Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.09.2010, Az. 1 StR 423/10

1. Strafsenat | REWIS RS 2010, 3457

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 423/10 vom 13. September 2010 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 13. September 2010 be-schlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. Februar 2010 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendi-gen Auslagen zu tragen. Gründe: Die [X.] hat festgestellt: 1 Der später Geschädigte hatte eine tätliche Auseinandersetzung mit ei-nem Freund des Angeklagten, die dieser zunächst aus einiger Entfernung be-obachtete. Er wollte dann den Geschädigten kampfunfähig machen, näherte sich ihm von der Seite und stach ihm mit bedingtem Tötungsvorsatz wuchtig ein Messer in den Bauch. Obwohl lebensgefährlich verletzt, bemerkte der [X.] den Stich zunächst nicht und kämpfte sogar weiter. Zufällig kam kurz [X.] eine Polizeistreife, die seine lebensrettende Behandlung veranlasste. Der Angeklagte war nach dem Stich geflüchtet. Er ging - wie sich zeigte, zutreffend - davon aus, dass die "Wirkung auf den Geschädigten alsbald einsetzen würde". Ob er dem Geschädigten weitere Stiche hätte versetzen können, bleibt [X.] offen. 2 - 3 - Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen versuchtem Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe verurteilt. 3 Seine auf die entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht ausgeführte Ver-fahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). 4 1. Näher auszuführen ist dies nur, soweit ein strafbefreiender Rücktritt (§ 24 StGB) verneint ist. 5 a) Da offen bleibt, ob weitere Stiche möglich gewesen wären, liegt kein fehlgeschlagener Versuch vor. 6 b) Der Angeklagte hat keine Rettungsmaßnahmen ergriffen. Im rechtli-chen Ansatz zutreffend geht die [X.] davon aus, aus diesem Grund komme kein Rücktritt in Betracht, da hier ein beendeter Versuch vorliege. Der Versuch sei deshalb beendet, weil der Angeklagte davon ausging, dass er sein Ziel, die Kampfunfähigkeit des Geschädigten, erreicht habe (gemeint: dass er davon ausging, dass dies demnächst eintreten werde). Dies ist allerdings unzu-treffend. Ob ein Versuch beendet ist oder nicht, richtet sich nicht nach der Vor-stellung des [X.] über ein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel, sondern über den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs (Rücktrittshorizont). Auch bei Erreichung des außertatbestandsmäßigen Ziels kann ein unbeendeter Versuch vorliegen, so dass bloßes Aufgeben weiterer Tatausführung für Rücktritt [X.] ([X.], Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 19. Mai 1993 - [X.], [X.]St 39, 221, 227 ff). 7 c) Dennoch hat das Urteil im Ergebnis Bestand. Der Angeklagte hatte ei-ne mögliche tödliche Wirkung des Stichs billigend in Kauf genommen. Daher 8 - 4 - legt die Feststellung, der Angeklagte habe bei seiner Flucht unmittelbar nach dem Stich mit dessen baldiger Wirkung gerechnet, die Annahme nahe, er habe (auch) den baldigen Tod des Geschädigten für möglich gehalten. Zumindest wird aber deutlich, dass der Angeklagte jedenfalls keine gegenteiligen Erwä-gungen angestellt hat, er sich also - allenfalls - überhaupt keine Vorstellungen darüber gemacht hat, ob der Geschädigte sterben könne oder nicht, sodass jedenfalls deshalb beendeter Versuch vorliegt ([X.], Urteil vom 3. Juni 2008 - 1 StR 59/08, [X.], 264, 266; [X.], Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, [X.]St 40, 304, 306), von dem der Angeklagte nicht zurückge-treten ist. 2. Auch im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keine Rechtsfehler ergeben, die sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben. 9 Der Senat sieht jedoch Anlass zu folgenden Hinweisen: 10 a) Zum Schuldspruch: 11 Die [X.] hat festgestellt, dass sich der Angeklagte "wie er er-kannte und worauf es ihm ankam, von diesem unbemerkt", dem Geschädigten seitlich genähert hatte, um auf ihn einzustechen. Dies legt die Annahme von Heimtücke (§ 211 StGB) nahe. Es beschwert den Angeklagten jedoch nicht, dass die [X.] diese Möglichkeit gleichwohl nicht geprüft hat. 12 b) Zum