Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.03.2018, Az. 4 B 60/17

4. Senat | REWIS RS 2018, 11551

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Gegenstand

Prägung der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch verwirklichte Bebauung


Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr die [X.]eklagte beimisst.

3

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den der [X.]eschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der [X.]eschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des [X.]undesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, so bereits [X.], [X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]E 13, 90 <91>; siehe auch [X.]eschluss vom 1. Februar 2011 - 7 [X.] - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.

4

a) Die [X.]eschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob eine Festsetzung in einem [X.]ebauungsplan bereits dann nicht mehr geeignet ist, eine Steuerungsfunktion zu erfüllen, wenn diese zwar im Plangebiet überwiegend nicht eingehalten wird, die der Festsetzung zugrundeliegende städtebauliche Ordnungsvorstellung trotz der Nichteinhaltung der Festsetzung im Plangebiet jedoch nach wie vor gewahrt ist.

5

Mit dieser Frage möchte die [X.]eklagte klären lassen, ob die in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten Grundsätze zur Funktionslosigkeit von [X.]ebauungsplanfestsetzungen (grundlegend [X.], Urteil vom 29. April 1977 - 4 [X.] 39.75 - [X.]E 54, 5) angemessen denjenigen Fall berücksichtigen, in dem - unstreitig - im Plangebiet weit überwiegend die konkrete Festsetzung zwar nicht eingehalten, die mit der Festsetzung verfolgte städtebauliche Zielsetzung jedoch ersichtlich noch gewahrt sei ([X.]eschwerdebegründung S. 11). Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, denn sie würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Sie geht von einem Sachverhalt aus, den der Verwaltungsgerichtshof so nicht festgestellt hat. Das [X.]erufungsgericht hat zwar ausgeführt, dass - im Übrigen - durch das (verfahrensgegenständliche) [X.]auvorhaben das wesentliche Ziel des ursprünglichen [X.], das [X.]lockinnere von [X.]ebauung freizuhalten, gewahrt werde ([X.] Rn. 27). Diese Ausführungen betreffen aber die Frage, ob das verfahrensgegenständliche Vorhaben geeignet ist, bodenrechtliche Spannungen zu begründen, was der Verwaltungsgerichtshof verneint hat, weil das wesentliche Ziel des "ursprünglichen" [X.], das [X.]lockinnere von [X.]ebauung freizuhalten, durch das [X.]auvorhaben gewahrt wurde. Dass die mit der nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs funktionslos gewordenen Festsetzung einer rückwärtigen [X.]augrenze verfolgte städtebauliche Zielsetzung, das Quartiersinnere von [X.]ebauung freizuhalten und [X.]lickachsen zu ermöglichen ([X.] Rn. 16, 17), im Geviert ersichtlich auch jetzt noch gewahrt ist, ergibt sich hieraus nicht. Der Verwaltungsgerichtshof ist im Gegenteil ausdrücklich davon ausgegangen, dass sich die tatsächliche Entwicklung so weit von der bauleitplanerischen Festsetzung entfernt habe, dass die Festsetzung nicht mehr verwirklicht werden könne.

6

b) Die [X.]eschwerde wirft ferner die Frage auf,

ob eine [X.]ebauung, die durch Planung einem eigenständigen städtebaulichen Ordnungssystem unterworfen ist, bei der [X.]eurteilung der näheren Umgebung für die Anwendung des § 34 Abs. 1 [X.]auG[X.] auch dann unberücksichtigt bleiben kann, wenn sich diese [X.]ebauung strukturell nicht optisch wahrnehmbar von dem zu beurteilenden [X.]auvorhaben unterscheidet.

