VG Würzburg, Urteil vom 29.10.2015, Az. W 5 K 14.950

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anspruch auf Löschung polizeilich gespeicherter Daten


Entscheidungsgründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg

W 5 K 14.950

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 29. Oktober 2015

5. Kammer

gez.: F., Angestellte als stellv. Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Sachgebiets-Nr: 510

Hauptpunkte: polizeilich gespeicherte Daten; Anspruch auf Löschung; Anspruch auf Berichtigung; kein Entfallen des Tatverdachts; Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 154 StPO; inaktive Haftnotierung; keine Unrichtigkeit der Daten; erkennungsdienstliche Unterlagen; kein Anspruch auf (zusätzliche) Eintragungen

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Kläger -

gegen

Freistaat Bayern,

vertreten durch Bayerisches Landeskriminalamt, Maillingerstr. 15, 80636 München,

- Beklagter -

wegen Löschung von Daten (PAG),

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg, 5. Kammer, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. Weinmann, die Richterin am Verwaltungsgericht Horas, den Richter Kohlhaupt, den ehrenamtlichen Richter ..., die ehrenamtliche Richterin ... aufgrund mündlicher Verhandlung am 29. Oktober 2015 folgendes Urteil:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Wesentlichen Löschung bzw. Korrektur polizeilich gespeicherter Daten zu Ereignissen aus dem Jahr 2006.

1. Mit Beschluss vom 3. März 2011 Nr. W 5 E 11.122 wies das Verwaltungsgericht Würzburg den sinngemäßen Antrag des Klägers, den Beklagten durch Erlass einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Kläger Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten zu erteilen, wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses und fehlender Dringlichkeit der begehrten Auskunftserteilung ab.

Mit Schreiben vom 16. März 2011, hinsichtlich der Speicherfrist korrigiert durch Schreiben vom 4. Mai 2011, erteilte das Bayerische Landeskriminalamt dem Kläger auf seinen Antrag vom 9. April 2010 Auskunft über die seine Person betreffenden Speicherungen in der Kriminalaktenverwaltung der bayerischen Polizei.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 21. und 29. März 2011 sinngemäß beim Bayerischen Landeskriminalamt, die polizeilich gespeicherten Daten zu löschen, zu korrigieren bzw. einstweilen zu sperren. Auf den Inhalt der Schreiben wird Bezug genommen.

Unter dem 3. bzw. 4. Mai 2011 teilte das Bayerische Landeskriminalamt dem Kläger mit, das Ermittlungsverfahren wegen diverser Sachbeschädigungen im Dezember 2010 in Aschaffenburg sei noch nicht abgeschlossen. Über sein Löschungsersuchen könne vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens nicht entschieden werden.

2. Am 26. August 2011 erhob der Kläger im Verfahren W 5 K 11.671 Klage und machte im Laufe des Verfahrens Ansprüche auf Löschung bzw. Korrektur polizeilicher Daten zu einer Haftnotierung aus dem Jahr 2006, zu einer Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vom 29. Januar 2006, zu der anschließend durchgeführten erkennungsdienstlichen Behandlung sowie zu Anzeigen wegen Sachbeschädigung vom 10. und 11. Dezember 2010 geltend. Auf die umfangreiche Klagebegründung wird Bezug genommen.

Das Bayerische Landeskriminalamt stellte keinen Klageantrag, sondern teilte dem Verwaltungsgericht Würzburg mit Schreiben vom 20. September 2011 u. a. mit, der Kläger ersuche um Löschung sämtlicher personenbezogener Daten. Eine abschließende Entscheidung habe noch nicht getroffen werden können, da die vorhandenen Speicherungen u. a. laufende Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2010 beträfen, deren Abschluss durch die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg noch abzuwarten bleibe. Es sei i. S. einer Verwaltungsvereinfachung vorgesehen, über das Löschungsersuchen insgesamt zu entscheiden.

3. Den sinngemäßen Antrag des Klägers vom 3. November 2011, vorläufig festzustellen, dass seine Verhaftung im Jahr 2006 und die Vorführung beim Amtsgericht Kempten „nichtig“ bzw. rechtswidrig gewesen seien, sowie den sinngemäßen Antrag des Klägers, den Beklagten durch Erlass einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die zu seiner Person gespeicherten Daten zu löschen, zu sperren bzw. zu korrigieren, lehnte das Verwaltungsgericht Würzburg mit Beschluss vom 23. November 2011 Nr. W 5 E 11.855 ab. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.

4. Unter dem 16. Februar 2012 teilte das Bayerische Landeskriminalamt mit, über das Löschungsersuchen zur Haftnotierung werde gesondert entschieden.

