Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.09.2023, Az. KVZ 64/21

Kartellsenat | REWIS RS 2023, 7442

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Gegenstand

Berücksichtigung von Verpflichtungszusage bei Zusammenschlusskontrolle und Fristwahrung bei „Unterzeichnung“ durch unterschiedliche Rechtsanwälte


Tenor

Auf die Beschwerden der Nichtzulassungsbeschwerdeführer zu 1 und zu 2 wird für diese die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Kartellsenats des [X.] vom 22. September 2021, berichtigt durch Beschlüsse vom 23. September 2021 und vom 25. Oktober 2021, zugelassen.

Der Antrag der Nichtzulassungsbeschwerdeführerin zu 3 auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Nichtzulassungsbeschwerdeführerin zu 3 gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem oben bezeichneten Beschluss des 1. Kartellsenats des [X.] vom 22. September 2021 wird verworfen.

Gründe

1

I. [X.] des [X.] und der Nichtzulassungsbeschwerdeführerin zu 2 sind zulässig und begründet. [X.]er Streitfall wirft jedenfalls die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf, ob durch verhaltensbezogene Verpflichtungszusagen nach § 32b GWB eintretende Verbesserungen des Marktergebnisses bei der [X.] von reversiblen kooperativen [X.] zu berücksichtigen sind und nachteilige strukturelle Wirkungen des Zusammenschlusses zu kompensieren vermögen.

2

II. [X.]ie Beschwerde der Nichtzulassungsbeschwerdeführerin zu 3 (im Folgenden: [X.]), die als am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen Beteiligte des [X.] bleibt, ist unzulässig, da sie nicht fristgerecht begründet wurde.

3

1. Gemäß § 78 [X.]bs. 4 Satz 1 GWB ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung des [X.] zu begründen. [X.]ie Frist kann auf [X.]ntrag verlängert werden. [X.]ie fristgerechte Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist Voraussetzung ihrer Zulässigkeit ([X.], Beschlüsse vom 18. Mai 1993 - [X.], [X.]/E [X.] 2869 [juris Rn. 18] - [X.]; vom 19. [X.]ezember 1995 - KVZ 23/95, [X.]/E [X.] 3035 [juris Rn. 6]; vom 15. Oktober 2015 - KVZ 26/15, juris Rn. 1).

4

2. [X.]ie bis zum 24. Januar 2022 verlängerte [X.] wurde nicht gewahrt, weil die als elektronisches [X.]okument an jenem Tag übermittelte Begründung nicht aus dem besonderen elektronischen [X.]nwaltspostfach (im Folgenden[X.]) eines derjenigen Rechtsanwälte übermittelt wurde, die das [X.]okument einfach signiert hatten, und die Begründung damit nicht der gesetzlichen Form entspricht.

5

a) Gemäß § 78 [X.]bs. 5 GWB muss die Begründung durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Nach § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 130d Satz 1 ZPO sind vorbereitende Schriftsätze, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches [X.]okument zu übermitteln. § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 130a [X.]bs. 3 ZPO bestimmt, dass das elektronische [X.]okument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein muss oder von dieser (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. [X.]ls sicher gilt gemäß § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 130a [X.]bs. 4 Nr. 2 ZPO der Übermittlungsweg zwischen [X.] und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Hierbei wird ein nicht qualifiziert elektronisch signiertes [X.]okument nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen [X.]nwaltspostfach eingereicht, wenn die den Schriftsatz verantwortende Person das [X.]okument selbst versendet ([X.], Beschlüsse vom 30. März 2022 - [X.] 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 10 f.; vom 20. September 2022 - [X.], [X.], 2579 Rn. 7).

6

b) [X.]iesen Vorgaben wird die Beschwerdebegründung der [X.] nicht gerecht, weil das [X.]okument nicht qualifiziert, sondern lediglich einfach signiert wurde und es nicht aus [X.] des [X.] oder des Rechtsanwalts [X.], die beide das [X.]okument einfach signiert haben, sondern aus [X.] der Rechtsanwältin [X.], die das [X.]okument nicht signiert hat, versendet wurde.

