Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.04.2016, Az. 3 AZR 341/14

3. Senat | REWIS RS 2016, 12779

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Gegenstand

Betriebliche Altersversorgung - Auslegung eines Versorgungstarifvertrags - Anrechnung einer gesetzlichen Rente wegen voller Erwerbsminderung auf das Gesamtruhegeld


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 19. März 2014 - 12 Sa 1326/13 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, in welcher Höhe die gesetzliche Rente des [X.] wegen voller Erwerbsminderung auf sein betriebliches Gesamtruhegeld anzurechnen ist.

2

Der im April 1952 geborene Kläger war vom 1. April 1966 bis zum 31. März 2011 bei der [X.] beschäftigt. Seit dem 1. April 2011 gewährt die [X.] ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem Zugangsfaktor 0,892. Außerdem bezieht der Kläger eine Rente von der [X.] (im Folgenden [X.]), die wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme um 10,8 % gekürzt wurde. Ferner erhält er seit dem 1. April 2011 von der [X.] auf der Grundlage der Anlage 7a zum [X.] Alters- und Hinterbliebenenversorgung in der ab dem 1. Jan[X.]r 2004 geltenden Fassung (im Folgenden Anlage 7a zum [X.]) einen Zuschuss zum Gesamtruhegeld. Die Anlage 7a zum [X.] enthält [X.]. folgende Regelungen:

        

Nr. 7

        

Versorgungsfall

        

1.    

[X.] tritt ein, wenn der Angestellte

                 

a)    

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung erhält,

                 

b)    

Vollrente wegen Alters im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung erhält,

                 

c)    

das 65. Lebensjahr vollendet.

                 

…       

        
        

Nr. 8 

        

Zuschuss an Angestellte

        

1.    

Die Kasse gewährleistet dem Angestellten als Gesamtruhegeld je nach Dauer der Beschäftigungszeit einen nach Nr. 9 ermittelten Vomhundertsatz des nach Nr. 10 festgesetzten ruhegeldfähigen Gehalts. Auf das Gesamtruhegeld werden die in Nr. 11 angeführten Bezüge angerechnet, der verbleibende Differenzbetrag wird als Zuschuss von der Kasse gezahlt.

        

2.    

Ist der Versorgungsfall wegen teilweiser Erwerbsminderung eingetreten, werden die in Nr. 11 angeführten Bezüge, soweit sie wegen der teilweisen Erwerbsminderung nur zur Hälfte gezahlt werden, bei der Anrechnung verdoppelt. Der Zuschuss wird in diesem Falle hälftig gezahlt.

                 

Bei teilweiser Erwerbsminderung und Erwerbseinkommen und kurzfristigem Erwerbsersatzeinkommen (§§ 18a, 18a Abs. 3 Nr. 1 [X.] IV) darf die Summe aller Bruttobezüge, insbesondere wie die gesetzliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, der Zuschuss nach diesem Tarifvertrag, die Rente aus der [X.] oder aufgrund der BfA-Höherversicherung und das vorgenannte Erwerbseinkommen und kurzfristige Erwerbsersatzeinkommen, 85 v.H. des monatlichen entsprechenden Bruttogehalts nicht überschreiten, das der Angestellte vor Eintritt des [X.] bezogen hat. …

                 

Ist der Versorgungsfall wegen teilweiser Erwerbsminderung eingetreten, wird das Beschäftigungsverhältnis nicht beendet. In diesem Falle bietet die Kasse dem Arbeitnehmer einen Teilzeitarbeitsplatz nach § 34 Abs. 3 [X.] an. Nimmt der Arbeitnehmer dieses Angebot an, besteht das Arbeitsverhältnis zu den neuen Arbeitsbedingungen fort.

                 

Bietet die Kasse dem Angestellten keinen entsprechenden Arbeitsplatz an, endet das Beschäftigungsverhältnis. Es erfolgt eine Gleichstellung wie bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei die in Nr. 11 anzurechnenden Bezüge nicht zu verdoppeln sind. An die Stelle der Zustellung des [X.] tritt die Mitteilung der Kasse, keinen Teilzeitarbeitsplatz anbieten zu können.

