Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2019, Az. XII ZB 504/18

12. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 10604

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Gegenstand

Betreuungsverfahren: Absehen von einer erneuten Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren; nicht rechtzeitige Überlassung des Sachverständigengutachtens vor der Anhörung als wesentlicher Verfahrensmangel


Leitsatz

1. § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG räumt dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch unter anderem voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. November 2018 - XII ZB 57/18, juris).

2. Wird dem Betroffenen das im Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. November 2018 - XII ZB 57/18, juris).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des [X.] vom 26. September 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Wert: 5.000 €

Gründe

I.

1

Der 39jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer maniformen Psychose, wegen derer er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Das Amtsgericht hat eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Regelung des Postverkehrs, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie Vermögensangelegenheiten einschließlich Immobilienangelegenheiten eingerichtet und die Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuerin bestimmt. Außerdem hat es einen Einwilligungsvorbehalt für den letztgenannten Bereich angeordnet.

2

Die hiergegen vom Betroffenen eingelegte (vom [X.] unzutreffend als sofortige Beschwerde bezeichnete) Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Dagegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zu Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

4

1. Das [X.] hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Betreuung sei für den genannten Aufgabenkreis erforderlich, da der Betroffene seine Angelegenheiten nicht selbst besorgen könne. Er könne auch seinen Willen nicht mehr frei äußern. Der Einwilligungsvorbehalt sei erforderlich, da aufgrund der Erkrankung die akute Gefahr für den Betroffenen bestehe, dass er auch in Zukunft weitere selbstschädigende Vermögenshandlungen vornehme.

5

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

6

Die angefochtene Entscheidung kann schon aus verfahrensrechtlichen Gründen keinen Bestand haben. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das [X.] von einer erneuten Anhörung des Betroffenen gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen hat.

7

a) Nach der Rechtsprechung des [X.]s räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht zwar die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt. Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung dagegen eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, gebietet dies eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen. Zudem kann im Beschwerdeverfahren nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (vgl. [X.]sbeschluss vom 15. August 2018 - [X.]/18 - FamRZ 2018, 1770 Rn. 11 mwN).

8

b) Gemessen hieran durfte das [X.] im vorliegenden Fall nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG absehen.

9

aa) Bereits die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht litt an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil ihm das eingeholte Sachverständigengutachten nicht vor dem Anhörungstermin überlassen worden war. Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die [X.] des Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. [X.]sbeschluss vom 15. August 2018 - [X.]/18 - FamRZ 2018, 1770 Rn. 15 mwN).

Die im Rahmen der persönlichen Anhörung zu gewährende Gelegenheit zur Stellungnahme setzt voraus, dass der Betroffene vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Wenn dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel ([X.]sbeschluss vom 21. November 2018 - [X.]/18 - juris Rn. 6 mwN).

bb) Wie der Gerichtsakte zu entnehmen ist, wurde dem Betroffenen das Gutachten erst nach dem Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung in vollem Umfang zur Kenntnis gegeben. Diesen Mangel hätte das Beschwerdegericht durch erneute Anhörung beheben müssen, zumal der Betroffene im - dem Beschwerdeverfahren zuzurechnenden - [X.] schriftliche Einwendungen gegen das Gutachten erhoben hat.

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

Für das weitere Verfahren weist der [X.] darauf hin, dass auch ausreichende Voraussetzungen für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in dem angefochtenen Beschluss nicht dargelegt sind (vgl. [X.]sbeschluss vom 15. August 2018 - [X.]/18 - FamRZ 2018, 1770 Rn. 24 ff.).

[X.]     

      

Schilling     

      

[X.]

      

Botur     

      

Guhling     

      

Meta

XII ZB 504/18

06.02.2019

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

§ 37 Abs 2 FamFG, § 68 Abs 3 S 2 FamFG, § 278 FamFG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2019, Az. XII ZB 504/18 (REWIS RS 2019, 10604)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 498-499 REWIS RS 2019, 10604

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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