Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.10.2011, Az. 4 StR 396/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2148

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 396/11

vom
20. Oktober
2011
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

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Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 20. Oktober 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. April 2011 wird

a)
der Schuldspruch dieses Urteils in den Fällen II.
1. bis II.
3.
der Urteilsgründe dahin abgeändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen in drei Fällen schuldig ist,

b)
das Urteil in den Aussprüchen über die in den Fäl-len II.
1. bis II.
3.
der Urteilsgründe verhängten [X.] aufgehoben,

c)
das Urteil im Fall II.
4. der Urteilsgründe mit den Feststellungen sowie

d)
im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Fest-stellungen aufgehoben.

2.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird ver-worfen.
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3.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache
zu neuer Ver-handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen.

Gründe:

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fäl-len und wegen sexueller Nötigung in
zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexu-ellem Missbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.

I.

1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getrof-fen:

Der Angeklagte arbeitete nach Abschluss seiner Ausbildung zum Kran-kenpfleger in diesem Beruf von 2004 bis 2008 im

[X.] [X.].

. Im Mai 2007 war er während seiner Dienstzeit alleine insbe-sondere für die Körperpflege der in dem Krankenhaus unter anderem wegen eines metabolischen Syndroms stationär aufgenommenen, damals 76 Jahre alten [X.] G.

zuständig, die nach zwei früheren Schlaganfällen links-seitig komplett gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen war.

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[X.]wischen dem 9. und 25. Mai 2007 nahm der Angeklagte "aufgrund ei-nes gesteigerten sexuellen Verlangens"
([X.]) folgende Handlungen vor:

(1.) Er schob seine Hand unter die Windelhose von [X.] G.

und drang mit einem Finger in deren Scheide ein; nachdem sie über Schmerzen klagte und den Angeklagten zum Aufhören aufforderte, [X.] er seinen Finger
ein und versuchte erneut, in die Scheide der Patientin einzudringen (Fall II.
1. der Urteilsgründe).

(2.) Während des Duschens der Patientin "manipulierte" der Angeklagte an seinem Glied, spritzte das Ejakulat auf sie und duschte sie anschließend weiter ab (Fall II.
2. der Urteilsgründe).

(3.) An einem anderen Tag "manipulierte" der Angeklagte während des Duschens der Patientin erneut an seinem Glied, führte kurz vor dem Samener-guss sein Glied in den Mund der Patientin ein und ejakulierte in deren Mund (Fall II.
3. der Urteilsgründe).

(4.) Ferner zog der Angeklagte [X.] G.

beim Wechseln der Windeln an die [X.], um mit ihr den Geschlechtsverkehr auszuführen. "Aufgrund des Übergewichts der Nebenklägerin sowie den vor-handenen Gitterstäben am Bettrand ließ er jedoch noch vor dem Eindringen von [X.] ab" ([X.]; Fall II.
4. der Urteilsgründe).

Bereits vor diesen Handlungen hatte der Angeklagte gegenüber Anne-marie G.

geäußert, dass man ihr aufgrund ihres Alters sowie nach zwei Schlaganfällen ohnehin nichts glauben werde. Des Weiteren hatte er sie darauf hingewiesen, dass niemand anwesend sei, von dem sie Hilfe erwarten könne. 4
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Aufgrund dieser Aussage erduldete die Nebenklägerin die sexuellen Handlun-gen des Angeklagten ([X.]), ohne zu sagen, dass sie die sexuellen [X.] nicht wolle ([X.]) und ohne sich aktiv zu wehren ([X.] f.).

2. Das [X.] hat in allen Fällen angenommen, dass sich [X.] G.

bei Vornahme der Handlungen des Angeklagten in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befand; eine Gewaltanwendung oder Drohung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB hat es in keinem Fall bejaht.

II.

1. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg, soweit er in den Fällen II.
1. bis II.
3. der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kran-ken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen gemäß § 174a Abs. 2 StGB verurteilt wurde (§ 349 Abs. 2 StPO). Keinen Bestand hat dagegen in diesen Fällen die Verurteilung wegen
tateinheitlich begangener sexueller Nötigung bzw. Verge-waltigung. Dies führt zu einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen.

a) Nach der -
auch vom 1. Strafsenat im Beschluss vom 12. Januar 2011 (1 [X.], NSt[X.] 2011, 455 f.) nicht in Frage gestellten -
neueren Recht-sprechung des [X.] erfordert die Verwirklichung des Tatbestan-des des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB unter anderem, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des [X.] schutzlos ausgeliefert ist; diese Schutzlosigkeit muss eine [X.]wangswirkung auf das Opfer dahin entfalten, dass es aus Angst vor einer Gewalteinwirkung des [X.], also Körperverletzungs-
oder gar [X.], einen -
ihm 10
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grundsätzlich möglichen -
Widerstand unterlässt und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornimmt oder duldet (vgl. etwa [X.], Urteile vom 27. März 2003 -
3 [X.], NSt[X.] 2003, 533, 534; vom 25. Januar 2006
-
2 StR 345/05, [X.]St 50, 359, 366; Beschlüsse vom 4. April 2007 -
4 [X.], [X.]St 51, 280, 284; vom 11. Juni 2008 -
5 [X.], NSt[X.] 2009, 263;
vom 10. Mai 2011 -
3 [X.], NSt[X.]-RR 2011, 311, 312, jeweils mwN; anders noch [X.], Urteil vom 20. Oktober 1999 -
2 StR 248/99, [X.]St 45, 253, 255 ff.).

b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung kann die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.
1. bis II.
3. der Urteilsgründe wegen sexueller Nö-tigung bzw. Vergewaltigung keinen Bestand haben. Denn das [X.] hat nicht festgestellt, dass [X.] G.

die sexuellen Handlungen des [X.] vor Körperverletzungs-
oder gar [X.] hinge-nommen hat, sondern dass sie diese wegen der Äußerungen des Angeklagten erduldete, man werde ihr ohnehin nicht glauben und es sei niemand anwesend, von dem sie Hilfe erwarten könne.

Auch die von der [X.] als "Hintergrund" mitgeteilte Angst von [X.] G.

davor, dass der Angeklagte ihr falsche -
schädliche -
Medika-mente verabreichen würde, falls sie andere von den Handlungen des Angeklag-ten unterrichten würde ([X.]), vermag die Verurteilung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu tragen. Denn diese -
möglicherweise ihr Verhalten nach den sexuellen Handlungen des Angeklagten beeinflussende -
Angst beruhte allein auf einem "rein subjektiven Gefühl" der
Patientin, war aber nicht durch eine ent-sprechende Äußerung des Angeklagten oder ähnliches veranlasst ([X.]).

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c) Der Senat schließt aufgrund der ersichtlich vollständigen Beweisauf-nahme und der sorgfältigen Beweiswürdigung durch die [X.] aus, dass bezüglich der Fälle [X.] bis II.3. der Urteilsgründe in einer neuen Verhandlung Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung nach § 177 StGB rechtfertigen können. Er lässt diese daher entfallen.

Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung der Aussprüche über die in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen zur Folge. Denn diese hat das [X.] dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB ent-nommen. Einer Aufhebung der insoweit von der [X.] getroffenen Fest-stellungen bedarf es dagegen nicht, da diese von dem [X.] nicht berührt werden. Ergänzende -
zu den getroffenen nicht in Widerspruch stehen-de -
Feststellungen sind jedoch möglich.

2. Im Fall II.
4. der Urteilsgründe hat der Schuldspruch insgesamt keinen Bestand.

In diesem Fall begegnet die Verurteilung wegen (vollendeter) sexueller Nötigung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB zwar ebenfalls den oben dargelegten Bedenken; die vom [X.] getroffenen Feststellungen (Heranziehen der Patientin an den Bettrand) sind aber geeignet, eine Gewaltanwendung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu belegen. Jedoch lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, dass es in diesem Fall schon zu einer sexuellen Handlung des Angeklagten gekommen ist, dass also diese Tat -
wie vom [X.] ab-geurteilt -
über das Versuchsstadium hinausgelangt ist. Das steht auch einer Verurteilung wegen vollendetem sexuellen Missbrauch von Kranken und [X.] in Einrichtungen gemäß § 174a Abs. 2 StGB entgegen.

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3. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.
1. bis II.
3. der Ur-teilsgründe und des Schuldspruchs im Fall II.
4. führt zur Aufhebung der gegen den Angeklagten verhängten Gesamtstrafe.

[X.] Roggenbuck Cierniak

Mutzbauer Bender

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Meta

4 StR 396/11

20.10.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.10.2011, Az. 4 StR 396/11 (REWIS RS 2011, 2148)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2148

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 396/11

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3 StR 78/11

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