Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.11.2021, Az. 4 C 1/20

4. Senat | REWIS RS 2021, 1265

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Gegenstand

Vorkaufsrecht im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung


Leitsatz

Der Ausübungsausschlussgrund des § 26 Nr. 4 BauGB greift auch bei Vorkaufsfällen im Gebiet einer Erhaltungssatzung (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 172 BauGB), wenn das Grundstück entsprechend deren Zielen und Zwecken bebaut ist und genutzt wird. Dabei kommt es maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts an, während mögliche zukünftige Entwicklungen nicht von Bedeutung sind.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des [X.] vom 22. Oktober 2019 und das Urteil des [X.] vom 17. Mai 2018 sowie der Bescheid des [X.] von [X.] vom 11. August 2017 und dessen Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2018 aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin ein Negativzeugnis über die Nichtausübung des Vorkaufsrechts für den Kaufvertrag vom 15. Mai 2017 über das [X.], ... [X.] zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts für ein Wohngrundstück.

2

Die Beigeladene ist Eigentümerin des [X.] in [X.]. Es ist mit einem Mehrfamilienhaus aus dem Jahre 1889 bebaut und verfügt in einem fünfgeschossigen Vorderhaus, einem Seitenflügel und einem Quergebäude über insgesamt 20 Mietwohnungen und 2 Gewerbeeinheiten. [X.] wurden Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt, wozu auf der Grundlage eines [X.] mit dem beklagten Land öffentliche Fördermittel in Anspruch genommen wurden. Das Grundstück befindet sich im räumlichen Geltungsbereich der vom [X.] erlassenen Erhaltungsverordnung für das Gebiet "[X.]", die als sogenannte Milieuschutzsatzung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB der Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung dient. Des Weiteren gilt für das Grundstück eine Verordnung des beklagten [X.], die einen Genehmigungsvorbehalt für die Begründung von Wohnungseigentum in Erhaltungsgebieten vorsieht. Schließlich liegt das Grundstück im Geltungsbereich eines [X.], der ein allgemeines Wohngebiet festsetzt.

3

Mit notariellem Vertrag vom 15. Mai 2017 verkaufte die Beigeladene das Grundstück zum Preis von 3,4 Mio. € an die Klägerin. Diese trat in den Fördervertrag ein, dessen Bindungen spätestens im Jahr 2026 ablaufen. Eine ihr vom Bezirksamt angebotene Vereinbarung über die Abwendung des Vorkaufsrechts lehnte die Klägerin ab. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft [X.] unterzeichnete als vorkaufsbegünstigter Dritter am 10. August 2017 eine Verpflichtungserklärung.

4

Mit Bescheid vom 11. August 2017 lehnte das Bezirksamt den Antrag auf Erteilung eines Negativzeugnisses ab und übte unter Berufung auf § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB sein Vorkaufsrecht zugunsten der [X.] aus.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage nach erfolglosem Widerspruchsverfahren ab. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts lägen vor. Das Wohl der Allgemeinheit könne dies schon dann rechtfertigen, wenn im Hinblick auf eine bestimmte gemeindliche Aufgabe überwiegende Vorteile für die Allgemeinheit angestrebt würden. Im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung sei dies gegeben, wenn erhaltungswidrige Entwicklungen zu befürchten seien, die der Käufer voraussichtlich beabsichtige. Die Anforderungen an diesen Nachweis dürften nicht überspannt werden. Bei einer Würdigung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse habe das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass mit der Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten der [X.] das Ziel der Erhaltungsverordnung gefördert werde. Es sei auch zu befürchten, dass in der nachgefragten innerstädtischen Lage die Zusammensetzung der sozialgemischten Wohnbevölkerung aufgrund der Verdrängung einkommensschwächerer Gruppen nicht erhalten werde. Der relativ hohe Kaufpreis lasse erwarten, dass die Klägerin das Grundstück anders als bisher nutzen und den Kaufpreis durch mieterhöhende bauliche Maßnahmen refinanzieren werde. Diese Annahme werde dadurch bestärkt, dass die Klägerin die angebotene Abwendungserklärung nicht angenommen habe. Sie sei eine private Immobiliengesellschaft, was für eine Bewirtschaftung bzw. Vermarktung des Wohngebäudes nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen und Erfordernissen spreche. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei schließlich nicht durch § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen. Diese Vorschrift sei dem Grunde nach anwendbar, wobei sich der Ausübungsausschluss im Falle einer gesonderten Erhaltungssatzung allein nach dessen zweiter Alternative richte. Diese sei ungeachtet des engen Wortlauts sachgerecht dahingehend auszulegen, dass bei der Beurteilung und Bewertung, ob das Grundstück entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme - hier der [X.] Erhaltungssatzung - genutzt werde, auch die zu erwartenden künftigen Nutzungen durch den Käufer zu berücksichtigen seien. Die Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten eines Dritten lägen vor. Schließlich habe der Beklagte sein Ermessen fehlerfrei betätigt.

