den einmal festgestellten Tatverdacht nicht entfallen, weil die Einstellung lediglich im Hinblick auf die in einem anderen Strafverfahren zu erwartenden Sanktionen erfolgt (BayVGH, B. v. 1.8.2012 - 10 ZB 11.2438 - juris Rn. 3 m. w. N.). Für die (weitere) Speicherung der in den strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen Daten reicht ein strafrechtlicher Anfangsverdacht (VG Augsburg, B. v. 7.5.2014 - Au 1 K 14.618 - juris) bzw. ein weiterhin bestehender Resttatverdacht (vgl. BayVGH, B. v. 22.1.2015 - 10 C 14.1797 - juris) aus, ein hinreichender Tatverdacht i. S. v. § 203 StPO ist dagegen für die (weitere) Speicherung nicht notwendig. Dass der Kläger für diese Tat nicht verurteilt wurde, ist demnach ohne Bedeutung und lässt insbesondere den der Speicherung zugrunde liegenden Verdacht nicht entfallen.

Im vorliegenden Fall ist zwar in der Hauptverhandlung vom 14. Juli 2014 durch das Amtsgericht - Schöffengericht - Würzburg das Verfahren 301 Ls 641 Js 7055/12 gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 1.000,00 EUR vorläufig und mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 27. August 2014 endgültig eingestellt worden. Diese Verfahrenseinstellung lässt aber den einmal festgestellten Tatverdacht, der Kläger habe durch vier selbstständige Handlungen jeweils gewerbsmäßig eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, angekauft, um sich zu bereichern, strafbar als gewerbsmäßige Hehlerei in vier Fällen gemäß §§ 259 Abs. 1, 260 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB, nicht entfallen. Die Einstellung des Verfahrens wird nicht damit begründet, dass eine Straftat nicht vorlag oder zweifellos nicht begangen wurde. Eine Einstellung nach § 153a StPO kommt vielmehr nur in Betracht, wenn Auflagen und Weisungen geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht (§ 153a Abs. 1 Satz 1 StPO). Nach § 153a StPO ist ein hinreichender Tatverdacht sogar Voraussetzung für die Einstellung (VGH Mannheim, B. v. 20.2.2001 - 1 S 2054/00 - NVwZ 2001, 1289; Berner/Köhler/Käß, Polizeiaufgabengesetz, Art. 38 Rn. 12). Voraussetzung für die Einstellung nach der vg. Vorschrift, die die Möglichkeit bietet, in einem Bereich oberhalb der kleinen Kriminalität, in dem § 153 StPO nicht mehr anwendbar ist, zu einer Erledigung ohne Strafmaßnahmen zu kommen, muss der Verdacht eines Vergehens gegeben sein, also ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt ermittelt worden sein (Diemer in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 153a Rn. 9, 1).

Anders als der Klägerbevollmächtigte vorbringt, kann damit auch nicht davon die Rede sein, dass der Vorwurf der Hehlerei in der Hauptverhandlung fallengelassen worden sei bzw. ein hinreichender Tatverdacht nicht mehr vorhanden (gewesen) sei. Vielmehr ist das Strafgericht nach wie vor von einer Straftat ausgegangen, denn Einstellungen gemäß § 153a StPO bei zweifelhafter Beweislage sind nicht zulässig, vielmehr braucht der Einstellung nur die Schwere der Schuld nicht entgegenzustehen (Diemer in Karlsruher Kommentar zur StPO, § 153a Rn. 11). Davon, dass der Kläger noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, kann ebenfalls nicht die Rede sein, denn ausweislich der kriminalpolizeilichen Aktennachweises (KAN) wurde gegen den Kläger wegen des Verdachts des Betrugs gemäß § 263 StGB vom 28. Dezember 2012 Ermittlungen geführt und diese (ebenfalls) gemäß § 153a Abs. 2 StPO durch die Staatsanwaltschaft Würzburg eingestellt. Ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Hehlerei am 14. März 2012 wurde durch die Staatsanwaltschaft Würzburg am 3. April 2013 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Übrigen kann dem Kläger schon deshalb nicht zugestimmt werden, dass der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht i. S. v. Art. 38 Abs. 2 PAG in der Hauptverhandlung ausgeräumt worden sei, da es sich bei dem Verdacht i. S. dieser Vorschrift nicht um den hinreichenden Tatverdacht i. S. der Strafprozessordnung handelt, sondern um den sog. Resttatverdacht i. S. des Polizeirechts. Der fortbestehende Resttatverdacht liegt damit folglich auf der Hand.

Eine weitergehende eigenständige Prüfung durch das Verwaltungsgericht - wie ein Strafrichter -, ob der Kläger wegen dieser Straftat, derer er verdächtig ist, auch hätte strafrechtlich verurteilt werden können, ist nicht veranlasst (vgl. BayVGH, B. v. 22.1.2015 - 10 C 14.1797 - juris).