7

Zur Zulassung der Revision führt auch diese Frage nicht. In der Sache geht es der [X.]eklagten um die Klärung der Frage, ob eine [X.]ebauung, die zwar augenscheinlich strukturell gleichförmig ist, der jedoch durch vorangegangene [X.]auleitplanung (hier: übergeleiteter [X.]) eine eigenständige städtebauliche Zielvorstellung immanent ist, gleichwohl im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 [X.]auG[X.] der "näheren Umgebung" des zur Genehmigung anstehenden Vorhabens angehören kann ([X.]eschwerdebegründung S. 17). Auf die Frage lässt sich antworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Der die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 [X.]auG[X.] bildende [X.]ereich reicht so weit, wie sich die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den [X.] [X.]harakter des [X.]augrundstücks prägt oder doch beeinflusst (stRspr, vgl. zuletzt [X.], Urteil vom 8. Dezember 2016 - 4 [X.] 7.15 - [X.]E 157, 1 Rn. 9 m.w.N), wobei auf das abzustellen ist, was in der Umgebung tatsächlich vorhanden ist ([X.], Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 [X.] 5.12 - [X.]E 148, 290 Rn. 10; [X.]eschluss vom 13. Mai 2014 - 4 [X.] 38.13 - Zf[X.]R 2014, 574 Rn. 7). Hierzu kann auch eine bereits verwirklichte [X.]ebauung in einem durch (einfachen, vorhabenbezogenen oder qualifizierten) [X.]ebauungsplan überplanten Gebiet gehören ([X.], [X.]eschlüsse vom 10. Juli 2000 - 4 [X.] 39.00 - [X.]uchholz 406.11 § 34 [X.]auG[X.] Nr. 201 und vom 24. November 2009 - 4 [X.] 1.09 - [X.] 2010, 443). Mehr ist verallgemeinernd nicht zu sagen.

8

c) Auch die Frage,

ob es für die positive [X.]eurteilung des [X.] im Rahmen des § 34 Abs. 1 [X.]auG[X.] nach dem Tatbestandsmerkmal der "Grundstücksfläche, die überbaut werden soll", genügt, dass das geplante Vorhaben und das in der maßgeblichen näheren Umgebung vorhandene Referenzobjekt lediglich in einer maßstabsbildenden Kenngröße (absolute Grundfläche bzw. [X.]ebauungstiefe) übereinstimmen und die jeweils andere maßstabsbildende Kenngröße aus einem weiteren (unterschiedlichen) Referenzobjekt abgeleitet wird, sodass durch die Kombination der jeweils so ermittelten Kenngrößen eine [X.]aulichkeit entsteht, die in dieser Dimension über kein Vorbild in der Umgebung verfügt,

würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass sich das verfahrensgegenständliche [X.]auvorhaben noch in dem durch die Umgebung vorgegebenen Rahmen halte ([X.] Rn. 25). Selbst wenn man - so der Verwaltungsgerichtshof weiter - annehmen wollte, dass das [X.]auvorhaben hinsichtlich der Tiefgarage den Rahmen der näheren Umgebung überschreite, würde dies das Vorhaben gleichwohl nicht unzulässig machen, denn es sei nicht geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen. Diese weitere Erwägung soll das Urteil erkennbar selbständig tragen. Der Einwand der [X.]eschwerde, diese ergänzende Erwägung beziehe sich lediglich auf den Tiefgaragen-[X.]aukörper, befasse sich aber nicht mit der Frage der absoluten Grundfläche des Vorhabens, ist unberechtigt. Denn der Verwaltungsgerichtshof ([X.] Rn. 27) hat städtebauliche Spannungen auch hinsichtlich des [X.] ausdrücklich verneint.

9

Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende [X.]egründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser [X.]egründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa [X.], [X.]eschluss vom 10. Dezember 2015 - 4 [X.] 53.15 - [X.]A Rn. 2 m.w.N.). Denn ist nur bezüglich einer [X.]egründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese [X.]egründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert ([X.], [X.]eschluss vom 9. September 2009 - 4 [X.]N 4.09 - Zf[X.]R 2010, 67 = juris Rn. 5). Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, das Vorhaben sei nicht geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen, greift die [X.]eklagte nicht mit einem Grund für die Zulassung der Revision an. Es kann daher offen bleiben, ob hinsichtlich der ersten [X.]egründung, auf die sich die von der [X.]eschwerde formulierte Grundsatzfrage bezieht, ein Revisionszulassungsgrund dargelegt und gegeben ist.

2. Aus demselben Grund offen bleiben kann auch, ob die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) der [X.]eschwerde durchgreift, der Verwaltungsgerichtshof habe gegen seine Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, weil er die für die [X.]eurteilung des [X.] (nach dem Maß der baulichen Nutzung) erforderlichen Kenngrößen der Referenzobjekte nur unzureichend ermittelt habe.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 60/17

27.03.2018

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 4. Mai 2017, Az: 2 B 17.380, Urteil

§ 34 Abs 1 S 1 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.03.2018, Az. 4 B 60/17 (REWIS RS 2018, 11551)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11551

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