Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.09.2017, Az. 1 StR 436/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 5187

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:190917B1STR436.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 [X.]/17

vom
19. September
2017
in der Strafsache
gegen

wegen
Totschlags

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und der Beschwerdeführerin
am 19. September
2017
gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. April 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt; zudem hat es das bei der Tat verwendete Keramikhaushaltsmesser eingezogen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts ge-stützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des [X.] leidet die Angeklagte an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Subtypus. Sie erlebt intensiv Stimmungen, die sehr wechselnd, launenhaft sein können. Sie
quenzen ihres Tuns nachzudenken. Zu-1
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dem ist sie nur schwer in der Lage, mit Kritik an ihrer Person oder ihren Hand-lungsweisen umzugehen, was häufig zu Streit führt. Ihr Verhalten ist stark be-lohnungsabhängig mit der Neigung, nicht unmittelbar belohnte Handlungen aufzugeben, so dass es ihr schwer fällt, schwierige Zeiten um eines übergeord-neten Zieles willen durchzustehen. Diese psychische Störung führte letztlich dazu, dass die Angeklagte keine Berufsausbildung absolvierte, Beschäfti-gungsverhältnisse nur von
kurzer Dauer und auch Beziehungen instabil und nicht längerfristig waren. Sie stand unter einem erheblichen Leidensdruck, den sie mit einem riskanten Alkoholkonsum zu kompensieren versuchte. Eine [X.] ist bei der Angeklagten allerdings nicht gegeben.
Im Jahre 2012 lernte sie den 21 Jahre älteren späteren Geschädigten kennen und ging mit ihm 2014 eine Liebesbeziehung ein. Beide Partner behiel-ten jedoch jeweils ihre Wohnungen. Nach einer in der Anfangszeit sehr harmo-nischen Beziehung führte
insbesondere eine schwere Krebserkrankung der Mutter der Angeklagten dazu, dass sich der Geschädigte vernachlässigt fühlte und zunehmend eifersüchtig wurde, ohne dass die Angeklagte ihm hierzu einen Anlass gegeben hatte. Er machte ihr immer wieder Vorhaltungen und drohte mehrfach, sich das Leben zu nehmen, wobei er sich jeweils ein Messer an den Hals hielt. Er beabsichtigte dabei nicht ernstlich, sich das Leben zu nehmen, sondern versuchte lediglich, die Angeklagte unter Druck zu setzen. Aufgrund von Streitigkeiten kam es mehrfach dazu, dass die Angeklagte dem Geschädig-ten den Wohnungsschlüssel zu ihrer Wohnung entzog.
Im Frühjahr des Jahres 2016 gerieten beide wiederum in einen heftigen Streit, wobei der Geschädigte der Angeklagten erstmals eine Ohrfeige gab, die sie damit beantwortete, dass sie ihm ebenfalls eine Ohrfeige gab und ihn aus ihrer Wohnung verwies. Die Schwierigkeiten verschärften sich, als die Ange-3
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klagte Ende August 2016 mit ihrer Mutter während einer Pause in deren Che-motherapie eine Reise

