Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2022, Az. XII ZB 158/21

12. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 8520

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Gegenstand

Erweiterung einer Betreuung und Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts: Feststellung zum Fehlen eines freien Willens


Leitsatz

Zur Feststellung des Fehlens eines freien Willens des Betroffenen bei Erweiterung einer bestehenden Betreuung.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 5. März 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das [X.] ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des [X.] (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

1

Das Verfahren betrifft die Erweiterung einer Betreuung und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts.

2

Die Betroffene leidet an kognitiven Störungen sowie an einer schweren körperlichen Behinderung als Zustand nach [X.] und Schlaganfall. Für sie ist eine rechtliche Betreuung eingerichtet worden.

3

Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 5. September 2020 die bestehende Betreuung um die Aufgabenbereiche „Geltendmachung von Rechten gegenüber einem Bevollmächtigten einschließlich des Widerrufs erteilter Vollmachten“ und „Aufenthaltsbestimmung“ erweitert. Außerdem hat es im Umfang der Betreuung einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet, hinsichtlich der Vermögenssorge beschränkt auf Geschäfte, die einen Wert von über 75 € übersteigen.

4

Das [X.] hat die Beschwerde der Betroffenen, die sich auch auf die Auswahl des bestellten ([X.] gerichtet hat, zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].

6

1. Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass das [X.] keine hinreichenden Feststellungen zum Fehlen eines freien Willens im Sinne von § 1896 Abs. 1a [X.] getroffen hat.

7

a) Nach § 1896 Abs. 1a [X.] darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist. Dabei ist der Begriff der freien Willensbestimmung im Sinne des § 1896 Abs. 1a [X.] und des § 104 Nr. 2 [X.] im [X.] deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. Fehlt es an einem dieser beiden Elemente, liegt kein freier, sondern nur ein natürlicher Wille vor. Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 [X.] leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern. Abzustellen ist jeweils auf das Krankheitsbild des Betroffenen. Wichtig ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 [X.]) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können, was denknotwendig voraussetzt, dass er seine Defizite im Wesentlichen zutreffend einschätzen und auf der Grundlage dieser Einschätzung die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abwägen kann. Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss es ihm weiter möglich sein, nach diesem Urteil zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen. Die Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung müssen durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (Senatsbeschlüsse vom 31. Oktober 2018 - [X.] 552/17 - FamRZ 2019, 239 Rn. 6 und vom 16. März 2016 - [X.] 455/15 - FamRZ 2016, 970 Rn. 6 f. mwN).

8

Diese Grundsätze gelten ebenfalls im Verfahren auf Erweiterung der Betreuung und Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2018 - [X.] 552/17 - FamRZ 2019, 239 Rn. 6 zur Verlängerung der Betreuung) und finden auch auf die Bestellung eines Kontrollbetreuers Anwendung (Senatsbeschluss vom 5. Juni 2019 - [X.] 58/19 - FamRZ 2019, 1355 Rn. 15 mwN).

9

b) Das Beschwerdegericht hat das von ihm angenommene Fehlen eines freien Willens auf das - vom Amtsgericht im Abhilfeverfahren eingeholte - Gutachten des Sachverständigen [X.] gestützt. Nach diesem könne die Betroffene ihren Willen „teilweise nicht frei bestimmen bzw. nach dieser Einsicht handeln“. Dies betreffe insbesondere inhaltlich komplexe Themen, da sie insoweit nicht in der Lage sei, Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen und ihre Tragweite zu überblicken. Diesbezüglich sei sie nicht geschäftsfähig. Der vom Amtsgericht zunächst beauftragte Sachverständige [X.] komme ebenso zu dem Ergebnis, dass die Fähigkeit der Betroffenen, den eigenen Willen frei zu bestimmen, nur noch eingeschränkt bestehe, wobei konkretisierend ausgeführt werde, dass diese Fähigkeit ganz offensichtlich gerade in der Beziehung zu ihrer dominanten Freundin stark eingeschränkt bis aufgehoben sei. In allen in Betracht kommenden Aufgabenkreisen sei insoweit die Fähigkeit, Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen, ihre Tragweite zu überblicken und anschließend einsichtsvoll zu handeln, aufgehoben, da die Betroffene der Dominanz der Jugendfreundin keine eigenen Entscheidungen entgegensetzen könne.

Damit mangelt es im vorliegenden Fall an einer eindeutigen Feststellung. Dass die Willensbildung der Betroffenen nur noch eingeschränkt besteht, begründet noch keinen Ausschluss der freien Willensbildung oder -betätigung (vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2016 - [X.] 455/15 - FamRZ 2016, 970 Rn. 8). Ein Ausschluss der freien Willensbildung ergibt sich aus den beiden in Bezug genommenen Sachverständigengutachten noch nicht. Auch hinsichtlich der Fähigkeit zur Willensbetätigung, die in Bezug auf die als dominant beschriebene Freundin der Betroffenen fraglich ist, ist das Gutachten des Sachverständigen [X.] lediglich zu der Aussage gelangt, dass die Fähigkeit „stark eingeschränkt bis aufgehoben sei“. Weil danach nicht ausgeschlossen ist, dass die Fähigkeit der Betroffenen nur stark eingeschränkt ist, reicht dies für die notwendige Feststellung eines Ausschlusses des freien Willens iSv § 1896 Abs. 1a [X.] noch nicht aus.

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die [X.] nicht, wie vom Beschwerdegericht angenommen, nach § 1908 b [X.], sondern nach § 1897 [X.] zu beurteilen ist. Das Beschwerdegericht wird die Betroffene anzuhören (vgl. auch Senatsbeschluss vom 22. September 2021 - [X.] 93/21 - FamRZ 2022, 135 Rn. 14 f.) sowie die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen [X.] zu berücksichtigen haben.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

[X.]     

      

[X.]     

      

Günter

      

Botur     

      

Krüger     

      

Meta

XII ZB 158/21

07.12.2022

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Bamberg, 5. März 2021, Az: 42 T 14/21

§ 1896 Abs 1 Buchst a BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2022, Az. XII ZB 158/21 (REWIS RS 2022, 8520)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8520

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