Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2023, Az. V ZB 67/22

5. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 8909

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Gegenstand

Anfechtungklage gegen WEG-Abrechnungsbeschluss: Bemessung der Beschwer bei Klageabweisung


Leitsatz

1. Wird ein nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes gefasster Abrechnungsbeschluss gemäß § 28 Abs. 2 WEG mit dem Ziel angefochten, den Beschluss insgesamt für ungültig erklären zu lassen, bemisst sich die Beschwer des Klägers im Falle der Abweisung der Klage weiterhin in aller Regel nach seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung (im Anschluss an Senat, Urteil vom 24. Februar 2023 - V ZR 152/22, NJW 2023, 2111 Rn. 24 ff.).

2. Dass der gemäß § 49 GKG bestimmte Streitwert in der Regel nicht der für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels des unterlegenen Anfechtungsklägers maßgeblichen Beschwer entspricht, ändert nichts daran, dass für die Wertbemessung die gleichen Grundsätze gelten, soweit es um das für beide Werte relevante Einzelinteresse des Anfechtungsklägers an einer stattgebenden Entscheidung geht (Abgrenzung zu Senat, Beschluss vom 24. März 2022 - V ZR 149/21, NJW 2022, 2195 Rn. 6).

Tenor

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss der 29. Zivilkammer des [X.] vom 29. November 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 16.646,70 €.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Mitglied der beklagten [X.] ([X.]). In der Eigentümerversammlung vom 20. Dezember 2021 beschlossen die Wohnungseigentümer die Genehmigung der sich auf der Grundlage der Jahresgesamtabrechnung und der jeweiligen Jahreseinzelabrechnungen der Wirtschaftsperiode 2020 ergebenden Nachschüsse bzw. [X.] gegenüber dem Wirtschaftsplan. Für den Kläger ergab sich laut Abrechnung eine Nachzahlung von 59,56 € (2.219,56 € Anteil am Gesamtergebnis abzüglich Soll-Hausgeldvorschuss laut Wirtschaftsplan von 2.160 €). Gegen diesen Beschluss hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Er hält den [X.] bereits für formell rechtswidrig (unter anderem wegen Einberufungsmängeln) und ist im Übrigen der Auffassung, dass sich bei korrekter Abrechnungsweise ein Guthabenbetrag von 160,84 € ergebe. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hat das [X.] als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil der [X.] von mehr als 600 € nicht erreicht sei. Die Beschwer des [X.] betrage lediglich 220,40 €, da er sich eines Rückforderungsanspruchs i.H.v. 160,84 € berühme, während mit der Beschlussfassung eine Nachzahlung von 59,56 € festgesetzt worden sei. Die Rechtsprechung des [X.] zu § 28 [X.], wonach sich die Beschwer nach dem Anteil des Anfechtungsklägers am Gesamtergebnis bzw. im Fall der Beschränkung auf einzelne [X.]en auf den Nennbetrag dieser [X.]en bestimme, sei nach der Neufassung des Wohnungseigentumsgesetzes nicht mehr einschlägig. Nunmehr beschränke sich der [X.] auf die Begründung weiterer Zahlungspflichten bzw. auf die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse. Es verhalte sich insoweit anders als bei der Streitwertbemessung.

III.

3

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde ist dem Kläger Wiedereinsetzung zu gewähren, da er diese Frist schuldlos versäumt hat (§ 233 Satz 1 ZPO). Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind ebenfalls gegeben, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), wie der Kläger zu Recht geltend macht. Die Frage, wie die Rechtsmittelbeschwer zu bemessen ist, wenn die Anfechtungsklage gegen einen nach dem 30. November 2020 gefassten [X.] (§ 28 Abs. 2 WEG) abgewiesen wurde, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.

4

2. In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts übersteigt die Beschwer des [X.] 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

5

a) Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, bestünden an einem Erreichen der Mindestbeschwer keine Zweifel, wenn die Grundsätze des bis zum 30. November 2020 geltenden Rechts weiter anzuwenden wären. Hiernach bemaß sich bei der Anfechtung eines Beschlusses über die Jahresabrechnung die Beschwer nach dem Anteil des Anfechtungsklägers am Gesamtergebnis bzw. im Falle der Beschränkung auf einzelne [X.]en auf den Nennbetrag dieser [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Februar 2017 - [X.]/16, NJW-RR 2017, 913 Rn. 4; Beschluss vom 9. Juli 2015 - [X.], [X.] 2015, 466 Rn. 11). Da der Kläger den Beschluss - vorrangig - insgesamt für ungültig erklären lassen möchte, ergäbe sich eine Beschwer von 2.219,56 €.

6

bb) Nach der Neufassung des § 28 WEG gilt im Ergebnis nichts Anderes.