Mit Bescheid vom 27. Februar 2012 lehnte das Bayerische Landeskriminalamt unter Bezugnahme auf die Auskunftserteilung vom 16. März 2011 den Antrag des Klägers auf Löschung der Daten zur Haftnotierung aus dem Jahr 2006, zur Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vom 29. Januar 2006 und der anschließend durchgeführten erkennungsdienstlichen Behandlung ab und teilte mit, dass über eine Löschung der Anzeigen wegen Sachbeschädigung vom 10. und 11. Dezember 2010 erst nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens entschieden werden könne.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erkennungsdienstlich behandelt worden. Am 29. Januar 2006 seien anlässlich einer polizeilichen Personenkontrolle am Bahnhof Lindau mehrere offene Haftbefehle festgestellt worden, welche die kontrollierenden Beamten hätten vollziehen wollen. Bei der Festnahmeerklärung habe der Kläger zu flüchten versucht. Im Rahmen der anschließenden körperlichen Auseinandersetzung habe sich ein Beamter einen Kreuzbandriss zugezogen. Das Ermittlungsverfahren sei gemäß § 154 StPO eingestellt worden. Eine Einstellung nach dieser Vorschrift erfolge nicht, weil eine Straftat nicht vorgelegen habe oder sie zweifellos nicht begangen worden sei, sondern diene lediglich der Verfahrensbeschleunigung durch Teilverzicht auf Strafverfolgung bei mehreren Taten. Aufgrund des vollzogenen Haftbefehls des Landgerichts Dresden vom 8. Dezember 2005 habe sich der Kläger von 29. Januar bis 2. Februar 2006 in Untersuchungshaft befunden, woraus die entsprechende Haftnotierung resultiere. Bei dieser Speicherung in der Kriminalaktenverwaltung der bayerischen Polizei handele es sich lediglich um reine Dokumentation des genannten Haftaufenthalts.

Rechtsgrundlage für die Speicherung personenbezogener Daten sei Art. 38 Abs. 2 PAG. Danach könne die Polizei personenbezogene Daten, die sie im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder von Personen gewonnen habe, die verdächtig seien, eine Straftat begangen zu haben, speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, erforderlich sei. Der Nachweis einer Schuld sei somit keine Voraussetzung. Die Speicherungsfristen betrügen regelmäßig zehn Jahre ab dem Ende des Jahres, in dem das letzte Ereignis erfasst worden sei, das zur Speicherung der Daten geführt habe, jedoch nicht vor Entlassung des Betroffenen aus einer Justizvollzugsanstalt. Aus polizeilicher Erfahrung könne eine Wiederholungsgefahr derzeit nicht ausgeschlossen werden. Im Jahr 2010 sei der Kläger erneut wegen mehrerer Fälle von Sachbeschädigung aufgefallen, über die noch nicht abschließend habe entschieden werden können. Falls der Kläger als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter aufzuklärender strafbarer Handlungen einbezogen werden müsste, könnten die Unterlagen künftige Verfahren überführend oder entlastend fördern. Zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung sei die weitere Speicherung der personenbezogenen Daten und die Aufbewahrung der erkennungsdienstlichen Unterlagen erforderlich und verhältnismäßig. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses, zu Zwecken der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung auf polizeiliche Erkenntnisse zurückgreifen zu können, mit dem durch das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit geschützten Interesse des Einzelnen, solchen Einwirkungen der öffentlichen Gewalt nicht ausgesetzt zu sein, sei im vorliegenden Fall einer Speicherung Vorrang einzuräumen. Dabei sei der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als an der unteren Grenze gelegen zu beurteilen, nachdem die Daten lediglich der Polizei zur Verfügung stünden. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen hätten bekräftigt, dass bei der Prognose der Wiederholungsgefahr neben einschlägigen Vorstrafen auch solche Verfahren berücksichtigt werden dürften, die nach §§ 153 ff. StPO eingestellt worden seien. Die Verwaltungsgerichte sähen darin auch keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, da keine Aussagen über Schuld oder Unschuld des Betroffenen beinhaltet seien. Zur weiteren Aufbewahrung der erkennungsdienstlichen Unterlagen sei der den polizeilichen Ermittlungen zugrundeliegende Verdacht ausreichender Grund (Art. 38 Abs. 2 PAG). Angesichts dessen könnten aus polizeilicher Sicht die gespeicherten Daten derzeit nicht gelöscht werden.

5. Mit Beschluss vom 22. Juni 2012 trennte das Verwaltungsgericht Würzburg vom zugrunde liegenden Verfahren W 5 K 11.671 das Klagebegehren, soweit es den Antrag auf Löschung der polizeilichen Daten zu den Anzeigen wegen Sachbeschädigung vom 10. und 11. Dezember 2010 betrifft, ab und führte dieses unter dem Aktenzeichen W 5 K 12.513 fort. Gleichzeitig wurde das Ruhen des Verfahrens W 5 K 12.513 angeordnet.

6. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des damaligen Klägerbevollmächtigten wurde mit Beschluss vom 22. Juni 2012 Nr. W 5 K 11.671 abgelehnt. Die Beschwerde des Klägers gegen diesen Beschluss wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 28. Juli 2014 Nr. 10 C 12.1600 zurück.