Strafausspruch: 13 Der bei der Tat über 20 Jahre alte Angeklagte hat nach dem Hauptschul-abschluss den Beruf eines Metallbearbeiters erlernt, den er seither erfolgreich (monatliches Nettogehalt zuletzt zwischen 1.800 und 1.900 •) ausübt. [X.] geht die [X.] davon aus, dass der Angeklagte "in der [X.] - 5 - ruflichen Entwicklung einem Erwachsenen gleichsteht". Dennoch wendet sie Jugendstrafrecht an. (1) Begründet ist dies an erster Stelle damit, dass der Angeklagte noch bei seinen Eltern lebt und keine eigene Familie hat. Hiergegen bestehen Be-denken. Heranwachsende mit eigener Familie sind seltene Ausnahmen. Nach dem Maßstab der [X.] hätten fast alle Heranwachsenden [X.]. 15 (2) Weiter stützt die [X.] ihr Ergebnis darauf, dass der Ange-klagte zeitweise eine Förderschule besucht hatte. Selbst wenn dies auf früher vorhandene Defizite hinweisen mag, liegt nahe, dass diese inzwischen behoben sind, wenn sie sich nicht mehr erkennbar auswirken. 16 (3) Letztlich hebt die [X.] noch darauf ab, dass der [X.] seinem Einkommen gerne Kleidung ("Klamotten") einkauft, Diskotheken besucht und sich oft mit Computerspielen beschäftigt. Auch dabei handelt es sich schwerlich um Hinweise auf "Auffälligkeiten in der geistigen und sittlichen Entwicklung" (vgl. [X.], Urteil vom 11. März 2003 - 1 [X.], [X.], 186, 187; Urteil vom 18. April 1984 - 2 StR 103/84, [X.], 467 mwN), sondern, soweit überhaupt auf diesen Kreis beschränkt, eher um typi-sche Verhaltensweisen jüngerer Menschen. 17 Auch in ihrer Gesamtschau haben die genannten Gesichtspunkte [X.] nicht solches Gewicht, dass kein Raum mehr für die Ausübung des in [X.] Zusammenhang bestehenden weiten tatrichterlichen Ermessens ([X.], Urteil vom 11. März 2003 - 1 [X.]) bestünde, sondern, wie die Jugend-kammer meint, "zwingend" Jugendstrafrecht anzuwenden sei. 18 All dies beschwert jedoch den Angeklagten ebenfalls nicht. 19 - 6 - c) Zur Abfassung der Urteilsgründe: 20 Die schriftlichen Urteilsgründe sollen nicht - etwa zum Vortatgeschehen - eine Vielzahl von Details aneinanderreihen, deren Bedeutung für den Schuld- oder Strafausspruch kaum erkennbar ist. Ebenso wenig sollte etwa die Aussage des Angeklagten in der Art eines Protokolls und wiederholt unter Mitteilung des jeweiligen Fragestellers Satz für Satz referiert werden. Die Urteilsgründe sollen dem Leser ermöglichen, die die Entscheidung tragenden Feststellungen ohne aufwändige eigene Bemühungen zu erkennen. Dementsprechend soll die Be-weiswürdigung lediglich belegen, warum bedeutsame tatsächliche Umstände so wie geschehen festgestellt wurden. Nur soweit hierfür erforderlich, sind Anga-ben des Angeklagten, Zeugenaussagen und sonst angefallene Erkenntnisse heranzuziehen. Urteilsgründe, die sich demgegenüber mit vielen sonstigen Er-kenntnissen befassen, können den Blick für das Wesentliche verstellen und damit letztlich sogar den Bestand des Urteils gefährden (vgl. [X.], Beschluss 21 - 7 - vom 19. August 2009 - 1 [X.]; Beschluss vom 4. März 2009 - 1 StR 27/09, insoweit nicht abgedruckt in [X.], 701; [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2006 - 2 [X.], [X.], 720; [X.], Beschluss vom 4. September 1997 - 1 StR 487/97, [X.] 1998, 51 mwN). [X.] Wahl Elf Jäger [X.]

Meta

1 StR 423/10

13.09.2010

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.09.2010, Az. 1 StR 423/10 (REWIS RS 2010, 3457)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3457

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 423/10 (Bundesgerichtshof)

Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Totschlagsversuch


4 StR 158/14 (Bundesgerichtshof)

Rücktritt vom Versuch eines Tötungsdelikts: Korrektur des Rücktrittshorizonts; Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch


5 StR 476/17 (Bundesgerichtshof)

Versuchter Totschlag: Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch


5 StR 528/11 (Bundesgerichtshof)

Rücktritt vom Versuch eines Tötungsdelikts: Vorliegen eines unbeendeten oder beendeten Versuchs bei Korrektur des Rücktrittshorizonts


5 StR 476/17 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 StR 423/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.