Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.10.2020, Az. 1 ARs 3/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2166

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Gegenstand

Rechtsweg und Zuständigkeiten: Rechtsschutz gegen Eingriffsmaßnahmen von Polizei, Gericht und Staatsanwaltschaft im Strafverfahren; Wirkungen einer Verweisung durch ein Verwaltungsgericht


Tenor

Zuständig zur Entscheidung über den Feststellungsantrag und den Antrag auf Akteneinsicht ist das [X.].

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den Antragsteller mit Urteil vom 5. Oktober 2017 wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit Urteil vom 10. Januar 2019 hat der Senat dieses Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige [X.] des [X.] zurückverwiesen. Die nun im zweiten Rechtsgang zuständige [X.] hat die am 10. Oktober 2019 begonnene Hauptverhandlung zur Durchführung weiterer Ermittlungen ausgesetzt.

2

Im ersten Rechtsgang hatte sich der Antragsteller zu seiner Entlastung auf einen Mitarbeiter des [X.] [X.] ([X.]) berufen und in der Hauptverhandlung vom 24. April 2017 einen Beweisantrag auf dessen Vernehmung gestellt. In Abstimmung mit der [X.] hatte die Staatsanwaltschaft [X.] das [X.] mit e-mail vom 26. April 2017 um Amtshilfe ersucht und um Mitteilung gebeten, ob Erkenntnisse über diesen Zeugen und dessen mögliche potentielle Gefährdung im Falle einer Vernehmung in [X.] vorliegen. In Ausführung dieses Ersuchens hatte sich das [X.] mit Schreiben vom 28. April 2017 an den [X.] gewandt. Eine Antwort des [X.] auf das Ersuchen ist nicht zu den Akten gelangt. Mit angeblich von diesem Zeugen stammenden e-mails an das [X.] hatte der Zeuge jedoch mitgeteilt, eine Aussage sei ihm aufgrund der Gefährdungslage nicht möglich, später jedoch, es bestünden nun keine Bedenken mehr. In der Hauptverhandlung vom 4. September 2017 ist der zu diesem Termin geladene Zeuge nicht erschienen. Das [X.] hatte sodann den auf seine Vernehmung gerichteten Beweisantrag mit Beschluss vom 5. September 2017 wegen Unerreichbarkeit des Zeugen abgelehnt.

3

Der Antragsteller behauptet, das [X.] habe dem [X.] in Ausführung des vorgenannten Ersuchens mitgeteilt, der Zeuge werde „festgesetzt“, wenn er der Ladung zu seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung nachkommen und zugunsten des Antragstellers aussagen sollte.

II.

4

Am 25. August 2017 hat der Antragsteller vor dem [X.] Klage gegen die [X.], vertreten durch das [X.], erhoben mit dem Antrag festzustellen, dass das [X.] des [X.]s an den [X.] in Amtshilfe für die Staatsanwaltschaft [X.] im Rahmen des Strafverfahrens vor dem [X.] rechtswidrig gewesen sei. Darüber hinaus hat er beantragt, das [X.] zur Gewährung von Akteneinsicht in alle zu bzw. über den Antragsteller geführten Verwaltungsvorgänge und Dokumente zu verpflichten, insbesondere in den Vorgang der Amtshilfe des [X.]s für die Staatsanwaltschaft [X.] im laufenden Strafverfahren.

5

Mit Beschluss vom 30. Oktober 2017 hat das [X.] die Feststellungs- und die Verpflichtungsklage abgetrennt, letztere nur insoweit, als diese den [X.] betraf. Mit Beschluss vom selben Tag hat es den Rechtsweg zu den Gerichten der [X.]barkeit insoweit für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen.

6

Zur Begründung hat es ausgeführt, für diese Klagebegehren sei gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] die ordentliche Gerichtsbarkeit zuständig, da das [X.] in Amtshilfe für die Staatsanwaltschaft [X.] und damit funktionell als Justizbehörde im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] tätig geworden sei; denn Ziel des Ersuchens an den [X.] sei es gewesen, Informationen für Zwecke des laufenden Strafverfahrens zu gewinnen. Der Antrag auf Akteneinsicht in den zugehörigen [X.] sei insoweit nur Annex des Feststellungsantrags.

