Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2023, Az. 2 ARs 361/23

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 8881

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Gegenstand

Kompetenzkonflikt zwischen Oberlandesgericht und Kammergericht bezüglich örtlicher Zuständigkeit in einer Justizverwaltungssache


Tenor

Zuständig für die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist das [X.].

Gründe

1

Es streiten das [X.] und das [X.] über die örtliche Zuständigkeit in einer Justizverwaltungssache.

I.

2

1. Dem Verfahren liegt, soweit es für die örtliche Zuständigkeit von Bedeutung ist, folgender Verfahrensgang zu Grunde:

3

a) Der in [X.] wohnhafte Betroffene ist [X.] Staatsangehöriger. Zur Erlangung eines dauerhaften Aufenthaltstitels in [X.] benötigte er ein erweitertes Führungszeugnis. Da das auf seinen Antrag hin durch das [X.] erteilte (erweiterte) Führungszeugnis eine Verurteilung enthielt, die der Erlangung des begehrten Aufenthaltstitels möglicherweise entgegengestanden hätte, beantragte der Betroffene in der Folge beim [X.] die Anordnung, den zu seinen Lasten bestehenden Eintrag gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 BZRG nicht in das Führungszeugnis aufzunehmen. Nachdem das [X.] wegen der Notwendigkeit ergänzender Darlegungen seitens des Betroffenen von einer Entscheidung über den Antrag abgesehen hatte, richtete dieser an das [X.] den Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung „vorläufig“ die Nichtaufnahme der Verurteilung in das erweiterte Führungszeugnis zu beschließen, hilfsweise das [X.] zu einer entsprechenden Nichtaufnahme zu verpflichten.

4

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 17. Februar 2023 hat der Betroffene den auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Antrag zurückgenommen und um Feststellung der Kostenfolge gebeten.

5

b) Bereits mit Beschluss vom 7. Februar 2023 hatte das [X.] sich für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das [X.] verwiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, dass für den Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich das Gericht der Hauptsache örtlich zuständig sei. Da in der Hauptsache gegen eine – etwaige – ablehnende Entscheidung des [X.] nach der vorliegend in Betracht kommenden Vorschrift des § 39 Abs. 3 BZRG eine Beschwerdemöglichkeit zum [X.] mit Sitz in [X.] eröffnet wäre, sei dies vorliegend das [X.].

6

c) Das [X.] hat sich mit Beschluss vom 7. Juli 2023 unter Ablehnung der Übernahme des Verfahrens für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem [X.] zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit vorgelegt.

7

2. Der [X.] hat beantragt festzustellen, dass das [X.] zuständig ist.

II.

8

1. Der [X.] ist als gemeinschaftliches oberstes Gericht gemäß §§ 14, 19 [X.] zur Entscheidung des Kompetenzkonflikts berufen.

9

2. Zuständig für die Entscheidung über die Kosten des in der Zwischenzeit zurückgenommenen Eilantrags ist das [X.].

a) Dies folgt aus § 25 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Verbindung mit § 25 Abs. 2 [X.]. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist das [X.] bzw. Oberste Landesgericht zuständig, in dessen Bezirk die Justiz- oder Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Justizbehörde ist vorliegend das [X.], das seinen Sitz in [X.] hat. Da das [X.] von der Ermächtigung zur Zuständigkeitskonzentration nach § 25 Abs. 2 [X.] zugunsten des [X.]s Hamm Gebrauch gemacht hat (Gesetz betreffend die Übertragung von Entscheidungen über Anträge nach §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz auf dem Gebiet der Strafrechtspflege und des Vollzugs auf das [X.] vom 8. November 1960, GV. [X.], [X.]; nunmehr § 12 Nr. 1 JustG [X.]) und da das [X.] zu den Angelegenheiten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege gehört (vgl. [X.], BeckRS 2020, 43294; KG, [X.] 1973, 180; KK-[X.]/[X.], 9. Aufl., [X.] § 23 Rn. 65), ist dessen nach dortiger Geschäftsverteilung vorgesehener Strafsenat für den ursprünglich auf eine Entscheidung des [X.] gerichteten und nunmehr auf die Kostentragung beschränkten Antrag des Betroffenen örtlich zuständig.

b) Die örtliche Zuständigkeit des [X.]s wird auch nicht durch § 25 Abs. 1 Satz 2 [X.] begründet, wonach abweichend von Satz 1 für den Fall, dass ein Beschwerdeverfahren (§ 24 Abs. 2 [X.]) vorausgegangen ist, das [X.] zuständig ist, in dessen Bezirk die Beschwerdebehörde ihren Sitz hat. Diese Ausnahmeregelung ist in der hier zu beurteilenden Konstellation nicht einschlägig. Denn ein Beschwerdeverfahren im Sinne von § 24 Abs. 2 [X.] ist nicht vorausgegangen.