        

…       

        

Nr. 9a

        

Höhe des [X.] nach Altersteilzeit

        

Wird Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach einer vorangegangenen Altersteilzeit nach Anlage 11 vorzeitig in Anspruch genommen, wird der nach Nr. 9 ermittelte [X.] um denselben Vomhundertsatz gekürzt, um den die Rente aufgrund der vorzeitigen Inanspruchnahme gekürzt wurde.

        

…       

        

Nr. 11

        

Anzurechnende Bezüge

        

1.    

Auf das Gesamtruhegeld werden angerechnet:

                 

a)    

Die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die vergleichbaren Rentenleistungen von (nichtdeutschen) Versicherungsträgern in voller Höhe, und zwar auch dann, wenn die Rente im Zusammenhang mit der Gewährung anderer Leistungen lediglich in verminderter Höhe zur Auszahlung gelangt oder ruht.

                          

Die aufgrund ihrer vorzeitigen Inanspruchnahme gekürzte Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, und zwar unvermindert in der Höhe, wie sie ohne Kürzung wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme gezahlt worden wäre.

                          

Die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, jedoch mit der Kürzung wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme, wenn der Versorgungsfall im [X.] an eine Altersteilzeit nach der Anlage 11 eintritt.

                          

Die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung der Regelungen nach Nr. 8 Ziffer 2.

                 

b)    

Sonstige Bezüge nach dem [X.] mit [X.] - mit Ausnahme von [X.] aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

                 

c)    

Die Rente von der [X.] und der Länder, und zwar auch dann in den jeweils unverminderten monatlichen Beträgen, wenn die Betriebsrente der [X.] aufgrund der vorzeitigen Inanspruchnahme gekürzt wurde, in einer einmaligen Zahlung abgefunden wurde oder die Rente ruht.

                 

d)    

Die nach den Beamtengesetzen oder aus sonstigen öffentlichen Kassen gezahlten Versorgungsbezüge.

                 

Sind die Renten oder Bezüge im Wege des Versorgungsausgleichs vermindert oder erhöht worden, werden sie in der Höhe berücksichtigt, wie sie ohne den Versorgungsausgleich angerechnet würden. Das gilt auch, wenn eine Verminderung aufgrund einer Abtretung von Ansprüchen eintritt.

                 

Bei anzurechnenden Renten und Bezügen werden die darin etwa enthaltenen Kinderzuschüsse nicht berücksichtigt.

                 

…       

        

Nr. 17

        

Bestimmungen für Sonderfälle

        

…       

        

2.    

Liegen die Voraussetzungen für die Umwandlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in die Rente wegen voller Erwerbsminderung oder einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in eine Rente wegen Alters vor, ist sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beantragen.“

3

Das dem Kläger zustehende Gesamtruhegeld beläuft sich auf 3.290,84 Euro. Hiervon brachte die Beklagte eine mit dem Zugangsfaktor 1 berechnete - fiktive - gesetzliche Erwerbsminderungsrente sowie eine ungekürzte [X.]-Rente in Abzug. Dementsprechend gewährte sie dem Kläger einen Zuschuss zum Gesamtruhegeld ab dem 1. April 2011 iHv. 1.118,05 Euro monatlich, ab dem 1. Juli 2011 iHv. 1.238,01 Euro monatlich und ab dem 1. Juli 2012 iHv. 1.194,51 Euro monatlich.

4

Mit seiner Klage hat der Kläger die Zahlung eines höheren Zuschusses zum Gesamtruhegeld für den Zeitraum April 2011 bis April 2013 begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, nach Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 4 der Anlage 7a zum [X.] dürfe auf das Gesamtruhegeld nur die tatsächlich gezahlte Erwerbsminderungsrente mit dem Zugangsfaktor 0,892 angerechnet werden.

5

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.294,77 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

6

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, bei der Rente wegen voller Erwerbsminderung handele es sich um eine aufgrund der vorzeitigen Inanspruchnahme gekürzte Rente iSd. Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Anlage 7a zum [X.]. Daher sei die gesetzliche Erwerbsminderungsrente des [X.] fiktiv mit dem Zugangsfaktor 1 auf das Gesamtruhegeld anzurechnen. Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 4 der Anlage 7a zum [X.] finde keine Anwendung. Die Bestimmung gelte nicht für gesetzliche Renten wegen voller Erwerbsminderung.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung eines weiteren Zuschusses zum [X.] für die Monate April 2011 bis April 2013 iHv. insgesamt 5.294,77 Euro brutto nebst der begehrten Zinsen zu. Dies hat das [X.] zutreffend erkannt.