7

Der [X.] [X.]hof hat die Beschwerde des Antragstellers mit Beschluss vom 7. September 2018 mit [X.] Begründung zurückgewiesen und die Verweisung an das [X.] bestätigt.

8

Mit Beschluss vom 10. Januar 2018 hat der 3. Strafsenat des [X.] die Sache an die im ersten Rechtsgang zuständige Wirtschaftsstrafkammer des [X.] abgegeben. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Beschluss des [X.] sei zwar für den Rechtsweg, also hinsichtlich der funktionalen Zuständigkeit der Strafrechtspflege, nach § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] bindend, nicht aber für die Frage, ob innerhalb der Strafgerichtsbarkeit das [X.] oder das [X.] zu entscheiden habe. In der Sache seien die §§ 23 ff. [X.] nicht einschlägig, sondern der Rechtsbehelf nach § 98 Abs. 2 Satz 2 [X.]. Damit sei das [X.] nach § 162 Abs. 3 [X.], § 98 Abs. 2 Satz 2 [X.] analog für den Feststellungsantrag und nach § 147 Abs. 5 [X.] für den [X.] des Antragstellers zuständig.

9

Die nun im zweiten Rechtsgang zuständige Wirtschaftsstrafkammer des [X.] hat mit Beschluss vom 12. Mai 2020 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Sache an das [X.] zurückgegeben. Es ist der Auffassung, das [X.] sei aufgrund der bindenden Verweisung durch das [X.] zuständig; denn die Bindungswirkung des § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] erfasse in analoger Anwendung auch die Zuweisung des Verfahrens in den Rechtsweg nach §§ 23 ff. [X.].

Das [X.] hat mit Beschluss vom 25. Juni 2020 die Sache dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

III.

1. Der [X.] ist in entsprechender Anwendung des § 14 [X.] als gemeinschaftliches oberes Gericht des [X.] und des [X.] zur Entscheidung des [X.] berufen, weil zwischen diesen Gerichten ein negativer sachlicher Kompetenzkonflikt besteht, der nicht anders als durch die Vorlage gelöst werden kann (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. November 2018 - 2 [X.] Rn. 11 mwN und vom 17. März 1999 - 3 [X.] Rn. 5 mwN; [X.]; [X.]/[X.] § 14 Rn. 4 mwN; [X.]/[X.] § 14 Rn. 5 mwN; [X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 14 Rn. 2 mwN). Beide Gerichte haben jeweils durch Beschluss ihre Unzuständigkeit erklärt.

Die Zuständigkeit für Entscheidungen des [X.]s als gemeinschaftliches oberes Gericht in [X.] ist dem 1. Strafsenat zugewiesen (Geschäftsverteilungsplan 2020, [X.]. Nr. 6).

2. Zuständig für die Entscheidung über den Feststellungsantrag und den Antrag auf Akteneinsicht ist das [X.]. Die Verweisung durch den Beschluss des [X.] Wiesbaden bindet lediglich hinsichtlich des Rechtswegs zur ordentlichen Gerichtsbarkeit. Innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit - hier der Strafgerichtsbarkeit - besteht keine Bindung, so dass das Gericht, an das verwiesen wurde, im Falle seiner Unzuständigkeit an das zuständige Gericht weiter verweisen darf.

a) Das [X.] ist nicht gemäß §§ 23, 25 Abs. 1 [X.] zur Entscheidung über die gestellten Anträge zuständig, da das Verfahren nach §§ 23 ff. [X.], das Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist, nicht eröffnet ist; denn der vom Antragsteller beanstandete Vorgang war kein Justizverwaltungsakt. Im Übrigen wären die Anträge auch unzulässig, weil dieser Rechtsbehelf nur subsidiär anwendbar ist (§ 23 Abs. 3 [X.]) und auf Grund anderer Vorschriften (hier § 98 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 [X.] analog) ein ordentliches Gericht angerufen werden konnte.

