Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.05.2018, Az. 2 StR 72/18

2. Strafsenat | REWIS RS 2018, 9501

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Anforderungen an die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Behandlung; Abgrenzung zwischen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. September 2017 im [X.] aufgehoben; im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung, wegen Diebstahls in zwei Fällen und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und versuchter Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet.

2

Die dagegen gerichtete, auf die unausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

Die Maßregelanordnung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das [X.] hat seine Annahme, dass hinreichende Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehe (§ 64 Satz 2 StGB), nicht tragfähig belegt.

4

Zur Begründung seiner Annahme hinreichend konkreter Behandlungsaussicht hat das [X.], dem gehörten Sachverständigen folgend, lediglich ausgeführt, dass eine solche Behandlung angesichts des „in der Hauptverhandlung entstandenen und geäußerten“ Wunsches des Angeklagten erfolgversprechend erscheine. Damit ist die [X.] den rechtlichen Anforderungen, die an die Bejahung einer konkreten Behandlungsaussicht zu stellen sind, nicht gerecht geworden. Zwar handelt es sich bei dem angeführten Gesichtspunkt um einen prognosegünstigen Umstand. Dieser Hinweis vermag jedoch für sich genommen die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nicht zu tragen, wenn und soweit nach den Feststellungen auch gewichtige prognoseungünstige Faktoren bestehen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Januar 2014 – 2 [X.], [X.]R StGB § 64 Abs. 2 Erfolgsaussicht 2). In einem solchen Fall bedarf es einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen prognoserelevanten Umstände (vgl. [X.], Beschluss vom 21. April 2015 – 4 [X.], [X.], 571, 572).

5

Hieran fehlt es. Das [X.] hat nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte bereits langjährig betäubungsmittelabhängig ist, seit dem [X.] in ein Methadonprogramm aufgenommen ist und Beikonsum aller Art pflegt, wobei es ihm überwiegend gelungen ist, diesen Beikonsum unter anderem auch durch die Abgabe von Fremdurin erfolgreich zu verheimlichen. Bisherige Therapieversuche des zusätzlich an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung leidenden Angeklagten blieben erfolglos. Dies gilt für die 1995 und 2005 angeordneten Unterbringungen des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gleichermaßen; die im Jahr 2005 angeordnete Unterbringung im Maßregelvollzug wurde im Oktober 2007 wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen. Auch spätere Therapieversuche nach Zurückstellung der weiteren Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG verliefen nicht erfolgreich. Zeiten der Abstinenz waren nicht mehr zu verzeichnen, der Angeklagte konsumierte vielmehr „jedwedes Betäubungsmittel und so viel, wie er vertrug.“ Diese prognostisch ungünstigen Umstände hätte das [X.] in die erforderliche Gesamtwürdigung einstellen müssen.

6

Darüber hinaus hätte das [X.] die Frage eines [X.] eines Teils der Strafe (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB) näher prüfen und in den Urteilsgründen erwägen müssen. Zwar ist § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB als Soll-Vorschrift ausgestaltet, so dass in Ausnahmefällen auch von der Anordnung des [X.] abgesehen werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 9. November 2017 – 1 [X.], [X.] 2018, 172). Dies bedarf jedoch näherer Darlegung und Erörterung. Diese war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der vorweg zu vollziehende Teil der Strafe bereits vollständig durch Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft erledigt und deshalb für die Anordnung eines [X.] kein Raum wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Januar 2018 – 5 [X.], [X.] 2018, 79). Diese Voraussetzungen waren hier unter Berücksichtigung einer Halbstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten, einer von der [X.] prognostizierten Behandlungsdauer von eineinhalb Jahren und der zum Urteilszeitpunkt sechseinhalb Monate dauernden Untersuchungshaft nicht gegeben.

7

Die Sache bedarf daher im [X.] neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben; er wird durch die Aufhebung des [X.]s nicht berührt.

8

Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:

9

Die in den Urteilsgründen mehrfach verwendete Formulierung, die „Einsichts- und die Steuerungsfähigkeit“ des Angeklagten sei aufgrund akuten Alkohol- und Betäubungsmittelgenusses im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen, begegnet rechtlichen Bedenken. Zwischen Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB ist zu unterscheiden; sie können in der Regel nicht gleichzeitig aufgehoben bzw. eingeschränkt sein (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 17. Oktober 2017 – 3 StR 317/17, juris; Urteil vom 17. November 1994 – 4 StR 441/94, [X.]St 40, 341, 349; Senat, Urteil vom 18. Januar 2006 – 2 [X.], [X.], 167; [X.], 65. Aufl., § 20 Rn. 3 mwN).

Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe jedoch, dass das [X.] – ungeachtet dieser missverständlichen Formulierung – tatsächlich davon ausgegangen ist, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zu den jeweiligen [X.] erheblich vermindert war.

Schäfer     

      

Ri[X.] Prof. Dr. Krehl
befindet sich im Urlaub
und ist deshalb gehindert
zu unterschreiben.

      

Bartel

      

      

Schäfer

      

      

        

Grube     

        

     [X.]     

        

Meta

2 StR 72/18

08.05.2018

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 27. September 2017, Az: 69 KLs 12/17

§ 64 S 2 StGB, § 20 StGB, § 21 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.05.2018, Az. 2 StR 72/18 (REWIS RS 2018, 9501)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9501

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