Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.05.2014, Az. III B 135/13

3. Senat | REWIS RS 2014, 5426

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Gegenstand

Änderungsmöglichkeit bei Tatsachenkenntnis unzuständiger Dienststellen


Leitsatz

NV: Bei der Änderung eines Steuerbescheids wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO kann der Dienststelle, die für die Bearbeitung der Einkommensteuer zuständig ist, nicht das Wissen der Dienststelle zugerechnet werden, die für die Körperschaftsteuer zuständig ist (BFH-Urteil vom 17.11.1998 VIII R 24/98, BStBl II 1999, 223).

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger war als Steuerberater selbständig tätig. Darüber hinaus war er an einer Steuerberatungs-GmbH beteiligt. Mit Wirkung vom 1. Januar 2003 verkaufte der Kläger seine Kanzlei an die GmbH. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2003) war ein Veräußerungsgewinn von 20.805 € angegeben. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) veranlagte die Kläger im Wesentlichen erklärungsgemäß und setzte durch Bescheid vom 6. Juni 2005 eine Einkommensteuer von [X.] fest. In der Folgezeit kam es wegen der Beteiligung des [X.] an [X.] zu Änderungen des [X.], zuletzt unter dem 2. Oktober 2007.

2

Im August 2007 begann bei der GmbH eine Außenprüfung. Die Prüferin beanstandete die Höhe des von den Klägern angegebenen Gewinns aus der Veräußerung der [X.] an die GmbH. Insbesondere der vom Kläger erklärte Firmenwert war nach ihrer Ansicht zu niedrig. Sie ermittelte einen Veräußerungsgewinn von 95.779 €. Das [X.] erließ unter dem Datum des 15. April 2008 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) geänderten Einkommensteuerbescheid 2003. Dagegen wandten sich die Kläger mit Einspruch. Sie waren der Ansicht, es bestehe keine Änderungsmöglichkeit.

3

Das Finanzgericht ([X.]) wies die anschließend erhobene Klage ab. Das [X.] sei zu einer Änderung des [X.] berechtigt gewesen. Der Kläger habe bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns einen zu niedrigen Firmenwert von 11.900 € angesetzt, ohne die wertbegründenden Kriterien zu erläutern. Der Firmenwert habe sich jedoch unstreitig auf 90.110,40 € belaufen. Die zutreffende Höhe sei dem [X.] erst nachträglich bekannt geworden. Auf etwaige Kenntnisse des für die Besteuerung der GmbH zuständigen [X.] komme es nicht an, ebenso wenig auf die Kenntnisse der Außenprüferin. Unterlagen, aus denen sich möglicherweise die ursprüngliche Ermittlung des [X.] ergeben habe, seien der Einkommensteuererklärung 2003 nicht beigefügt gewesen, insbesondere nicht die von den Klägern als "Anlage 1" und "Anlage 2" bezeichneten Schriftstücke.

4

Gegen das Urteil des [X.] wenden sich die Kläger mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), die Erforderlichkeit einer Entscheidung des [X.] ([X.]) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O) sowie einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) geltend machen.

5

Zur Begründung tragen sie vor, wegen der Unterlagen, die der Einkommensteuererklärung 2003 als Anlagen beigefügt gewesen seien, habe der Einkommensteuerbescheid 2003 nicht mehr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] geändert werden können. Dem [X.] hätten sich Zweifel aufdrängen müssen, ob die Aufteilung des Kaufpreises auf die einzelnen Wirtschaftsgüter zutreffend sei. Aus einer Anlage habe sich eine Berechnung des Übertragungsvorgangs ergeben. Das [X.] sei durch die Vorlage der Unterlagen über sämtliche [X.] informiert gewesen. Wären hier Zweifel aufgekommen, so hätte das [X.] den Steuerbescheid unter den Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 [X.] stellen müssen. Auch trete das grundsätzliche Problem auf, "ob die Kenntnis anderer Dienststellen nicht zugleich die Kenntnis des zur Bearbeitung des [X.] nicht miteinander verknüpfen ist". In den Stadtstaaten würden natürliche und juristische Personen von unterschiedlichen Finanzämtern besteuert. Daher sei fraglich, ob die Rechtsprechung zur Wissenszurechnung noch aufrecht erhalten werden könne.

6

Darüber hinaus sei im Streitfall eine Korrektur des Einkommensteuerbescheids aufgrund der Wertung der [X.] des § 32a des [X.] ([X.]) nicht möglich. Im Hinblick auf die eingeschränkte Korrekturmöglichkeit nach § 32a Abs. 2 [X.] hätte im Streitfall der Änderungsbescheid nicht mehr ergehen dürfen. Die Ausstrahlungskraft des § 32a Abs. 2 [X.] im Rahmen der [X.] bedürfe der höchstrichterlichen Klärung.

7

Die Revision sei auch zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Es sei zu prüfen, inwieweit das [X.] verpflichtet sei, Manipulationen der Steuerakten nachzugehen. Es sei zu klären, ob das [X.] sämtliche Steuerakten anfordern müsse.

