Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.12.2023, Az. XIII ZB 58/22

13. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 9389

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Person des Vertrauens des Betroffenen wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.] vom 22. Juli 2022 aufgehoben, soweit er sich auf den Feststellungsantrag bezieht.

Die Sache wird zu anderweitiger Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte 2016 einen Asylantrag, der durch das [X.] als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Das [X.] drohte ihm die Abschiebung an. Der Betroffene reiste nachfolgend nicht aus, sondern war unbekannten Aufenthalts. Am 1. März 2022 wurde er festgenommen. Das Amtsgericht ordnete mit Beschluss vom 2. März 2022 Abschiebungshaft bis zum 27. Mai 2022 an. Mit Schreiben vom 5. Mai 2022 zeigte der [X.] an, dass er Person des Vertrauens (nachfolgend: Vertrauensperson) des Betroffenen sei, stellte einen [X.] und beantragte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft ab dessen Eingang. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 6. Mai 2022 die Vertrauensperson als Bevollmächtigten gemäß § 10 Abs. 3 FamFG, den Haftaufhebungs- und den Feststellungsantrag zurückgewiesen. Nachdem der Betroffene am 11. Mai 2022 abgeschoben worden war, hat das [X.] die gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 6. Mai 2022 eingelegte Beschwerde der Vertrauensperson als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Vertrauensperson mit der Rechtsbeschwerde, soweit das Beschwerdegericht über den Feststellungsantrag im Haftaufhebungsverfahren entschieden hat.

2

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

3

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, soweit sich die Vertrauensperson dagegen wende, dass das Amtsgericht ihren Antrag, sie als Bevollmächtigte gemäß § 10 FamFG zuzulassen, zurückgewiesen habe, sei die Beschwerde unzulässig, weil gegen die Entscheidung gemäß § 10 Abs. 3 FamFG kein Rechtsmittel gegeben sei. Im Übrigen - in Bezug auf die Zurückweisung des Haftaufhebungs- und des Feststellungsantrags - sei die Vertrauensperson nicht beschwerdebefugt. Das Recht der Beschwerde stehe nur einer vom Betroffenen benannten Vertrauensperson zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sei. Das sei hier nicht der Fall.

4

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

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a) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist in Freiheitsentziehungsverfahren grundsätzlich derjenige Vertrauensperson, um dessen Beteiligung der Betroffene bittet. Weitergehende Voraussetzungen, wie etwa ein Näheverhältnis oder wenigstens eine nachvollziehbar dargelegte persönliche Beziehung zum Betroffenen und ein daraus folgendes ideelles Interesse der Person am Ausgang des Verfahrens, sind nicht erforderlich ([X.], Beschlüsse vom 19. Mai 2020 - [X.]/19, [X.] 2020, 387 Rn. 10; vom 28. November 2022 - [X.] 132/19, juris Rn. 7; vom 9. Mai 2023 - [X.] 9/20, FamRZ 2023, 1655 Rn. 14). Entscheidend für die Stellung als Vertrauensperson ist allein, wem der Festzuhaltende Vertrauen entgegenbringt ([X.], Beschluss vom 9. Mai 2023 - [X.] 9/20, FamRZ 2023, 1655 Rn. 14). Es genügt daher, wenn der Betroffene in einer Vollmacht die Person nicht nur mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben bevollmächtigt, sondern sie ausdrücklich auch als Vertrauensperson benannt hat, die über seine Inhaftierung und deren Fortbestand nach Art. 104 Abs. 4 GG, § 432 FamFG unterrichtet und an dem Verfahren beteiligt werden soll ([X.], Beschluss vom 28. November 2022 - [X.] 132/19, juris Rn. 7). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

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b) Der [X.] ist auch beschwerdebefugt. Er wendet sich als Vertrauensperson - nachdem sich der [X.] durch die Abschiebung erledigt hat - mit der Beschwerde (allein) noch gegen die Zurückweisung seines zugunsten des Betroffenen gestellten Feststellungsantrags. Haftaufhebungs- und Feststellungsantrag konnte er aufgrund seiner Benennung als Vertrauensperson (vgl. [X.], Beschlüsse vom 31. August 2021 - [X.] 87/20, juris Rn. 6 f.; vom 9. Mai 2023 - [X.] 9/20, FamRZ 2023, 1655 Rn. 14; [X.] 27/20, juris Rn. 14 f.) im eigenen Namen (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Mai 2020 - [X.]/19, [X.] 2020, 387 Rn. 13) stellen. Eine Beteiligung im vorangegangenen Haftanordnungsverfahren war dazu nicht erforderlich. Aufgrund der mit der Zurückweisung seines Antrags verbundenen formellen Beschwer des [X.]s ergibt sich seine Beschwerdebefugnis im Streitfall unmittelbar aus § 59 Abs. 1 FamFG, nicht aus § 429 FamFG (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. Januar 2021 - [X.] 30/20, juris Rn. 13; vom 20. April 2021 - [X.] 93/20, juris Rn. 7 f).