6

Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass der vom Oberverwaltungsgericht zugrunde gelegte Maßstab nach § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB in sich widersprüchlich und fehlerhaft sei. Das Oberverwaltungsgericht missachte die gesetzliche Ausgestaltung der Ziele einer Erhaltungsverordnung nach § 172 BauGB, verzichte zu Unrecht auf eine konkrete Gefährdung der Erhaltungsziele durch den Grundstückserwerb und lege im Rahmen der Rechtfertigung der [X.] Umstände außerhalb des [X.] zugrunde. Des Weiteren gehe es rechtsfehlerhaft davon aus, dass § 26 Nr. 4 Alt. 1 BauGB für Grundstücke, die wie hier im Geltungsbereich sowohl eines Bebauungsplans als einer Erhaltungssatzung lägen, nicht einschlägig sei. Im Rahmen des § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB berücksichtige das Oberverwaltungsgericht zu Unrecht künftige erhaltungswidrige Entwicklungen.

7

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts [X.]-Brandenburg vom 22. Oktober 2019 und das Urteil des Verwaltungsgerichts [X.] vom 17. Mai 2018 sowie den Bescheid des [X.] vom 11. August 2017 und dessen Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin ein Negativzeugnis über die Nichtausübung des Vorkaufsrechts für den Kaufvertrag vom 15. Mai 2017 über das [X.], ... [X.] zu erteilen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Er verteidigt das angefochtene Urteil, ist allerdings der Auffassung, dass § 26 Nr. 4 BauGB auf ein Vorkaufsrecht im Geltungsbereich einer [X.] Erhaltungssatzung schon deswegen keine Anwendung finde, weil es sich dabei nicht um eine städtebauliche Maßnahme handele.

Die Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der [X.] kann auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen selbst antragsgemäß über das geltend gemachte Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Beklagte das Vorkaufsrecht am betroffenen Grundstück der [X.] auf der Grundlage von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 24 Abs. 3, § 27a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] rechtmäßig ausgeübt. Dieser Bewertung steht jedoch der [X.] nach § 26 Nr. 4 Alt. 2 [X.] entgegen.

1. Das Grundstück der [X.] liegt im Geltungsbereich der auf der Grundlage des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 246 Abs. 2 Satz 1 [X.], § 30 Abs. 1 Satz 1 AG[X.]-BE erlassenen Erhaltungsverordnung "[X.]" vom 25. Mai 2005. Deren Rechtmäßigkeit wird von den Beteiligten nicht infrage gestellt; diesbezügliche Zweifel drängen sich dem [X.] auch nicht auf. Der Beklagten steht folglich nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] ein Vorkaufsrecht zu. Es darf gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 [X.] nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff wird begrenzt im Sinne einer negativen Tatbestandsvoraussetzung durch die [X.] nach § 26 [X.] normativ begrenzt. Der dortige Katalog konkretisiert Beispielsfälle, in denen das Allgemeinwohl die Ausübung des Vorkaufsrechts typischerweise nicht rechtfertigt (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Juni 1993 - 4 B 100.93 - [X.] 406.11 § 25 [X.] Nr. 1 S. 2; vgl. auch Stock, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand Mai 2021, § 24 Rn. 63, § 26 Rn. 1). Hier steht § 26 Nr. 4 [X.] der Ausübung des Vorkaufsrechts entgegen. Auf die übrigen Erwägungen des Berufungsgerichts, insbesondere zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Satz 1 [X.], kommt es danach für die revisionsgerichtliche Prüfung nicht mehr an.

2. Nach § 26 Nr. 4 [X.] ist die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen, wenn - erstens - das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und - zweitens - eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 Satz 1 [X.] aufweist.

