Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2006, Az. 2 StR 445/05

2. Strafsenat | REWIS RS 2006, 3848

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 [X.] vom 26. April 2006 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u. a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 26. April 2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.] Dr. [X.], die Richterin am [X.] Dr. [X.], [X.] am [X.] Prof. Dr. Fischer, die Richterin am [X.] Roggenbuck, [X.] am [X.] Dr. Appl, Staatsanwalt beim [X.] als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das [X.]eil des [X.] vom 18. April 2005 im Schuldspruch dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen sexueller Nötigung in den [X.] der [X.]eilsgründe und we-gen Vergewaltigung im [X.] der [X.]eilsgründe entfällt. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in drei Fällen und wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Seine auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge ge-stützte Revision hat nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Um-fang Erfolg. 1 - 4 - 1. Die - jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des § 244 Abs. 2 StPO - zu-lässige Verfahrensrüge, die sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf [X.] eines psychologischen Gutachtens über die Glaubwürdigkeit der Neben-klägerin wendet, ist unbegründet. Dem [X.] musste sich eine solche Begutachtung der als Zeugin vernommenen, zum Zeitpunkt der Hauptverhand-lung 20 Jahre alten Nebenklägerin nicht aufdrängen; sie lag nicht einmal nahe. 2 Die Würdigung von Zeugenaussagen und die Beurteilung ihrer Glaubhaf-tigkeit ist Aufgabe des Gerichts. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsycholo-gischer Glaubwürdigkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von [X.] auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie beteiligten [X.] diese Sachkunde jeweils vermitteln können. Ausnahmen können sich ergeben, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Erinne-rungsfähigkeit einer Beweisperson aus besonderen, psychodiagnostisch er-fassbaren Gründen eingeschränkt ist oder dass besondere psychische Disposi-tionen oder Belastungen - die auch im verfahrensgegenständlichen Geschehen selbst ihre Ursache haben können - die Zuverlässigkeit der Aussage in Frage stellen könnten, und dass für die Feststellung solcher Faktoren und ihrer mögli-chen Einflüsse auf den Aussageinhalt eine besondere, wissenschaftlich [X.] Sachkunde erforderlich ist, über welche der Tatrichter im konkreten Fall nicht verfügt (vgl. [X.], 105). Ob ein solcher Fall vorliegt, unterliegt der richterlichen Beurteilung im Rahmen der Aufklärungspflicht. Besonderheiten im genannten Sinn sind nicht schon allein deshalb anzunehmen, weil Gegen- stand der Aussage eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist oder weil eine Beweisperson zur Zeit des geschilderten Vorfalls in kindlichem oder jugendlichem Alter war oder dies zum Zeitpunkt ihrer Aussage ist. Die mit [X.] befassten Spruchkörper verfügen regelmäßig über [X.] - 5 - re Sachkunde auch zur Beurteilung der Aussagen kindlicher Zeugen (vgl. [X.], [X.]. vom 11. August 1998 - 1 StR 338/98, insoweit in NStZ 1999, 297 nicht ab-gedruckt; [X.], [X.]. vom 27. Januar 2005 - 3 [X.], [X.], 394 m.w.N.). Vorliegend zeigt die Revision Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall nicht auf; solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Soweit die Revision einzelne [X.] oder Widersprüche in der vom [X.] wiedergegebenen Aussa-ge der Nebenklägerin hervorhebt, gehen die sich hieraus ergebenden [X.] an die Beweiswürdigung ersichtlich nicht über das Maß hinaus, welches vom Tatrichter regelmäßig verlangt wird. Auch aus den von der Revision ange-sprochenen konstellativen Faktoren ergibt sich nicht, warum die Sachkunde der [X.] hier nicht hätte ausreichen sollen. Das [X.] hat den Antrag daher zu Recht mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde zurück-gewiesen. 