-Nachrichten und Vorwürfen. Die Angeklagte stand unter einem erheblichen emotionalen Druck und war erschöpft. Auch nach ihrer Rückkehr am 1.
September 2016 war die Stimmung zwischen ihr und dem Geschädigten äu-ßerst angespannt. Sie machte dem Geschädigten deshalb klar, dass sie [X.] Abstand brauche und er in seiner Wohnung übernachten müsse, was dieser auch akzeptierte.
Am Abend des 5. September 2016 befanden sich die Angeklagte und der Geschädigte in der Wohnung der Angeklagten. Sie ärgerte sich zunehmend darüber, dass sie auch für den Geschädigten arbeitete, obwohl sie müde war. Er gewann entgegen den tatsächlichen Gegebenheiten den Eindruck, dass die Angeklagte mit anderen Männern über das Smartphone Kontakte knüpfte, und steigerte sich weiter in seine Eifersucht hinein. Gegen 23.30 Uhr kam der Ge-schädigte aus dem Schlafzimmer ins Wohnzimmer und versetzte der am Wohnzimmertisch sitzenden
Angeklagten völlig unvermittelt und ohne ein Wort zu sagen eine heftige Ohrfeige, worauf sie nach rechts mit dem Stuhl auf den Boden kippte. Als sie versuchte, nach ihm zu treten, versetzte er ihr noch eine Ohrfeige. Durch die Ohrfeigen erlitt die Angeklagte u.a. eine Verletzung an der Lippe sowie Schürfungen und Rötungen. Die nunmehr völlig aufgebrachte An-geklagte stand daraufhin auf, gab dem Geschädigten ebenfalls eine Ohrfeige und verwies ihn der Wohnung. Aus Wut und um ihrer Forderung, er solle die Wohnung verlassen, Nachdruck zu verleihen, warf sie eine befüllte Bonbon-schale aus Glas in Richtung des Geschädigten. Die Schale schlug am Boden auf und zersplitterte. Der Geschädigte machte gleichwohl keine Anstalten, die Wohnung zu verlassen.
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Die Angeklagte blieb zunächst in der Küche, um abzuwarten, dass der Geschädigte ihrer Aufforderung nachkommen werde. Sie schaute dann aus der Küche heraus und forderte den Geschädigten mehrfach auf, die Wohnung zu verlassen, ohne dass dieser dem nachkam. Als sie [X.] aus der Küche herausblickte, sah sie den Geschädigten, ein kleines Küchenmesser in n-Wohnung das Leben zu nehmen. Auch hegte sie die Befürchtung, er könne ihr das Gesicht zerschneiden, wie er es bereits einmal angekündigt hatte. Sie [X.] unbedingt Distanz zu dem Geschädigten bekommen, musste aber erkennen, dass er dies ignorierte. Dies steigerte ihre Wut darüber, dass er ihrer mehrfa-chen Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, keine Folge leistete, nochmals erheblich. Daher wollte sie dieser Aufforderung Nachdruck verleihen. Sie nahm in der Küche aus einer Plastikbox ein 32,5 cm langes Küchenmesser und trat damit dem Geschädigten, der seinerseits das zuvor von ihm in der Hand gehal-tene Messer wieder abgelegt hatte, entgegen. Sie forderte ihn schreiend [X.] auf, die Wohnung zu verlassen. Sie hielt das Messer in Hüfthöhe vor sich, trat auf ihn zu und stach ihm mit einem mit mäßigem Kraftaufwand geführten Stich von vorne in den linken Oberbauch. Dabei nahm sie billigend in Kauf, dass der von ihr zur Erreichung ihres Ziels geführte Stich, den Geschädigten aus der Wohnung zu verweisen, diesen töten könnte. Die hierbei verursachte Stichverletzung führte in kürzester Zeit zum Tod des Geschädigten. Er schlug mit einem dumpfen Schlag mit dem Hinterkopf auf den Boden und verstarb. Nach der Wertung des [X.] war die Steuerungsfähigkeit der Angeklag-ten bei der Tat wegen ihrer Alkoholisierung mit einer Blutalkoholkonzentration von maximal 1,64 Promille in Kombination mit ihrer
Persönlichkeitsstörung im Sinne des §
21 StGB erheblich vermindert.
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2. Das [X.] hat die Tat als Totschlag gemäß §
212 Abs. 1 StGB gewertet. Im Rahmen der Strafzumessung hat es das Vorliegen eines minder schweren Falls nach §
213 1. Alt. StGB verneint, weil der finale [X.] nicht auf das Vorgeschehen zurückzuführen sei. Auf dieses habe die [X.] in die Richtung des Geschädigten, einer Ohrfeige, seines Ver-weises aus der Wohnung und dem in seine Richtung gezielten Wurf einer [X.] Bonboniere abschließend reagiert. Auf der Grundlage einer Gesamt-würdigung und unter Berücksichtigung des vertypten
Strafmilderungsgrundes der eingeschränkten Schuldfähigkeit (§
21 StGB) hat das [X.] jedoch einen sonstigen minder schweren Fall (§ 213 2. Alt. StGB) angenommen.
II.
Die Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Feststel-lungen des
[X.] beruhen auf einer lückenhaften und deshalb durch-greifend rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.
1. Bereits die Beweiswürdigung zum Tathergang hält rechtlicher Nach-prüfung nicht stand. Damit fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für eine Verurteilung der Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts.
a) An die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel (vgl. [X.], Urteil vom 16.
August 1995

