Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2012, Az. VII ZB 36/10

VII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 6907

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

VII ZB 36/10
vom

26. April 2012

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 130 Nr. 6, § 519 Abs. 4
a)
Ein aus unleserlichen Zeichen bestehender Schriftzug am Ende einer Berufungs-schrift stellt jedenfalls dann eine Unterschrift im Sinne des §
130 Nr. 6 ZPO dar, wenn seine individuellen, charakteristischen Merkmale die Wiedergabe eines [X.] erkennen lassen und aufgrund einer Gesamtwürdigung aller dem [X.] bei Ablauf der Berufungsfrist zur Verfügung stehenden Umstände die Identifizierung des Ausstellers ermöglichen (Bestätigung von [X.], Beschluss vom 17.
November
2009
XI
ZB
6/09, NJW-RR 2010, 358).
b)
Ein Rechtsanwalt, der die Berufungsschrift für den dort bezeichneten [X.] mit dem Zusatz "i.V." unterzeichnet, handelt erkennbar als [X.] und übernimmt mit seiner Unterschrift die [X.] für den Inhalt der Berufungsschrift.
[X.], Beschluss vom 26. April 2012 -
VII ZB 36/10 -
OLG [X.]

LG [X.]

-
2
-
Der VII.
Zivilsenat des [X.] hat am 26.
April
2012 durch den
[X.] Dr.
Kuffer, die [X.]in [X.], den [X.] Dr.
Eick, den
[X.] [X.] und den [X.] Prof. Leupertz
beschlossen:
Auf
die Rechtsbeschwerde des
Beklagten wird der Beschluss des 27.
Zivilsenats des [X.], Zivilsenate in [X.],
vom 10.
Mai
2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht
zu-rückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Landgericht hat die Klage insgesamt und die Widerklage des [X.] wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Die am letzten Tag der Berufungsfrist eingegangene Berufungsschrift enthält am Ende den maschinen-schriftlichen Namenszusatz "[X.]" und darunter "Rechtsanwalt Fachanwalt für Bau-
und Architektenrecht". Unmittelbar über diesem Text befinden sich an der für die Unterschrift vorgesehenen Stelle überwiegend unleserliche Schriftzei-chen. Auf einen Hinweis des Vorsitzenden, es liege mangels Unterschrift keine 1
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3
-
ordnungsgemäße
Berufung vor, hat der Beklagte erklärt, dass die Berufungs-schrift von dem im Briefkopf aufgeführten Rechtsanwalt M. in Vertretung seines Kollegen [X.] unterzeichnet worden sei. Die Unterschrift, die -
auch vom er-kennenden Gericht
-
in 20 Jahren nie beanstandet worden sei, entspreche den Anforderungen, welche die Rechtsprechung an das [X.] stelle. Ferner hat der
Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
Das Berufungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den [X.] zurückgewiesen und zugleich die Berufung gemäß §
522 Abs.
1 Satz
2 ZPO als unzulässig verworfen. Gegen beides richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er in erster Linie die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts über die Verwerfung der Berufung [X.].

II.
[X.] hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des [X.] Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
1. Die gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, §
522 Abs.
1 Satz
4 ZPO statt-hafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§
574 Abs.
2 Nr.
2 Alt.
2 ZPO). Die auf der unzutreffenden Annahme einer nicht ordnungsgemäß unterzeichneten Berufungsschrift beruhende Verwerfung seiner
Berufung als unzulässig verletzt den Beklagten in seinen Verfahrens-grundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art.
103 Abs.
1 GG und 2
3
4
-
4
-
auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. [X.], NJW 1989, 1147; NJW-RR 2002, 1004).
2. [X.] ist auch begründet.
Das Berufungsgericht durfte
das Rechtsmittel nicht gemäß §
522 Abs.
1 Satz
2 ZPO mit
der Begründung verwerfen, die Berufungsschrift sei nicht [X.] unterzeichnet, die Berufung damit nicht form-
und fristgerecht ein-gelegt.
a) Die Berufungsschrift muss als bestimmender Schriftsatz im [X.] grundsätzlich von einem beim Berufungsgericht postulationsfähigen
Rechtsanwalt eigenhändig
unterschrieben sein (§
130 Nr.
6, §
519 Abs.
4 ZPO). Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozess-handlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum
Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen ([X.], [X.] vom 26.
Oktober 2011 -
IV
ZB 9/11, Rn. 6, bei juris; Beschluss vom 22.
November
2005 -
VI
ZB
75/04, [X.], 387
Rn.
5; Urteil
vom 11.
Ok-tober
2005 -
XI
ZR
398/04, [X.], 3773; Beschluss vom 15.
Juni
2004

