Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.05.2023, Az. II R 3/21

2. Senat | REWIS RS 2023, 6213

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Gegenstand

Steuern auf die durch Erben rückwirkend erklärte Aufgabe eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes sind keine Nachlassverbindlichkeiten


Leitsatz

Die Einkommensteuer und die damit in Zusammenhang stehenden Nebensteuern (Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer), welche aufgrund einer durch die Erben nach § 16 Abs. 3b Satz 2 und § 14 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes rückwirkend erklärten Betriebsaufgabe eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes entstehen, können nicht als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in Abzug gebracht werden.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 16.09.2020 - 4 K 2701/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die sechs Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Miterben zu gleichen Teilen nach dem am ...2016 verstorbenen [X.]rblasser ([X.]). [X.] war Inhaber eines verpachteten land- und forstwirtschaftlichen ([X.]. Die [X.]rben erklärten nach dem Tod des [X.] die Aufgabe des [X.] auf einen Zeitpunkt vor dem Tod des [X.] unter Inanspruchnahme der Rückwirkung von maximal drei Monaten nach § 16 Abs. 3b Satz 2 des [X.]inkommensteuergesetzes i.d.[X.] 2011 vom 01.11.2011 ([X.], 2131) --[X.]StG--. Hierdurch entstand ertragsteuerrechtlich ein [X.] gemäß § 16 Abs. 3 [X.]StG i.V.m. § 14 Satz 2 [X.]StG. Das für die Festsetzung der [X.]inkommensteuer des [X.] zuständige Finanzamt setzte mit Bescheid vom 30.08.2018 [X.]inkommensteuer sowie Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für den Veranlagungszeitraum 2016 unter [X.]inbeziehung dieses [X.]s fest.

2

Mit [X.]rbschaftsteuerbescheiden vom 14.01.2019 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --[X.]--) jeweils [X.]rbschaftsteuer gegenüber den Klägern fest. Die auf den [X.] im Veranlagungszeitraum 2016 entfallende [X.]inkommensteuer, den darauf entfallenden anteiligen Solidaritätszuschlag und die darauf anteilig entfallende Kirchensteuer ließ er entgegen des Antrags der Kläger nicht als Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 des [X.]rbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes ([X.]rbStG) zum Abzug vom [X.]rwerb der [X.]rbschaft zu. Die hiergegen eingelegten [X.]insprüche wies das [X.] mit [X.]inspruchsentscheidungen vom [X.] als unbegründet zurück. [X.]s erließ in Umsetzung eines geänderten Feststellungsbescheids vom 12.02.2020 am 19.06.2020 geänderte [X.]rbschaftsteuerbescheide. Die Klage vor dem [X.] ([X.]) wegen der Nichtberücksichtigung der [X.]inkommensteuer auf den [X.] als Nachlassverbindlichkeit gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 [X.]rbStG hatte keinen [X.]rfolg. Das Urteil ist in [X.]ntscheidungen der [X.]e 2021, 1737 veröffentlicht.

3

Mit ihrer Revision machen die Kläger eine Verletzung von § 10 Abs. 5 Nr. 1 [X.]rbStG und § 16 Abs. 3b [X.]StG geltend. Die auf die Aufgabe des [X.] gemäß § 16 Abs. 3 i.V.m. § 14 Satz 2 [X.]StG entfallenden Steuern ([X.]inkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) seien als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 [X.]rbStG zum Abzug zuzulassen. Sie würden vom [X.]rblasser "herrühren". Der [X.] ([X.]) habe bereits entschieden, dass eine [X.]inkommensteuerschuld für das Todesjahr des [X.]rblassers trotz des Übergangs auf den [X.]rben eine vom [X.]rblasser herrührende Steuerschuld darstelle ([X.]-Urteil vom [X.], [X.][X.] 238, 233, [X.], 790). Dem stehe nicht der Umstand entgegen, dass im Streitfall die Kläger das Wahlrecht der Betriebsaufgabe für [X.] ausgeübt hätten. Nach dem Tod des [X.] könnten nur die [X.]rben dieses Wahlrecht ausüben. Sie seien damit den ihnen obliegenden Pflichten aus dem Steuerschuldverhältnis des [X.] nachgekommen. Als Gesamtrechtsnachfolger gemäß § 45 der Abgabenordnung ([X.]) seien sie umfassend in die Position des [X.] eingetreten. Das ausgeübte Wahlrecht habe für und gegen [X.] gewirkt. Die auf der Betriebsaufgabe und dem daraus folgenden [X.] beruhende [X.]inkommensteuer sei gegen [X.] festgesetzt worden und daher nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 [X.]rbStG als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen.

4

Die Kläger beantragen,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Änderungsbescheide vom 19.06.2020 dahingehend zu ändern, dass die auf die Aufgabe des [X.] entfallenden Steuern ([X.]inkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) als weitere Nachlassverbindlichkeiten zum Abzug zugelassen werden.

5

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

6

Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die auf die Aufgabe des [X.] entfallenden Steuern (Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) nicht als Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 [X.] zum Abzug zuzulassen sind.

7

1. Nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 [X.] sind als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig die vom Erblasser herrührenden Schulden, soweit sie nicht mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb, Anteil an einem Gewerbebetrieb, [X.] oder Anteil an einem [X.] in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit berücksichtigt worden sind. Der Abzug setzt nicht zwingend voraus, dass beim Tod des Erblassers, also zum maßgeblichen Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 [X.]), eine rechtliche Verpflichtung bestanden haben muss (BFH-Urteil vom [X.], [X.], 233, [X.], 790, Rz 15, m.w.N.).

