Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03.11.2011, Az. 2 AZR 748/10

2. Senat | REWIS RS 2011, 1772

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Gegenstand

Verhaltensbedingte Kündigung - Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzung - Anzeigepflicht bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit - Betriebsratsanhörung


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 10. November 2010 - 7 [X.] 1052/09 - aufgehoben.

2. Die [X.]che wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung.

2

Der 1969 geborene, ledige Kläger war seit dem 1. August 1985 bei der [X.] und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Seit dem 1. August 2008 war er in dem Ressort „[X.]“ ([X.]) W, [X.], als Kundendiensttechniker im Außendienst im Einsatz. Er bezog zuletzt ein Bruttomonatsentgelt in [X.]öhe von 3.000,00 Euro.

3

Dem Kläger stand als alleinigem Nutzer ein Dienstfahrzeug ausschließlich zu dienstlichen Zwecken zur Verfügung. Er war angewiesen, vor Urlaubsantritt oder bei Arbeitsunfähigkeit den Fahrzeugschlüssel und das Fahrtenbuch im Betrieb abzugeben. Weil er dem anlässlich einer Arbeitsunfähigkeit und eines Urlaubs in der [X.] vom 19. November 2002 bis zum 25. Februar 2003 nicht nachgekommen war, mahnte die Rechtsvorgängerin der [X.] ihn ab und sprach im Februar 2003 eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte Erfolg. Die Beklagte vermochte nicht zu beweisen, dass das [X.] dem Kläger vor Ausspruch der Kündigung zugegangen war.

4

Vor dem Antritt eines Urlaubs Ende Oktober 2008 hatte der Kläger den Schlüssel des [X.] und das Fahrtenbuch erneut nicht im Betrieb hinterlegt. In einem Gespräch im November 2008 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass durch sein Fehlverhalten ein einem anderen Ressort zugeordneter Parkplatz in der Tiefgarage über drei Wochen lang durch sein Fahrzeug belegt gewesen sei. Die Beklagte wies den Kläger an, seine Fahrtenbuchmappe inklusive Tankkarte und Fahrzeugschlüssel ab sofort abends in seinem Fach zu hinterlegen sowie sich bei seinem Vorgesetzten bei Arbeitsbeginn an- und bei Arbeitsende abzumelden.

5

Mit Schreiben vom 29. Januar 2009 ermahnte die Beklagte den Kläger nochmals, die Anweisungen einzuhalten. Gleichzeitig kündigte sie an, weitere arbeitsrechtliche Schritte einzuleiten, wenn bis zum 15. Februar 2009 keine Besserung erkennbar sei und er die Anweisungen weiterhin missachte. Der Kläger erhielt das Schreiben am 6. Februar 2009 von seinem Vorgesetzten. Am selben Abend nahm er die [X.] nach einer Spätschicht mit nach [X.]ause. Der Vorgesetzte war zu diesem [X.]punkt nicht mehr im Betrieb anwesend. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Kläger ein Fach zur Verfügung stand, in dem er die Fahrzeugschlüssel hätte hinterlegen können.

6

Vom 9. Februar 2009 an war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Ausweislich einer Aufstellung der Krankenkasse war er im [X.]raum vom 9. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 aufgrund einer Gastritis sowie vom 9. bis 17. März 2009 an einer „sonstigen depressiven Episode“ erkrankt. Ab dem 17. März 2009 behandelte ihn der Psychiater Dr. L, der ihm ebenfalls eine „sonstige depressive Episode“ bescheinigte. In einem Attest seiner [X.]ausärztin vom 1. Oktober 2010 heißt es, beim Kläger bestünden seit Jahren „massive Beschwerden vom Magen sowie von der Psyche her“. Insbesondere in der [X.] vom 9. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 habe er unter Magenschmerzen, Tendenz zu sozialem Rückzug, Antriebsstörungen und [X.] gelitten.