VI
ZB
9/04, NJW-RR 2004, 1364; Beschluss vom 28.
August
2003 -
I
ZB
1/03, [X.], 349, 350; Urteil vom 31.
März
2003

II
ZR
192/02, NJW
2003, 2028; ebenso: [X.],
NJW 1990, 2706). Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist ([X.], Beschluss vom 26.
Oktober
2011

IV
ZB
9/11, Rn. 6, bei juris).

aa) Eine den Anforderungen des §
130 Nr.
6 ZPO genügende Unter-schrift setzt nach der Rechtsprechung des [X.] einen die Identi-tät des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzug voraus, der 5
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-
5
-
individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, der sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekenn-zeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter
und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbeson-dere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnli-cher Weise unterschreibt. Dabei ist in Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, jedenfalls bei gesicherter Urheberschaft ein großzügiger Maßstab anzulegen ([X.], Beschluss vom 27.
September
2005 -
VIII
ZB
105/04, [X.], 3775 m.w.N.; Beschluss vom 17.
November 2009 -
XI [X.], NJW-RR 2010, 358 Rn.
12).
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem [X.] auf der Berufungsschrift um eine Unterschrift im Sinne des §
130 Nr.
6 ZPO. Die hierfür erforderlichen Feststellungen trifft der Senat selbständig ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts ([X.], Beschluss vom 17.
November
2009 -
XI
ZB
6/09, NJW-RR 2010, 358; Urteil vom 24.
Juli
2001

