Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.02.2016, Az. 2 StR 308/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 15569

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:250216B2STR308.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 308/15
vom
25. Februar 2016
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und
des Beschwerdeführers
am 25. Februar
2016 gemäß §
349 Abs.
2 und 4
StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27.
Januar 2015 mit den zugehörigen [X.] aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsbe-raubung, verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen not-wendigen Auslagen, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten

unter Freisprechung im Übri-gen

wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheits-strafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500
Euro nebst Zin-1
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sen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.
November 2014 an die Nebenklägerin zu zahlen. Die dagegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte [X.] des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus
der [X.] ersicht-lichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.

I.
1.
Nach den Feststellungen des [X.]s wohnte der Angeklagte im Dezember 2013 zusammen mit der Nebenklägerin in einer Wohngemeinschaft.

ß-n-fang Dezember 2013 war sie aber auch eine Beziehung zu dem Zeugen S.

eingegangen, den sie am Abend des 12.
Dezember 2013 besuchen wollte. Dies missfiel dem Angeklagten, der daraufhin das Schloss der Wohnung auswechselte, während ein weiterer Mitbewohner, der gesondert Verfolgte [X.].

, die Nebenklägerin in der Küche bewachte. Da die Nebenklägerin die Wohnung nunmehr nicht mehr verlassen konnte, sagte sie dem Zeugen S.

telefonisch ab. Dessen Nachfrage, ob sie Hilfe benötige, verneinte sie und legte sich schlafen. Gegen 4.30 Uhr in der Nacht legte sich der Angeklagte zu ihr ins Bett und versuchte, ihre Hose zu öffnen. Die Nebenklägerin, die dadurch erwachte, versuchte den Angeklagten wegzustoßen und nach ihm zu treten. Der Angeklagte hielt sie jedoch fest, zog ihre Hose und Slip herunter und führte den [X.] aus.
Am nächsten Morgen verließ die Nebenklägerin die Wohnung. In der Folgezeit hielt sie sich bei ihrer Mutter, bei Bekannten und später in der Woh-2
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nung des Zeugen S.

auf. Sie stand weiterhin im Kontakt zum Angeklagten, wobei es auch zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen kam.
Am 18. Februar 2014 klopfte der Angeklagte an der Tür zur Wohnung des Zeugen S.

, während sich die Nebenklägerin dort alleine aufhielt. Als diese öffnete, drängte er sofort hinein und schlug ihr mehrfach ins Gesicht. [X.] forderte er die Zahlung von 120 Euro, die die Nebenklägerin dem Angeklag-ten schuldete. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, drohte er auch mit einem Messer. Da die Nebenklägerin versicherte, über kein Geld zu verfügen, forderte er sie auf, sich welches zu besorgen und legte das Messer zur Seite. Er nahm ihr Mobiltelefon und Portemonnaie als Pfand an sich, woraufhin die Nebenklägerin anbot, gemeinsam zur Bank zu gehen, um zu beweisen, dass auch auf ihrem Konto kein Geld vorhanden sei. Während sich die Nebenkläge-rin im Bad
ankleidete, kam der Angeklagte hinzu und forderte sie auf, sich nackt auszuziehen. Er wollte Nacktfotos von ihr fertigen, um den Zeugen S.

da-mit zu ärgern. Da der Angeklagte mit Schlägen drohte, kam die Nebenklägerin dem nach. Nachdem der Angeklagte die Fotos gefertigt hatte, drückte er sie mit dem Oberkörper nach vorne, so dass sie sich abstützen musste. Sodann führte er von hinten gegen ihren erkennbaren Willen den Vaginalverkehr durch. [X.] gingen sie gemeinsam zur Bank, wo die Nebenklägerin einen Kontoaus-zug ausdruckte, den sie dem Angeklagten zeigte. Er erklärte, dass sie bis zum Abend nunmehr 300 Euro zu zahlen habe und entfernte sich.
2.
Der Angeklagte hat die Tat vom 12./13. Dezember 2013 bestritten. Er habe zwar das Schloss in der Wohnungstür ausgewechselt; dies aber aus ei-nem anderen Grund. Zum Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin sei es in dieser Nacht nicht gekommen. Das Geschehen am 18.
Februar 2014 hat er insoweit eingeräumt als er die Geschädigte geschlagen und mit einem Messer bedroht habe, um deren Schulden einzutreiben. Auch sei es an diesem Tag zu 4
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einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen beiden gekommen. Die zeitli-che Reihenfolge hat er indes abweichend geschildert; die Nacktfotos habe er auf Betreiben der Nebenklägerin
gefertigt.

