Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.03.2018, Az. IX ZR 179/17

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 13011

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:010318BIXZR179.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX [X.]/17
vom

1. März 2018

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 185 Abs. 1 Satz 1; ZPO § 137 Abs. 4
Beabsichtigt eine nicht der [X.] mächtige [X.], in der mündlichen Verhandlung von dem Recht zur persönlichen Anhörung Gebrauch zu machen, hat das Gericht von Amts wegen einen Dolmetscher beizuziehen.

[X.], Beschluss vom 1. März 2018 -
IX [X.]/17 -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.]
Dr.
Kayser, die Richter
Prof. Dr. [X.], Prof. [X.], [X.] und die Richterin Möhring

am
1. März 2018
beschlossen:

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 15. Juni 2017
wird
zugelassen.

Auf die Revision der Klägerin wird das vorgenannte
Urteil [X.] und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens vor dem [X.], an das [X.]
zurückverwiesen.

Der Streitwert des
Revisionsverfahrens
wird auf 367.122,08

festgesetzt.

Gründe:

I.

Die
Klägerin
macht aus abgetretenem Recht
ihrer [X.]

(nachfolgend: [X.])
Zahlungsforderungen gegen die Beklagten, ihre Schwester und deren Ehemann, geltend.

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3
-

Nach Darstellung der Klägerin überließ die [X.] den Beklagten im Jahre 2002 eine Geldsumme über
90.000

eine solche über
80.000

2011 in ihrem Miteigentum stehenden Grundbesitz, der in [X.] gelegen war. Aus dem Erlös überwies sie am 16.
November 2011 einen Betrag von 68.525

April 2012 einen weiteren Betrag von 130.802

Konto der Beklagten. Bei diesen Zahlungen soll es sich nach dem Vorbringen
der Klägerin um Darlehen gehandelt haben.

Die -

-
auf Zahlung von 367.112,08

r-folg. Das [X.] hat nicht als erwiesen erachtet, dass die [X.] den Beklagten 170.000

. Hinsichtlich der Forde-rung
von 197.112,08

e-rin die Darlegung der Beklagten, es handele sich insoweit um eine Schenkung, nicht widerlegt habe.

II.

Die Revision ist nach §
543 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und begründet, weil das ange-griffene Urteil den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art.

103 Abs.
1 GG verletzt. Das angefochtene Urteil ist daher gemäß §
544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

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4
-

1. Das [X.] hat, wie die Beschwerde zu Recht beanstandet, den Anspruch der Klägerin
auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art.
103 Abs.
1 GG)
verletzt, weil es den von der Klägerin zum Nachweis beider Klageforde-rungen benannten [X.]

nicht vernommen hat.

a) Art.
103 Abs.
1 GG verpflichtet
das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben. In diesem Sinne gebietet Art.
103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art.
103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze [X.] ([X.], Beschluss vom 12.
Mai 2009 -
VI
ZR 275/08, [X.], 2604 Rn.
2; vom 16.
September 2014 -
VI
ZR 118/13, [X.], 338 Rn.
4).

b) In
dieser Weise
verhält es sich
im Streitfall, soweit das Berufungsge-richt von der Vernehmung des [X.]

abgesehen hat.

[X.]) Die Klägerin hat sich zum Beweis dafür, dass die [X.] den [X.] insgesamt en habe, auf das Zeugnis von [X.]

berufen.
Außerdem wurde
der Zeuge von der Klägerin zum Nachweis benannt, dass die [X.] den Beklagten durch die Überweisungen von 68.525

Darlehen gewährt habe.
Die Beweisanträge haben insbesondere den Inhalt eines zwischen der Klägerin und der Beklagten zu
1 geführten Telefongesprächs zum Gegenstand, in dem die Beklagte zu 1 unter Beteiligung des
Zeugen
die Forderungen
der [X.]
bestätigt
haben soll.
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-
5
-
Ferner wurde der Zeuge zum Beweis dafür benannt, dass die Beklagte zu 1 ihm gegenüber durch E-Mail-Nachrichten die Begründetheit der Ansprüche der Ze-dentin eingeräumt
habe.
Die
Beweisanträge hat die Klägerin nochmals in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] wiederholt.

