Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.02.2011, Az. VII ZR 155/09

VII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 9541

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS [X.]/09 vom 10. Februar 2011 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: [X.] §§ 379 Satz 2, 402 Eine Verzögerung des Verfahrens durch die nicht fristgerechte Einzahlung eines Vor-schusses im Sinne des § 379 Satz 2 ZPO kann in Anwendung der vom Bundesge-richtshof für die Präklusion von verspätetem Parteivorbringen entwickelten Grundsätze nicht angenommen werden, wenn die verspätete Zahlung nicht kausal für eine [X.] ist. Das ist der Fall, wenn das Verfahren bei Durchführung der Beweisaufnahme nicht länger dauern würde, als es bei rechtzeitiger Einzahlung des Vorschusses gedau-ert hätte. [X.], Beschluss vom 10. Februar 2011 - [X.]/09 - [X.]
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Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 10. Februar 2011 durch den Vorsitzenden [X.] Prof. Dr. [X.], den [X.] [X.], die [X.]in [X.], den [X.] [X.] und den [X.] Prof. [X.] beschlossen: Der Beschwerde der Klägerin wird stattgegeben. Das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 11. August 2009 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufge-hoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, an das Berufungsgericht [X.]. Gegenstandswert: 34.653,33 • Gründe: [X.] Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Werklohn in Anspruch. 1 Die Parteien streiten unter anderem über den Umfang der von der Kläge-rin erbrachten Leistungen. Hierzu hat das [X.] eine Beweisaufnahme durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet und die Beauftragung des Sachverständigen von der Einzahlung eines [X.] - 3 -

genvorschusses durch die beweisbelastete Klägerin abhängig gemacht. Die Klägerin hat den Vorschuss gezahlt. Nach Durchführung eines Ortstermins hat der Sachverständige die Kosten für die Begutachtung auf einen deutlich über dem gezahlten Vorschuss liegenden Betrag beziffert und dies dem Gericht mit-geteilt. Das [X.] hat daraufhin die nicht gedeckte Differenz nachgefor-dert und der Klägerin für die Einzahlung des weiteren Vorschusses zuletzt mit Verfügung vom 4. Juli 2008 eine Frist bis zum 18. Juli 2008 gesetzt. Nachdem der Vorschuss bis dahin nicht eingezahlt war, hat das [X.] am 28. Juli 2008 Verhandlungstermin auf den 23. September 2008 bestimmt, zu dem es auch den Sachverständigen geladen hat. Der weitere Vorschuss ging am 7. August 2008 bei Gericht ein. Im Termin am 23. September 2008 ver-nahm das [X.] Zeugen und hörte den Sachverständigen mündlich an. Das führte dazu, dass die Beklagte zur Zahlung von 1.512,38 • nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen mit der Begründung abgewiesen wurde, dass die Klägerin hinsichtlich der für die Restforderung maßgeblichen tatsächli-chen Umstände beweisfällig geblieben sei. Die Einholung des erforderlichen schriftlichen Sachverständigengutachtens zum Umfang der [X.] Leistungen scheitere daran, dass die Klägerin den weiteren Vorschuss nicht fristgerecht eingezahlt habe. Die Entscheidung sei gemäß §§ 379 Satz 2, 402 ZPO ohne die Einholung des Gutachtens zu treffen gewesen, weil das Verfah-ren im Hinblick auf die verspätete Einzahlung des weiteren Kostenvorschusses andernfalls verzögert worden wäre. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie ihr Klageanliegen weiterverfolgt. 3 - 4 -

I[X.] Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG. Es ist deshalb aufzuheben und die Sa-che ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 544 Abs. 7 ZPO. 4 1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Das [X.] habe die Fortsetzung der Begutachtung von der Einzahlung eines weiteren Vorschusses abhängig machen dürfen. Nicht zu beanstanden sei, dass das [X.] am 28. Juli 2008 den [X.] bestimmt und mitgeteilt habe, die Beweisaufnahme werde abgebrochen. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei der Rechtsstreit zur Ent-scheidung reif gewesen. Aus dieser Situation sei die Frage der Verzögerung durch den erneuten Einstieg in die Beweisaufnahme zu beantworten. Diese läge nach dem absoluten Verzögerungsbegriff vor, weil der Verhandlungster-min nach Einzahlung des Vorschusses auf einen späteren Termin hätte verlegt werden müssen, der dem Sachverständigen das Erstellen des Gutachtens und die Möglichkeit des rechtlichen Gehörs zu seinen Feststellungen gegeben [X.]. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht. Nach der Rechtspre-chung des [X.] ([X.] 75, 302) sei eine Präklusion nur zulässig, wenn sich ohne weitere Erwägung aufdränge, dass das Verfahren früher beendet werde, als dies bei einem ungestörten Verlauf zu erwarten wäre. Das sei hier der Fall. Einer Beweisaufnahme in der zweiten Instanz bedürfe es nicht. Es könne dahinstehen, ob das in der ersten Instanz aus den genannten Gründen nicht erhobene Beweismittel als neu im Sinne des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO anzusehen ist. Die Klägerin sei mit ihrem Beweisangebot im Berufungs-verfahren nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen. Der Umstand, dass der Vorschuss nicht rechtzeitig eingezahlt worden sei, beruhe auf grober Nachlässigkeit. 5 - 5 -