II.
1.
Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] keinen Erfolg.
2.
Die Beweiswürdigung, die der Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsbe-raubung, zugrunde liegt, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. [X.] handelt es sich um einen Fall, in dem zu der entscheidenden Frage, ob ein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat oder nicht (Tat am 12./13.
Dezember 2013)
und ob dieser in beiden Fällen einvernehmlich erfolgte oder aber mit Ge-walt vom Angeklagten erzwungen wurde, letztlich Aussage gegen Aussage steht (vgl. [X.], Beschluss vom 16.
Dezember 2015

1 StR 503/15). Darüber hinaus gab es konkrete Anhaltspunkte für
das Vorhandensein eines Falschbe-lastungsmotivs der an einer Borderlinestörung erkrankten Geschädigten. Den sich aus alldem ergebenden besonderen Anforderungen wird die Beweiswürdi-gung nicht gerecht.
a) Das [X.] hat seine Überzeugung vom [X.], soweit er von der Einlassung des Angeklagten abweicht, und insbesondere davon, dass es in beiden Fällen zu nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen ist, im Wesentlichen auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt.
Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage hatte die [X.] einen aussagepsychologischen Sachverständigen hinzugezogen. Anlass war, 6
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dass die Geschädigte bereits bei ihrer ersten polizeilichen Befragung angege-ben hatte, psychisch labil zu sein und leicht in paranoide Zustände zu fallen, so dass der Unterschied zwischen Realität und der Scheinwelt vermischt werde ([X.] S.
23). Der Sachverständige hat sein Gutachten in der Hauptverhandlung erstattet und ausgeführt:
Bei der Geschädigten sei eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp zu diagnostizieren. Grundlegend für diese Erkrankung sei eine Nähe-Distanz-Problematik, die sich im Kontaktverhalten dergestalt [X.], dass Personen entweder idealisiert oder entwertet würden. Beziehungen würden schnell neu definiert. Früher gezeigte Verhaltensweisen würden nicht mehr wahrgenommen, was zu einer Umdeutung des eigenen Verhaltens führen könne. Dies wirke sich zwar nicht auf die Realitätswahrnehmung des [X.] aus. Das Wahrgenommene werde aber im Nachhinein anders interpretiert. Entweder es werde gar nicht berichtet oder aber in einem anderen Kontext, was bedeute, dass [X.] beeinträchtigt werden könnten. In dem [X.], vom Partner nicht verlassen zu werden, würde die eigene Person zum Beispiel als Opfer präsentiert, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Auch aufgrund einer hieraus entstehenden Wut könne es zu Falschaussagen kommen. Die ([X.] S.
26f.). Ein mögliches Motiv für eine
absichtliche Falschbelastung könne aus dem Aufmerksamkeits-
und Geltungsbedürfnis heraus entstehen. Für die Geschädigte sei es wichtig gewesen, dass der Angeklagte sich sexuell haupt-sächlich ihr zugewandt habe. Wenn es einvernehmlicher Geschlechtsverkehr gewesen sei, stelle sich die Frage, warum sie dies nun anders darstelle. Das sei im Zusammenhang mit der Borderlinestörung zu sehen. Deshalb werde ein früheres Einverständnis mit dem Geschlechtsverkehr nicht mehr aufrechterhal-ten, sondern zurückgewiesen. Bei der Geschädigten seien auch Veränderun-gen in ihrer Einstellung zu den Geschehnissen festzustellen. Vor dem [X.]
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S.
28). Unter Berücksichtigung insbesondere der Qualität und [X.] der r-nas-ser in [X.] zu bri.

hat es

nach einer kursorischen eigenen Würdigung

im Ergebnis für ausge-
be.
b) Es fehlt die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige Würdi-gung der Aussage der Nebenklägerin. Zwar lässt sich

worauf auch der Sach-verständige hingewiesen hat

aus einer festgestellten Belastungsmotivation beim Zeugen nicht zwingend auf das Vorliegen einer Falschaussage schließen ([X.], Urteil vom 30. Juli 1999
-
1 [X.], [X.]St 45, 164, 175). Warum die Unwahrhypothese hier letztlich überwunden werden konnte, erschließt sich jedoch nicht und lässt durchgreifende Erörterungs-
und Darstellungsmängel erkennen.