bb)
Das [X.] hat von der
beantragten Beweisaufnahme hin-sichtlich der Gewährung von Darlehen über
68.525

mit der Begründung abgesehen, dass der Zeuge bei den
zwischen der [X.] und der Beklagten geführten Absprachen nicht zugegen gewesen sei und daher nur über Äußerungen berichten könne, die ihm gegenüber gemacht worden seien. Dies trifft schon deshalb nicht zu, weil der Zeuge an einem zwischen der Kläge-rin und der Beklagten geführten Telefonat unmittelbar mitgewirkt haben soll.

[X.]) Davon abgesehen ist das Beweismittel entgegen der Würdigung des [X.]s nicht deshalb ungeeignet, weil es sich nur um einen Zeugen vom [X.] handelt. Auch der Zeuge vom [X.] ist Zeuge, weil
er seine eigene konkrete Wahrnehmung bekunden soll. Zwar haftet dieser Art des Beweises eine besondere Unsicherheit an, die über die allgemeine Unzuverläs-sigkeit des Zeugenbeweises hinausgeht, so dass an die Beweiswürdigung hohe Anforderungen zu stellen sind. Dies kann
es aber nicht rechtfertigen, ein [X.] Beweismittel als unzulässig anzusehen ([X.], Urteil vom 3.
Mai 2006
-
XII
ZR 195/03, [X.]Z 168, 79 Rn.
21 mwN). Mit der Vernehmung eines Zeu-gen vom [X.] wird nicht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen, weil die Vernehmung eines Zeugen, der aus eige-ner Kenntnis nur Bekundungen Dritter über entscheidungserhebliche Tatsachen wiedergeben kann, grundsätzlich zulässig
ist ([X.], Urteil vom 10.
Mai 1984
-
III
ZR 29/83, NJW 1984, 2039, 2040; vom 2.
Mai 1990 -
IV
ZR
310/88, NJW-RR 1990, 1276).
Die Aussage eines Zeugen vom [X.] ist im 9
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Rahmen der freien Beweiswürdigung (§
286 ZPO) zu berücksichtigen ([X.], Urteil vom 4.
Juli 2002 -
IX
ZR 153/01, [X.], 89, 90).

dd) Nach diesen Maßstäben war das [X.] gehalten, den von der Klägerin benannten Zeugen zu vernehmen. Soweit der Zeuge
nach Darstel-lung der Klägerin an einem zwischen ihr und der Beklagten zu 1 geführten Ferngespräch teilgenommen hat, ist, weil es sich um eine aktive Mitwirkung und nicht um ein heimliches Mithören gehandelt haben soll,
bisher nicht ersichtlich, dass die Erkenntnisse des Zeugen unverwertbar wären (vgl. [X.], [X.], 1350, 1352 ff).

ee) Die vorstehenden Ausführungen gelten ebenfalls für die Klageforde-rung über 170.00e-weisantrag auf Vernehmung des Zeugen schlicht übergangen.

2. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das [X.] in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung gemäß §
185 Abs. 1 Satz 1 [X.] von Amts wegen einen Dolmetscher hinzuzuziehen haben wird, sofern
die der [X.] nicht mächtige Klägerin sich selbst zu den der Klageforde-rung zugrunde liegenden tatsächlichen Vorgängen zu erklären beabsichtigt (§
137 Abs.
4 ZPO).