2. Damit lässt das Berufungsgericht unter Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs ein entscheidungserhebliches Beweisanerbieten unberücksichtigt. Die Weigerung des Berufungsgerichts, das beantragte Sachverständigengutachten im Berufungsverfahren einzuholen, führt zu einer Rechtsanwendung, die der Klägerin das Recht verweigert, mit ihrem Beweisantrag Gehör zu finden. Das Berufungsgericht hätte entweder gemäß § 538 Abs. 1 ZPO selbst neue Feststellungen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens treffen oder gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Entscheidung des [X.]s aufheben und die Sache zu eben [X.] müssen. 6 7 a) Das Berufungsgericht verkennt grundlegend die Voraussetzungen für eine Verfahrensverzögerung im Sinne des § 379 Satz 2 ZPO. Insoweit sind die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Präklusion von [X.] oder Beweisanträgen anwendbar ([X.], NJW-RR 2009, 792; [X.], Urteil vom 28. Mai 2009 - 12 U 200/08, bei [X.]). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt ein Verstoß ge-gen den Anspruch auf rechtliches Gehör vor, wenn ein verspätetes Vorbringen vom Gericht präkludiert wird, obwohl ohne jeden Aufwand erkennbar ist, dass die Verspätung allein nicht kausal für eine Verzögerung des Rechtsstreits ist. In diesen Fällen ist die Präklusion rechtsmissbräuchlich, denn sie dient erkennbar nicht dem mit ihr verfolgten Zweck. Da aber allein dieser Zweck, die Abwehr pflichtwidriger Verfahrensverzögerungen, die Einschränkung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs verfassungsrechtlich rechtfertigt, liegt in einem solchen Rechtsmissbrauch zugleich ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ([X.] 75, 302). Das Berufungsgericht missversteht die Rechtsprechung des [X.], wenn es meint, die Präklusion sei "also nur zulässig, wenn sich ohne weitere Erwägung aufdrängt, dass das Verfahren früher beendet 8 - 6 -

wird, als dies bei einem ungestörten Verlauf zu erwarten wäre". Damit verkehrt das Berufungsgericht die Rechtsprechung in ihr Gegenteil. Diese Beurteilung, auf deren Grundlage das Berufungsgericht letztlich unter fehlerhafter Anwen-dung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO den Beweisantrag endgültig zurück-weist, findet im Prozessrecht keine Stütze, so dass ein Verstoß gegen den [X.] auf rechtliches Gehör vorliegt ([X.] 69, 141, 143 f.; [X.], Beschluss vom 22. November 2004 - 1 BvR 1935/03, Rn. 11). b) Der Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist entschei-dungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass nach den darge-stellten Grundsätzen die verspätete Einzahlung des Vorschusses nicht kausal für die Verzögerung des Verfahrens gewesen ist. Die Nichtzulassungsbe-schwerde weist zutreffend darauf hin, dass nach den vom [X.] wieder-gegebenen Ausführungen des Sachverständigen mehrere Ortstermine [X.] gewesen wären, um den Gutachterauftrag zu erfüllen und den Parteien [X.] noch ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben gewesen wäre. 9 c) Das Berufungsgericht wird die erforderliche Prüfung nachzuholen ha-ben. Für die weitere Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass keine Be-denken gegen die Auffassung des Berufungsgerichts bestehen, ein Vorschuss könne vom Gericht nachgefordert werden, wenn sich vor Abschluss der Begut-achtung herausstellt, dass der bis dahin eingezahlte Vorschuss nicht ausreicht. Das entspricht der einhelligen Auffassung in Literatur und Rechtsprechung. Auf die insoweit überzeugenden Ausführungen des Berufungsgerichts wird Bezug 10 - 7 -

genommen. Die vom Berufungsgericht erwähnte und von der Nichtzulassungs-beschwerde herangezogene Entscheidung des [X.] ([X.] 1968, [X.], 438) betrifft eine erstmalige Anforderung des Vorschusses während der Beweisaufnahme und ist mittlerweile überholt. [X.] Kuffer [X.] [X.] [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 04.11.2008 - 1 [X.] 175/06 - OLG [X.], Entscheidung vom 11.08.2009 - 5 [X.]/08 -

Meta

VII ZR 155/09

10.02.2011

Bundesgerichtshof VII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.02.2011, Az. VII ZR 155/09 (REWIS RS 2011, 9541)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9541

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