Die Regelspeicherfrist von zehn Jahren des Art. 38 Abs. 2 Satz 3 PAG ist für die Daten aus dem Jahr 2012 noch nicht abgelaufen. Dass hier ein Fall von geringerer Bedeutung i. S. d. Art. 38 Abs. 2 Satz 4 PAG vorliegt, in dem eine kürzere Frist festzusetzen wäre, wurde von Klägerseite schon nicht vorgetragen. Dies muss auch nicht entschieden werden, da auch die 5-Jahresfrist noch nicht abgelaufen ist.

1.4.

Auch aus Art. 45 Abs. 2 PAG ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf Löschung der ihn betreffenden erkennungsdienstlichen Unterlagen (vgl. zur Rechtsgrundlage eines Löschungsanspruchs hinsichtlich Daten der Vorgangsverwaltung: Berner/Köhler/Käß, Polizeiaufgabengesetz, Art. 38 Rn. 4).

Anhaltspunkte dafür, dass eine Speicherung der vom Kläger gespeicherten Lichtbilder und Fingerabdrücke nicht zulässig gewesen wäre und sie deshalb nach Art. 45 Abs. 2 Nr. 1 PAG zu löschen wären, sind weder aus den vorliegenden Behördenakten noch aus dem Vorbringen des Klägers ersichtlich.

Ebenso wenig sind die gespeicherten erkennungsdienstlichen Unterlagen nach Art. 45 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 PAG zu löschen, weil ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich wäre. Die Erforderlichkeit der weiteren Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen bemisst sich danach, ob der in dem oder den Strafverfahren gegenüber dem Betroffenen festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden kann und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen den Betroffenen überführend oder entlastend fördern können (vgl. BayVGH, B. v. 3.4.2013 - 10 C 11.1967 - juris). Zu berücksichtigende Umstände des Einzelfalls sind dabei insbesondere die Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit sowie der Zeitraum, während dessen er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist (vgl. BVerwG, U. v. 19.10.1982 - 1 C 114/79 - juris). Nach diesen Maßstäben ist die Kenntnis der gespeicherten Unterlagen für die speichernde Stelle aber zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben weiterhin erforderlich.

Es liegen nach den Umständen des Einzelfalls ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass der Kläger künftig mit guten Gründen in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden kann.

Der mit der weiteren Speicherung der erkennungsdienstlichen Unterlagen verbundene Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist auch unabhängig davon verhältnismäßig, ob man als Ziel der weiteren Speicherung die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten oder die Gefahrenabwehr, insbesondere die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten durch die Abschreckung des Betroffenen, sieht (vgl. BayVGH, B. v. 3.4.2013 - 10 C 11.1967 - juris, m. w. N.). Denn das legitime öffentliche Interesse an der wirksamen Verhütung und Verfolgung von Straftaten überwiegt das Interesse des Klägers an der Beseitigung der mit der weiteren Speicherung einhergehenden Beschränkung seines grundrechtlich geschützten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung regelmäßig jedenfalls solange, wie die zehnjährige Regelfrist nach Art. 45 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 38 Abs. 2 Satz 3 PAG noch nicht abgelaufen ist.

2.

Soweit der Kläger, erstmals im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, einen Anspruch auf Löschung gespeicherter Informationen geltend macht, ist die Klage bereits unzulässig, da dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Denn er hat einen solchen Anspruch vor Klageerhebung gegenüber dem Beklagten nicht geltend gemacht, sondern in allen vorgerichtlichen Schreiben lediglich die Vernichtung bzw. Löschung erkennungsdienstlicher Unterlagen verlangt. Erstmals wird im Rahmen der Klageschrift vom 6. Juli 2015 verlangt, den Beklagten „zu verurteilen, die von ihm erhobenen erkennungsdienstlichen Unterlagen und gespeicherten Informationen in Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Würzburg mit dem Az.: 641 Js 7055/12 zu vernichten bzw. zu löschen“.

Die Klage ist insoweit jedenfalls auch unbegründet, da die Löschungsvoraussetzungen des Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG nicht vorliegen, weil der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht nicht entfallen ist. Dem steht die Einstellung der Ermittlungsverfahren nach § 153 a bzw. § 170 Abs. 2 StPO nicht entgegen.

3.

Nach alledem musste die Klage erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

Meta

W 5 K 15.606

04.08.2016

VG Würzburg

Urteil

Sachgebiet: K

Zitier­vorschlag: VG Würzburg, Urteil vom 04.08.2016, Az. W 5 K 15.606 (REWIS RS 2016, 7049)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7049

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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