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Strafrechtliches Ermittlungsverfahren: Auskunftspflicht eines Postunternehmens hinsichtlich nicht mehr in seinem Gewahrsam befindlicher Postsendungen
Der Antrag des [X.] beim [X.], gemäß §§ 99, 100 Abs. 1, § 162 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO dem Paketzustelldienst ... aufzugeben, für die [X.] ab ... Auskunft zu erteilen über sämtliche Lieferungen, die an ... oder ... gerichtet waren, wird
abgelehnt.
I.
Mit Schreiben vom hat der [X.] beim [X.] beantragt, gemäß §§ 99, 100 Abs. 1, § 162 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 [X.] dem Paketzustelldienst ... aufzugeben, für die [X.] ab ... Auskunft zu erteilen über sämtliche Lieferungen, die an ... gerichtet waren. Die Auskunft solle sich insbesondere auf die Namen und Anschriften der Absender, Hinweise auf den Inhalt der Lieferung(en), den Sendungsverlauf sowie alle Unterlagen, die Aufschluss über die Person(en) geben, die die Lieferung(en) in Empfang genommen hat/haben beziehen. Die Auskunftserteilung solle ferner die Herausgabe von Unterlagen, insbesondere unterschriebenen Quittungen - auch in elektronischer Form -, die eine Identifizierung des tatsächlichen Empfängers ermöglichen, umfassen.
II.
Der Antrag des [X.]s beim [X.] war abzulehnen, da die Strafprozessordnung für die Anordnung der begehrten Auskunftserteilung keine Eingriffsnorm vorsieht.
1. Im Hinblick auf das Postgeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG, § 39 [X.] kommt als einzig denkbare Rechtsgrundlage § 99 [X.] in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerichteten Postsendungen und Telegramme, die sich im Gewahrsam des [X.] befinden, zulässig. Zwar enthält die Vorschrift des § 99 [X.] nach allgemeiner Ansicht in der Rechtsprechung und Literatur als weniger einschneidende Maßnahme zur Beschlagnahme einen Auskunftsanspruch gegen das Postunternehmen ([X.] (Ermittlungsrichter), Beschluss vom 11. Juli 2012 - 3 [X.] 211/12; [X.], BeckRS 2009, 19797; [X.], BeckRS 2013, 10378; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 59. Aufl., § 99, Rn. 14; [X.] in; KK-[X.], 7. Aufl., § 99 Rn. 11; [X.] in: [X.], 26. Aufl., § 99 Rn. 29; [X.] in: [X.]/[X.], § 99 Rn. 42/43; [X.] [X.]/[X.], Stand: 1. Juli 2016, § 99 Rn. 16). Liegen die Voraussetzungen der [X.] vor, so kann - unter den Voraussetzungen des § 100 [X.] - statt dieser Auskunft über Sendungen verlangt werden, die an den Beschuldigten gerichtet sind oder bei denen Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sie von ihm herrühren oder für ihn bestimmt sind.
Zwar wird in dem Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.]s vom 11. Juli 2012 - 3 [X.] 211/12 - und teilweise in der Literatur ([X.] in; KK-[X.], 7. Aufl., § 99 Rn. 11; [X.] [X.]/[X.], Stand: 1. Juli 2016, § 99 Rn. 16) vertreten, dass in entsprechender Anwendung § 99 [X.] auch auf solche Postsendungen bezogen werden kann, die sich nicht mehr im Gewahrsam der Stelle befinden. Begründet wird dies zum einen mit einem Verweis auf Nr. 84 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren ([X.]). Nach Satz 2 dieser Vorschrift soll die Auskunft auch über solche Postsendungen erteilt werden, die sich bei Eingang des Ersuchens nicht mehr im Machtbereich des [X.] befinden. Ferner wird argumentiert, dass es mit den Grundgedanken des § 99 [X.] in Widerspruch stünde, wenn nach Beendigung des Gewahrsams der Post an der Sendung dem Postgeheimnis in einem Umfang Schutz gewährt würde, der über den hinaus gehe, der während des [X.] bestanden habe.
Diese Meinung überzeugt nach Ansicht des erkennenden Ermittlungsrichters des [X.]s nicht. Mit der überwiegend in der Literatur und untergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. [X.]/[X.]/[X.], [X.], 59. Aufl., [X.] in: [X.], 26. Aufl., § 99 Rn. 29; [X.] in: [X.]/[X.], § 99 Rn. 42/43; § 99, Rn. 14; [X.], BeckRS 2009, 19797; [X.], BeckRS 2013, 10378) vertretenen Meinung stellt § 99 [X.] vielmehr für die Verpflichtung zur Auskunftserteilung keine taugliche Eingriffsgrundlage dar, wenn sich die Postsendung nicht mehr im Gewahrsam des [X.] befindet.