VIII
ZR
58/01, NJW 2001, 2888).
Allerdings ist dem Berufungsgericht zuzugeben, dass die Unterschrift keinen lesbaren Namenszug erkennen lässt. Sie besteht, wie die vom [X.] zur Akte gereichten Schriftproben zeigen, nach einem jahrzehntelangen, sukzessiven Abschleifungsprozess nur noch aus den stilisierten Überbleibseln einer Reihenfolge von Buchstaben, aus denen sich der Vor-
und Nachname Rechtsanwalt [X.] zusammensetzt. Gleichwohl weist der vom Berufungsgericht zutreffend als Abfolge aus Strichen, Punkten und Haken beschriebene [X.] starke individuelle Merkmale auf, die insbesondere wegen der ungewöhnli-chen Kombination der
Schriftzeichen keinen ernsthaften Zweifel daran auf-9
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6
-
kommen lassen, dass es sich um eine von ihrem Urheber zum Zwecke der In-dividualisierung und Legitimierung geleistete Unterschrift handelt. Rechtsanwalt M. unterschreibt, wie er durch seine ebenso unterzeichnete eidesstattliche Ver-sicherung glaubhaft gemacht hat, seit Jahren in dieser Weise. Auch dem [X.] liegen aus anderen Verfahren Schriftstücke vor, welche seine gleich geartete Unterschrift tragen, ohne dass dies beanstandet worden wäre.
[X.]) Die Erwägung des Berufungsgerichts, die Berufungsschrift weise deshalb keine Unterschrift im Sinne des §
130 Nr.
6 ZPO auf, weil sie nicht er-kennen lasse, dass sie in Vertretung des Prozessbevollmächtigten des [X.] von einem anderen verantwortlichen Rechtsanwalt unterzeichnet worden sei, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
(1) Anders als das Berufungsgericht meint,
können die Schriftzeichen links von einem langen senkrechten Strich, mit dem der stilisierte Namenszug beginnt, ohne weiteres als Kürzel "i.V." identifiziert werden. Sie lassen unzwei-felhaft ein kleines "i", dann einen Punkt, sodann einen als "V" zu deutenden Haken und schließlich wieder einen Punkt erkennen. Ihr Erscheinungsbild ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht "fast identisch"
mit den Zeichen rechts von jenem Strich. Dort finden sich zwar auch Punkte und Haken, die allerdings im unteren Bereich leicht gerundet sind und deshalb, [X.] als der Haken links des Strichs, nicht die spitz zulaufenden Konturen
eines "V" aufweisen. Ein "i" enthält der den Namen des Unterzeichnenden betreffen-de Teil der Unterschrift überhaupt nicht.
(2) Entscheidend tritt hinzu, dass das Berufungsgericht unter Berücksich-tigung der besonderen Umstände des Einzelfalls bei objektiver Betrachtungs-weise keinen vernünftigen Zweifel daran haben konnte, dass die Berufungs-schrift von Rechtsanwalt M. unterzeichnet ist. In einem schriftlichen Hinweis des 11
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-
7
-
Vorsitzenden vom 19.
April
2010 hat es den Parteien mitgeteilt, die Unterschrif-ten aller Anwälte der Kanzlei, zu der der Prozessbevollmächtigte [X.] des [X.], Rechtsanwalt M. und ein weiterer Anwalt [X.] gehören, zu kennen. Der Senat geht ebenso wie die Rechtsbeschwerde davon aus, dass diese Mitteilung zutrifft. Dann aber hätte dem Berufungsgericht auffallen müssen, dass es sich bei der mit einem langen senkrechten Strich beginnenden Schriftzeichenfolge um die stets gleichartige Unterschrift des Rechtsanwalts M. handelt und dass die ersten vier Zeichen des Schriftzuges folglich nicht den Namen des [X.] betreffen; sie konnten vernünftigerweise nur als Zusatz "i.V." gele-sen werden.
c) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung können Rechtsmittel-schriften unter Wahrung der sich aus §
130 Nr.
6, §
520 Abs.
4 ZPO ergeben-den
Formerfordernisse in [X.] von einem zugelassenen Rechtsan-walt unterzeichnet werden, weil auch dann sichergestellt ist, dass der [X.] die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelschrift und deren Einreichung bei Gericht trägt ([X.], Urteil vom 31.
März
2003 -
II
ZR
192/02, NJW 2003, 2028; [X.], NJW 1990, 2706, m.w.N.).
Hier steht außer Frage, dass es sich beim Aussteller um einen bei dem Berufungsgericht postulationsfähigen Rechtsanwalt handelt. Dass Rechtsanwalt M. in [X.] für den Prozessbevollmächtigten [X.] des Beklagten ge-handelt hat, ergibt sich ohne weiteres aus dem seiner Unterschrift handschrift-lich hinzugefügten Zusatz "i.V." (vgl. [X.], Beschluss vom 5.
November
1987

V
ZR
139/87, NJW 1988, 210 -
in Abgrenzung zur Unterzeichnung mit dem
Zusatz "i.A.").
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8
-
3. Da der
Beklagte seine
Berufung demnach rechtzeitig und formgerecht begründet hat, hätte das Berufungsgericht sie nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Der Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache an das
Berufungs-gericht zurückzuverweisen (§
577 Abs.
4 Satz
1 ZPO). Es bedarf keiner Ent-scheidung über den von dem Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbe-gründungsfrist
eingelegten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Insoweit ist der Beschluss des Berufungsgerichts gegenstandslos. Nur [X.] weist der Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht dem Beklagten von seinem Standpunkt aus jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand we-gen der Versäumung der Berufungsfrist hätte gewähren
müssen, weil durch eidesstattliche Versicherung des M. glaubhaft gemacht ist, dass seine Unter-

16
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9
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schrift von den Gerichten jahrelang unbeanstandet geblieben ist und er deshalb ohne ein dem Beklagten zuzurechnendes Verschulden annehmen durfte, dass sie den allgemein in der Rechtsprechung anerkannten Anforderungen [X.].
Kuffer
[X.]

Eick

[X.]

Leupertz

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 04.03.2010 -
6 O 5362/06 -

OLG [X.] in [X.], Entscheidung vom 10.05.2010 -
27 U 219/10
-

Meta

VII ZB 36/10

26.04.2012

Bundesgerichtshof VII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2012, Az. VII ZB 36/10 (REWIS RS 2012, 6907)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6907

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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