Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.03.2023, Az. 6 StR 445/22

6. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2489

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Gegenstand

Anforderungen an die Beweiswürdigung bei einer Verurteilung aufgrund der Angaben eines selbst tatbeteiligten Zeugen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten Z.         wird das Urteil des [X.] vom 17. Juni 2022, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Fall II.5 der Urteilsgründe und

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das [X.] – Strafrichter – verwiesen.

2. Die Revisionen der Angeklagten [X.], E.    , [X.]    und M.    gegen dieses Urteil werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]       wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, die Angeklagten E.    und M.    jeweils wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in mehreren Fällen und den Angeklagten [X.]    wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt, [X.] getroffen und die Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Den Angeklagten Z.           hat es – unter Freispruch im Übrigen – wegen Anbaus von Betäubungsmitteln und wegen „Verabredung zu einem Verbrechen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt.

2

1. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten Z.          erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Verurteilung im Fall [X.] der Urteilsgründe wegen Verabredung zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 2 StGB i.V.m. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; zur Tenorierung vgl. [X.], Beschluss vom 10. Februar 1989 – 4 StR 3/89, [X.]R StPO § 260 Abs. 4 S. 1 Tatbezeichnung 4) hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand, weil die zugrundeliegenden Feststellungen nicht auf einer tragfähigen Beweiswürdigung beruhen.

3

a) Soll ein nicht geständiger Angeklagter zwar nicht allein, aber doch überwiegend durch die Angaben eines selbst tatbeteiligten Zeugen überführt werden, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Januar 2020 – 2 StR 355/19; vom 15. Januar 2020 – 2 [X.], [X.], 805, 808; vom 12. Mai 2020 – 1 StR 596/19, [X.], 183 mwN; [X.], StraFo 2010, 446, 450 mwN). Dabei kann es geboten sein, die Umstände der Entstehung und den näheren Inhalt der den Angeklagten belastenden Aussage sowie deren Entwicklung darzustellen und zu bewerten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. März 2009 – 4 [X.]; vom 14. Mai 2008 – 2 [X.]; vom 12. Mai 2020 – 1 StR 596/19, [X.], 183), um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Überzeugungsbildung des Tatgerichts auf rational-nachvollziehbaren Erwägungen beruht. Erhöhte Anforderungen an die Sorgfalt und Vollständigkeit der vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind zu stellen, wenn die belastenden Angaben nur mittelbar über [X.] in die Hauptverhandlung eingeführt werden können (vgl. [X.], Beschlüsse vom 15. Januar 2020 – 2 [X.], [X.], 805, 808; vom 31. August 2021 – 5 StR 223/21).

4

b) Dem wird die Beweiswürdigung der [X.] nicht gerecht.

5

aa) Eine differenzierte Bewertung anhand einer lückenlosen Gesamtwürdigung der Indizien, naheliegend unter Erörterung und Darstellung der Aussagen des tatbeteiligten, anderweitig verfolgten [X.]       auch in früheren Verfahrensabschnitten, war hier in mehrfacher Hinsicht sachlich-rechtlich geboten. Die [X.] hat die Angaben dieses Zeugen nicht durchgehend als glaubhaft angesehen. Vielmehr hat sie den Beschwerdeführer von dem – auch auf den Angaben dieses Zeugen gründenden – weiteren Tatvorwurf (Fall II.4) freigesprochen. Darüber hinaus legen die Urteilsgründe nahe – worauf der [X.] mit Recht hinweist –, dass der Zeuge [X.]       durch die [X.] nicht vernommen wurde, sondern dessen Angaben aus „seinem eigenen Verfahren“ mittelbar zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden.

6

bb) An der deshalb gebotenen kritischen Würdigung der Angaben des Zeugen [X.]      fehlt es. Zwar lassen die beweiswürdigenden Erwägungen des [X.]s noch erkennen, dass dessen naheliegendes [X.], eine Strafmilderung durch Aufklärungshilfe zu erzielen (§ 31 BtMG), Eingang in die Überzeugungsbildung gefunden hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 15. Januar 2003 – 1 [X.], [X.]St 48, 161, 168; vom 29. April 2003 – 1 [X.], [X.], 245; [X.] in [X.], 2018, [X.], 147 mwN). Aus welchen Gründen die [X.] aber dessen detailarme Aussage zu einer mit dem Beschwerdeführer „abgesprochenen“ Errichtung einer Plantage gleichwohl für glaubhaft befunden hat, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Dies gilt gleichermaßen für konkrete Angaben des Zeugen etwa zu Ort und Zeitpunkt der mit dem Beschwerdeführer getroffenen Übereinkunft, zu einer etwaigen Anwesenheit weiterer Personen am [X.] und zur Menge einzubringenden Pflanzenmaterials. Damit bleibt neben dem geringeren Beweiswert von Angaben eines mittelbaren Zeugen zudem ohne jede Erörterung, warum die [X.] die Zeugenaussage in den Fällen II.4 und [X.] der Urteilsgründe als unterschiedlich tragfähig bewertet hat.

7

c) Der Wegfall der im Fall [X.] der Urteilsgründe verhängten Strafe bedingt die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.

8

d) Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch.

9

2. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten [X.]       , E.     , [X.]    und M.    bleiben aus den in der Antragsschrift des [X.]s genannten Gründen ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

Sander     

  

     Feilcke     

  

Tiemann

  

Ri[X.] Wenske ist
sonderurlaubsbedingt
an der Unterschrift
gehindert.

Sander

  

Fritsche     

  

Meta

6 StR 445/22

22.03.2023

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stendal, 17. Juni 2022, Az: 501 KLs 1/22

§ 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.03.2023, Az. 6 StR 445/22 (REWIS RS 2023, 2489)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2489

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