7

3. [X.] ist im Hinblick auf die versäumte Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

8

a) Es kann offenbleiben, ob der Wiedereinsetzungsantrag der [X.] vom 19. Juli 2023 bereits wegen Versäumung der Jahresfrist (§ 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 234 [X.]bs. 3 ZPO) unzulässig ist. [X.]enn jedenfalls ist der [X.]ntrag gemäß § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 233 ZPO unbegründet, weil die Fristversäumnis nicht unverschuldet war. [X.] muss sich das Verschulden von Rechtsanwältin [X.] gemäß § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 85 [X.]bs. 2 ZPO zurechnen lassen.

9

b) Gemäß § 85 [X.]bs. 2 ZPO steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der [X.] gleich. [X.]ls Bevollmächtigter in diesem Sinne ist auch ein Rechtsanwalt anzusehen, der als [X.]ngestellter oder freier Mitarbeiter des Verfahrensbevollmächtigten von diesem mit der selbstständigen Bearbeitung eines Rechtsstreits betraut worden ist und der nicht als bloßer Hilfsarbeiter in untergeordneter Funktion tätig geworden ist ([X.], Beschlüsse vom 5. Oktober 1972 - [X.], [X.], 38 [juris Rn. 6]; vom 27. Januar 2004 - [X.] 39/03, M[X.]R 2004, 719 [juris Rn. 6]; vom 19. März 2014 - [X.], [X.], 470 Rn. 10; vom 20. November 2018 - [X.] 32/17, M[X.]R 2019, 178 Rn. 8).

c) Nach diesem Maßstab ist Rechtsanwältin [X.] als Bevollmächtigte der [X.] anzusehen. Nach dem Vortrag der [X.] hat Rechtsanwältin [X.] an der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde umfangreich mitgewirkt und wurde von Rechtsanwalt B zur den Formanforderungen des § 130a [X.]bs. 3 ZPO entsprechenden Einreichung der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung unterbevollmächtigt. [X.]anach hätte Rechtsanwältin [X.] die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung signieren und aus [X.] versenden müssen. Sie hätte also nach außen hin den Inhalt der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung verantworten sollen. [X.]iese Tätigkeit geht über eine bloße Hilfstätigkeit hinaus.

d) Wie auch von [X.] nicht in Frage gestellt wird, hätte Rechtsanwältin [X.] bei [X.]nwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen müssen, dass die Einreichung eines nicht von ihr signierten Schriftsatzes über [X.] nicht den Formerfordernissen des § 72 Nr. 2 GWB i.V.m. § 130a [X.]bs. 3 ZPO entspricht (vgl. [X.], NJW 2022, 2415 Rn. 15 bis 17; Beschlüsse vom 7. September 2022 - [X.] 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 15 bis 17; vom 19. Januar 2023 - [X.], NJW 2023, 1587 Rn. 16; B[X.]G, Beschluss vom 14. September 2020 - 5 [X.]ZB 23/20, B[X.]GE 172, 186 Rn. 25).

e) Ein Wiedereinsetzungsgrund ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer für das Versäumnis mitursächlichen Pflichtverletzung des Gerichts, weil der gerichtliche Hinweis auf die Fristversäumnis erst ca. 1,5 Jahre nach Einreichung des Schriftsatzes erfolgt ist.

aa) Zwar gebietet die aus dem Gebot des fairen Verfahrens ([X.]rt. 6 [X.]bs. 1 [X.], [X.]rt. 19 [X.]bs. 4, [X.]rt. 20 [X.]bs. 3 GG) folgende gerichtliche Fürsorgepflicht, eine [X.] auf einen - leicht erkennbaren - Formmangel in ihrem Schriftsatz hinzuweisen und ihr gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, den Fehler fristgerecht zu beheben. Eine [X.] darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihre Schriftsätze alsbald nach ihrem Eingang bei Gericht zur Kenntnis genommen werden und offensichtliche äußere formale Mängel dabei nicht unentdeckt bleiben ([X.], Beschluss vom 14. Oktober 2008 - [X.] 37/08, NJW-RR 2009, 564 Rn. 10). [X.]as Gericht ist aber nicht verpflichtet, einen erst am letzten Tag einer Frist eingehenden Schriftsatz unmittelbar auf formelle Mängel zu überprüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf deren Behebung hinzuwirken (vgl. [X.], Beschluss vom 21. März 2017 - [X.], NJW-RR 2017, 689 Rn. 13 mwN).