9

I. Entgegen der Ansicht der Beklagten richtet sich die Anrechnung der dem Kläger gewährten gesetzlichen Rente wegen voller Erwerbsminderung auf sein [X.] iHv. 3.290,84 Euro nach Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 4 der Anlage 7a zum [X.]. Daher ist die Beklagte lediglich berechtigt, die dem Kläger tatsächlich gewährte gesetzliche Erwerbsminderungsrente und nicht eine ohne den Zugangsfaktor nach § 77 Abs. 2 iVm. Abs. 4 [X.] ermittelte - fiktive - Erwerbsminderungsrente in Abzug zu bringen. Dies ergibt die Auslegung von Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a der Anlage 7a zum [X.] (zu den Auslegungsgrundsätzen vgl. etwa [X.] 23. August 2011 - 3 [X.]/09 - Rn. 35, [X.]E 139, 69).

1. Schon Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 4 der Anlage 7a zum [X.] zeigt, dass die gesetzliche Rente wegen voller Erwerbsminderung des Klägers unter diese Tarifnorm fällt und demnach nur in ihrer tatsächlich gezahlten Höhe auf das [X.] anzurechnen ist.

a) Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a der Anlage 7a zum [X.] regelt, in welcher Höhe gesetzliche Renten auf das [X.] angerechnet werden können. Dabei sieht Unterabs. 4 der Bestimmung vor, dass „Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit“ unter Berücksichtigung der Regelungen nach Nr. 8 Ziff. 2 der Anlage 7a zum [X.] in Abzug zu bringen sind. Nach § 33 Abs. 3 [X.] sind Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sowohl gesetzliche Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 33 Abs. 3 Nr. 1 [X.]) als auch wegen voller Erwerbsminderung (§ 33 Abs. 3 Nr. 2 SGB VI). Der im Gesetz verwendete Ausdruck der „verminderten Erwerbsfähigkeit“ bildet somit den Oberbegriff für die teilweise und die volle Erwerbsminderung. Mit diesem Verständnis haben auch die Tarifvertragsparteien ihn in den Regelungen der Anlage 7a zum [X.] verwendet. Damit ist die vom Kläger bezogene Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits sprachlich von dieser [X.]ung erfasst.

Wird - wie vorliegend - in einem Tarifvertrag ohne eigene Definition ein Begriff übernommen, der in einem Gesetz verwandt wird, mit dem ein Sachzusammenhang besteht, so ist grundsätzlich die fachspezifische gesetzliche Bedeutung zugrunde zu legen ([X.] 21. Januar 2011 - 9 [X.] - Rn. 42; 29. Juli 2003 - 3 [X.] - zu [X.]). Wie Nr. 7 Ziff. 1 Buchst. a der Anlage 7a zum [X.] zeigt, wollten auch die Parteien des hier anwendbaren Tarifvertrags den Begriff der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn verstanden wissen. Die Tarifnorm knüpft an die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung an. Dies gilt auch für die [X.]ung in Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 4 der Anlage 7a zum [X.]. Wird ein bestimmter Begriff mehrfach in einem Tarifvertrag verwendet, ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien dem Begriff im Geltungsbereich dieses Tarifvertrags stets die gleiche Bedeutung beimessen wollen ([X.] 13. Januar 2016 - 10 [X.] - Rn. 16; vgl. auch [X.] 22. Dezember 2009 - 3 [X.] - Rn. 15, [X.]E 133, 62).

b) Entgegen der Ansicht der Beklagten spricht der in Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 4 der Anlage 7a zum [X.] enthaltene Verweis auf Nr. 8 Ziff. 2 der Anlage 7a zum [X.] nicht gegen eine Anwendung dieser Bestimmung auch auf Renten wegen voller Erwerbsminderung. Mit dieser Bezugnahme wird lediglich klargestellt, dass bei der Anrechnung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf das [X.] die in Nr. 8 Ziff. 2 der Anlage 7a zum [X.] genannten Vorgaben zu beachten sind und demnach bei einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz die anzurechnende Erwerbsminderungsrente zu verdoppeln ist (vgl. Nr. 8 Ziff. 2 Unterabs. 1 und Unterabs. 4 der Anlage 7a zum [X.]). Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass die Bestimmung in Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 4 der Anlage 7a zum [X.] nicht auch Renten wegen voller Erwerbsminderung umfasst. Bei dem Bezug einer solchen gesetzlichen Rente kann deren Anrechnung auf das [X.] lediglich ohne Berücksichtigung der sich aus Nr. 8 Ziff. 2 der Anlage 7a zum [X.] ergebenden Besonderheiten und damit nur in Höhe ihres tatsächlichen Zahlbetrags erfolgen.

