Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.09.2013, Az. 2 StR 365/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 2706

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport: Bezugnahme auf den jährlich aktualisierten Anhang zum Übereinkommen gegen Doping durch Blankettstrafnorm


Leitsatz

Regelt der Gesetzgeber die Strafbarkeit eines Verhaltens durch eine Blankettstrafnorm, die auf eine außergesetzliche Bestimmung Bezug nimmt, so muss die vorrangige Bestimmungsgewalt des Gesetzgebers erhalten bleiben. Dies ist bei der Bezugnahme von § 95 Abs. 1 Nr. 2a i.V.m. § 6a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AMG in der Fassung vom 22. Dezember 2010 auf den jährlich aktualisierten Anhang zu dem Übereinkommen des Europarats gegen Doping vom 16. November 1989 jedenfalls insoweit der Fall, als der Gesetzgeber bei Aktualisierungen der Verweisungsnorm des § 6a AMG in der Fassung vom 22. Dezember 2010 die dann aktuellen Verbotslisten in seinen Willen aufgenommen hat.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 6. Februar 2012 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu [X.]zwecken im Sport zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 10.000 Euro angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s war der Angeklagte im [X.]raum vom 25. Mai 2008 bis 3. Dezember 2010 mit einem Wochenlohn von zuletzt 2.500 Euro in leitender Position für das Unternehmen „G.    “ tätig. Das im Ausland ansässige Unternehmen betrieb einen Internethandel unter anderem mit Arzneimitteln, die anabol androgene Steroide enthielten. Besteller waren Bodybuilder und Kraftsportler in den [X.], [X.], [X.] und ganz [X.]. Zu den Aufgaben des Angeklagten als rechte Hand des Firmenchefs gehörten die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Vertriebsstruktur des Unternehmens sowie die Überwachung anderer Mitarbeiter. Im Tatzeitraum gingen Bestellungen von 107.070 Kunden ein. Der Gesamtumsatz des Unternehmens betrug rund 43 Millionen US-Dollar. Darin enthalten war ein Umsatzanteil von rund 8,7 Millionen US-Dollar, der auf Warenlieferungen mit Arzneimitteln entfiel, welche die Wirkstoffe Testosteron, Clomifen, Methandienon, Boldenon, humanes Choriongonadotropin, Tamoxifen, Nandrolon, Decanoat, Stanozolol, Oxandrolon und Trenbolon enthielten.

3

Das [X.] hat die hierauf bezogenen Handlungen des Angeklagten als eine Tat des Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu [X.]zwecken im Sport bewertet. Die Tat sei von dem Angeklagten als Mittäter in den Varianten des Feilbietens und der Abgabe der Arzneimittel an andere begangen worden. [X.] sei als Sport im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 2a [X.] einzustufen, ohne dass es darauf ankomme, ob die mit den Arzneimitteln erstrebte Leistungssteigerung auf Aktivitäten im Wettkampf, beim Training oder in der Freizeit gerichtet sei.

II.

4

Die Revision gegen dieses Urteil ist unbegründet.

5

1. Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor. Die Anklageschrift vom 6. Juni 2011 erfüllt ihre Umgrenzungsfunktion im Sinne von § 200 Abs. 1 StPO. Der [X.] umschreibt die Tat im prozessualen Sinne in einer Weise, dass der Verfahrensgegenstand nicht verwechselt werden kann. Zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion ist es bei einem „uneigentlichen Organisationsdelikt“, bei dem einem in leitender Funktion des Unternehmens tätigen Beteiligten die Ausführungshandlungen der Mitarbeiter zugerechnet werden, nicht erforderlich, sämtliche 107.070 Bestellvorgänge und entsprechende Warenlieferungen an die Kunden im Einzelnen mitzuteilen (vgl. [X.], Urteil vom 24. Januar 2012 - 1 [X.], [X.]St 57, 88, 94). Der als eine Handlung im Rechtssinne bewertete Tatbeitrag des Angeklagten bestand in der übergreifenden Mitwirkung im Organisationsgefüge des Unternehmens, die im [X.] in unverwechselbarer Weise umschrieben ist.