aa) [X.] sind nach § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts einschließlich des Handelsrechts, des Zivilprozesses, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafrechtspflege getroffen werden. Zwar sind Justizbehörden im Sinne des § 23 [X.] sowohl Staatsanwaltschaft als auch Polizei, soweit letztere zur Strafverfolgung tätig wird (vgl. [X.]/[X.], aaO, § 23 [X.] Rn. 2 mwN). Jedoch sind Maßnahmen, die auf die Einleitung, Durchführung, Gestaltung und Beendigung eines Ermittlungsverfahrens gerichtet sind, sowie Maßnahmen der Staatsanwaltschaft oder des Strafgerichts im Strafverfahren keine den Einzelfall regelnden [X.], sondern Prozesshandlungen und Entscheidungen des Gerichts im Rahmen seiner richterlichen Unabhängigkeit. Diese sind dem Rechtsweg nach den §§ 23 ff [X.] entzogen (vgl. [X.]/[X.], aaO, § 23 [X.] Rn. 9, 14 f. mwN). Unerheblich ist, ob das Gericht im Rahmen seiner richterlichen Unabhängigkeit die Maßnahme selbst vornimmt oder sie durch Staatsanwaltschaft oder Polizei vornehmen lässt (vgl. § 214 Abs. 4 Satz 1, § 221 [X.], § 152 Abs. 1 [X.]).

bb) Auf die nachträgliche gerichtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit bereits durch Vollzug erledigter Eingriffsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen und die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Art und Weise der Durchführung einer erledigten richterlichen oder nichtrichterlichen Maßnahme ist § 98 Abs. 2 Satz 2 [X.] entsprechend anwendbar ([X.], Beschlüsse vom 7. Dezember 1998 - 5 AR ([X.]) 2/98 Rn. 22 und vom 25. August 1999 - 5 AR ([X.]) 1/99 Rn. 20; [X.]/[X.], aaO, § 98 Rn. 23 mwN).

b) Die nachfolgende Abgabe der Sache an das [X.] war möglich.

Ist der beschrittene Rechtsweg nicht eröffnet, spricht das Gericht dies nach § 17a Abs. 2 Satz 1 [X.] nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs, wobei dieser Beschluss nach § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, nur hinsichtlich des Rechtswegs bindend ist.

aa) Nachdem das [X.] den von dem Antragsteller zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen hatte, ist das [X.] gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 [X.] an diese Verweisung lediglich hinsichtlich der Bestimmung des Rechtswegs der ordentlichen Gerichtsbarkeit gebunden; vor die ordentlichen Gerichte gehören die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen) sowie die Strafsachen (§ 13 [X.]). Innerhalb einer Gerichtsbarkeit - hier derjenigen der Strafgerichtsbarkeit - bewirkt § 17a Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 [X.] hinsichtlich der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit keine Bindungswirkung.

(1) § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] findet auf Verweisungen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit keine unmittelbare Anwendung ([X.]/[X.], aaO, § 17b [X.] Rn. 1; [X.] in [X.][X.], 26. Aufl., §§ 17 ff. [X.] Rn. 2 f.); denn die §§ 17 bis 17b [X.] betreffen nur den Rechtsweg, also das Verhältnis verschiedener Gerichtsbarkeiten (Arbeits-, Sozial-, Finanz-, Verwaltungs-, ordentliche Gerichtsbarkeit), zueinander. Für das Verhältnis der innerhalb einer Gerichtsbarkeit mit verschiedenen Rechtsgebieten befassten Gerichte zueinander gelten sie nicht. Dies gilt erst recht für eine - wie hier - formlose Abgabe.

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 17a Abs. 2 Satz 1 [X.], der die Verweisung an das „zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges“ gebietet und dem des § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.], der bestimmt, dass der Beschluss des verweisenden Gerichts für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, lediglich „hinsichtlich des Rechtsweges“ bindend ist und damit die Weiterverweisung bei Unzuständigkeit des Gerichts innerhalb des [X.], in den verwiesen wurde, ermöglicht (so auch [X.], Beschluss vom 4. Juli 1994 - 2 VAs 5/94 Rn. 8).

