Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2021, Az. 3 StR 314/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 2136

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Gegenstand

Strafverurteilung wegen Wohnungseinbrüchen eines psychisch kranken Straftäters: Fehlerhafte Begründung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der Begründung eines Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Mai 2021 mit den Feststellungen [X.] mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen; diese bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls und schweren Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die [X.] geändert. Dagegen wendet sich die auf die nicht ausgeführte Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

Sowohl die Verurteilung des Angeklagten als auch die Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der [X.] hat insoweit das Folgende ausgeführt:

"[...]

2. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet rechtlichen Bedenken.

Nach den Darlegungen des sachverständig beratenen [X.]s war bei den Taten [X.] 1 und 2 nicht auszuschließen, dass die Einsichtsfähigkeit aufgrund der paranoiden Schizophrenie des Angeklagten aufgehoben war, bei den Taten [X.] 3 und 4 nimmt die Kammer eine verminderte Einsichtsfähigkeit an ([X.]). Zur Steuerungsfähigkeit des Angeklagten verhält sich das Urteil nicht.

a) Damit ist nicht belegt, dass der Angeklagte die Taten im Zustand sicher festgestellter zumindest eingeschränkter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begangen hat (§ 63 StGB). Zwar ist bei akuten Schüben einer Schizophrenie in der Regel davon auszugehen, dass der Betroffene wegen fehlender Unrechtseinsicht schuldunfähig ist (vgl. [X.]. vom 9. April 2002 - 5 StR 100/02 NStZ-RR 2002, 202; Beschl. vom 13. August 2013 - 2 StR 128/13, [X.], 368); eine sichere Schuldunfähigkeit hat das [X.] aber nicht angenommen. Nimmt das Tatgericht (nur) eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des [X.] an, so muss es darüber befinden, ob diese zum Fehlen der Unrechtseinsicht geführt oder ob der Täter gleichwohl das Unrecht der Tat eingesehen hat (st. Rspr.; [X.], Urteile vom 13. November 1990 - 1 [X.], [X.]R StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 3, vom 25. Januar 1995 - 3 StR 535/94, [X.]R StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6; Beschlüsse vom 30. Juni 2015 - 3 [X.], [X.], 273; vom 22. März 2017 - 5 StR 22/17, BeckRS 2017, 106514; [X.]/[X.]/[X.] Praxis der Strafzumessung 6. Aufl. Rn. 953). Hat dagegen der Angeklagte ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen, so ist seine Schuld nicht gemindert und § 21 StGB nicht anwendbar. Diese Unterscheidung hat das [X.] - möglicherweise auf Grund entsprechender Unklarheiten des Sachverständigengutachtens - nicht zutreffend vollzogen. Die im Urteil dargestellten Ausführungen der Sachverständigen, Kritik- und Urteilsvermögen, die Fähigkeit zur adäquaten Selbsteinschätzung und zur Impulskontrolle seien nicht mehr ausreichend gegeben ([X.]), lässt offen, ob der Angeklagte das Unrecht seiner Tat eingesehen hat.

b) Ungeachtet dessen, fehlt es bei den Taten [X.] 3 und 4 an ausreichenden Feststellungen, wie sich das Vorliegen des biologischen Merkmals des § 20 StGB auf die Tatbegehung konkret ausgewirkt hat. Nach den Feststellungen des Tatgerichts handelte es sich bei beiden Einbrüchen um Beschaffungskriminalität zur Finanzierung der Drogensucht ([X.]) ohne besondere Auffälligkeiten. Auch den Vorverurteilungen vom 7. September 2018 und 4. September 2019 durch das Amtsgericht M.             lagen [X.] im Zusammenhang mit der Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten zugrunde, ohne dass Besonderheiten wegen der paranoiden Schizophrenie ersichtlich wären. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht selbstverständlich, dass die Einsicht des Angeklagten, das Unrecht seiner Taten einzusehen, bei diesen Taten tatsächlich aufgehoben war und des Weiteren die [X.] auf einen die Annahme des § 21 StGB rechtfertigenden Defekt (paranoide Schizophrenie) zurückzuführen sind, zumal nach Aussage der Zeugin [X.]der Angeklagte nach dem 15. September 2020 wieder ganz normal auf sie gewirkt habe (S. 10). Da die Anlassdelikte trotz der psychischen Erkrankung keine Besonderheiten aufweisen und ein akuter Schub der Erkrankung nicht festgestellt ist, wäre im Einzelnen darzustellen gewesen, wie sich die Erkrankung im konkreten Einzelfall ausgewirkt hat.

c) Rechtlich bedenklich erscheint auch die Anordnung des [X.] der Strafe gem. § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB. Nach § 67 Abs. 1 StGB wird eine Maßregel nach § 63 StGB in der Regel vor der gleichzeitig verhängten Freiheitsstrafe vollzogen. Die Umkehrung der [X.] nach § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB hat Ausnahmecharakter und bedarf daher einer auf den Einzelfall bezogenen sorgfältigen Prüfung und Begründung [X.] StGB 67. Aufl. § 67 Rn. 5 ff.). Ein [X.] von Strafe ist nur insoweit zulässig, als er im [X.] des Verurteilten erforderlich ist. Bleibt bei der Prognose offen, ob durch den [X.] bessere Therapiechancen eröffnet werden, so ist dieser unzulässig (MüKo-StGB/[X.] 4. Aufl. § 67 Rn. 28). Nach den Feststellungen der Kammer besteht eine massive Erkrankung und fehlende Krankheitseinsicht ([X.]). Bedingungen, die eine Behandlung außerhalb der Unterbringung rechtfertigen würden, können in adäquater [X.] nicht hergestellt werden ([X.]). Davon ausgehend ist nicht sicher festgestellt, dass der Zweck der Maßregel nach § 63 StGB durch einen [X.] leichter erreichbar ist. Ein Ausnahmetatbestand, etwa, dass der eventuelle Erfolg einer psychotherapeutischen Behandlung durch eine nachfolgende Strafvollstreckung gefährdet bzw. zunichtegemacht würde, die erforderliche Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht möglich ist und die Maßregel daher faktisch allein Sicherungscharakter hätte oder zum [X.]punkt des Urteils die Behandlungsmöglichkeiten im Strafvollzug Erfolg versprechender sind als in einem psychiatrischen Krankenhaus, sind nicht ersichtlich.

3. Da die Unterbringung nach § 63 StGB und der auf § 20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähigkeit abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht und gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO das Verschlechterungsverbot gelockert ist, dürfte eine isolierte Aufhebung des [X.] nicht in Betracht kommen. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben davon unberührt und können bestehen bleiben."

3

Dem tritt der Senat bei.

4

Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den [X.] nicht widersprechen. Hierzu könnte etwa im Hinblick auf die Frage eines möglichen Rücktritts vom Versuch in Fall [X.] 1. der Urteilsgründe Veranlassung bestehen.

Schäfer     

        

Paul     

        

Anstötz

        

Kreicker     

        

Voigt     

   

Meta

3 StR 314/21

05.10.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mönchengladbach, 14. Mai 2021, Az: 22 KLs 41/20

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 67 Abs 2 S 1 StGB, § 243 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.10.2021, Az. 3 StR 314/21 (REWIS RS 2021, 2136)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2136

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 128/13

3 StR 181/15

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