Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2016, Az. 1 BGs 107/16

Ermittlungsrichter | REWIS RS 2016, 3195

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:271016B1BGS107.16.0

[X.]
Ermittlungsrichter
1 [X.]/16
2 [X.] 166/16-7
BESCHLUSS
vom
27.
Oktober 2016
In dem Ermittlungsverfahren

gegen

[X.]R:
ja
[X.]St:
nein

[X.] § 99, § 94
Postunternehmen können betreffend sich nicht mehr in deren Gewahrsam be-findlicher Postsendungen weder gemäß § 99 [X.], noch gemäß § 94 [X.] zur Auskunft verpflichtet werden.
[X.], Beschluss vom 27. Oktober 2016 -
1 [X.]/16 -

wegen des Verdachts der Beihilfe zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß §
89a [X.]. §
27
StGB

-
2
-

Der Antrag des [X.] beim [X.], gemäß §§
99, 100 Abs.
1, §
162 Abs.
1 Satz
1, §
169 Abs.
1 Satz
2 [X.] dem Paket-zustelldienst
...
aufzugeben,
für die [X.] ab ...
Auskunft zu erteilen über sämtli-che Lieferungen, die an
... oder
...
gerichtet waren, wird

abgelehnt.

Gründe:
I.
Der [X.] beim [X.] führt gegen den [X.]

ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß §§ 89a, 27 StGB. Dem Verfahren liegt der Tatvorwurf zugrunde, ...

Mit Schreiben vom

hat der [X.] beim Bun-desgerichtshof beantragt, gemäß §§
99, 100
Abs. 1, §
162 Abs.
1 Satz
1, §
169 Abs.
1 Satz 2 [X.] dem Paketzustelldienst ...

aufzugeben, für die [X.] ab ...

Auskunft zu erteilen über sämtliche Lieferungen, die an ...

gerichtet waren. Die Auskunft solle
sich insbesondere auf die Namen und Anschriften der Absender, Hinweise auf den Inhalt der Lieferung(en), den Sendungsverlauf sowie alle Unterlagen, die Aufschluss über die Person(en) geben, die die Lieferung(en) in Empfang genommen hat/haben
beziehen. Die Auskunftserteilung solle ferner
die Her-ausgabe von Unterlagen, insbesondere unterschriebenen Quittungen -
auch in elektronischer Form -, die eine Identifizierung des tatsächlichen Empfängers ermöglichen, umfassen.
1
2
-
3
-

II.
Der Antrag des [X.] beim [X.] war [X.],
da die Strafprozessordnung für die Anordnung der begehrten Aus-kunftserteilung keine Eingriffsnorm vorsieht.
1. Im Hinblick auf das Postgeheimnis aus Art.
10
Abs. 1
GG, §
39 [X.] kommt als einzig denkbare Rechtsgrundlage § 99 [X.] in Betracht. Nach die-ser Vorschrift ist die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerichteten Postsendungen und Telegramme, die sich im Gewahrsam des [X.] befinden, zulässig. Zwar enthält die Vorschrift des §
99 [X.] nach [X.] Ansicht in der Rechtsprechung und Literatur
als weniger einschneiden-de Maßnahme zur Beschlagnahme einen Auskunftsanspruch gegen das Post-unternehmen ([X.] (Ermittlungsrichter), Beschluss vom 11. Juli 2012 -
3 [X.] 211/12; [X.], BeckRS 2009, 19797; [X.], BeckRS 2013, 10378; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 59. Aufl., §
99, Rn.
14; [X.] in; KK-[X.], 7.
Aufl., §
99 Rn. 11; [X.] in: [X.], 26.
Aufl., §
99 Rn. 29; [X.] in: [X.]/[X.], § 99 Rn. 42/43; [X.] [X.]/[X.], Stand: 1.
Juli 2016, §
99 Rn.
16). Liegen die Voraussetzungen der [X.] vor, so kann -
unter den Voraussetzungen des §
100 [X.] -
statt dieser Auskunft über Sendungen verlangt werden, die an den Beschuldigten gerichtet sind oder bei denen Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sie von ihm her-rühren oder für ihn bestimmt sind.

Das Auskunftsverlangen ist jedoch nur dann von §
99 [X.] gedeckt, wenn zum [X.]punkt des [X.] die Voraussetzungen des §
99 [X.] erfüllt sind, sich mithin die Postsendung noch im Gewahrsam des [X.] befindet. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Zwar wird in dem Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 11.
Juli 2012 -
3 [X.] 211/12
-
und teilweise in der Literatur 3
4
5
6
-
4
-