7

Der Kläger zeigte seine Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht nahtlos an. Am 20. Februar 2009 versandte er per Einschreiben einen Brief mit ärztlichen Attesten für die [X.] vom 9. bis 21. Februar 2009. Dieser ging am Montag, dem 23. Februar 2009, bei der [X.] ein. Am diesem Tag hatte der Kläger dienstfrei. Am 24. Februar 2009 rief er gegen 8:30 Uhr den Sachbearbeiter Einsatzsteuerung an und teilte ihm mit, nochmals einen Arzt aufsuchen zu wollen. Am späten Abend des [X.] informierte er seinen Vorgesetzten per E-Mail darüber, dass seine Krankmeldung bis zum 28. Februar 2009 verlängert worden sei und er sie zu [X.]änden einer Mitarbeiterin nach [X.] geschickt habe.

8

Der Kläger gab während seiner Erkrankung die Fahrzeugutensilien weder heraus, noch teilte er der [X.] mit, wo sie sich befänden und wie eine [X.]erausgabe sichergestellt werden könne. Den auf seinem Diensthandy hinterlassenen Rückrufbitten der [X.] kam er nicht nach.

9

Mit Schreiben vom 16. Februar 2009 und 18. Februar 2009 mahnte die Beklagte den Kläger wegen unzureichender Anzeige und fehlenden Nachweises seiner Arbeitsunfähigkeit sowie wegen mangelnder [X.]erausgabe der Utensilien für das Dienstfahrzeug ab. Die Abmahnungen wurden am 17. Februar 2009 um 12:55 Uhr bzw. am 18. Februar 2009 um 16:45 Uhr in den [X.]ausbriefkasten des Klägers eingeworfen. Im Schreiben vom 16. Februar 2009 forderte die Beklagte den Kläger ua. auf, die Utensilien für das Dienstfahrzeug spätestens am 18. Februar 2009 abzugeben. Sollte er wegen Arbeitsunfähigkeit an der Abgabe der Gegenstände gehindert sein, habe er spätestens am 18. Februar 2009 mitzuteilen, wo sich die Gegenstände befänden, und eine [X.]erausgabe sicherzustellen. Die Abmahnung vom 18. Februar 2009 enthielt eine entsprechende „letztmalige“ Aufforderung, dem spätestens bis zum Morgen des 20. Februar 2009 nachzukommen.

Mit Schreiben vom 2. März 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zu kündigen. Der Betriebsrat widersprach dem.

Mit Schreiben vom 9. März 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 31. Oktober 2009.

Der Kläger hat gegen die Kündigung rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat behauptet, er habe in der [X.] vom 9. Februar 2009 bis 7. März 2009 an einer Tendenz zu sozialem Rückzug, Antriebsstörungen und [X.] gelitten. Er habe sich in einer akuten depressiven Episode befunden, die durch völlige Antriebsschwäche gekennzeichnet gewesen sei. Aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung sei er nicht in der Lage gewesen, wie von ihm verlangt zu handeln. Er sei der einzige Mitarbeiter, der jeden Abend die [X.] abgeben müsse. Alle anderen Kollegen dürften die Fahrzeuge mit nach [X.]ause nehmen und für den Weg zur Dienststelle kostenfrei nutzen. Da das Fahrzeug ausschließlich von ihm genutzt werde, sei der [X.] kein Nachteil entstanden. Die Beklagte habe auch längst einen Ersatzschlüssel anfertigen lassen können. Die Abmahnungen vom 16. und 18. Februar 2009 habe er erst am 21. Februar 2009 aus seinem [X.]ausbriefkasten entnommen. Zudem lägen keine schwerwiegenden Pflichtverstöße vor, so dass die Kündigung unter Berücksichtigung seiner 24-jährigen Betriebszugehörigkeit sozial nicht gerechtfertigt sei. Wahrer [X.]intergrund für die Kündigung sei seine schwere Erkrankung, die zu häufigen Ausfallzeiten führe.