c) Nr. 17 der Anlage 7a zum [X.] steht - anders als von der Beklagten angenommen - dem vorliegenden Auslegungsergebnis ebenfalls nicht entgegen. Die Bestimmung bestätigt vielmehr, dass sich die Tarifvertragsparteien an den unterschiedlichen sozialversicherungsrechtlichen Begrifflichkeiten orientiert haben. Hätten sie die [X.] in Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 4 der Anlage 7a zum [X.] nur auf gesetzliche Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung anwenden wollen, hätte es vor dem Hintergrund der Bestimmungen in Nr. 17 und in Nr. 8 Ziff. 2 der Anlage 7a zum [X.] nahegelegen, auch bei dieser Tarifnorm nur den Begriff der „teilweisen Erwerbsminderung“ zu verwenden.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für die Anrechnung der gesetzlichen Rente wegen voller Erwerbsminderung des Klägers auf das [X.] auch nicht Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 1 der Anlage 7a zum [X.] einschlägig. Die Bestimmung regelt nur die Anrechnung gesetzlicher Altersrenten, nicht jedoch von Erwerbsminderungsrenten.

a) Schon nach ihrer sprachlichen Fassung bezieht sich die Tarifnorm nur auf Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die „aufgrund ihrer vorzeitigen Inanspruchnahme“ gekürzt wurden.

Eine „vorzeitige Inanspruchnahme“ der Sozialversicherungsrente ist nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen - auf die auch im Rahmen von Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Anlage 7a zum [X.] abzustellen ist - nur bei der gesetzlichen Altersrente möglich. Schon § 36 SGB VI in der Fassung vom 16. Dezember 1997 (im Folgenden aF) sah vor, dass langjährig Versicherte eine Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres vorzeitig in Anspruch nehmen können, wenn sie das 62. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt hatten. Entsprechende Regelungen zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente enthielten § 37 Satz 2 SGB VI aF für schwerbehinderte Menschen sowie die [X.] in § 236 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 und Abs. 3 [X.] aF für langjährig Versicherte bestimmter Geburtsjahrgänge. Bei einer gesetzlichen Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht die Möglichkeit einer „vorzeitigen Inanspruchnahme“ hingegen nicht. Die Erwerbsminderungsrente wird dem gesetzlich Rentenversicherten, der die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, wegen und nur bei Vorliegen gesundheitlicher Einschränkungen gewährt (vgl. § 43 Abs. 2, § 99 Abs. 1 SGB VI). Anders als die gesetzliche Altersrente kann sie auch immer nur bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze in Anspruch genommen werden (vgl. § 43 Abs. 1 und Abs. 2 [X.]). Damit kommt eine „vorzeitige Inanspruchnahme“ der Erwerbsminderungsrente nicht in Betracht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 77 [X.]. Zwar schreiben § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 [X.] in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung sowohl für vorzeitig in Anspruch genommene Altersrenten als auch für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Anwendung eines Zugangsfaktors bei der Rentenberechnung vor. Im Gegensatz zu § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.], der den Zugangsfaktor für die Altersrente regelt, verwendet allerdings § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI - der die Erwerbsminderungsrente betrifft - nicht den Begriff der „vorzeitigen Inanspruchnahme“ für den Bezug einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Soweit § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung bestimmt, dass die Zeiten des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als „Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme“ gelten, führt auch dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Regelung will in Zusammenhang mit § 77 Abs. 2 Satz 2 [X.] lediglich sicherstellen, dass auch bei einem Bezug der Erwerbsminderungsrente höchstens ein Abschlag in Höhe von 10,8 % erhoben wird (vgl. [X.] 11. Januar 2011 - 1 BvR 3588/08, 1 [X.] - Rn. 7, [X.]E 128, 138).

b) Das vom Wortlaut vorgegebene Auslegungsergebnis von Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Anlage 7a zum [X.] wird durch die tarifliche Systematik bestätigt.

Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 3 der Anlage 7a zum [X.] sieht vor, dass nur die gekürzte Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf das [X.] angerechnet wird, wenn der Versorgungsfall im [X.] an eine Altersteilzeit eintritt. Damit nimmt die Regelung vorzeitig in Anspruch genommene gesetzliche Renten, die von den Arbeitnehmern nach einer Altersteilzeit in Anspruch genommen werden, von der fiktiven Anrechnung nach Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Anlage 7a zum [X.] aus. Bei diesen Sozialversicherungsrenten handelt es sich indes typischerweise um Altersrenten. Nach den Vorstellungen der Tarifvertragsparteien soll im Fall der Altersteilzeit keine um den Zugangsfaktor bereinigte Anrechnung der vorzeitig in Anspruch genommenen gesetzlichen Altersrente auf das [X.] erfolgen, da sich deren Kürzung nach Nr. 9a der Anlage 7a zum [X.] bereits bei der Höhe des [X.] auswirkt. Systematisch regelt Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 3 der Anlage 7a zum [X.] damit eine vom vorhergehenden Unterabsatz abweichende Ausnahme. Auch dies lässt den Schluss darauf zu, dass Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Anlage 7a zum [X.] nur die vorgezogen in Anspruch genommene Altersrente und nicht auch die Erwerbsminderungsrente erfasst.

3. Das sich aus Wortlaut und Systematik ergebende Normverständnis von Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 2 und Unterabs. 4 der Anlage 7a zum [X.] wird auch durch den Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen getragen.

Die in Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a der Anlage 7a zum [X.] vorgesehenen Anrechnungsvorschriften zielen darauf ab, eine Überversorgung der gesamtruhegeldberechtigten Arbeitnehmer zu vermeiden. Zu diesem Zweck sollen [X.] vermieden werden. Andererseits soll der die Gesamtversorgung zusagende Arbeitgeber auch nicht mit den Nachteilen belastet werden, die dadurch entstehen, dass der versorgungsberechtigte Arbeitnehmer die gesetzliche Altersrente vorzeitig in Anspruch nimmt. Für diesen Fall ordnet Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Anlage 7a zum [X.] die Anrechnung einer fiktiven Sozialversicherungsrente an, die sich ergeben hätte, wenn die Rente erst ab dem Erreichen der Regelaltersgrenze bezogen worden wäre. Nach dem Zweck der Bestimmung soll der Versorgungsberechtigte die auf seinem Willensentschluss beruhenden Nachteile des früheren [X.] selbst tragen. Diese, Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Anlage 7a zum [X.] zugrunde liegende Interessenlage stellt sich bei einer Erwerbsminderungsrente typischerweise nicht. Denn bei dem Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung hängen der Eintritt des [X.] und die damit einhergehende Reduzierung des gesetzlichen Rentenanspruchs durch den Zugangsfaktor nach § 77 [X.] regelmäßig nicht vom Willen des Arbeitnehmers, sondern von seinem Gesundheitszustand ab. Der Eintritt des [X.] ist vom Arbeitnehmer in der Regel nicht beeinflussbar. Die für die Risikoverteilung nach Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 2 der Anlage 7a zum [X.] maßgebliche Interessenlage ist damit bei dem Bezug einer Erwerbsminderungsrente nicht gegeben.

4. Die Systematik der Gesamtregelungen in Nr. 11 Ziff. 1 der Anlage 7a zum [X.] gebietet insoweit kein anderes Auslegungsergebnis.

Ob die Regelung über die Anrechnung der von der [X.] gewährten Renten in Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. c der Anlage 7a zum [X.] - wie von den Parteien zuletzt übereinstimmend angenommen - dahin zu verstehen ist, dass fiktiv eine ungekürzte Rente anzurechnen ist, kann dahinstehen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, stünde dies einer anderweitigen Auslegung von Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a der Anlage 7a zum [X.] nicht entgegen. Die Tarifvertragsparteien sind entgegen der Annahme der Beklagten nicht gehalten, die [X.]-Rente und die gesetzliche Rente im Fall einer Erwerbsminderung bei der Anrechnung auf das [X.] gleich zu behandeln. Wie Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. d der Anlage 7a zum [X.] zeigt, haben sie vielmehr unterschiedliche Berechnungsregeln je nach Art der Versorgungsleistungen getroffen.