6

2. Die „[X.] der Hauptverhandlung wegen verspäteter und unvollständiger Akteneinsichtsgewährung“ greift nicht durch. Sie ist schon unzulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer hat nicht nachvollziehbar mitgeteilt, wann ihm die verspätete Akteneinsicht gewährt worden ist und wieviel [X.] die Sichtung der nachgereichten Unterlagen in Anspruch genommen hat. So kann der [X.] nicht überprüfen, ob die [X.] die Hauptverhandlung hätte aussetzen müssen, weil die Verteidigung diese Unterlagen nicht bereits innerhalb der Unterbrechungen der Hauptverhandlung in ausreichendem Maße habe sichten können.

7

3. Die Sachrüge bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

8

Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu [X.]zwecken im Sport gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2a [X.]. § 6a Abs. 1 und 2 [X.] und in Verbindung mit dem Anhang zu dem Übereinkommen gegen [X.] (vgl. Gesetz vom 2. März 1994 zu dem Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen [X.], [X.]. [X.] 334).

9

a) Bei den an Kunden des Unternehmens „G.    “ versandten Waren handelte es sich um Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 [X.], die durch Feilbieten bzw. Abgabe an andere in Verkehr gebracht wurden. Dem Angeklagten sind die entsprechenden Handlungen durch Mitarbeiter des Unternehmens "G.    " gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen. Insoweit liegt bei ihm eine einheitliche Handlung vor (vgl. zu einem „uneigentlichen Organisationsdelikt“ [X.], Beschluss vom 23. Mai 2013 - 2 [X.], [X.], 389).

b) Das Inverkehrbringen der Arzneimittel erfolgte zu [X.]zwecken im Sport. Der Tatbestand in § 95 Abs. 1 Nr. 2a [X.]. § 6a Abs. 1 [X.] erfasst neben dem Leistungssport auch den Breitensport. Die Stärkung des [X.] im Zusammenhang mit „[X.]“ durch Einnahme von Anabolika ist als [X.] im Sport anzusehen (vgl. BT-Drucks. 13/9996 S. 13; [X.], Beschluss vom 14. Dezember 2011 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 95 Abs. 1 Nr. 2a [X.]mittel 2).

c) Die Regelung des § 6a Abs. 1 [X.] findet allerdings nur Anwendung auf solche Arzneimittel, die Stoffe der im Anhang des Übereinkommens gegen [X.] vom 16. November 1989 aufgeführten Gruppen von verbotenen Wirkstoffen enthalten (§ 6a Abs. 2 Satz 1 [X.] in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung des [X.]s im Sport vom 24. Oktober 2007, [X.]. [X.], [X.]). Dabei wird der Anhang zu dem Übereinkommen gegen [X.] im Sport von der [X.] Begleitgruppe des [X.]rats (Art. 10 des Übereinkommens gegen [X.]) durch jährlich aktualisierte Verbotslisten, die sich inzwischen an den von der World-Anti-[X.]-Agency ([X.]) aufgestellten Verbotslisten orientieren, neu gefasst und jeweils im [X.] ([X.]) veröffentlicht.

Es kann dahinstehen, ob alle von der „G.     “ mit Hilfe des Angeklagten vertriebenen [X.]mittel schon in dem ursprünglichen Anhang zu dem Übereinkommen gegen [X.] (Gesetz vom 2. März 1994 zu dem Übereinkommen gegen [X.] vom 16. November 1989, [X.]. [X.] 334), auf den § 6a Abs. 2 [X.] Bezug nimmt, enthalten waren. Der [X.] braucht auch nicht zu entscheiden, ob es sich bei der Verweisung des § 6a Abs. 2 Satz 1 [X.] in der bis zum 25. Oktober 2012 geltenden Fassung um eine dynamische Verweisung auf die jeweils durch Beschluss der [X.] Begleitgruppe des [X.]rats jährlich angepasste Fassung des Anhangs handelt (so ohne nähere Begründung [X.], Beschluss vom 5. August 2009 - 5 [X.], [X.], 170, 171 und jetzt auch die Neufassung des § 6a Abs. 2 Satz 1 [X.] durch das [X.] und anderer Vorschriften vom 19. Oktober 2012, [X.]. [X.], S. 2192: Verweis auf die „jeweils geltende Fassung des Anhangs“).