Der Kläger hat beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 9. März 2009 nicht mit Ablauf des 31. Oktober 2009 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe bewusst und beharrlich gegen ihm erteilte Weisungen verstoßen. Er sei offensichtlich nicht bereit, berechtigten Forderungen nachzukommen. Eine Beschäftigung im Innendienst sei nicht möglich, weil der Kläger vor einiger [X.] unter Vorlage eines betriebsärztlichen Attests die Beschäftigung im Außendienst verlangt habe. Zudem bestehe im Innendienst kein geeigneter freier Arbeitsplatz. Da sich der Kläger trotz Ermahnung und Abmahnungen weiterhin pflichtwidrig verhalten habe, sei für die Zukunft mit erneuten gleichartigen Pflichtverstößen zu rechnen. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihr nicht mehr zumutbar. Für eine Erkrankung, die ein schuldhaftes Verhalten des Klägers ausschließe, lägen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat sie auf die Berufung der [X.] abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das [X.] die Klage nicht abweisen ([X.]). Die Sache ist nicht aus anderen Gründen zur Endentscheidung reif (§§ 561, 563 Abs. 3 ZPO). Ob die Kündigung vom 9. März 2009 gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] sozial gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest (I[X.]). Die Kündigung ist nach den bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] rechtsunwirksam (I[X.]).

[X.] Das [X.] durfte aufgrund seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, die Kündigung vom 9. März 2009 sei iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.

1. Das [X.] unterstellt die Anwendbarkeit von § 1 [X.], ohne Feststellungen zur Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 [X.] getroffen zu haben. Dies wird es im Fall des Fehlens einer [X.] Rechtfertigung nachzuholen haben.

2. Die Begründung des Berufungsurteils hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 [X.] sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile angemessen erscheint ([X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 34, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 28. Oktober 2010 - 2 [X.] - Rn. 12, AP [X.] 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA [X.] § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78). Ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers stellt eine Vertragspflichtverletzung dar, die eine Kündigung zu rechtfertigen vermag ([X.] 24. März 2011 - 2 [X.] - Rn. 12, [X.] § 626 Nr. 233 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 34; 12. Mai 2010 - 2 [X.] - Rn. 20, [X.] § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31; [X.]/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459 mwN). Ebenso kann eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers eine Kündigung rechtfertigen (vgl. zu § 626 Abs. 1 BGB: [X.] 24. März 2011 - 2 [X.] - aaO; 12. Mai 2010 - 2 [X.] - aaO).

b) Im vorliegenden Fall kann offen bleiben, ob eine verhaltensbedingte Kündigung unter besonderen Umständen auch dann berechtigt sein kann, wenn das Verhalten dem Arbeitnehmer nicht vorwerfbar ist (vgl. bejahend APS/[X.] 3. Aufl. § 1 [X.] Rn. 276; [X.]/[X.]/[X.] 2. Aufl. [X.] § 1 [X.] Rn. 371; [X.] in v. [X.]/[X.] [X.] 14. Aufl. § 1 Rn. 475; differenzierend: [X.]/[X.] 5. Aufl. § 1 [X.] Rn. 193; ablehnend: [X.]/Fiebig 3. Aufl. § 1 [X.] Rn. 224; [X.]/Griebeling 9. Aufl. § 1 [X.] Rn. 395; [X.]/Spinner [X.] 9. Aufl. § 1 Rn. 96; [X.]/[X.] 12. Aufl. § 1 [X.] Rn. 191). Die Beklagte hat derartige besondere Umstände nicht behauptet. Sie wirft dem Kläger ausschließlich Ordnungsverstöße ohne besondere, schwerwiegende Folgen vor. Unter diesen Umständen setzt eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses voraus, dass die Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten dem Kläger vorwerfbar ist.

c) Eine Pfichtverletzung ist vorwerfbar, wenn der Arbeitnehmer seine ihr zugrunde liegende Handlungsweise steuern konnte ([X.]/[X.] aaO Rn. 188). Ein Verhalten ist steuerbar, wenn es vom [X.]en des Arbeitnehmers beeinflusst werden kann ([X.] aaO Rn. 461). Dies ist nicht der Fall, wenn dem Arbeitnehmer die Pflichterfüllung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen subjektiv nicht möglich ist (vgl. [X.] 21. Mai 1992 - 2 [X.] - zu II 2 b bb der Gründe, [X.]E 70, 262). Ist dies vorübergehend nicht der Fall, ist er für diese [X.] von der Pflichterfüllung befreit (vgl. [X.]/[X.] BGB 71. Aufl. § 275 Rn. 10).

d) Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen (vgl. [X.] 21. Mai 1992 - 2 [X.] - [X.]E 70, 262; 18. Oktober 1990 - 2 [X.] - zu II 3 a der Gründe, [X.] 10h Nr. 30). Der Umfang der ihm obliegenden Darlegungslast ist allerdings davon abhängig, wie sich der Arbeitnehmer auf einen bestimmten Vortrag einlässt ([X.] 18. Oktober 1990 - 2 [X.] - zu II 3 b der Gründe, aaO). Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast darf sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung darzulegen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder [X.] vorbeugend ausschließen ([X.] 21. Mai 1992 - 2 [X.] - aaO). [X.] der Arbeitnehmer geltend machen, er sei aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen gehindert gewesen, seine Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen, muss er diese Gründe genau angeben. Beruft er sich auf krankheitsbedingte Gründe kann es erforderlich sein, dass er substantiiert darlegt, woran er erkrankt war und weshalb er deshalb seine Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen konnte (vgl. [X.] 18. Oktober 1990 - 2 [X.] - aaO).

e) Gemessen an diesen Grundsätzen durfte das [X.] aufgrund seiner bisherigen Feststellungen nicht davon ausgehen, der Kläger habe dadurch, dass er sich beharrlich rechtmäßigen Weisungen seines Arbeitgebers widersetzte, in vorwerfbarer Weise erhebliche Nebenpflichtverletzungen begangen.

aa) Zu Recht hat das [X.] angenommen, es könne eine Verletzung der vertraglichen Pflicht des [X.] zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB darstellen, dem Verlangen der Beklagten nicht nachzukommen, während Abwesenheitszeiten aufgrund Urlaubs oder Arbeitsunfähigkeit die Schlüssel und das Fahrtenbuch für das Dienstfahrzeug herauszugeben. Die Möglichkeit, einen Zweitschlüssel für das Fahrzeug fertigen zu lassen, stand der Berechtigung des Verlangens nicht entgegen. Dem Kläger war das Dienstfahrzeug samt Utensilien nur zu dienstlichen Zwecken überlassen.

bb) [X.] ist die Annahme des [X.]s nicht zu beanstanden, es sei unerheblich, dass dem Kläger als einzigem Mitarbeiter der Dienstwagen nicht auch zur privaten Nutzung überlassen worden war. Der Kläger hat keine Tatsachen dafür vorgetragen, dass es sich um eine unzulässige Maßregelung oder einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz handeln könnte.

cc) Zu Recht hat das [X.] angenommen, der Kläger habe die Anweisungen der Beklagten, die Utensilien für das Dienstfahrzeug für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit herauszugeben bzw. mitzuteilen, wie eine Übergabe erfolgen könne, nicht befolgt und habe damit diese sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebende Pflicht objektiv nicht erfüllt.

dd) Nicht zu beanstanden ist die Annahme des [X.]s, der Kläger sei auch den Anzeige- und Nachweispflichten im Zusammenhang mit seiner Arbeitsunfähigkeit nicht korrekt nachgekommen.

(1) Die Beklagte hatte den Kläger mit den Abmahnungen vom 16. und 18. Februar 2009 darauf hingewiesen, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seinem Vorgesetzten oder dessen Stellvertreterin vorzulegen seien. Obgleich er jedenfalls am 21. Februar 2009 vom Inhalt der Abmahnungen Kenntnis genommen hatte, sandte der Kläger die Bescheinigung für den [X.]raum vom 21. bis zum 28. Februar 2009 nicht an den Vorgesetzten oder dessen Stellvertreterin, sondern zu Händen einer Mitarbeiterin nach H.