Die letztgenannte Voraussetzung ist nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) gegeben. Der Zustand des verkauften Anwesens steht seiner bestimmungsgemäßen Nutzung nicht entgegen; es entspricht auch den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Die erste Voraussetzung ist ebenfalls zu bejahen.

a) Dem steht nicht entgegen, dass nach den auf das nicht revisible Landesrecht bezogenen und auch als solchen nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts die im geltenden Baunutzungsplan festgesetzte Geschoßflächenzahl überschritten ist. Denn der Ausschlussgrund der Plankonformität der Bebauung und Nutzung (§ 26 Nr. 4 Alt. 1 [X.]), die sich mangels einschränkender Vorgaben im Gesetz auf alle nach Maßgabe des § 30 [X.] möglichen Festsetzungen bezieht (vgl. [X.], in: [X.], [X.], Stand September 2017, § 26 Rn. 47), ist nicht einschlägig, wenn die Ausübung des Vorkaufsrechts ungeachtet der planungsrechtlichen Situation mit der Wahrung der Ziele einer Erhaltungssatzung begründet wird.

Mit den beiden Alternativen der ersten Voraussetzung des § 26 Nr. 4 [X.] hat das Gesetz [X.] für verschiedenartige Vorkaufsrechte zusammengeführt, die gleichwohl in ihrer Zielrichtung unterscheidbar sind und weiterhin nach ihrem Bezugspunkt unterschieden werden. Schon die Verwendung des bestimmten Artikels (des Bebauungsplans) legt nahe, dass sich die Alternative 1 allein auf die Fallkonstellation bezieht, dass das Vorkaufsrecht der Sicherung der Festsetzungen eines Bebauungsplans dient (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]). Die Begründung des Gesetzentwurfs bestärkt dieses Verständnis, wenn dort - die Gesamtregelung allerdings nicht erschöpfend - als Regelungsvorbild allein auf § 24 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 [X.] und damit auf das Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.] verwiesen wird ([X.]. 10/4630 [X.] ), nicht aber auf das nach § 24a [X.], dessen Satz 3 auf § 24 Abs. 2 Satz 2 [X.] gerade nicht Bezug nimmt. Die Fallkonstellationen der Alternative 2 treten ergänzend hinzu: Eine Überschneidung der Anwendungsbereiche kommt nur dann in Betracht, wenn der Bebauungsplan gerade auf die Umsetzung der städtebaulichen Maßnahme zielt (siehe auch [X.], in: [X.], [X.], a.a.[X.], § 26 Rn. 40); dies ist hier schon aufgrund der zeitlichen Abläufe auszuschließen.

b) Der Klägerin kommt § 26 Nr. 4 Alt. 2 [X.] zugute.

aa) Zu den hiervon erfassten städtebaulichen Maßnahmen zählt grundsätzlich auch der Erlass einer Erhaltungssatzung nach § 172 [X.]. Dieser Begriff ist wie auch in § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] als Gegenbegriff zum Bebauungsplan weit zu verstehen; darunter fallen alle Maßnahmen, die einen städtebaulichen Bezug aufweisen und der Gemeinde dazu dienen, ihre Planungsvorstellungen zu verwirklichen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. April 1994 - 4 [X.] - [X.] 406.11 § 25 [X.] Nr. 2 S. 3; vom 8. September 2009 - 4 [X.] 38.09 - [X.] 74 Nr. 129 Rn. 4 und vom 19. Dezember 2018 - 4 [X.] 42.18 - [X.] 86 Nr. 78 S. 515). Diese können sich auch auf einen städtebaulich motivierten Bestands- bzw. Erhaltungsschutz beziehen (vgl. Stock, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand Mai 2021, § 25 Rn. 15; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 14. Aufl. 2019, § 25 Rn. 5; [X.], in: [X.] Kommentar zum [X.], Stand 2012, § 25 Rn. 4, Stand 2008, § 26 Rn. 10) und in diesem Rahmen als Teilaspekt einer "gemeindlichen Sozialplanung" (vgl. [X.]. 7/2495 S. 53) auch Ziele und Zwecke - in erster Linie durch eine entsprechende Nutzung des Bestands - verfolgen.