4 2. Die Sachrüge ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen die Verurteilung in den Fällen II.1 und II.2 wendet. Dagegen hat der Schuldspruch in den Fällen II.3 bis [X.] der [X.]eilsgründe teilweise keinen Bestand. 5 a) Nach den Feststellungen des [X.]s lernte der Angeklagte im Jahr 1995 die Mutter der 1984 geborenen Nebenklägerin kennen und heiratete sie Ende 1995. Die Familie lebte in einem gemieteten Reihenhaus. Der Ange-klagte bemühte sich, den drei Kindern seiner Ehefrau ein guter Vater zu sein; das Familienleben war im Wesentlichen harmonisch. Zu Tätlichkeiten des [X.] gegen Familienmitglieder kam es nicht. 6 - 6 - In den [X.] half im [X.] 1997 die damals 12 Jahre alte Geschädigte dem Angeklagten bei Putzarbeiten, die er im Rahmen einer Ne-bentätigkeit in den Abendstunden in einer Arztpraxis ausführte. In beiden Fällen waren die Geschädigte und der Angeklagte allein in der Praxis. Im Fall [X.] der Angeklagte in einem Behandlungszimmer der Praxis seine Hose. Nachdem die Geschädigte sich auf seine Aufforderung gebückt hatte, führte er ihren Kopf an seinen erigierten Penis, um den Oralverkehr durchzuführen. Die [X.] der Geschädigten berührten dabei kurz den Penis des Angeklagten. Sie drehte sich sodann aber weg und erklärte, dass sie dies nicht wolle. Der Ange-klagte ließ daraufhin von ihr ab. 7 [X.] forderte der Angeklagte die Geschädigte, mit der er an einem anderen Abend wieder allein in der Arztpraxis war, in einem Behandlungszim-mer auf, sich auf eine Liege zu legen. Er öffnete seine Hose sowie die Kleidung der Geschädigten, berührte diese an Brust und Scheide, führte ihre Hand an sein erigiertes Glied und bewegte sie bis zum Samenerguss. Bei dem Vorfall fühlte sich die Geschädigte "hilflos und den Forderungen des Angeklagten aus-geliefert" ([X.]). 8 [X.] befanden sich der Angeklagte und die inzwischen 13 Jahre alte Nebenklägerin vor dem 24. Dezember 1997 im Schlafzimmer der Famili-enwohnung; die Mutter der Geschädigten war nicht zu Hause. Der Angeklagte entkleidete sich selbst und forderte auch die Nebenklägerin auf, sich zu entklei-den. Nachdem sie sich auf seine Aufforderung auf das Bett gekniet hatte, drang er von hinten mit seinem erigierten Penis in ihre Scheide ein. Als die [X.] ihm erklärte, dass ihr dies Schmerzen verursache, hörte er auf. Die Ne-benklägerin fühlte sich "erneut verletzt, durch die Stellung bei der [X.] erniedrigt und dem Angeklagten hilflos ausgeliefert" ([X.]). 9 - 7 - b) Diese rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen ohne weiteres die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 (Fälle [X.]), Abs. 3 Nr. 1 ([X.]) StGB i. d. F. vom 10. März 1987. Die vom [X.] als tateinheitlich erfüllt angesehenen Voraussetzun-gen der sexuellen Nötigung in den [X.] sowie der Vergewaltigung im [X.] sind dagegen nicht gegeben. 10 Das [X.] hat angenommen, der Angeklagte habe in diesen Fällen jeweils die Nötigungsvariante "unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des [X.] schutzlos ausgeliefert ist" (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), verwirklicht. Hierbei hat es sich ersichtlich an der in der [X.]sentscheidung vom 28. Januar 2004 (NStZ 2004, 440) dargelegten Auslegung orientiert, [X.] es bei Vorliegen einer objektiv schutzlosen Lage auf die Erkenntnis dieser Lage durch das Tatopfer nicht ankomme. Diese Rechtsprechung, der andere Strafsenate des [X.] entgegen getreten sind (vgl. [X.] [X.], 267; 2006, 165; [X.] StV 2005, 269; 2006, 14) hat der [X.] nach Erlass des angefochtenen [X.]eils aufgegeben ([X.]surt. vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05, [X.], 1146, zur [X.] in [X.]St vorgesehen; [X.]