Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2016, Az. 1 StR 219/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 10094

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafurteil wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Absehen von der Maßregelanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen angeblich fehlendem Hang zu Betäubungsmittelkonsum


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Januar 2016 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Strafausspruch,

b) soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

2

Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift der [X.] vom 11. Mai 2016 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

3

Die [X.] der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies führt auch zur Aufhebung des Strafausspruchs.

4

1. Nach den Feststellungen des [X.]s ([X.]) konsumierte der Angeklagte erstmals mit 15 Jahren Cannabis. Während dieser [X.] anfänglich nur gelegentlich erfolgte, erhöhte er sich bis Februar 2015 auf zwei Gramm täglich und steigerte sich in der Folge bis zur Inhaftierung des Angeklagten sogar auf ungefähr das Doppelte der bisherigen Tagesdosis. Das [X.] geht deshalb auch davon aus, dass dreihundert Gramm des an den Angeklagten gelieferten Marihuanas aus der verfahrensgegenständlichen Tat seinem Eigenkonsum dienen sollten und stellt dazu fest ([X.]): "Der Angeklagte beging die Tat auch, um seinen eigenen Marihuanakonsum zu fördern."

5

Ohne weitergehende Anknüpfungstatsachen und Ausführungen der gerichtlich beauftragten Sachverständigen mitzuteilen, geht das [X.] ([X.]) im Rahmen der Ausführungen zum [X.] im Folgenden aber davon aus, dass bei dem Angeklagten weder eine körperliche noch ein psychische Abhängigkeit von Cannabinoiden gegeben sei, so dass es bereits an einem Hang fehle, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Zur weiteren Begründung verweist das [X.] hier vor allem noch darauf, dass der Angeklagte seinen [X.] kontrollieren könne, indem er vor wichtigen Terminen vom [X.] von Cannabinoiden abgesehen bzw. diesen reduziert habe.

6

2. Diese Ausführungen lassen – wie der [X.] zutreffend ausgeführt hat – besorgen, dass das [X.] rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist, und enthalten keine umfassende und widerspruchsfreie Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung über die Maßregel.

7

a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von [X.] im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15; Urteile vom 10. November 2004 – 2 [X.], [X.], 210 und vom 15. Mai 2014 – 3 [X.], [X.], 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den [X.] bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, [X.], 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 [X.], [X.], 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem [X.] einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus ([X.], Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, [X.], 198 und vom 2. April 2015 – 3 [X.]). Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen [X.] zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen ([X.], Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 [X.], [X.], 271 und Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 3 [X.], [X.], 204).

8

b) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des [X.]s nicht, weil es weder die lange [X.]dauer noch die konsumierte Menge im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung in den Blick nimmt.

9

Hinzu kommt, dass auch die Schlussfolgerungen des [X.]s, die sich überwiegend auf die Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen stützen, auf der Grundlage der Darstellungen im Urteil nicht uneingeschränkt nachvollziehbar sind. In Ermangelung einer nachvollziehbaren Darstellung der den sachverständigen Wertungen zu Grunde liegenden Anknüpfungstatsachen bleibt weitgehend unklar, wie die Sachverständige zu den von ihr gezogenen Schlüssen gelangt ist. Dies gilt vor allem für die Wertung, bei dem Angeklagten sei zwar ein Verlangen, nicht aber eine Art Zwang oder starker Wunsch nach Cannabis auszumachen. Zudem bleibt unklar, warum das Gericht hinsichtlich der Frage, ob bei dem Angeklagten ein schädlicher Gebrauch von Cannabis vorhanden ist, von den insoweit verneinenden Ausführungen der Sachverständigen ohne weitere Begründung abgewichen ist (siehe einerseits [X.], andererseits [X.]).

3. Die rechtsfehlerhaften Ausführungen zur Rauschmittelabhängigkeit berühren auch den Strafausspruch. Der [X.] kann im vorliegenden Einzelfall nicht ausschließen, dass das [X.] bei Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte und hebt deshalb den Strafausspruch ebenfalls auf.

4. Die zugehörigen Feststellungen werden mit aufgehoben, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

Raum                        Graf                        Jäger

             Mosbacher                   Bär

Meta

1 StR 219/16

14.06.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Würzburg, 14. Januar 2016, Az: 8 KLs 862 Js 11342/15

§ 64 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2016, Az. 1 StR 219/16 (REWIS RS 2016, 10094)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 10094

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 219/16 (Bundesgerichtshof)


1 StR 415/17 (Bundesgerichtshof)

Betäubungsmitteldelikt: Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


2 StR 174/13 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Vorliegen eines Hanges zum Betäubungsmittelkonsum; symptomatischer Zusammenhang zwischen abgeurteilter Tat und …


1 StR 269/17 (Bundesgerichtshof)


1 StR 155/20 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Vorliegen eines Hangs zum übermäßigen Rauschmittelgenuss


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.