[X.] ist, dass in §§ 172 ff. [X.] der Begriff der "Maßnahme" nicht verwendet wird. Das unterscheidet die Vorschriften über die Erhaltungssatzung von anderen im [X.] (Besonderes Städtebaurecht) aufgeführten städtebaulichen Instrumenten wie insbesondere den Sanierungsmaßnahmen (§§ 136 ff. [X.]) und den Entwicklungsmaßnahmen (§§ 165 ff. [X.]), die auf eine Veränderung und Umgestaltung eines Gebiets ausgerichtet sind. Die auf den Schutz eines Bestands ausgerichtete Erhaltungssatzung samt den darauf beruhenden gemeindlichen Einwirkungsmöglichkeiten ist gleichwohl Teil des besonderen Maßnahmenrechts des Städtebaurechts (vgl. Stock, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand Mai 2021, § 172 Rn. 2; Bank, in: [X.], [X.], Stand Oktober 2011, Rn. 2 vor §§ 172-174; § 172 Rn. 9). Von einem umfassenden Begriff der städtebaulichen Maßnahme geht innerhalb des [X.] auch § 187 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] aus; denn hierunter fallen u.a. alle Satzungen, die auf der Grundlage des Baugesetzbuches erlassen werden [X.], in: [X.], [X.], 9. Aufl. 2019, § 187 Rn. 4; Schriever/Linke, in: [X.], [X.], Stand September 2015, § 187 Rn. 22; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand Mai 2021, § 187 Rn. 5). Dieses weite Verständnis findet sich im hier relevanten Kontext ebenfalls in der Begründung des Gesetzentwurfs, wenn dort im Zusammenhang mit der Abwendungsbefugnis unter Bezug auf die Vorschrift des § 24a Satz 2 [X.] betreffend das Vorkaufsrecht in [X.] von einer "maßnahmengemäßen" Nutzung die Rede ist ([X.]. 10/4630 [X.] ). Die bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs herangezogenen "Materialien zum Baugesetzbuch - Berichte der Arbeitsgruppen und der Gesprächskreise zum Baugesetzbuch" (Schriftenreihe 03 "Städtebauliche Forschung" des [X.], Bauwesen und Städtebau, Heft Nr. 03.108, 1984; siehe [X.]. 10/4630 [X.]) haben dieses Begriffsverständnis in gleicher Weise zugrunde gelegt (S. 137).

bb) Der Ausschlussgrund greift demnach auch bei [X.] im Gebiet einer Erhaltungssatzung (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 172 [X.]), wenn das Grundstück entsprechend deren Zielen und Zwecken bebaut ist und genutzt wird. Auch in dieser Fallgestaltung kommt es maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts an, während mögliche zukünftige Entwicklungen nicht von Bedeutung sind (siehe zum Streitstand etwa Stock, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand Mai 2021, § 26 Rn. 22). Dieses Verständnis der Norm knüpft an den hinreichend klaren und insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift an, der auch nicht mithilfe anderer Auslegungsmethoden überwunden werden kann.

(1) Das Gesetz bedient sich der Zeitform des Präsens ("bebaut ist und genutzt wird"), die zuvörderst einen gegenwärtigen Zustand umschreibt, nicht aber zukünftige Verhältnisse und Entwicklungen in den Blick nimmt. Daran ändert sich nichts dadurch, dass sowohl der Bebauung als auch der Nutzung ein Element der Dauer innewohnt; denn das Gesetz stellt ersichtlich gerade auf einen bestimmten Zeitpunkt in einem Kontinuum ab. Ein grammatikalisch durchaus möglicher und insbesondere in der Umgangssprache intendierter Zukunftsbezug bei Verwendung des Präsens kann sich zwar außer aus eindeutigen Zeitangaben auch aus dem Sinnzusammenhang ergeben. Allein der Verweis auf das Erhaltungsziel, das auf die (fortdauernde) Bewahrung eines gegebenen Zustands bezogen ist, reicht nicht aus, um den grammatikalischen Sonderfall als gegeben anzunehmen. Für ein abweichendes Wortverständnis gibt auch die Entstehungsgeschichte nichts her. Nach der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung ([X.]. 10/4630 [X.] ) ist § 26 Nr. 4 [X.] den Regelungen in § 24 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, Satz 3 Halbs. 1 [X.] nachgebildet. In § 24 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 [X.] fehlt indessen jeglicher Anhaltspunkt für eine zukunftsbezogene Verwendung des Präsens.