2 [X.], [X.]R StPO § 261 Einlas-sung
6). Dabei sind entlastende Angaben des Angeklagten nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Auch im Übrigen hat das Tatgericht aufgrund einer Gesamtwür-7
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digung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Beweisergebnisses zu bilden (st. Rspr.; vgl. nur [X.] aaO [X.]R Einlassung 6 sowie [X.] in [X.], 7.
Aufl., § 261 StPO Rn.
57 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
b) Diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung des [X.] nicht stand. Die [X.] lassen eine umfassende Würdigung der [X.] vermissen.
aa) Das [X.] hat den Feststellungen zum objektiven Tatgesche-hen im Wesentlichen die Angaben der Angeklagten in der Hauptverhandlung zugrunde gelegt. Abweichend von ihrer Einlassung hat es sich jedoch davon überzeugt, dass die Angeklagte das [X.] nicht etwa zufällig im Rahmen von Arbeiten beim Kochen in der Hand gehabt habe, sondern dieses bewusst aus einer Box herausgenommen habe. Diese Überzeugung stützt das [X.] auf
entsprechende
Angaben der Angeklagten bei einer polizeilichen [X.].
Zudem ist das [X.] abweichend von der Einlassung der Ange-klagten zu der Überzeugung gelangt, dass sie den tödlichen Stich bewusst ausgeführt habe. Das [X.] hat dabei in den Blick genommen, dass sich die Angeklagte in der Hauptverhandlung eingelassen hatte, sie habe lediglich er solle die Wohnung verlassen, Nachdruck zu verleihen. Da der Geschädigte sich auf sie zubewegt habe, habe sie befürchtet, dass er ihr nochmals eine Ohrfeige versetzen oder sie packen würde. Bei diesem Herumfuchteln müsse sie den Geschädigten mit dem Messer verletzt haben. Sie habe ihn aber über-haupt nicht verletzen und schon gar nicht umbringen wollen. Sie habe nur ge-11
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wollt, dass er gehe. Das [X.] hält die Einlassung der Angeklagten auch insoweit für widerlegt, zumal sie mit früheren Angaben in Widerspruch stehe. So habe die Angeklagte nicht nur in ihrer polizeilichen Vernehmung angege-ben, das Messer nach vorne gehalten zu haben. Gegenüber den am [X.] ein-treffenden Polizeibeamten habe sie sogar spontan geäußert, sie habe nur ein-mal zugestochen.
bb) Ausgehend hiervon hätte das [X.] auch die übrigen Angaben der Angeklagten nicht ohne weiteres den Feststellungen zugrunde legen [X.]. Vielmehr hätte es erörtern müssen, ob über die vom [X.] für wider-legt angesehenen Angaben hinaus auch die weiteren Angaben der Angeklag-ten nicht der Wahrheit entsprachen. Denn entlastende Angaben des Angeklag-ten sind nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 16.
August 1995

2 [X.], [X.]R StPO § 261 Einlassung
6). Das [X.] hätte daher insbesondere erörtern müssen, ob die Einlassung der Ange-klagten auch insoweit unwahr war, als sie behauptete, der Geschädigte habe ihr völlig unvermittelt und ohne ein Wort zu sagen eine Ohrfeige gegeben, wo-raufhin sie mit dem Stuhl auf den Boden gekippt sei.
[X.]) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich dieser Beweiswürdi-gungsmangel nicht nur zum Vorteil, sondern auch zum Nachteil der Angeklag-ten ausgewirkt hat. Da mithin die Feststellungen zum Tatablauf insgesamt kei-nen Bestand haben können, fehlt auch dem Schuldspruch eine tragfähige Grundlage. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Ent-scheidung.
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2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat zum Tatbestands-

213 1. Alt.
StGB auf [X.] hin:
Für dieses Merkmal ist nicht entscheidend, ob sich die Tat als [X.], die in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls auch in [X.] liegen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Januar 2016

1 [X.], [X.], 167), hervorgerufene Zorn noch angehalten und als nicht durch rationale Abwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung [X.] hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16.
April 2007

5 [X.], [X.], 200 und vom 28. September 2010

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StR 358/10, NStZ-RR 2011, 10). Entscheidend ist, ob ein motivationspsychologischer Zusammenhang zwischen der [X.] oder Beleidigung durch das Opfer und der Körperverletzungshandlung des [X.] besteht (vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Oktober 1999

2 StR 384/99, [X.], 80). Das kann auch noch nach mehreren Stunden der Fall sein (vgl. [X.], Urteil vom 11. Januar 1984

3 [X.], [X.], 216;
[X.], StGB, 64.
Aufl., §
213 Rn.
9a). Die Annahme des [X.], die Angeklagte habe auf die beiden Ohrfeigen des Geschädigten
am Tatabend mit dem Tritt in die Richtung des Geschädigten, eine ihm gegebene Ohrfeige, sei-nes Verweises aus der Wohnung und dem in seine Richtung gezielten Wurf einer Bonboniere abschließend reagiert, genügte angesichts der Feststellungen
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zum weiteren Tatablauf und zur Persönlichkeit der Angeklagten diesen Maß-stäben nicht. In diesem Zusammenhang könnte gegebenenfalls die beharrliche Weigerung des Geschädigten, die Wohnung zu verlassen, Gewicht erlangen.
Raum

Jäger Bellay

[X.] Hohoff

Meta

1 StR 436/17

19.09.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.09.2017, Az. 1 StR 436/17 (REWIS RS 2017, 5187)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5187

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1 StR 436/17

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