a) Vom Schutzbereich des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör (Art.
103 Abs.
1 GG)
wird die Frage nicht umgriffen, ob und in welchem Umfang ein der [X.] nicht oder nicht hinreichend mächtiger Verfahrens-beteiligter einen Anspruch darauf hat, dass das Gericht ihm über einen Dolmet-scher oder Übersetzer zur Überbrückung von Verständigungsschwierigkeiten verhilft ([X.]E
64, 135, 144 f).
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Den aus solchen Verständigungsproblemen erwachsenden Gefährdun-gen begegnet das Grundgesetz durch die Gewährung eines rechtsst[X.]tlichen, fairen
Verfahrens, auf das der Verfahrensbeteiligte nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG einen grundrechtlich gesicherten Anspruch hat
(vgl. [X.], [X.]O
S. 145). In Einklang mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist gemäß § 185 Abs. 1 Satz 1 [X.] ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der [X.] Spra-che nicht mächtig sind. Die Bestimmung dient als Ausprägung des Grundsatzes des fairen Verfahrens der Wahrheitsfindung ([X.], ZPO, 22.
Aufl., § 185 [X.] Rn. 1; [X.]/Schütze/Schreiber, ZPO, 4. Aufl., § 185 Rn.
1). Es kann nicht hingenommen werden, einen der [X.] nicht oder nicht hinreichend mächtigen Verfahrensbeteiligten zu einem [X.] Objekt des Verfahrens herabzuwürdigen. Darum ist bei der Ausle-gung des §
185 [X.] zu berücksichtigen, dass
ein [X.] in die Lage versetzt werden muss, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvor-gänge zu verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können (vgl. [X.], [X.]O).

b) Vor diesem
Hintergrund wird die Hinzuziehung eines Dolmetschers allgemein in allen Fällen als geboten erachtet, in denen eine der [X.] nicht mächtige [X.] in einer mündlichen Verhandlung anwesend ist ([X.], [X.]O Rn. 5; [X.]/Schütze/Schreiber, [X.]O Rn. 2; [X.]/[X.],
ZPO, 76. Aufl., § 185 [X.] Rn. 3). Es kann dahin stehen, ob dieser naheliegenden Auffassung uneingeschränkt beizutreten und ein Dol-metscher auch hinzuzuziehen ist, wenn die der [X.] nicht hinrei-chend mächtige,
durch einen Verfahrensbevollmächtigten ordnungsgemäß ver-tretene [X.] ohne zwingende prozessuale Notwendigkeit aus eigenem Ent-15
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schluss an einer mündlichen Verhandlung teilnimmt (insoweit ablehnend [X.]/Lückemann, ZPO, 32.
Aufl., §
185 [X.] Rn.
1a). Jedenfalls hat das Gericht für die Hinzuziehung eines Dolmetschers Sorge zu tragen, wenn es das persön-liche Erscheinen einer der [X.] nicht mächtigen [X.] anordnet ([X.]/Lückemann, [X.]O). Gleiches gilt, wenn zwar nicht das persönliche Er-scheinen der [X.] angeordnet wird, diese
sich
aber -
wie im Streitfall
-
auf der Grundlage des §
137
Abs.
4 ZPO in der
mündlichen Verhandlung persönlich zu äußern beabsichtigt
(vgl. [X.]/Lückemann, [X.]O). In beiden
Gestaltungen kann, weil das prozessuale Äußerungsrecht der [X.] auch nicht infolge von Sprachbarrieren Einschnitte erleiden
darf,
nur die Beiziehung eines gerichtli-chen
Dolmetschers die gebotene einwandfreie Übersetzung ihrer Erklärungen
sicherstellen.

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c) Etwaige
Angaben der Klägerin zu dem hier maßgeblichen Sachverhalt sind im
Rahmen der abschließenden umfassenden Beweiswürdigung zu beach-ten.

Kayser
[X.]
Pape

[X.]
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 09.12.2016 -
4 [X.]/15 -

OLG [X.], Entscheidung vom 15.06.2017 -
5 U 9/17 -

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Meta

IX ZR 179/17

01.03.2018

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.03.2018, Az. IX ZR 179/17 (REWIS RS 2018, 13011)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13011

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Berufungszulassungsantrag (Asyl), Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Anhörung der gesetzlichen Vertreter eines Klägers, gehörlose Analphabeten, …


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IX ZR 179/17

5 U 9/17

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