Seit September 2014 wird das bislang unter dem Aktenzeichen W 5 K 11.671 geführte Verfahren unter dem Aktenzeichen W 5 K 14.950 fortgeführt.

7. Mittlerweile hatte die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg mit Verfügung vom 18. April 2012 das Ermittlungsverfahren Nr. 109 Js 4425/11 wegen Sachbeschädigung in 21 Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung am 10./11. Dezember 2010 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, und das Bayerische Landeskriminalamt hatte mit Bescheid vom 24. Juli 2012 den Antrag des Klägers auf Löschung der Speicherungen aus der Kriminalaktenverwaltung zur Sachbeschädigung aus dem Jahr 2010 abgelehnt. Dieser Bescheid wurde dem Verwaltungsgericht Würzburg im Verfahren W 5 K 12.513 mit Schreiben des Bayerischen Landeskriminalamts vom 12. August 2014 übersandt.

Mit Beschluss vom 17. September 2014 wurde das Ruhen des Verfahrens W 5 K 12.513 aufgehoben und das Verfahren unter dem Aktenzeichen W 5 K 14.951 fortgesetzt.

8. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2014, eingegangen bei Gericht am 16. Dezember 2014, erweiterte der Kläger sein Klagebegehren auf die Löschung polizeilicher Daten zu Ereignissen aus dem Jahr 2012.

Mit Beschluss vom 16. Dezember 2014 Nrn. W 5 K 14.951/W 5 K 14.1307 wurde das Klagebegehren, soweit es den Antrag auf Löschung der polizeilichen Daten zu den Anzeigen wegen Sachbeschädigung (Kfz), Beleidigung und vorsätzlicher Körperverletzung vom 27. Mai 2012 betrifft, vom Verfahren W 5 K 14.951 abgetrennt und unter dem Aktenzeichen W 5 K 14.1307 fortgeführt.

9. Mit am 7. Januar 2015 eingegangenem Schreiben erweiterte der Kläger seinen Klageantrag dahingehend, das Bayerische Landeskriminalamt zu verpflichten, die vom Kläger „erlittenen Gewaltstraftaten“ in der Rubrik „sonstige Bemerkungen“ im LKA-Computer einzutragen.

10. Den Antrag des Klägers, den Beklagten durch Erlass einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die zu seiner Person gespeicherten Daten aus den Jahren 2010 und 2012 zu löschen, zu sperren bzw. zu ergänzen, sowie Vollzugshilfe durch die Polizei zu untersagen, lehnte das Verwaltungsgericht Würzburg mit Beschluss vom 23. Januar 2015 Nr. W 5 E 14.1305 ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers verwarf der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 6. März 2015 Nr. 10 CE 15.367.

11. Das Amtsgericht Aschaffenburg sprach den Kläger wegen seines Verhaltens am 27. Mai 2012 in der Langen Straße in Aschaffenburg mit Urteil vom 16. März 2015 Nr. 303 Ds 109 Js 7675/12 des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Beleidigung und mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit Bedrohung und in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung schuldig und verhängte eine Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen das Urteil des Amtsgerichts Aschaffenburg legten sowohl die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg als auch der Kläger Berufung ein, die beim Landgericht Aschaffenburg unter dem Aktenzeichen 3 Ns 109 Js 7675/12 anhängig ist.

12. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2015 teilte das Bayerische Landeskriminalamt auf Anfrage des Gerichts mit, dass im Bayerischen Kriminalaktennachweis (KAN) sowie in der Vorgangsverwaltung der Polizei (IGVP) zur Person des Klägers aktuell folgende Daten gespeichert seien:

a) Kriminalakte des Bayerischen Landeskriminalamts:

Haftnotierung inaktuell

b) Kriminalakte der Kriminalpolizeiinspektion Aschaffenburg:

- Anzeige wegen Beleidigung vom 11.08.2015

- Anzeige wegen Beleidigung vom 14.05.2014

- Anzeige wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz vom 03.05.2014

- Anzeige wegen vorsätzlich leichter Körperverletzung vom 27.05.2012

- Anzeige wegen Beleidigung vom 27.05.2012

- Anzeige wegen Sachbeschädigung (Kfz) vom 27.05.2012

- Anzeige wegen Sachbeschädigung (Kfz) - in 21 Fällen - vom 11.12.2010

- Anzeige wegen vorsätzlich leichter Körperverletzung vom 11.12.2010

c) Kriminalakte der Polizeiinspektion Lindau:

Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vom 29.01.2006

d) Erkennungsdienstliche Behandlungen:

- Polizeiinspektion Aschaffenburg vom 28.05.2012

- Kriminalpolizeistation Lindau vom 30.01.2006

Darüber hinaus würden in der Vorgangsverwaltung der Polizei (IGVP) zu 14 näher bezeichneten Ereignissen Daten vorgehalten, u. a. zu folgenden Ereignissen:

- Anzeige wegen Prozessbetrugs vom 03.02.2012 (angeblich vorgetäuschte Sachbeschädigung vom 14.12.2010) in Aschaffenburg als Geschädigter und Anzeigeerstatter

- Anzeige wegen Körperverletzung im Amt bei Festnahme vom 11.12.2010 in Aschaffenburg als Geschädigter anlässlich Sachbeschädigung an Kfz in 21 Fällen

13. In der mündlichen Verhandlung am 29. Oktober 2015, in der die Verwaltungsstreitsachen W 5 K 14.950, W 5 K 14.951 und W 5 K 14.1307 zur gemeinsamen Verhandlung verbunden wurden, erschien der Kläger nicht.