(2) § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] ist auf Verweisungen innerhalb desselben [X.] auch nicht entsprechend anwendbar, da die Voraussetzungen für eine Analogie nicht vorliegen (so bereits zutreffend Hanseatisches [X.] Hamburg, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 2 VAs 9/14 Rn. 11 mwN).

Analogie ist die rechtsfolgenmäßige Gleichsetzung zweier unterschiedlicher Tatbestände, die zulässig ist wenn auf Grund einer dem Gesetzgeber nicht deutlich gewordenen unbeabsichtigten (planwidrigen) Lücke im Gesetz nur eine der beiden Fallgestaltungen geregelt ist, sich beide Tatbestände aber so ähneln, dass ihre Gleichbehandlung trotz der vorhandenen Unterschiede geboten ist (zur Definition vgl. z. B. [X.], Beschlüsse vom 27. Mai 2020 - 1 [X.] Rn. 20 und vom 23. August 2005 - 1 [X.] Rn. 9; [X.]/[X.], aaO, Einl. Rn. 198). Aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG angeordneten Vorrang des Gesetzes folgt zwar kein Verbot, vom Gesetzgeber nicht gesehene Regelungslücken im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu schließen; hat der Gesetzgeber jedoch eine Lücke erkannt, ist es auf Grund der Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG seine Aufgabe zu entscheiden, ob er die erkannte Regelungslücke bestehen lassen oder durch eine Regelung schließen will (vgl. [X.], Vorlagebeschluss vom 2. November 2016 - 2 StR 495/12 Rn. 41, 87; Beschluss vom 27. Mai 2020 - 1 [X.] Rn. 21).

Eine solche planwidrige gesetzliche Regelungslücke liegt nicht vor. Dies folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Gesetzeszweck.

Die §§ 17, 17a und 17b [X.] sind durch das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens([X.] zur Änderung der [X.]ordnung - 4. [X.] - vom 17. Dezember 1990 ([X.] I S. 2809, 2816 f.) an Stelle der bisherigen §§ 17 und 17a [X.] neu eingefügt worden. Ziel der Neufassung war es, bei Nichteröffnung des Rechtswegs ohne Antragserfordernis eine Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung bei gleichzeitiger Kostenersparnis durch Verweisung von Amts wegen zu erreichen (siehe dazu die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 11/7030, [X.]; Hanseatisches [X.] Hamburg, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 2 VAs 9/14 Rn. 8, [X.], Beschluss vom 4. Juli 1994 - 2 VAs 5/94 Rn. 7, [X.], [X.], 8. Aufl., § 17b [X.] Rn. 2). Bis dahin war nach § 17 Abs. 3 Satz 1 [X.] in der Fassung vom 9. Mai 1975 ([X.] I S. 1077) eine Verweisung durch das ordentliche Gericht, wenn es den zu ihm beschrittenen Rechtsweg nicht für gegeben hielt, lediglich auf Antrag des [X.] möglich, den dieser nach § 17 Abs. 3 Satz 2 [X.] in der Fassung vom 9. Mai 1975 ([X.] I S. 1077) nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung stellen konnte.

§ 17 Abs. 1 und 2 [X.] in der Fassung vom 9. Mai 1975 ([X.] I S. 1077) betrafen lediglich die Rechtswegverweisung zwischen den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der [X.]barkeit, der Finanz- oder Sozialgerichte, und war auf Verweisungen innerhalb einer Gerichtsbarkeit nicht anwendbar; insoweit fanden die Regelungen über die sachliche Zuständigkeit Anwendung.

Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 [X.] in der Fassung vom 9. Mai 1975 konnte ein anderes Gericht in derselben Sache seine Gerichtsbarkeit nicht deshalb verneinen, weil es den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für gegeben hielt, wenn ein ordentliches Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg zuvor rechtskräftig für nicht eröffnet erklärt hatte. Die ordentlichen Gerichte wiederum waren nach § 17 Abs. 2 [X.] in der Fassung vom 9. Mai 1975 an die Entscheidung eines Gerichts der allgemeinen Verwaltungs-, der Finanz- oder der Sozialgerichtsbarkeit gebunden, wenn dieses den zu ihm beschrittenen Rechtsweg zuvor rechtskräftig für nicht eröffnet erklärt hatte.