. vom 8. März 2006 - 2 StR 600/05). Danach setzt der objektive Tatbestand der sexu-ellen Nötigung unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage voraus, dass das [X.] erkennt, dass es möglichen Gewalteinwirkungen des [X.] schutzlos ausgeliefert wäre, und dass es gerade im Hinblick hierauf, also aus Furcht vor gewaltsamen Nötigungshandlungen des [X.], auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet und sich den Forderungen des [X.] fügt. Diese Voraussetzungen muss der Täter seinerseits erkennen oder zumindest billigend in Kauf nehmen. Nicht ausreichend ist, dass die betroffene Person ei-nem sexuellen Ansinnen aus Furcht vor Nachteilen nachkommt, die mit der 11 - 8 - konkreten Lage der Schutzlosigkeit in keinem Zusammenhang stehen; ebenso nicht sexuelle Handlungen, die nur "gelegentlich" einer objektiv schutzlosen, von der betroffenen Person aber gar nicht als solche erkannten Lage vorge-nommen werden. Vorliegend sind in den genannten Fällen die Voraussetzungen einer Nö-tigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht gegeben. Nach den [X.]eilsfeststel-lungen verzichtete die Geschädigte nicht aus Furcht vor möglichen Gewalttätig-keiten des Angeklagten auf Widerstand. Im Gegenteil widersetzte sie sich in den Fällen II.3 und [X.] gerade erfolgreich den weitergehenden Wünschen des Angeklagten, der daraufhin auf deren Durchsetzung verzichtete. Anhaltspunkte dafür, die Geschädigte habe sich jeweils unter dem Eindruck eines allgemein bedrohlichen Verhaltens oder infolge früherer Gewalttätigkeiten des Angeklag-ten dessen Forderungen gefügt, sind nicht ersichtlich. Vielmehr hat das [X.] ausdrücklich festgestellt, der Angeklagte habe sich bemüht, ein guter Vater zu sein; er sei, anders als frühere Partner seiner Ehefrau, nie gegen diese oder gegen die Kinder tätlich geworden ([X.], 39). Auch die Nötigungshand-lung im Fall II.2 der [X.]eilsgründe, in dem der Angeklagte die Geschädigte ge-gen deren Willen an den Armen festhielt und sich auf sie legte, konnte eine sol-che Befürchtung nicht begründen. 12 Auch die Geschädigte selbst hat keine von ihr subjektiv empfundene Be-drohung geschildert ([X.], 48). Soweit festgestellt ist, sie habe sich dem Angeklagten "ausgeliefert gefühlt", bezieht sich das nach dem Zusammenhang der [X.]eilsgründe ersichtlich auf Gefühle emotionaler kindlicher Abhängigkeit und Ausweglosigkeit. Die Geschädigte befürchtete, auch auf Grund entspre-chender Hinweise des Angeklagten, ihre Mutter werde ihr nicht glauben ([X.]). Sie hatte Angst vor der möglichen Reaktion ihrer Mutter ([X.]), [X.] - 9 - te "die Ehe ihrer Mutter nicht zerstören und sie nicht unglücklich machen" ([X.], 16) und "ihr Glück nicht gefährden" ([X.]). Damit lag hier eine krimi-nologisch und psychologisch typische Tatsituation des sexuellen Missbrauchs, nicht aber eine Nötigungshandlung im Sinne von § 177 Abs. 1 StGB vor. Der [X.] kann ausschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende, eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewalti-gung tragende Feststellungen getroffen werden könnten. Er hat daher den Schuldspruch entsprechend geändert. 14 3. Die Berichtigung des Schuldspruchs führt nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Das [X.] hat im Fall II.3 eine Einzelstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, im Fall II.4 eine Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und im [X.] eine Einzelstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verhängt; dabei hat es jeweils den Strafrahmen des § 177 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB zu Grunde gelegt. Dieser entfällt infolge der Schuldspruchänderung. Bei der Strafzumessung konnten aber die konkreten Umstände der Tatbegehung auch im Rahmen der Zumessung für die Taten nach § 176 Abs. 1 und 3 aF StGB berücksichtigt werden. Daher hält der [X.] die verhängten Strafen, die das [X.] jeweils im unteren Bereich des Strafrahmens festgesetzt hat, für in jeder Hinsicht angemessen (§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO). 15 - 10 - 4. Der im Ergebnis nur geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt eine Kostenteilung gemäß § 473 Abs. 4 StPO nicht. 16 [X.] Fischer Roggenbuck Appl

Meta

2 StR 445/05

26.04.2006

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.04.2006, Az. 2 StR 445/05 (REWIS RS 2006, 3848)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 3848

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