Die Beklagtenvertreterin beantragte im vorliegenden Verfahren,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

14. Die einschlägigen Behördenakten lagen dem Gericht vor. Die Verfahrensakten W 5 K 14.951, W 5 K 14.1307, W 5 E 11.122, W 5 E 11.855, W 5 E 14.1305 sowie die Akten der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg 109 Js 4425/11 und 109 Js 7675/12 wurden beigezogen.

Entscheidungsgründe:

1. Bei Auslegung der Klage nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel (§ 88 VwGO) begehrt der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Löschung bzw. Korrektur polizeilich gespeicherter Daten zu einer Haftnotierung aus dem Jahr 2006, zu einer Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vom 29. Januar 2006 sowie zur Löschung oder Vernichtung der Unterlagen der anschließend durchgeführten erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers und die Aufhebung des den Löschungsantrag des Klägers ablehnenden Bescheids des Bayerischen Landeskriminalamts vom 27. Februar 2012. Weiterhin begehrt der Kläger - wohl hilfsweise -, den Beklagten zu verpflichten, die von ihm „erlittenen Gewaltstraftaten“ in der Rubrik „sonstige Bemerkungen“ im LKA-Computer einzutragen.

2. Die Klage, über die auch in Abwesenheit des Klägers entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist im Hauptantrag zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Löschung oder Korrektur der im Bayerischen Kriminalaktennachweis (KAN) und daneben im Integrationsverfahren (IGVP) gespeicherten Daten aus dem Jahr 2006, noch einen Anspruch auf Löschung oder Vernichtung der Unterlagen der im Jahr 2006 vorgenommenen erkennungsdienstlichen Behandlung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der ablehnende Bescheid des Bayerischen Landeskriminalamts vom 27. Februar 2012 ist rechtmäßig.

a) Die Voraussetzungen für einen Löschungsanspruch liegen hinsichtlich der Eintragungen aus dem Jahr 2006 nicht vor.

Die Befugnis zur Speicherung personenbezogener Daten durch die Polizei ergibt sich aus Art. 38 Abs. 1 PAG. Danach kann die Polizei personenbezogene Daten in Akten oder Dateien speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben, zu einer zeitlich befristeten Dokumentation oder zur Vorgangsverwaltung erforderlich ist.

Ist der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht gegen den Betroffenen entfallen, kann dieser nach Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG gegen die Polizei einen Anspruch auf Löschung der gespeicherten Daten geltend machen. Dies betrifft die personenbezogenen Daten, die der Beklagte im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder von Personen gewonnen hat, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben, und deren Speicherung zur Gefahrenabwehr, insbesondere also zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, erfolgt (Art. 38 Abs. 2 Satz 1 PAG). Für alle anderen Daten in polizeilichen Sammlungen ergibt sich ein allgemeiner Löschungsanspruch aus Art. 45 Abs. 2 PAG. Beide einfachgesetzlichen Löschungsansprüche dienen der Gewährleistung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG und können grundsätzlich im Wege der Verpflichtungsklage verfolgt werden (vgl. zur Systematik: Berner/Köhler/Käß, Polizeiaufgabengesetz, 20. Aufl. 2010, Art. 38 Rn. 10 sowie die Vorb. zu den Art. 37 ff. Rn. 11).

aa) Die Löschungsvoraussetzungen des Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG liegen nicht vor, da der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht nicht entfallen ist. Der gegen den Kläger als Beschuldigter wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte am 29. Januar 2006 bestehende Tatverdacht ist nicht nachträglich weggefallen.

Bei einer Einstellung, insbesondere nach den §§ 153 ff. StPO, ist der Straftatverdacht nicht notwendig ausgeräumt und deshalb auch die weitere Datenspeicherung zu Zwecken präventiver Gefahrenabwehr nicht ausgeschlossen (vgl. BayVGH, B. v. 24.2.2015 -- 10 C 14.1180 - juris). Für die (weitere) Speicherung der in den strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewonnenen Daten reicht ein strafrechtlicher Anfangsverdacht (VG Augsburg, B. v. 7.5.2014 - Au 1 K 14.618 - juris) bzw. ein weiterhin bestehender Resttatverdacht (vgl. BayVGH, B. v. 22.1.2015 - 10 C 14.1797 - juris) aus, ein hinreichender Tatverdacht i. S.v. § 203 StPO ist dagegen für die (weitere) Speicherung nicht notwendig. Dass der Kläger für diese Tat nicht verurteilt wurde, ist demnach ohne Bedeutung und lässt insbesondere den der Speicherung zugrunde liegenden Verdacht nicht entfallen.