Die Zulässigkeit der Auskunftserteilung über Umstände, die dem verfassungs- und einfachrechtlich geschützten Postgeheimnis unterliegen, ist gesetzlich nicht explizit geregelt. Im Gesetzgebungsverfahren zu § 39 [X.] wurde diese Problematik gesehen und ausführlich diskutiert. Der Bundesrat hatte insoweit angeregt, mit Blick auf § 39 [X.] ein Auskunftsrecht ausdrücklich gesetzlich zu regeln. Dem war die Bundesregierung mit dem Hinweis entgegengetreten, nach herrschender Meinung sei in der [X.] das geringere Recht enthalten, von einem Postunternehmen Auskunft zu verlangen, so dass weiterer Gesetzgebungsbedarf nicht bestehe (vgl. [X.]. 13/8453, [X.], 12; [X.] in: [X.], 26. Aufl., § 99 Rn. 29). Der Gesetzgeber hat sich damit bewusst dafür entschieden, einen über § 99 [X.] hinausgehenden Auskunftsanspruch nicht zu regeln. Bereits aus diesem Grund verbietet sich eine über den originären Anwendungsbereich des § 99 [X.] hinausgehende analoge Anwendung der Norm auf Auskünfte betreffend Postsendungen, die sich nicht mehr im Gewahrsam des [X.] befinden. Eine analoge eingriffserweiternde Anwendung ist ferner aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zulässig, denn der Schutz des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG erstreckt sich auch die Aspekte, ob, wann und warum zwischen mehreren Beteiligten unter welchen Umständen eine Korrespondenz stattgefunden hat ([X.], Beschluss vom 20. Juni 1984 - 1 BvR 1494/78, [X.]E 67, 154 juris Rn. 45). Diesem Inhalt des verfassungsrechtlich geschützten Rechts entspricht auch der klare Wortlaut des § 39 [X.]. Gesetzliche Regelungen, die zu Eingriffen in das Grundrecht aus Art 10 GG ermächtigen, müssen dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit genügen, d. h. Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden ([X.], Beschluss vom 3. März 2004 - 1 [X.], [X.]E 110, 33, juris Rn. 102). Die analoge Anwendung einer Eingriffsnorm über ihren Wortlaut hinaus würde diese Grundsätze leerlaufen lassen. Eine Berufung auf Nr. 84 Satz 2 [X.] verbietet sich insoweit, denn Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren stellen ihrer Rechtsnatur nach dienstliche Anweisungen nach § 146 [X.] dar. Sie sind keine Eingriffsnormen, auf die ein Grundrechtseingriff gestützt werden könnte (vgl. [X.], BeckRS 2009, 19797; [X.], BeckRS 2013, 10378).
Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Rechtsprechung, diese Lücke zu schließen. Ähnlich gelagert dürfte die Problematik betreffend Postsendungen, die sich noch nicht im Gewahrsam des [X.] befinden, sein.
2. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften zur Beschlagnahme gemäß §§ 94 ff. [X.] verbietet sich aus den unter Ziffer 1 ausgeführten verfassungsrechtlichen Gründen und des [X.] des § 99 [X.] (anders aber [X.], BeckRS 2013, 10378).
Wimmer
Richterin am [X.]
Meta
27.10.2016
Bundesgerichtshof Ermittlungsrichter
Beschluss
Sachgebiet: BGs
§ 94 StPO, § 99 StPO, Art 10 Abs 1 GG, § 39 PostG
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.10.2016, Az. 1 BGs 107/16 (REWIS RS 2016, 3214)
Papierfundstellen: NJW 2017, 680 REWIS RS 2016, 3214
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
1 BGs 107/16 (Bundesgerichtshof)
Strafrechtliches Ermittlungsverfahren: Auskunftspflicht eines Post- oder Telekomunikationsunternehmens hinsichtlich nicht mehr in seinem Gewahrsam befindlicher Postsendungen
Auskunftspflicht von Postunternehmen hinsichtlich bereits zugestellter Postsendungen - Beschwerdebefugnis der Postunternehmen
3 BGs 211/12 (Bundesgerichtshof)
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