([X.] in; KK-[X.], 7. Aufl., §
99 Rn. 11; [X.] [X.]/[X.], Stand: 1.
Juli 2016, §
99 Rn.
16) vertreten, dass in entsprechender Anwendung
§
99 [X.] auch auf solche Postsendungen bezogen werden kann, die sich nicht mehr im Gewahrsam der Stelle befinden. Begründet wird dies zum einen mit einem Verweis auf Nr.
84 der Richtlinien für das Straf-
und Bußgeldverfahren ([X.]). Nach Satz 2 dieser Vorschrift soll die Auskunft auch über solche Postsendungen erteilt werden, die sich bei Eingang des Ersuchens nicht mehr im Machtbereich des [X.] befinden. Ferner wird argumentiert, dass
es mit den Grundgedanken des §
99 [X.] in Widerspruch stünde, wenn nach Beendigung des Gewahrsams der Post an der Sendung dem [X.] in einem Umfang Schutz gewährt würde, der über den hinaus gehe, der während des [X.] bestanden habe.
Diese Meinung
überzeugt nach Ansicht des erkennenden Ermittlungs-richters des [X.]s nicht. Mit der überwiegend in der Literatur und untergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. [X.]/[X.]/[X.], [X.], 59.
Aufl., [X.] in:
[X.], 26. Aufl., §
99 Rn.
29; [X.] in: [X.]/[X.], §
99 Rn. 42/43;
§
99, Rn.
14; [X.], BeckRS 2009, 19797; [X.], BeckRS 2013, 10378) vertretenen Meinung
stellt §
99 [X.] vielmehr
für die Verpflichtung zur Auskunftserteilung
keine taugliche Eingriffsgrundlage dar, wenn sich die Postsendung nicht mehr im Gewahrsam des [X.] befindet.
Die Zulässigkeit der Auskunftserteilung über Umstände, die dem verfas-sungs-
und einfachrechtlich geschützten Postgeheimnis unterliegen, ist gesetz-lich nicht explizit geregelt.
Im Gesetzgebungsverfahren zu §
39 [X.] wurde diese Problematik gesehen und ausführlich diskutiert. Der Bundesrat hatte [X.] angeregt, mit Blick auf §
39 [X.] ein Auskunftsrecht ausdrücklich ge-setzlich zu regeln. Dem war die Bundesregierung mit dem Hinweis entgegenge-treten, nach herrschender Meinung sei in der [X.] das ge-7
8
-
5
-

ringere Recht enthalten, von einem Postunternehmen Auskunft zu verlangen, so dass weiterer Gesetzgebungsbedarf nicht bestehe (vgl. [X.]. 13/8453, S.
4, 12; [X.] in: [X.], 26.
Aufl., §
99 Rn.
29). Der Gesetzgeber hat sich damit bewusst dafür entschieden, einen über §
99 [X.] hinausgehenden Auskunfts-anspruch nicht zu regeln. Bereits aus diesem Grund verbietet sich eine über den originären Anwendungsbereich des §
99 [X.] hinausgehende analoge Anwendung der Norm
auf
Auskünfte
betreffend Postsendungen, die sich nicht mehr im Gewahrsam des [X.] befinden. Eine analoge eingriffs-erweiternde Anwendung ist ferner
aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zulässig, denn der Schutz des Grundrechts aus Art.
10 Abs. 1 GG erstreckt sich auch die Aspekte, ob, wann und warum zwischen mehreren Beteiligten unter welchen Umständen eine Korrespondenz stattgefunden hat ([X.], Beschluss vom
20.
Juni 1984 -
1 BvR 1494/78, [X.]E 67, 154 juris Rn. 45).
Diesem Inhalt des verfassungsrechtlich geschützten Rechts entspricht auch der klare Wortlaut des §
39 [X.]. Gesetzliche Regelungen, die zu Eingriffen in das Grundrecht aus Art
10 GG ermächtigen, müssen dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit genügen, d. h. Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden ([X.], Beschluss vom 3.
März 2004
-
1 BvF 3/92, [X.]E 110, 33, juris Rn.
102). Die analoge Anwendung einer Eingriffsnorm über ihren Wortlaut hinaus würde diese Grundsätze leerlaufen lassen. Eine Berufung auf Nr.
84 Satz
2 [X.] verbietet sich insoweit, denn Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren stellen ihrer Rechtsnatur nach dienstliche Anweisungen nach §
146 [X.] dar. Sie sind [X.], auf die ein Grundrechtseingriff gestützt werden könnte (vgl. [X.], BeckRS 2009, 19797; [X.], BeckRS 2013, 10378).
Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Rechtsprechung, diese [X.] zu schließen. Ähnlich gelagert dürfte die Problematik betreffend [X.]
-
6
-

dungen, die sich noch nicht im Gewahrsam des [X.] befinden, sein.
2. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften zur Beschlagnahme gemäß §§
94 ff. [X.] verbietet sich aus den unter Ziffer 1 ausgeführten verfas-sungsrechtlichen Gründen und des [X.] des §
99 [X.] (anders aber LG
Landshut, BeckRS 2013, 10378).

Wimmer
Richterin
am [X.]
10

Meta

1 BGs 107/16

27.10.2016

Bundesgerichtshof Ermittlungsrichter

Sachgebiet: BGs

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2016, Az. 1 BGs 107/16 (REWIS RS 2016, 3195)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3195

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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