Im vorliegenden Fall ist zwar das Ermittlungsverfahren gemäß § 154 StPO zur Verfahrensbeschleunigung durch Teilverzicht auf Strafverfolgung bei mehreren Taten eingestellt worden (vgl. Bescheid des Bayerischen Landeskriminalamts vom 27.2.2012). Diese Verfahrenseinstellung, die lediglich im Hinblick auf die in einem anderen Strafverfahren zu erwartenden Sanktionen erfolgt ist, lässt den einmal festgestellten Tatverdacht, der Kläger habe sich der Festnahme durch Polizeibeamte am 29. Januar 2006 im Bahnhof Lindau widersetzt und dabei einen Beamten verletzt, nicht entfallen (vgl. BayVGH, B. v. 1.8.2012 - 10 ZB 11.2438 - juris). Die Einstellung des Verfahrens wird nicht damit begründet, dass eine Straftat nicht vorlag oder zweifellos nicht begangen wurde. Der fortbestehende Resttatverdacht liegt damit folglich auf der Hand.

Eine weitergehende eigenständige Prüfung durch das Verwaltungsgericht - wie ein Strafrichter -, ob der Kläger wegen dieser Straftat, derer er verdächtig ist, auch hätte strafrechtlich verurteilt werden können, ist nicht veranlasst (vgl. BayVGH, B. v. 22.1.2015 - 10 C 14.1797 - juris). Die Einlassungen des Klägers, die Beamten hätten sich selbst strafbar gemacht und ein Polizeibeamter sei nicht (dienst-)fähig gewesen, sind im Übrigen weder schlüssig noch überzeugend.

Nachdem im Kriminalaktennachweis, der dem präventiv-polizeilichen Aufgabenbereich zuzurechnen ist, Daten über die Verdachtslage gespeichert werden und die Speicherung folglich keine Aussage beinhaltet, ob der Betroffene die Tat tatsächlich begangen hat oder über die Vorwerfbarkeit des Tuns, ist mit der rein auf den objektiven Geschehensablauf und auf Verdachtsgründe und Indizien abstellenden Speicherung auch eine Schuldfeststellung oder -zuweisung nicht verbunden (vgl. BayVGH, B. v. 22.1.2015 - 10 C 14.1797 - juris).

Die Regelspeicherfrist von zehn Jahren des Art. 38 Abs. 2 Satz 3 PAG ist für die Daten aus dem Jahr 2006 noch nicht abgelaufen. Es liegt auch kein Fall von geringerer Bedeutung vor i. S. d. Art. 38 Abs. 2 Satz 4 PAG, in dem eine kürzere Frist festzusetzen wäre. Davon abgesehen ist im vorliegenden Fall der Kläger ab dem Jahr 2010 wieder mehrfach in den Fokus strafrechtlicher Ermittlungen geraten, so dass der sog. Mitzieheffekt des Art. 38 Abs. 2 Satz 6 PAG eingreift. Außerdem ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die weitere Speicherung und Aufbewahrung der polizeilichen Daten und Unterlagen auch noch erforderlich (Art. 38 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 PAG) und verhältnismäßig, da der Kläger mehrmals strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und aufgrund der teilweise gezeigten erheblichen Unbeherrschtheit und Rücksichtslosigkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass er erneut einschlägig oder ähnlich strafrechtlich auffällig werden wird und die vorhandenen Daten die Arbeit der Polizei dann noch fördern können.

bb) Aus letztgenannten Gründen scheidet auch ein hinsichtlich der Vorgangsverwaltung der Polizei grundsätzlich in Betracht kommender Anspruch auf Löschung der zur Person des Klägers gespeicherten Daten aus dem Jahr 2006 nach Art. 45 Abs. 2 PAG aus (vgl. zur Rechtsgrundlage eines Löschungsanspruchs hinsichtlich Daten der Vorgangsverwaltung: Berner/Köhler/Käß, a. a. O., Art. 38 Rn. 4).

Durch die Speicherung im IGVP, also in der Vorgangsverwaltung, ist im Übrigen eine nennenswerte Beeinträchtigung des Klägers nicht erkennbar. Die Datei kann lediglich von den Polizeidienststellen aufgerufen werden. Darüber hinaus handelt es sich um die bloße Information über Sachverhalte, wie sie sich aus Sicht der Polizeidienststelle ergeben haben. Eine Bewertung oder Kommentierung dieser Sachverhalte findet nicht statt (vgl. VG Augsburg, U. v. 19.5.2011 - Au 5 K 10.1460 - juris).

cc) Eine Löschung der Daten zur (inaktiven) Haftnotierung kann der Kläger ebenfalls nicht beanspruchen. Die Voraussetzungen für einen Löschungsanspruch nach Art. 45 Abs. 2 PAG liegen nicht vor.