Der mit der Neufassung befasste Gesetzgeber kannte diesen Rechtszustand und wollte ihn durch die Neufassung der §§ 17 ff. [X.] nicht ändern (vgl. hierzu Hanseatisches [X.] Hamburg, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 2 VAs 9/14 Rn. 13; [X.], Beschluss vom 4. Juli 1994 - 2 VAs 5/94 Rn. 9; Vorlagebeschluss [X.], [X.]). Verweisungen zwischen Gerichten derselben Gerichtsbarkeit sollten nicht erfasst werden.

Im Entwurf des 4. [X.] heißt es zu § 17a Abs. 2 Satz 3: „Satz 3 spricht die Bindungswirkung des [X.] aus. Die Regelung geht über das geltende Recht hinaus und bestimmt nicht nur eine abdrängende, sondern auch die aufdrängende Wirkung der Verweisung. Die aufdrängende Wirkung einer im Falle der Unzulässigkeit des Rechtsweges ergangenen Verweisungsentscheidung erstreckt sich nur auf den Rechtsweg. Hinsichtlich der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit bindet die Entscheidung nicht. Das verweisende Gericht muß zwar sachliche und örtliche Zuständigkeit des Gerichts des anderen [X.] prüfen und entscheiden. Dem Gericht des anderen [X.] bleibt jedoch die Möglichkeit der Weiterverweisung“ (BT-Drucks. 11/7030, [X.]).

Zudem hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des bekannten Streits um eine analoge Anwendung des § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] eine entsprechende Geltung des § 17a Abs. 1 bis 5 [X.] und damit auch des § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] ausdrücklich nur für bestimmte Fallkonstellationen innerhalb des [X.] und zwar „für die in bürgerlichen [X.]en, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander“ in § 17a Abs. 6 [X.] geregelt ([X.] vom 17. Dezember 2008, [X.] I, [X.], 2694); das Verfahren nach §§ 23 ff. [X.] ist nicht genannt. Nicht geregelt hat der Gesetzgeber Zuständigkeitsstreitigkeiten, die sich innerhalb der Strafgerichtsbarkeit ergeben können, insbesondere nicht die entsprechende Anwendung des § 17a Abs. 1 bis 5 [X.] im Verhältnis der Verfahren nach §§ 23 ff. [X.] und nach § 98 Abs. 2 Satz 2 [X.] (so bereits Hanseatisches [X.] Hamburg, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 2 VAs 9/14 Rn. 13).

In der Begründung zu § 17a Abs. 6 [X.] heißt es: Damit wird klargestellt, dass „die Regeln, die für die Entscheidung über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs gelten, entsprechend anzuwenden sind, soweit es innerhalb desselben ([X.] das interne Verhältnis zwischen streitiger Gerichtsbarkeit, freiwilliger Gerichtsbarkeit und den Familiengerichten betrifft. Voraussetzung ist, dass es sich um Streitsachen handelt, über die im Antragsverfahren zu entscheiden ist; denn in Verfahren, die von Amts wegen einzuleiten sind, fehlt es bereits im Ausgangspunkt an der Beschreitung eines Rechtswegs, so dass für die Anwendung der Vorschrift in diesen Fällen von vornherein kein Raum ist. Absatz 6 erfasst mithin die Fälle, in denen die Prozessabteilung des Amtsgerichts eine Sache an das Familiengericht oder an eine Abteilung für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit verweist und umgekehrt“ (BT-Drucks. 16/6308 vom 7. September 2007, S. 318).