[X.] geht darüber hinweg, dass die Nebenklägerin, die an einer Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp leidet, nach den Feststellungen
dem Angeklagten erhofft hatte und auf den sexuellen Kontakt zum Angeklagten Wert legte. Die vor diesem Hintergrund nahe liegende Hypothese einer verschmähten Liebe als konkretes Motiv wird indes weder näher konkretisiert
noch fallbezogen überprüft. Der Tatrichter ist jedoch bei konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen eines 11
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[X.]s
gehalten, diese naheliegende Möglichkeit zu prüfen (vgl. auch [X.], Urteil vom 27. März 2003

1 StR 524/02, [X.], 206, 208).
Auch soweit der Sachverständige und ihm folgend die [X.] im
n-stanz der Aussage der Geschädigten kein durchschlagendes Gewicht zumes-sen, zeigen sich [X.]. Es wurde ersichtlich nicht bedacht, dass gerade dann, wenn die Vorwürfe im Rahmen einer bestehenden sexuellen Be-ziehung zwischen Täter und Opfer erhoben werden, bei der emotionale [X.] und neutrales Randgeschehen ohne weiteres aus neutralen Erlebnis-wahrnehmungen generierbar
sind, vorhandene Realkennzeichen, die sonst auf eine erlebnisfundierte Schilderung hindeuten, im konkreten Fall wenig aussage-kräftig insbesondere dafür sein können, ob ein früheres Einverständnis mit dem Geschlechtsverkehr bestanden haben kann.
Aber auch soweit auf die [X.] der Aussage abgestellt wird, bleibt of-fen, weshalb die allein im Hinblick auf das Kerngeschehen der Vergewaltigun-gen bestehende [X.] maßgeblich mit zur Widerlegung der Unwahrhypo-these beitragen kann. Der bloße Hinweis des Sachverständigen, dass die in zentralen und peripheren Angaben bestehenden Abweichungen für die Ge-b
nicht
auflösen, da an anderer Stelle auch darauf hingewiesen wird, dass die Nebenklägerin insbe-sondere zu ihrem Interesse an dem Angeklagten und ihren Kontakten zu ihm widersprüchlich berichtet habe und auch in ihrer Selbstpräsentation [X.] festzustellen seien. Überhaupt konnte der Sachverständige im Hinblick auf die teilweise inkonstanten Schilderungen der Nebenklägerin zu den Begleit-14
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umständen der Taten und der Art ihrer Beziehung zum Angeklagten im [X.] ([X.]. [X.]).
Letztlich wäre der Tatrichter unter diesen Umständen auch gehalten ge-wesen, in den Urteilsgründen im Zusammenhang darzustellen, was die Neben-klägerin bei früheren Vernehmungen, beim Sachverständigen und in der [X.] ausgesagt hat, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung, insbesondere der Aussagekonstanz, zu ermöglichen (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Juli 2007

2 [X.], [X.], 237; Beschluss vom 2. Dezember 2014

4 StR 381/14, [X.], 82, 83). Die nur [X.] Erwähnung einzelner vom Sachverständigen in Bezug genomme-ner Angaben der Geschädigten, wobei ihre Aussage in der Hauptverhandlung nahezu vollständig ausgeblendet wird, lässt dies nicht zu.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung des Ange-klagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, auf diesem Rechtsfehler beruht. Die Sache bedarf [X.] in diesem Umfang der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen 16
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Tatrichter. Die Verurteilung des Angeklagten wegen der von ihm eingestande-nen Körperverletzung sowie die Adhäsionsentscheidung (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2014 -
2 StR 78/14, [X.], 107) bleiben hiervon unberührt.
Fischer

Appl Eschelbach

Ott Zeng

Meta

2 StR 308/15

25.02.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.02.2016, Az. 2 StR 308/15 (REWIS RS 2016, 15569)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 15569

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 308/15

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