Nach dieser Regelung sind in Dateien suchfähig gespeicherte personenbezogene Daten zu löschen und die zu dem Betroffenen geführten Akten zu vernichten, wenn ihre Speicherung unzulässig war (Art. 45 Abs. 2 Nr. 1 PAG) oder wenn bei der zu bestimmten Fristen oder Terminen vorzunehmenden Überprüfung oder aus Anlass einer Einzelfallbearbeitung festgestellt wird, dass ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich ist (Art. 45 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 PAG).

Weder war die ursprüngliche Speicherung des Haftaufenthalts des Klägers in der Justizvollzugsanstalt Kempten unzulässig, noch ist in Anbetracht der wiederholten strafrechtlichen Auffälligkeit des Klägers die Kenntnis der personenbezogenen Daten für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich. Gegen den Kläger wurde seit dem Jahr 2004 wegen diverser Delikte, insbesondere Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung, ermittelt. Die Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren des Art. 38 Abs. 2 Satz 3 PAG, der über Art. 45 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 PAG Anwendung findet, ist für die Haftnotierung auch noch nicht abgelaufen. Es liegt auch kein Fall von geringerer Bedeutung vor i. S. d. Art. 38 Abs. 2 Satz 4 PAG, in dem eine kürzere Frist festzusetzen wäre. Die weitere Speicherung ist auch trotz der inzwischen verstrichenen Zeit seit der Eintragung noch verhältnismäßig, da hiermit keine nennenswerte Beeinträchtigung des Klägers verbunden ist.

Die Einlassung des Klägers, seine Verhaftung in Lindau sei rechtswidrig gewesen, weil der zugrunde liegende Haftbefehl des Landgerichts Dresden rechtswidrig gewesen sei, ist unbehelflich. Ob der Haftaufenthalt des Klägers rechtmäßig war, ist für die allein in der Datenspeicherung dokumentierte Tatsache der Inhaftierung unerheblich. Davon abgesehen findet eine eigenständige Prüfung des Verwaltungsgerichts - wie ein Strafrichter -, ob gegen den Kläger ein Haftbefehl ausgestellt werden durfte, nicht statt. Die Einlassungen des Klägers sind im Übrigen, soweit sie überhaupt verständlich sind, weder schlüssig noch überzeugend.

b) Der Kläger kann auch nicht erfolgreich einen Berichtigungsanspruch hinsichtlich der o.g. Daten geltend machen.

Sind personenbezogene Daten unrichtig, hat der Betroffene nach Art. 45 Abs. 1 Satz 1 PAG einen Anspruch auf Berichtigung der Daten.

Entgegen der Auffassung des Klägers sind die von ihm genannten Daten jedoch nicht unrichtig.

Im Kriminalaktennachweis gespeichert werden können die im Ermittlungsverfahren oder von einer Straftat verdächtigen Personen gewonnenen Daten. Dazu gehören insbesondere die Daten über den Tatvorwurf, der dem betreffenden Ermittlungsverfahren zugrunde lag, oder die Straftat, deren der Betroffene verdächtig ist (BayVGH, B. v. 4.10.2013 - 10 C 11.512 - juris).

Gegenstand des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, auf das sich der Kriminalaktennachweis und das Integrationsverfahren des Beklagten beziehen, dessen Berichtigung der Kläger begehrt, war der Verdacht, der Kläger habe sich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und der Körperverletzung schuldig gemacht. Zumindest der Tatverdacht besteht trotz Einstellung des Ermittlungsverfahrens fort.

Gegenstand der inaktiven Haftnotierung ist der Haftaufenthalt des Klägers vom 29. Januar bis 2. Februar 2006 in der Justizvollzugsanstalt Kempten, veranlasst durch einen Haftbefehl des Landgerichts Dresden.

Der Kläger hat nicht vorgetragen und es ist auch nicht ersichtlich, dass die gespeicherten Daten unrichtig sind. Er macht nur geltend, er hätte nicht verhaftet werden dürfen, weil der zugrunde liegende Haftbefehl rechtswidrig gewesen sei und er die dem Haftbefehl zugrunde liegenden Taten nicht begangen habe, was nicht zu einem Berichtigungsanspruch führen kann.

c) Ebenso wenig hat der Kläger einen Anspruch auf Löschung oder Vernichtung der über ihn gespeicherten erkennungsdienstlichen Unterlagen aus dem Jahr 2006.