Dies zwingt zu dem Schluss, dass der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] nicht auf solche Zuständigkeitsstreitigkeiten wie die vorliegende erstrecken wollte. Damit verbietet sich seit dieser Neuregelung eine Analogie mangels einer planwidrigen Regelungslücke (ebenso [X.]/[X.], 1. Aufl., [X.] §§ 17 ff. Rn. 4; Hanseatisches [X.] Hamburg, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 2 VAs 9/14 Rn. 11, Vorlagebeschluss [X.], [X.]). Die mit einer Weiterverweisung mangels sachlicher oder örtlicher Zuständigkeit verbundenen Verzögerungen hat der Gesetzgeber in Kauf genommen (vgl. BT-Drucks. 11/7030, [X.]). Demgegenüber hat das Ziel, die Entscheidung innerhalb der Strafgerichtsbarkeit dem sachnächsten Gericht zu übertragen, höheres Gewicht (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Juli 1994 - 2 VAs 5/94 Rn. 8).

Zur alten Rechtslage hat der 2. Strafsenat des [X.]s in seinem Beschluss vom 23. März 2005 (2 [X.], [X.]R [X.] § 17a [X.] 1) eine analoge Anwendung des § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] auch lediglich für das Verhältnis von Bußgeldverfahren und Zivilprozess angenommen. Die Frage, ob eine Analogie auch für Verweisungen innerhalb der Strafgerichtsbarkeit, etwa zwischen dem Ermittlungsrichter und dem nach §§ 23 ff. [X.] zuständigen Strafsenat geboten ist, hat der [X.] ausdrücklich offengelassen ([X.], aaO).

Die nachfolgende Abgabe durch das [X.] war daher rechtlich zutreffend (für die Zulässigkeit einer Weiterverweisung [innerhalb desselben Rechtswegs] auch [X.], Beschluss vom 4. Juli 1994 - 2 VAs 5/94 Rn. 7; KG, Beschluss vom 29. September 1999 - 2 [X.]/99 - 4 VAs 26/99 Rn. 3; Hanseatisches [X.] Hamburg, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 2 VAs 9/14 Rn. 9 ff.; [X.] in [X.][X.], [X.], 26. Aufl. 2010, §§ 17 ff. [X.] Rn. 3; [X.]/[X.], 63. Aufl., § 25 [X.] Rn. 2; BeckOK-[X.]/[X.] § 25 [X.] Rn. 5; [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 25 [X.] Rn. 4; aA: Thüringer [X.], Beschluss vom 19. Oktober 2010 - 1 VAs 5/10 Rn. 11 unter [X.]. auf [X.], Beschluss vom 23. März 2005 - 2 [X.]; offen gelassen in [X.], Beschluss vom 18. April 2013 - 2 VAs 2/13 Rn. 10 f.; [X.]/[X.] § 17 ff. [X.] Rn. 4; KK-[X.]/[X.] § 28 [X.] Rn. 27; unklar [X.], § 17b [X.] Rn. 2).

c) Das [X.] war auch das örtlich und sachlich zuständige Gericht. Das Feststellungsbegehren des Antragstellers ist ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 [X.], weil sich der Antragsteller gegen die Art und Weise der Ausführung eines staatsanwaltschaftlichen Ersuchens um eine Erkenntnisanfrage bei einer ausländischen Behörde durch das [X.] wendet. Zuständig hierfür und für das Akteneinsichtsgesuch (§ 147 Abs. 5 Satz 1 [X.]) ist gemäß § 98 Abs. 2 Satz 3 [X.], § 163 Abs. 3 Satz 1 [X.] das mit der Sache befasste Gericht und damit die im zweiten Rechtsgang zuständige Wirtschaftsstrafkammer des [X.].

Raum     

        

Bellay     

        

Fischer

        

Hohoff     

        

Pernice     

        

Meta

1 ARs 3/20

16.10.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 17 GVG, § 17a Abs 2 S 1 GVG, § 17a Abs 2 S 3 GVG, § 17a Abs 6 GVG, § 23 GVGEG, §§ 23ff GVGEG, § 25 Abs 1 GVGEG, § 14 StPO, § 98 Abs 2 S 2 StPO, § 98 Abs 3 StPO, § 147 StPO, § 163 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.10.2020, Az. 1 ARs 3/20 (REWIS RS 2020, 2166)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2166

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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