(2) Auch hatte der Kläger die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit vorweg nicht unverzüglich angezeigt. Die Verpflichtung zur Anzeige nach § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] gilt nach dem Sinn und Zweck der Regelung für den Fall einer Fortdauer der Erkrankung entsprechend ([X.]/[X.] 12. Aufl. § 5 [X.] Rn. 19; [X.]-EFZR/[X.] 2. Aufl. § 5 [X.] Rn. 16; [X.]/Wedde EFZR 2. Aufl. § 5 [X.] Rn. 61; [X.] Krankheit als Kündigungsgrund 13. Aufl. Rn. 514; [X.] [X.] 6. Aufl. § 5 Rn. 128 f. mwN). Nach der ausdrücklich Anweisung der Beklagten war auch die Anzeige gegenüber dem Vorgesetzten oder dessen Vertreterin vorzunehmen. Statt dessen zeigte der Kläger die voraussichtliche Fortdauer seiner Erkrankung am 24. Februar 2009 zunächst nur dem Sachbearbeiter „Einsatzsteuerung“ an. Seinen Vorgesetzten setzte er erst um 21:33 Uhr per E-Mail in Kenntnis.

ee) Hingegen hält die Würdigung des [X.]s, der Kläger habe in vorwerfbarer Weise gegen seine Vertragspflichten verstoßen, einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Kläger hat hinreichend substantiiert dargelegt, in der [X.] vom 9. Februar 2009 bis 7. März 2009 aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen zu einem pflichtgemäßen Verhalten nicht in der Lage gewesen zu sein. Auf der Grundlage seines Vorbringens war ihm die Erfüllung seiner Pflichten aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen subjektiv unmöglich, deren Nichterfüllung daher nicht vorwerfbar. Eine beharrliche Weigerung, die Pflichten zu erfüllen, lag unter den behaupteten Umständen nicht vor.

(1) Der Kläger hat mit [X.] vom 6. Oktober 2010 vorgetragen, er habe sich im [X.]raum vom 9. Februar 2009 bis 7. März 2009 in einer akuten depressiven Episode befunden. Diese sei durch völlige Antriebsschwäche gekennzeichnet gewesen. Er habe unter Schlafstörungen und Erschöpfungszuständen gelitten, die ihn zeitweise tagelang ans Bett gefesselt hätten. Neben Antriebsstörungen habe er eine massive Tendenz zum [X.] Rückzug sowie eine Vermeidungshaltung aufgewiesen. Er sei in seiner Konzentrations- und Denkfähigkeit völlig eingeschränkt gewesen. Aufgrund dessen sei er nicht in der Lage gewesen, zu handeln wie von ihm verlangt. Er habe weder die Rückgabe des Schlüssels organisieren noch mit entsprechenden Personen Rücksprache halten können. Aufgrund seines Zustands habe er sogar vergessen, dass sich die Gegenstände überhaupt in seinem Besitz befunden hätten.

(2) Trifft dies zu, war es dem Kläger aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen - und damit aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen - subjektiv nicht möglich, seine Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. Der Kläger hat im einzelnen dargelegt, worunter er gelitten habe, so dass er seinen Pflichten nicht habe nachkommen können. Auch wenn sich eine solche Einschränkung der Handlungsfähigkeit nicht bereits aus den vorgelegten Attesten ergibt, ist das Vorbringen des [X.] erheblich. Der Kläger hat sich zum Beweis nicht nur auf die ärztlichen Bescheinigungen und das Zeugnis des ihn erst später behandelnden Dr. L berufen. Er hat außerdem Beweis angetreten durch das Zeugnis der Hausärztin, die ihn im fraglichen [X.]raum behandelt habe, und hat diese von der Schweigepflicht entbunden.

(3) Die Behauptung des [X.], er habe in der [X.] vom 9. Februar 2009 bis 7. März 2009 krankheitsbedingt nicht wie von ihm verlangt handeln können, ist durch seinen Anruf bei dem Sachbearbeiter am Morgen des 24. Februar 2009 und seine E-Mail an den Vorgesetzten am Abend desselben Tages nicht widerlegt. Zum einen hat er auch damit seine Anzeigepflichten nicht weisungsgerecht erfüllt. Zum anderen ist nicht ausgeschlossen, dass ihm gerade im Verhältnis zu seinem Vorgesetzten ein pflichtgemäßes Verhalten nicht möglich war.

I[X.] Die Rechtsverletzung, die die Begründung des Berufungsurteils ergibt, führt zu dessen Aufhebung. Das Urteil stellt sich nicht etwa aus anderen Gründen als richtig dar (§§ 561, 562 Abs. 1 ZPO). Dies wiederum führt zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 1, Abs. 3 ZPO).

1. Ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, kann der [X.] nicht selbst entscheiden. Es steht noch nicht fest, ob dem Kläger die Nichterfüllung seiner Pflichten vorwerfbar ist. Das [X.] wird der Beklagten Gelegenheit geben müssen, das Vorbringen des [X.], eine ordnungsgemäße Pflichterfüllung sei ihm im fraglichen [X.]raum aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen, zu entkräften.

2. Der Rechtsstreit ist auch nicht aus anderen Gründen zur Endentscheidung reif. Die Kündigung ist nach den bisherigen Feststellungen des [X.]s nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] unwirksam.

a) Eine Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] nicht nur unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, er insbesondere seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 [X.] nicht ausreichend nachgekommen ist ([X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - Rn. 45, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 22. April 2010 - 2 [X.] - Rn. 13, AP [X.] 1972 § 102 Nr. 163 = EzA [X.] 2001 § 102 Nr. 26). An die Mitteilungspflicht sind nicht dieselben Anforderungen zu stellen, wie an die Darlegung des Arbeitgebers im Prozess. Es gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat ([X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - aaO; 22. April 2010 - 2 [X.] - aaO). Dagegen führt eine bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung zu einer fehlerhaften Anhörung ([X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] - aaO; 5. November 2009 - 2 [X.] - Rn. 40, AP [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 183 = EzA [X.] § 1 Interessenausgleich Nr. 20 ). Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information des Betriebsrats gehört auch die Unterrichtung über dem Arbeitgeber bekannte und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsame Tatsachen, die den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen den Ausspruch einer Kündigung sprechen können ([X.] 6. Februar 1997 - 2 [X.] - Rn. 19, AP [X.] 1972 § 102 Nr. 85 = EzA [X.] 1972 § 102 Nr. 96).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Betriebsratsanhörung nach den bisherigen Feststellungen des [X.]s nicht zu beanstanden.

aa) Das [X.] hat festgestellt, die Beklagte habe den Betriebsrat mit Schreiben vom 2. März 2009 zu der beabsichtigten Kündigung angehört, und hat den Inhalt des [X.]s in Bezug genommen. Danach hat die Beklagte den Betriebsrat über alle Umstände unterrichtet, die aus ihrer Sicht für den [X.] relevant waren und den Sachverhalt hätten beeinflussen können. Dies galt auch für die Vorgänge aus dem Jahr 2003.

bb) Die Beklagte musste sich im Rahmen der Anhörung des Betriebsrats nicht näher mit der „tatsächlichen Erkrankung“ des [X.] auseinandersetzen. Sie hatte den Betriebsrat im [X.] darüber informiert, dass der Kläger seit dem 9. Februar 2009 arbeitsunfähig krank war. Der Kläger hat nicht behauptet, die Beklagte habe schon vor Ausspruch der Kündigung davon gewusst, dass auch seine Handlungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei.

cc) Die Anhörung des Betriebsrats ist nicht deshalb fehlerhaft, weil das [X.] „keinerlei entlastende Momente“ darlegt und über eine Anhörung des [X.] selbst nichts berichtet. Welche weiteren, der Beklagten bekannten und den Kläger entlastenden Tatsachen dem Betriebsrat nicht mitgeteilt worden sein sollen, ist nicht ersichtlich. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall einer Verdachtskündigung - keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. Schon deshalb ist ihre Nichterwähnung unschädlich.

c) Die Beklagte hat den Betriebsrat auch mit dem Hinweis auf ein „unentschuldigtes Fehlen“ des [X.] am 22. November 2008 subjektiv nicht falsch unterrichtet. Nach Auffassung der Beklagten war der Kläger an diesem Tag zur Arbeitsleistung verpflichtet.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Rachor    

        

        

        

    Söller    

        

    Baerbaum    

                 

Meta

2 AZR 748/10

03.11.2011

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 21. August 2009, Az: 13 Ca 4134/09, Urteil

§ 1 Abs 2 S 1 Alt 2 KSchG, § 241 Abs 2 BGB, § 102 Abs 1 BetrVG, § 5 Abs 1 S 1 EntgFG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 03.11.2011, Az. 2 AZR 748/10 (REWIS RS 2011, 1772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1772

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