Die weitere Verwendung von aus Anlass eines Ermittlungsverfahrens gewonnenen und gespeicherten Daten für präventive Zwecke richtet sich aufgrund von § 481 Abs. 1 und § 484 Abs. 4 StPO nach den jeweiligen polizeilichen Vorschriften (vgl. BayVGH, B. v. 3.4.2013 - 10 C 11.1967 - juris, m. w. N.). Ein Löschungsanspruch des Klägers ergibt sich jedoch nicht aus den danach maßgeblichen Regelungen von Art. 38 Abs. 2 Satz 2 und Art. 45 Abs. 2 PAG.

aa) Es kann offenbleiben, ob die Regelung des Art. 38 Abs. 2 Satz 2 PAG auf erkennungsdienstliche Unterlagen überhaupt anwendbar ist (vgl. BayVGH, B. v. 3.4.2013 - 10 C 11.1967 - juris, m. w. N. zum Streitstand), denn diese Vorschrift verpflichtet den Beklagten bereits deshalb nicht zur Löschung der gespeicherten erkennungsdienstlichen Unterlagen, weil der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht nicht entfallen ist (vgl. oben).

bb) Auch aus Art. 45 Abs. 2 PAG ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf Löschung der ihn betreffenden erkennungsdienstlichen Unterlagen.

Anhaltspunkte dafür, dass eine Speicherung der vom Kläger gespeicherten Lichtbilder und Fingerabdrücke nicht zulässig gewesen wäre und sie deshalb nach Art. 45 Abs. 2 Nr. 1 PAG zu löschen wären, sind weder aus den vorliegenden Behördenakten noch aus dem Vorbringen des Klägers ersichtlich.

Ebenso wenig sind die gespeicherten erkennungsdienstlichen Unterlagen nach Art. 45 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 PAG zu löschen, weil ihre Kenntnis für die speichernde Stelle zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben nicht mehr erforderlich wäre.

Die Erforderlichkeit der weiteren Aufbewahrung erkennungsdienstlicher Unterlagen bemisst sich danach, ob der in dem oder den Strafverfahren gegenüber dem Betroffenen festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden kann und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen den Betroffenen überführend oder entlastend fördern können (vgl. BayVGH, B. v. 3.4.2013 - 10 C 11.1967 - juris). Zu berücksichtigende Umstände des Einzelfalls sind dabei insbesondere die Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seine Persönlichkeit sowie der Zeitraum, während dessen er strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist (vgl. BVerwG, U. v. 19.10.1982 - 1 C 114/79 - juris). Nach diesen Maßstäben ist die Kenntnis der gespeicherten Unterlagen für die speichernde Stelle aber zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben weiterhin erforderlich.

Es liegen nach den Umständen des Einzelfalls ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass der Kläger künftig mit guten Gründen in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden kann.

Gegen den Kläger wurden bereits eine Reihe (weiterer) strafrechtlicher Ermittlungsverfahren geführt. Auch wenn diese Verfahren fast alle - mit Ausnahme der am 16. März 2015 erfolgten, noch nicht rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht Aschaffenburg - nach § 170 Abs. 2 oder § 154 StPO eingestellt oder wegen fehlender Schuldfähigkeit mit einem Freispruch beendet wurden, stützen sie die Annahme, dass der Kläger auch künftig mit guten Gründen in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden kann.

Vor Ablauf der Regelfrist (Art. 45 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 38 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 PAG) besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Löschung nach Art. 45 Abs. 2 PAG (vgl. BayVGH, B. v. 3.4.2013 - 10 C 11.1967 - juris). Gründe, aus denen sich hier ausnahmsweise etwas anderes ergeben könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es liegt insbesondere kein Fall von geringerer Bedeutung vor, der gemäß Art. 45 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 38 Abs. 2 Satz 4 PAG nach der gesetzgeberischen Wertung zu einer früheren Löschung führen müsste.

Die im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers gewonnenen und gespeicherten Lichtbilder und Fingerabdrücke können auch etwaige künftig zu führende Ermittlungen - den Kläger überführend oder entlastend - fördern. Denn sie sind grundsätzlich geeignet, den Kläger als Beteiligten einer Straftat zu überführen oder auszuschließen. Dies gilt unabhängig von einer mittlerweile im Jahr 2012 durchgeführten weiteren erkennungsdienstlichen Behandlung.

Der mit der weiteren Speicherung der erkennungsdienstlichen Unterlagen verbundene Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist auch unabhängig davon verhältnismäßig, ob man als Ziel der weiteren Speicherung die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten oder die Gefahrenabwehr, insbesondere die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten durch die Abschreckung des Betroffenen, sieht (vgl. BayVGH, B. v. 3.4.2013 - 10 C 11.1967 - juris, m. w. N.). Denn das legitime öffentliche Interesse an der wirksamen Verhütung und Verfolgung von Straftaten überwiegt das Interesse des Klägers an der Beseitigung der mit der weiteren Speicherung einhergehenden Beschränkung seines grundrechtlich geschützten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung regelmäßig jedenfalls solange, wie die zehnjährige Regelfrist nach Art. 45 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 38 Abs. 2 Satz 3 PAG noch nicht abgelaufen ist.