7

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Der [X.] kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da sich die Rechtmäßigkeit der gegen den Betroffenen angeordneten Abschiebungshaft auf Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen nicht beurteilen lässt. Insbesondere war entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde der Haftantrag nicht wegen unzureichender Angaben zur Haftdauer unzulässig.

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a) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 15. September 2011 - [X.] 123/11, [X.] 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - [X.] 5/19, [X.] 2020, 165 Rn. 8; vom 14. Juli 2020 - [X.] 74/19, juris Rn. 7; vom 25. Oktober 2022 - [X.] 116/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in [X.] erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - [X.] 311/10, [X.] 2012, 82 Rn. 13; vom 25. Oktober 2022 - [X.] 116/19, juris Rn. 7 mwN; vom 20. Dezember 2022 - [X.] 40/20, juris Rn. 7).

9

b) Nach diesen Maßgaben reichen die im Haftantrag vom 2. März 2022 enthaltenen Angaben aus (vgl. [X.], Beschluss vom 15. November 2018 - [X.] 251/17, juris Rn. 6 bis 10).

aa) Die Behörde führt zur Haftdauer unter Vorlage von drei Gesprächsvermerken mit Mitarbeitern der jeweils zuständigen Zentralstellen vom 1. und 2. März 2022 aus, die Abschiebung solle nach [X.] erfolgen. Nach Rücksprache mit der [X.] [X.]gelte der Betroffene aufgrund des 2018 eingeleiteten [X.] als identifiziert. Der Betroffene sei auf der Positivliste von Mai 2019 als identifizierter algerischer Staatsangehöriger bestätigt. Die Ausstellung eines [X.] könne somit nach Auskunft der [X.] [X.]vom 1. März 2022, wonach die algerischen Behörden dafür eine Vorlaufzeit von sechs Wochen benötigten, innerhalb von sechs Wochen erfolgen. Bei der Zentralstelle des [X.] für Flugabschiebungen (ZFA) könne ein Flug mit Sicherheitsbegleitung nach [X.] gebucht werden. Diese seien nur mit [X.] durchführbar. Aufgrund einer Schließung des algerischen Luftraums für Rückführungen in der Vergangenheit sei ein Rückstau bei Flugbuchungen entstanden. Zurzeit stünden - bundesweit - pro Flug nur fünf Plätze für begleitete Rückführungen zur Verfügung, so dass entsprechende Flugverbindungen bereits bis Mitte Mai ausgebucht seien. Daher könne aktuell ein Flugtermin erst für die 21. [X.] zugesichert werden, eine Beschleunigung dieses Verfahrens sei auch bei [X.] nicht möglich. Ein Tausch von gebuchten Personen, welche auf freiem Fuß seien, mit inhaftierten Personen sei auf ausdrückliche Anweisung der algerischen Behörden, welche die Sicherheitsbegleitung in [X.] organisierten, nicht möglich. Die Buchung eines unbegleiteten Flugs sei nicht angezeigt, da sich der Betroffene bereits in der Vergangenheit einer Luftabschiebung durch passiven Widerstand widersetzt habe.

bb) Diese auf den konkreten Fall bezogenen Angaben lassen ohne weiteres erkennen, aus welchen Gründen die beantragte Haftdauer erforderlich ist und legen die objektiv bestehenden Flugmöglichkeiten nachprüfbar dar. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde waren weitere Konkretisierungen, etwa wie viele Flüge für wie viele abzuschiebende Personen zur Verfügung standen, nicht erforderlich.

c) Die Sache war daher gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Holzinger     

      

Kochendörfer     

      

Meta

XIII ZB 58/22

05.12.2023

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Wuppertal, 22. Juli 2022, Az: 9 T 103/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.12.2023, Az. XIII ZB 58/22 (REWIS RS 2023, 9389)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9389

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