7

(1) Entschieden hat der [X.] bereits, dass das für die Berechnung der Grenzen des § 49 Satz 2 GKG maßgebliche Individualinteresse des Anfechtungsklägers, der den Beschluss insgesamt anficht, seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung entspricht (vgl. Urteil vom 24. Februar 2023 - [X.]/22, NJW 2023, 2111 Rn. 24 ff.). Zur Begründung hat der [X.] ausgeführt, dass sich zwar der Beschlussgegenstand nach § 28 Abs. 2 WEG geändert hat. Dies ändert aber nichts daran, dass auch unter der Geltung des neuen Rechts das Interesse der Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung darin besteht, die tatsächlich angefallenen Kosten vollständig auf alle Wohnungseigentümer zu verteilen. Ihnen geht es deshalb nur vordergründig um die [X.]. Diese stellt lediglich das Rechenergebnis aus den einzelnen Abrechnungspositionen dar. Um die Richtigkeit der beschlossenen Zahlungsverpflichtungen beurteilen zu können, muss die Jahresabrechnung inzident geprüft werden.

8

(2) Die von dem [X.] im Zusammenhang mit der Streitwertbemessung angestellten Überlegungen zu dem Einzelinteresse des Anfechtungsklägers gelten entsprechend, wenn es - wie hier - um die Bemessung der Beschwer des Anfechtungsklägers im Falle der Abweisung seiner Klage geht. Wird ein nach Inkrafttreten des [X.] gefasster [X.] gemäß § 28 Abs. 2 WEG mit dem Ziel angefochten, den Beschluss insgesamt für ungültig erklären zu lassen, bemisst sich die Beschwer des [X.] im Falle der Abweisung der Klage weiterhin in aller Regel nach seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung, hier also mit 2.219,56 €. Anders als das Berufungsgericht meint, steht dem nicht entgegen, dass der gemäß § 49 GKG bestimmte Streitwert in der Regel nicht der für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels des unterlegenen Anfechtungsklägers maßgeblichen Beschwer entspricht (vgl. [X.], Beschluss vom 24. März 2022 - [X.], NJW 2022, 2195 Rn. 6). Soweit es um das für beide Werte relevante Einzelinteresse des Anfechtungsklägers an einer stattgebenden Entscheidung geht, gelten nämlich für die Wertbemessung die gleichen Grundsätze (vgl. [X.]/[X.], WEG, 15. Aufl., § 49 GKG Rn. 52).

9

(3) Würde man demgegenüber für die Bemessung der Beschwer des Anfechtungsklägers nur auf die ihm auferlegte Nachforderung abstellen, hätte dies die Konsequenz, dass die Berufungsfähigkeit einer Vielzahl von amtsgerichtlichen Urteilen über [X.] mangels Erreichens der Mindestbeschwer ausgeschlossen wäre. Dass der Gesetzgeber dies bei der Reform beabsichtigt hat, lässt sich nicht feststellen (vgl. [X.], [X.], 398 Rn. 14, 16). Außerdem käme es zu Wertungswidersprüchen zu der Rechtsmittelfähigkeit bei der Abweisung der Anfechtungsklage gegen einen auf der Grundlage des Wirtschaftsplans gefassten Beschluss über die Vorschüsse zur Kostentragung und zu den Rücklagen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 WEG). Die Beschwer des unterlegenen Wohnungseigentümers bestimmt sich insoweit in aller Regel nach der Höhe der Vorschüsse, die dem Anteil aus dem Wirtschaftsplan entsprechen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Oktober 2023 - [X.], zur [X.] bestimmt). Dass aber ein solcher Beschluss, der lediglich Vorschüsse festsetzt, in einem weiteren Umfang der Berufung unterworfen sein soll als der abschließende Beschluss nach Ablauf der Abrechnungsperiode, leuchtet nicht ein.

IV.

1. Danach durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden, weil der Wert des [X.] 600 € übersteigt. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der [X.] kann mangels der erforderlichen Feststellungen auch nicht gemäß § 577 Abs. 5 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die in dem Hinweisbeschluss enthaltenen Ausführungen zur Unbegründetheit der Berufung gelten als nicht geschrieben und sind von dem Rechtsbeschwerdegericht nicht zu beachten. Mangels ausreichender Feststellungen bietet der Beschluss des Berufungsgerichts auch keine verwertbare Grundlage für die rechtliche Beurteilung durch das Revisionsgericht (vgl. [X.], Urteil vom 31. Mai 2011 - [X.], [X.], 1324 Rn. 45 mwN; Beschluss vom 16. September 2014 - [X.], juris Rn. 9).

2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 49 GKG. Maßgeblich ist insoweit das siebeneinhalbfache Interesse des [X.] in Höhe von 16.646,70 € (7,5 x 2.219,56 €). Dieses Interesse ist maßgeblich, weil das Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer höher ist.

Brückner     

      

Göbel     

      

Laube 

      

Grau     

      

Schmidt     

      

Meta

V ZB 67/22

09.11.2023

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Köln, 29. November 2022, Az: 29 S 145/22

§ 28 Abs 2 WoEigG, § 511 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 49 GKG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2023, Az. V ZB 67/22 (REWIS RS 2023, 8909)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8909

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