Anhaltspunkte dafür, dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, sind nicht ersichtlich. Der mit der weiteren Speicherung verbundene Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung ist zwar insoweit gewichtig, als er mit einem Abschreckungseffekt verbunden ist, der das Verhalten des Klägers beeinflussen kann, und die fortdauernde Datenspeicherung gegebenenfalls auch dazu führt, dass der Kläger weiteren strafrechtlichen Ermittlungen ausgesetzt wird. Angesichts der Vielzahl weiterer gegen den Kläger eingeleiteter Ermittlungsverfahren kommt den zur Rechtfertigung der weiteren Datenspeicherung in Betracht kommenden Zielen, Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten zu betreiben und durch Abschreckung des Klägers künftige Straftaten zu verhüten, ein so großes Gewicht zu, dass die weitere Speicherung der erkennungsdienstlichen Unterlagen jedenfalls bis zum Ablauf der Regelfrist nach Art. 45 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 38 Abs. 2 Satz 3 PAG dem Kläger zumutbar und daher verhältnismäßig ist.

3. Die Klage ist im Hilfsantrag bereits unzulässig, da es am Erfordernis vorheriger Antragstellung bei der Behörde fehlt.

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage ist, dass vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos ein Antrag auf Erlass des eingeklagten Verwaltungsakts gestellt wurde. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um einen nach materiellem Recht antragsbedürftigen Verwaltungsakt handelt. Das Erfordernis vorheriger Antragstellung bei der Behörde ergibt sich aus §§ 68 Abs. 2, 75 VwGO, wo vorherige Antragstellung vorausgesetzt wird, außerdem nach umstrittener Ansicht aus dem Erfordernis des Rechtsschutzinteresses (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Vorb § 68 Rn. 5a, Vorb § 40 Rn. 17, § 42 Rn. 6). Der Antrag muss grundsätzlich bereits vor Erhebung der Verpflichtungsklage gestellt worden sein und beinhaltet insofern eine Zugangsvoraussetzung. Die Klagebegründung ist deshalb nicht geeignet, das Fehlen eines Antrags zu heilen. Ebenso ändert es an der Unzulässigkeit der Klage nichts, wenn sich die Behörde im Rechtsstreit zur Sache einlässt (BVerwG, U. v. 24.6.1982 - 2 C 91/81 - BVerwGE 66, 41).

Nachdem der Antrag des Klägers vom 21. und 29. März 2011 beim Bayerischen Landeskriminalamt ausschließlich auf Löschung von Daten aus den Jahren 2006 und 2010 gerichtet war und er nach Aktenlage bzw. Auskunft der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung am 29. Oktober 2015 dort keinen weiteren Antrag - auch nicht auf Eintragung bestimmter Daten - gestellt hat, mangelt es bereits an der Zugangsvoraussetzung eines erfolglosen Antrags vor Erhebung der Verpflichtungsklage.

Sollte sich das Klagebegehren auch auf vom Kläger erlittene Verletzungen bei der Festnahme am 11. Dezember 2010 beziehen, ist festzustellen, dass laut Mitteilung des Bayerischen Landeskriminalamts vom 1. Oktober 2015 die Anzeige des Klägers wegen Körperverletzung im Amt bei der Festnahme am 11. Dezember 2010 in der Vorgangsverwaltung der Polizei bereits eingetragen ist, so dass die Klage auch insoweit wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig wäre.

4. Die Klage wäre insoweit - nämlich hinsichtlich des Hilfsantrags - aber auch unbegründet.

Eine Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Eintragung von Daten ist nicht ersichtlich. Außerdem haben sich die vom Kläger geltend gemachten Vorgänge teilweise in einem anderen Bundesland zugetragen.

Nach alledem bleibt die Klage insgesamt erfolglos.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg,

Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder

Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg,

schriftlich zu beantragen. Hierfür besteht Vertretungszwang.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München,

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach,

einzureichen.

Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte, Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Das Gericht orientiert sich insoweit an Nr. 35.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (BayVBl. Sonderbeilage Januar 2014). Danach ist bei Streitigkeiten wegen erkennungsdienstlicher Maßnahmen und kriminalpolizeilicher Unterlagen vom Auffangwert auszugehen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.

Für die Streitwertbeschwerde besteht kein Vertretungszwang.

Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg,

Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder

Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg,

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.

Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

Datenquelle d. amtl. Textes: Bayern.Recht

Meta

W 5 K 14.950

29.10.2015

VG Würzburg

Urteil

Sachgebiet: K

Zitier­vorschlag: VG Würzburg, Urteil vom 29.10.2015, Az. W 5 K 14.950 (REWIS RS 2015, 3049)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3049

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

W 5 K 14.1307 (VG Würzburg)

Anspruch auf Löschung polizeilich gespeicherter Daten


W 5 K 14.951 (VG Würzburg)

Keine Löschung bzw. Korrektur polizeilicher Daten


W 5 K 15.606 (VG Würzburg)

Löschung erkennungsdienstlicher Unterlagen


10 C 14.1180 (VGH München)

Löschung von personenbezogenen Daten im Kriminalaktennachweis und im Integrationsverfahren Polizei (IGVP)


M 7 K 18.4570 (VG München)

Löschung personenbezogener Daten


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.