8

Als Verfahrensmangel sei ein Verstoß gegen die Pflicht zur Sachaufklärung zu rügen. In der mündlichen Verhandlung sei deutlich geworden, dass sie --die Kläger-- sämtliche Unterlagen im Zusammenhang mit dem Praxisverkauf vorgelegt hätten. Das [X.] habe offensichtlich die Anlagen aus den Akten entnommen. Das [X.] habe nicht aufgeklärt, ob die Akten vollständig seien. Das Urteil sei ohne Hinzuziehung der Hinweisakte oder der Beiakte gefällt worden. Dies sei vom Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung gerügt worden, auch sei ein Antrag auf [X.] gestellt worden. Das Gericht habe jedoch keine Veranlassung gesehen, das "entscheidungsrelevante Sachverhaltsmomentum" aufzuklären.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und wird deshalb durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 [X.]O). Die Begründung der Beschwerde genügt nicht den [X.] nach § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O.

1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) ist eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Hierzu bedarf es substantiierter Angaben, inwieweit die aufgeworfene Frage im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und im konkreten Fall auch klärungsfähig ist (z.B. [X.] vom 15. Oktober 2010 II B 39/10, [X.], 206, m.w.N.). Die Beschwerde muss sich insbesondere mit der einschlägigen Rechtsprechung des [X.], den Äußerungen im Schrifttum sowie mit veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen (z.B. Senatsbeschluss vom 17. August 2004 III B 121/03, [X.]/NV 2005, 46).

a) Zu der von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam angesehenen Frage, ob die Kenntnis einer Dienststelle, die nicht zugleich die für die Bearbeitung des Steuerfalls zuständige Stelle ist, bei der Prüfung einer Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] von Bedeutung ist, existiert einschlägige Rechtsprechung. Hiernach ist die Kenntnis derjenigen Person oder Stelle innerhalb des [X.] maßgeblich, die für die Bearbeitung des Streitfalls organisationsmäßig berufen ist (z.B. [X.]-Urteil vom 13. Juni 2012 VI R 85/10, [X.]E 238, 295, [X.], 5; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 [X.] Rz 38, m.w.N.). Der Dienststelle, die für die Bearbeitung der Einkommensteuer zuständig ist, kann somit nicht das Wissen der Dienststelle zugerechnet werden, die für die Körperschaftsteuer zuständig ist ([X.]-Urteil vom 17. November 1998 VIII R 24/98, [X.]E 187, 292, [X.] 1999, 223). Das Vorbringen der Kläger gibt keinen Anlass, die Grundsätze der [X.]-Rechtsprechung in einem Revisionsverfahren zu überprüfen.

b) Auch soweit die Kläger --sinngemäß-- vortragen, die spezielle Korrekturvorschrift des § 32a [X.] könne im Streitfall die Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] verdrängen, haben sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O "dargelegt". Insoweit haben sie nicht einmal eine in einem Revisionsverfahren zu klärende Rechtsfrage herausgestellt. Ihrem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, weshalb § 32a [X.] im Streitfall einschlägig sein sollte und weshalb die Vorschrift andere Korrekturvorschriften verdrängen sollte. Auch sind sie nicht darauf eingegangen, dass nach den Intentionen des Gesetzgebers die Vorschriften der [X.] über den Erlass, die Änderung oder die Aufhebung von Steuerbescheiden von § 32a [X.] unberührt bleiben sollen (s. BTDrucks 16/2712, S. 72).

2. Soweit die Kläger meinen, es sei zu prüfen, inwieweit das [X.] verpflichtet sei, Manipulationen der Steuerakten nachzugehen, machen sie im [X.] nicht die Erforderlichkeit einer Entscheidung zur Fortbildung des Rechts geltend, sondern einen Verfahrensmangel, und zwar die Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung nach § 76 Abs. 1 [X.]O.

a) Die schlüssige Darlegung einer unzureichenden Sachaufklärung erfordert Ausführungen dazu, welche Tatsachen das [X.] hätte aufklären und welche Beweise es hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer Aufklärung hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich voraussichtlich ergeben hätten und inwieweit die weitere Aufklärung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des [X.] zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (z.B. Senatsbeschluss vom 24. August 2012 III B 21/12, [X.]/NV 2012, 1973, m.w.N.). Darüber hinaus muss ein Beschwerdeführer vortragen, warum er --jedenfalls sofern er im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten [X.] nicht von sich aus auf eine entsprechende Beweiserhebung hingewirkt hat (z.B. Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2010 III B 33/10, [X.], 433).

b) Die Kläger haben nicht vorgetragen, welche Beweise das [X.] zur Frage einer Aktenmanipulation hätte erheben müssen, ebenso wenig, weshalb sie nicht selbst auf eine weitere Sachaufklärung hingewirkt haben. Der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 5. September 2013 ist nicht zu entnehmen, dass sie Beweisanträge gestellt hätten.

c) Darüber hinaus geht aus dem Vortrag der Kläger nicht hervor, weshalb eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2003 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 [X.] nicht möglich gewesen sein sollte, wenn die beiden Anlagen tatsächlich --wie von den Klägern behauptet-- der Einkommensteuererklärung 2003 beigefügt gewesen sein sollten. Aus den im finanzgerichtlichen vorgelegten, als "Anlage 1" und "Anlage 2" bezeichneten Schriftstücken ergibt sich nicht, dass der wahre Geschäftswert der vom Kläger veräußerten Steuerberatungskanzlei höher war als der in der Anlage 2 angegebene Wert von 11.900 €.

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O).

4. [X.] beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III B 135/13

20.05.2014

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 5. September 2013, Az: 1 K 172/10, Urteil

§ 173 Abs 1 Nr 1 AO, § 32a KStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.05.2014, Az. III B 135/13 (REWIS RS 2014, 5426)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5426

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