5. Die Beklagte kann die von ihr vorgenommene Anrechnung auch nicht auf Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 1 der Anlage 7a zum [X.] stützen. Unabhängig davon, dass die Voraussetzungen dieser Tarifnorm beim Kläger nicht vorliegen, kann dieser Anrechnungstatbestand nicht die Anrechnung einer mit dem Zugangsfaktor 1 berechneten Erwerbsminderungsrente rechtfertigen.

Nach Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 1 der genannten Anlage sind Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf das [X.] „in voller Höhe“ anzurechnen, und zwar auch dann, wenn die Rente im Zusammenhang mit der Gewährung anderer Leistungen lediglich in verminderter Höhe zur Auszahlung gelangt oder ruht. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob sich die in Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 1 der Anlage 7a zum [X.] verwendete Formulierung „in voller Höhe“ lediglich auf die im nachfolgenden Halbsatz geregelte Situation bezieht, dass die gesetzliche Rente infolge des Bezugs anderer Leistungen ruht oder nur gemindert gezahlt wird, oder ob die Tarifvertragsparteien damit - unabhängig von den Voraussetzungen im nachfolgenden Halbsatz - an den vom Gesetzgeber in Abgrenzung zur sog. Teilrente verwendeten Begriff der „Rente ... in voller Höhe“ in § 42 Abs. 1, § 96a Abs. 1a Nr. 1 und Nr. 2 SGB VI anknüpfen wollten (vgl. zu einem ähnlich lautenden Tarifvertrag [X.] 21. Januar 2011 - 9 [X.] - Rn. 42). Beide [X.] führen nicht dazu, dass die dem Kläger gewährte Erwerbsminderungsrente fiktiv mit dem Zugangsfaktor 1 von seinem [X.] in Abzug zu bringen wäre. Der Kläger erfüllt - in beiden Lesarten der Tarifnorm - bereits deren tatbestandlichen Voraussetzungen nicht, da er weder eine wegen des Bezugs anderer Leistungen verminderte Erwerbsminderungsrente noch eine Teilrente nach § 96a Abs. 1a SGB VI erhält. Darüber hinaus würde Nr. 11 Ziff. 1 Buchst. a Unterabs. 1 der Anlage 7a zum [X.] auch nur die Anrechnung einer fiktiven Vollrente oder eine nicht wegen der Gewährung anderer Leistungen verminderte - fiktive - Erwerbsminderungsrente ermöglichen, nicht jedoch die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung einer Erwerbsminderungsrente mit dem Zugangsfaktor 1.

II. Die sich danach ergebenden Nachzahlungsbeträge für den Zeitraum vom 1. April 2011 bis zum 30. April 2013 sind zwischen den Parteien rechnerisch unstreitig.

III. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

        

    Zwanziger    

        

    Spinner    

        

    Ahrendt    

        

        

        

    Lohre    

        

    Rau    

                 

Meta

3 AZR 341/14

19.04.2016

Bundesarbeitsgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Düsseldorf, 18. September 2013, Az: 3 Ca 2775/13, Urteil

§ 33 Abs 3 Nr 1 SGB 6, § 33 Abs 3 Nr 2 SGB 6, § 43 Abs 1 SGB 6, § 43 Abs 2 SGB 6, § 77 Abs 2 SGB 6, § 77 Abs 4 SGB 6, § 96a Abs 1a Nr 2 SGB 6, § 96a Abs 1a Nr 1 SGB 6, § 99 Abs 1 SGB 6, § 77 Abs 2 S 2 SGB 6 vom 01.01.2001, § 77 Abs 2 S 3 SGB 6 vom 01.01.2001, § 36 SGB 6 vom 16.12.1997, § 37 S 2 SGB 6 vom 16.12.1997, § 236 Abs 1 S 4 SGB 6 vom 16.12.1997, § 236 Abs 2 SGB 6 vom 16.12.1997, § 236 Abs 3 SGB 6 vom 16.12.1997, § 288 Abs 1 S 2 BGB, § 291 BGB, § 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.04.2016, Az. 3 AZR 341/14 (REWIS RS 2016, 12779)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12779


Verfahrensgang

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Az. 3 AZR 341/14

Bundesarbeitsgericht, 3 AZR 341/14, 19.04.2016.


Az. 3 Ca 2775/13

Arbeitsgericht Düsseldorf, 3 Ca 2775/13, 18.09.2013.


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