8

2. Bei einem Erwerb von Todes wegen können sich auch Steuerschulden aus der Veranlagung des Erblassers für das Todesjahr bereicherungsmindernd auswirken, obwohl sie beim Erbfall noch nicht rechtlich entstanden waren. Denn der Erbe hat diese Steuerschulden zu tragen. Entscheidend für den Abzug der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist jedoch, dass der Erblasser in eigener Person und nicht etwa der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger steuerrelevante Tatbestände verwirklicht hat und deshalb "für den Erblasser" als Steuerpflichtigen eine Steuer entsteht. Das für das Erbschaftsteuerrecht maßgebliche Stichtagsprinzip (§§ 9, 11 [X.]) steht dem Abzug dieser Steuerverbindlichkeiten nicht entgegen. Bereits zum Zeitpunkt der Steuerentstehung, also beim Tod des Erblassers, steht fest, dass die Belastung kraft Gesetzes mit Ablauf des [X.] eintreten wird. Dabei ist grundsätzlich unschädlich, dass zum Zeitpunkt des Erbfalls die Belastung durch Steuerverbindlichkeiten der Höhe nach nicht genau feststeht, weil noch mögliche Wahlrechte ausgeübt werden oder besondere steuerrelevante Ereignisse eintreten können (BFH-Urteil vom [X.], [X.], 233, [X.], 790, Rz 15 f.).

9

3. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Erben nach § 16 Abs. 3b Satz 2 EStG einkommensteuerrechtlich rückwirkend die Aufgabe des [X.] auf einen Zeitpunkt vor dem Tod des Erblassers erklären. In diesem Fall können sie die Einkommensteuer, die auf den Aufgabegewinn im Sinne des § 16 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 2 EStG entsteht und die damit in Zusammenhang stehenden Nebensteuern (Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) nicht als Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 [X.] in Abzug bringen (gl.[X.] in Fischer/[X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., § 10 Rz 136; a.[X.] in Troll/[X.]/[X.]/[X.], [X.], § 10 Rz 140a).

a) Zwar handelt es sich bei der gemäß § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstandenen Einkommensteuer um diejenige des Erblassers für sein Todesjahr; allerdings entstand der Aufgabegewinn in Bezug auf den [X.] nach § 16 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 2 EStG erst durch die Aufgabeerklärung der Erben. Der Erblasser selbst hatte vor seinem Tod keine Aufgabeerklärung im Sinne des § 16 Abs. 3b Satz 2 EStG abgegeben, sodass im Zeitpunkt seines Todes ein [X.] auf die Erben überging. Folglich setzte erst die Aufgabeerklärung der Erben die entscheidende Ursache für die rückwirkende Aufgabe des [X.] und die hierdurch entstandene Einkommensteuer zuzüglich der Nebensteuern (Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer). Da die durch die Aufgabeerklärung der Erben begründeten Steuern nicht vom Erblasser herrühren, ist nicht entscheidungserheblich, dass zum Todeszeitpunkt auch keine wirtschaftliche Belastung des Erblassers vorlag.

b) Dem stehen die Ausführungen im BFH-Urteil vom [X.] ([X.], 233, [X.], 790, Rz 16) nicht entgegen. Danach ist es für den Abzug der Einkommensteuer für das Todesjahr als Nachlassverbindlichkeit unschädlich, wenn im Zeitpunkt des Erbfalls die Belastung durch Steuerverbindlichkeiten der Höhe nach nicht genau feststeht, weil noch mögliche Wahlrechte ausgeübt werden. Damit sind jedoch nur die Fälle erfasst, in denen der Erblasser bereits den Tatbestand verwirklicht hat, an den die Vorschriften des Einkommensteuerrechts die Steuerpflicht knüpfen. Die spätere Ausübung eines Wahlrechts durch die Erben hat dann lediglich Auswirkungen auf die Höhe der festzusetzenden Einkommensteuer für das Todesjahr. Anders ist es jedoch, wenn --wie im vorliegenden [X.] die Erben selbst den steuerbegründenden Tatbestand durch die rückwirkende Erklärung der Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3b Satz 2 EStG erfüllen und erst dadurch die ertragsteuerlichen Folgen in einem Zeitpunkt vor dem Todesfall eintreten. Die Besteuerung des hierdurch entstandenen Aufgabegewinns hat in diesem Fall ihre Ursache in der Ausübung des Antragsrechts durch die Erben und nicht in einem Handeln des Erblassers.

4. Nach diesen Maßstäben hat das [X.] zutreffend entschieden, dass die auf den Betriebsaufgabegewinn entfallende Einkommensteuer zuzüglich des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer nicht als weitere Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 [X.] abzuziehen sind.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

II R 3/21

10.05.2023

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 16. September 2020, Az: 4 K 2701/19, Urteil

§ 10 Abs 5 Nr 1 ErbStG 1997, § 14 Abs 1 S 2 EStG 2009, § 16 Abs 3 EStG 2009, § 16 Abs 3b S 2 EStG 2009 vom 01.11.2011, § 36 Abs 1 EStG 2009, § 1 Abs 1 Nr 1 ErbStG 1997, § 10 Abs 1 S 2 ErbStG 1997, § 1922 Abs 1 BGB, § 45 Abs 1 AO, § 38 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.05.2023, Az. II R 3/21 (REWIS RS 2023, 6213)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6213


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. II R 3/21

Bundesfinanzhof, II R 3/21, 10.05.2023.


Az. 4 K 2701/19

FG München, 4 K 2701/19, 16.09.2020.


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4 K 2701/19 (FG München)

Abzugsfähigkeit von Einkommensteuerschulden infolge einer von den Erben erklärten Betriebsaufgabe als Nachlassverbindlichkeit i.S. des § …


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