Der Gesetzgeber hat nämlich § 6a Abs. 2 [X.] unter anderem durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des [X.]s im Sport im Jahre 2007 ([X.]. [X.], [X.]) und durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 ([X.]. [X.], S. 1990) geändert (weitere Änderungen erfolgten in den Jahren 2010, 2012 und 2013). Ihm war dabei bewusst, dass die Verbotslisten im Anhang zu dem Übereinkommen gegen [X.] jährlich aktualisiert werden. Der Gesetzgeber hat damit die zur Tatzeit gültigen Listen ([X.]. [X.]I, [X.] ff. und [X.]. [X.]I, [X.] ff.) in seinen Willen aufgenommen. Die jeweils bestehenden Verbotslisten stellen den gemäß § 6a Abs. 2 Satz 1 [X.] maßgeblichen „Anhang zu dem Übereinkommen gegen [X.]“ dar. Sie enthalten sämtliche von der „G.     “ als [X.]mittel vertriebenen Stoffe, deren Inverkehrbringen dem Angeklagten vorgeworfen wird. Diese Stoffe sind auch in weiteren Aktualisierungen der Verbotslisten aufgeführt (vgl. [X.]. [X.], [X.]; 2011 II, [X.]; [X.]I, [X.]; 2013 II, [X.]). Es besteht kein Zweifel daran, dass der Gesetzgeber zurzeit der Änderungen des § 6a [X.] jeweils den Umgang mit diesen Stoffen unter das strafrechtliche Verbot des § 95 Abs. 1 Nr. 2a [X.]. § 6a Abs. 1 und 2 [X.] stellen und daran festhalten wollte.

Damit ist auch Art. 103 Abs. 2 GG Genüge getan, ohne dass insoweit zu entscheiden wäre, ob eine dynamische Verweisung, die der Gesetzgeber mit dem [X.] zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19. Oktober 2012 im [X.] „konkretisiert“ hat (BT-Drucks. 17/9341 [X.]), dem Bestimmtheitsgebot genügt (vgl. dazu Parzeller/[X.] 2009, 101, 106 ff. und 119 ff. m.w.[X.]). Erfolgt die Ergänzung eines Blankettstrafgesetzes durch eine außergesetzliche Regelung, so ist dies unschädlich, wenn die Voraussetzungen der Strafbarkeit sowie Art und Maß der Strafe bereits im Gesetz hinreichend deutlich umschrieben sind (vgl. [X.], Beschluss vom 15. März 1996 - 3 StR 506/95, [X.]St 42, 79, 84). Bei der ergänzenden Einbeziehung eines konkretisierenden Rechtsakts außerhalb des Gesetzes muss zwar auch die vorrangige Bestimmungsgewalt des Gesetzgebers erhalten bleiben (vgl. [X.], Beschluss vom 29. April 2010 - 2 BvR 871/04, 2 [X.], Rn. 57, [X.], 396, 403). Dies ist hier aber, soweit der Gesetzgeber mit den Änderungen des § 6a Abs. 2 [X.] - wie dargelegt - die Strafbarkeit des Umgangs mit den in den Anhängen zu dieser [X.] enthaltenen Stoffen unter ein strafrechtliches Verbot stellen wollte, ohne Weiteres anzunehmen.

Appl                   Krehl                      Eschelbach

             Ott                      Zeng

Meta

2 StR 365/12

18.09.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bonn, 6. Februar 2012, Az: 27 KLs 5/11 - 920 Js 54/11

Art 103 Abs 2 GG, § 6a Abs 1 AMG vom 22.12.2010, § 6a Abs 2 S 1 AMG vom 22.12.2010, § 95 Abs 1 Nr 2a AMG, Art 10 DopingÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.09.2013, Az. 2 StR 365/12 (REWIS RS 2013, 2706)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2706

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 365/12 (Bundesgerichtshof)


3 StR 233/19 (Bundesgerichtshof)

Anabolika als bedenkliche Arzneimittel


3 StR 345/17 (Bundesgerichtshof)

Herstellen und Handeltreiben mit Dopingmitteln: Konkurrenzverhältnis der Tatvarianten


5 StR 425/11 (Bundesgerichtshof)

Unerlaubtes Inverkehrbringen von Arzneimitteln: Annahme einer Bewertungseinheit


4 StR 283/18 (Bundesgerichtshof)

Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport: Verfassungsmäßigkeit der Bezugnahme auf den jährlich aktualisierten Anhang …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.