Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2022, Az. 6 StR 150/22

6. Strafsenat | REWIS RS 2022, 2949

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Gegenstand

Sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person: Anwendung des Günstigkeitsprinzips auf Schuldspruch und Strafzumessung


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. Oktober 2021

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen sexueller Nötigung verurteilt ist,

b) im Strafausspruch zu Tat 3 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben; jedoch haben die zugehörigen Feststellungen Bestand.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter [X.] wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, und wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision erzielt mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Verfahrensrügen versagen entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des [X.]. Ergänzend bemerkt der Senat, dass das [X.] auch im Blick auf die psychische Disposition des von der Verteidigung benannten Zeugen dessen - aus den Gründen des beanstandeten Beschlusses nicht durchführbare - persönliche Vernehmung in der Hauptverhandlung für unbedingt erforderlich und deswegen namentlich eine kommissarische Vernehmung für nicht ausreichend halten durfte. Gegen die Ablehnung des [X.] wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 5 StPO) ist daher rechtlich nichts zu erinnern.

3

2. Der Schuldspruch bedarf in zweifacher Hinsicht der Korrektur (§ 354 Abs. 1 StPO analog).

4

a) Das [X.] hat den Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person nach der zur Tatzeit geltenden Vorschrift des § 179 Abs. 1 und 5 StGB aF verurteilt. Die Strafe hat es demgegenüber - insoweit rechtsfehlerfrei - der Vorschrift des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nF als dem milderen Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB entnommen (vgl. dazu [X.], Beschlüsse vom 9. Mai 2017 - 4 StR 366/16, [X.], 240, 241; vom 16. Mai 2017 - 3 StR 43/17, [X.], 33). Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass der Günstigkeitsvergleich des § 2 Abs. 3 StGB nur Bedeutung für die Strafzumessung hat, während der Schuldspruch sich nach dem Tatzeitrecht (§ 2 Abs. 1 StGB) richtet. Dies trifft jedoch nicht zu. Vielmehr ist das mildere Gesetz stets in seiner Gesamtheit anzuwenden (vgl. [X.], Urteil vom 24. Juli 2014 - 3 [X.], [X.], 586, 587; Beschluss vom 14. Oktober 2014 - 3 [X.] Rn. 30; MüKo-StGB/[X.], 4. Aufl. ,2020, § 2 Rn. 29, 51). Dies ist vorliegend der ([X.] der sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB, was im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen ist.

5

b) Ferner muss die tateinheitliche Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB betreffend Tat 3 der Urteilsgründe entfallen, weil insoweit Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Tat wurde „im [X.] 2013“ begangen. Demgemäß war die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) im Zeitpunkt der Anzeigeerstattung am 30. Juli 2019 bereits abgelaufen.

6

3. Der Wegfall der Verurteilung wegen des Körperverletzungsdelikts entzieht dem Strafausspruch betreffend Tat 3 die Grundlage. Denn das [X.] hat die tateinheitliche Verwirklichung mehrerer Straftatbestände ohne Einschränkungen straferschwerend berücksichtigt ([X.]). Angesichts dessen kann die Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten nicht bestehen bleiben. Da die Einsatzstrafe betroffen ist, lässt sich auch nicht ausschließen, dass die [X.] bei zutreffender Bewertung eine noch geringere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte. Die Sache bedarf deshalb insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

7

Die zugehörigen Feststellungen werden durch den Rechtsfehler nicht berührt und können aufrechterhalten werden. Neue Feststellungen sind möglich, sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.

König     

        

Feilcke     

        

Tiemann

        

von Schmettau     

        

Werner     

        

Meta

6 StR 150/22

03.05.2022

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Potsdam, 27. Oktober 2021, Az: 22 KLs 11/20

§ 2 Abs 1 StGB, § 2 Abs 3 StGB, § 177 Abs 2 Nr 1 StGB vom 04.11.2016, § 179 Abs 1 StGB vom 27.12.2003, § 179 Abs 5 StGB vom 27.12.2003

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2022, Az. 6 StR 150/22 (REWIS RS 2022, 2949)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2949

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