aa) Auf das Erfordernis eines bereits vorangegangenen Beschwerdeverfahrens kann zur Zuständigkeitsbegründung nach dieser Vorschrift nicht verzichtet werden. Zutreffend führt das [X.] aus, dass bereits der eindeutige Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 2 [X.] („vorausgegangen ist“) keinen Raum für abweichende Deutungsmöglichkeiten lässt und es danach insbesondere ausgeschlossen ist, auf ein zukünftiges Beschwerdeverfahren abzustellen. Ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit wird daher erst nach Durchführung eines Beschwerdeverfahrens herbeigeführt (vgl. [X.]/[X.]/[X.], [X.], 27. Aufl., § 25 [X.] Rn. 2; KK-[X.]/[X.], 9. Aufl., [X.] § 25 Rn. 2; [X.], [X.]., [X.] § 25 Rn. 2). Denn erst die Einlegung einer Beschwerde – hier nach § 39 Abs. 3 BZRG – führt im Falle der Nichtabhilfe durch die Registerbehörde zur Befassung des [X.] mit dem Verfahren, wodurch der Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zum [X.], dem [X.] am Sitz der dann zuständigen Behörde, gerechtfertigt wird. Wurde ein vom Gesetz vorgesehenes Beschwerde- bzw. [X.] dagegen nicht durchgeführt, streiten im Übrigen weder Zweckmäßigkeitsüberlegungen noch Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung dafür (zu den maßgeblichen Kriterien vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. März 2009 ‒ 7 AV 1/09, juris Rn. 3), von dem in § 25 Abs. 1 Satz 1 [X.] niedergelegten Grundsatz abzuweichen.

bb) Auch die Annahme des [X.]s Hamm, die bloße Möglichkeit einer Beschwerde nach § 39 Abs. 3 BZRG begründe bereits einen Zuständigkeitswechsel, erweist sich nicht als tragfähig.

(1) Der Betroffene hat sein Begehren im Wege des in den §§ 23 ff. [X.] nicht ausdrücklich geregelten, gleichwohl aber anerkannten (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Dezember 1995 – 1 VAs 137/95, juris Rn. 3; [X.], Beschluss vom 15. November 2012 – 4a [X.], juris Rn. 9; [X.], Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 2 VAs 10/14, juris Rn. 15; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 27. Aufl., § 28 [X.] Rn. 1 mwN; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 66. Aufl., § 28 [X.] Rn. 13; [X.], [X.]., [X.] § 23 Rn. 72) vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt. Dieses war darauf gerichtet, die „Untätigkeit“ des [X.] einer gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen, um aus seiner Sicht unzumutbare Nachteile zu vermeiden. Für die Annahme, dass gegen eine daraufhin ergehende, nicht im Sinne des Betroffenen ausfallende Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, ein Beschwerdeverfahren eröffnet wäre, fehlt eine gesetzliche Grundlage. Bereits die Anerkennung eines Eilrechtsschutzes erfolgt ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung. Sie findet ihre rechtliche Verankerung allein in Art. 19 Abs. 4 GG, um Betroffene vor schweren und unzumutbaren sowie anders nicht abwendbaren und nicht mehr umkehrbaren Nachteilen zu schützen und ist demgemäß auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl. [X.], [X.], 3126; NJW 2017, 1939). Da weder Art. 19 Abs. 4 GG noch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip einen Instanzenzug gewährleisten (vgl. [X.]E 4, 74, 94 ff.; 8, 174, 181 f.), besteht aus Rechtsgründen und auch mit Blick auf die im Regelfall vorläufige Natur derartiger Entscheidungen, keine Notwendigkeit für die Einräumung eines Beschwerderechts.

(2) Schließlich vermag auch die von dem [X.] bemühte Akzessorietät des Eilverfahrens zum Hauptverfahren eine örtliche Zuständigkeit des [X.]s nicht herbeizuführen. Die „Gefahr“ divergierender Entscheidungen im Eilrechtsverfahren einerseits und im Hauptsacheverfahren andererseits liegt begründet in dem Wesen des einstweiligen Rechtsschutzes mit Blick auf den unterschiedlichen Prüfungsmaßstab und ist nach der gesetzlichen Konzeption, die unter anderem in § 945 ZPO ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. [X.], Urteil vom 1. April 1993 – [X.], NJW 1993, 2685; [X.]/[X.], 6. Aufl., § 945 Rn. 14 ff.; [X.]/[X.]/[X.], 20. Aufl., ZPO, § 945 Rn. 4, 5; [X.]/[X.]/[X.], VwGO, 27. Aufl., § 123 Rn. 42 ff.; [X.]/[X.]/[X.], 44. EL, VwGO § 123 Rn. 59 ff.), stets hinzunehmen.

[X.]     

      

Eschelbach     

      

Zeng   

      

Grube     

      

[X.]     

      

Meta

2 ARs 361/23

10.10.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

Art 19 Abs 4 GG, § 23 GVGEG, § 25 Abs 1 S 2 GVGEG, § 39 Abs 3 BZRG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2023, Az. 2 ARs 361/23 (REWIS RS 2023, 8881)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8881

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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