bb) Vorliegend ist der [X.] erst am Nachmittag des letzten Tags der Frist bei Gericht eingegangen. [X.] durfte somit nicht darauf vertrauen, dass sie auf einen etwaigen Formmangel noch vor Fristablauf hingewiesen würde. Tatsächlich ist der Schriftsatz auch erst am 25. Januar 2022, also nach Fristablauf, bei Gericht zur Kenntnis genommen worden. [X.]uch durch einen Hinweis noch an diesem Tag hätte die Fristversäumnis nicht mehr behoben werden können.

cc) Entgegen der [X.]uffassung von [X.] ist die Fristversäumnis vorliegend auch nicht deshalb als unverschuldet anzusehen, weil durch die verzögerte Hinweiserteilung die für eine Wiedereinsetzung regelmäßig erforderliche Glaubhaftmachung erschwert worden sei, was im Hinblick auf [X.]rt. 6 [X.]bs. 1 [X.], [X.]rt. 19 [X.]bs. 4, [X.]rt. 20 [X.]bs. 3 GG nicht der Prozesspartei angelastet werden dürfe.

Es kann dahinstehen, ob die Verzögerung eines gerichtlichen Hinweises im besonderen Einzelfall dazu führen kann, dass eine Glaubhaftmachung der den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Tatsachen nicht erforderlich ist. [X.]enn der Wiedereinsetzungsantrag ist vorliegend nicht aufgrund einer fehlenden Glaubhaftmachung der für eine Wiedereinsetzung relevanten Tatsachen unbegründet. [X.]ie schuldhafte Pflichtverletzung der Bevollmächtigten der [X.] steht vielmehr fest.

Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird ([X.], Beschluss vom 21. [X.]ugust 2019 - [X.] 93/19 - FamRZ 2019, 1880 Rn. 5 mwN). In seiner eigenen Verantwortung liegt es, das [X.]okument gemäß den gesetzlichen [X.]nforderungen entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen oder das einfach signierte elektronische [X.]okument auf einem sicheren Übermittlungsweg persönlich einzureichen, damit die Echtheit und die Integrität des [X.]okuments wie bei einer persönlichen Unterschrift gewährleistet sind ([X.], NJW 2022, 3512 Rn. 15).

[X.]ieser Verantwortung, die - wie oben Rn. 11 ausgeführt - den bevollmächtigten Rechtsanwälten bekannt sein musste, sind weder die Rechtsanwälte B und [X.], die die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung einfach signiert haben, noch Rechtsanwältin [X.], die den Schriftsatz ohne ihn zu signieren über [X.] eingereicht hat, nachgekommen.

Rechtsmittelbelehrung

[X.]ie Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von zwei Monaten, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, zu begründen. [X.]iese Frist kann auf [X.]ntrag von dem Vorsitzenden des [X.] verlängert werden. [X.]ie Begründung der Rechtsbeschwerde ist bei dem [X.] einzureichen; sie muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluss des [X.] angefochten und seine [X.]bänderung oder [X.]ufhebung beantragt wird. Sie muss von einem bei einem [X.] Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein; dies gilt nicht für eine von einer Kartellbehörde eingereichte Rechtsbeschwerdeschrift und Rechtsbeschwerdebegründung.

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Holzinger     

      

Kochendörfer      

      

Meta

KVZ 64/21

12.09.2023

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 22. September 2021, Az: VI-Kart 5/20 (V), Beschluss

§ 32b Abs 1 S 1 GWB, § 72 Nr 2 GWB, § 78 Abs 4 S 1 GWB, § 78 Abs 5 GWB, § 130a Abs 3 S 1 ZPO, § 130a Abs 4 Nr 2 ZPO, § 130d S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.09.2023, Az. KVZ 64/21 (REWIS RS 2023, 7442)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7442

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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