Der Wortlaut des § 26 Nr. 4 [X.] kann auch nicht mit der Begründung als unklar - und folglich auslegungsbedürftig - bezeichnet werden, dass bei einer am Wortlaut orientierten Auslegung das Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] bezogen auf den wesentlichen Inhalt des § 172 [X.] seinen Sinn verlöre (so [X.], in: [X.], [X.], Stand März 2003, § 24 Rn. 56). Vielmehr wird damit der Sache nach behauptet, dass die Vorschrift aus teleologischen Erwägungen einer den Wortlaut korrigierenden bzw. ergänzenden Auslegung bedürfe (so denn auch [X.] a.a.[X.] Rn. 58 f.).

(2) Stellt § 26 Nr. 4 [X.] nach seinem klaren Wortlaut einheitlich für alle [X.] bei der Beurteilung einer plan- bzw. maßnahmenkonformen Bebauung und Nutzung auf den gegenwärtigen Zustand ab, könnte der so verstandene [X.] bei [X.] im Gebiet einer Erhaltungssatzung nur dann unberücksichtigt bleiben und damit eine zukunftsgerichtete Betrachtung im Rahmen des § 24 Abs. 3 Satz 1 [X.] ermöglichen, wenn die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion der Norm vorlägen und demnach die zu weit gefasste Regelung auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen wäre (vgl. etwa [X.], Urteile vom 7. Mai 2014 - 4 CN 5.13 - [X.] 406.11 § 3 [X.] Nr. 15 Rn. 14 und vom 22. Mai 2014 - 5 C 27.13 - [X.] 428.4 § 1 [X.] Nr. 26 Rn. 21 f. m.w.N.). Eine gesetzgeberische Konzeption, die der Neuregelung des Vorkaufsrechts im Gesetz über das Baugesetzbuch zugrunde liegt, im [X.] aber nur unvollkommen zum Ausdruck gekommen ist und folglich eine entsprechende Korrektur eines insoweit "misslungenen" Gesetzestextes erforderte (siehe etwa [X.], in: [X.] Kommentar zum [X.], Stand 2008, § 26 Rn. 11; so bereits in der Vorauflage [X.], in: [X.] Kommentar zum [X.], 2. Aufl. 1995, § 26 Rn. 8), ist jedoch mit der gebotenen Eindeutigkeit nicht nachzuweisen. Demgegenüber reicht der Hinweis nicht aus, dass allein eine den Wortlaut des Gesetzes berichtigende Interpretation zu einer als wünschenswert und sinnvoll erachteten Regelung führe. Eine solche vor dem Hintergrund neuer Entwicklungen und drängender Probleme auf dem Wohnungsmarkt zu schaffen, ist Sache des Gesetzgebers.

Den Gesetzesmaterialien zur Ausgestaltung des Vorkaufsrechts im Baugesetzbuch ist nicht zu entnehmen, dass das der Sicherung von städtebaulichen Erhaltungszielen dienende Vorkaufsrecht nach § 24a [X.] in seiner inhaltlichen Ausformung unverändert in das Baugesetzbuch überführt werden sollte.

Die Gesetzesänderungen im Bereich des Vorkaufsrechts zielten allgemein darauf ab, die Regelungen zu straffen oder aus Gründen der Vereinfachung neu zu fassen ([X.]. 10/4630 Einl. B. 11, [X.], 52). Das Vorkaufsrecht sollte auf der Grundlage der gewonnenen Erfahrungen "auf die Fälle wirklichen städtebaulichen Bedürfnisses beschränkt werden" ([X.]. 10/4630 [X.]). Wegen geringer praktischer Bedeutung sollten die Vorkaufsrechte nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 und nach § 25a [X.] entfallen. Eine nur beschränkte Relevanz des Vorkaufsrechts nach § 24a [X.] stand dem Gesetzgeber ebenfalls deutlich vor Augen. Aus Untersuchungen, auf die in den bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs herangezogenen "Materialien zum Baugesetzbuch" Bezug genommen wird ([X.]), geht hervor, dass das Vorkaufsrecht nach § 24a [X.] niemals angewendet und nur viermal - jeweils außerhalb von [X.] - angedroht worden ist (siehe [X.]/Schmidt-Eichstaedt, Praktische Erfahrungen mit dem Bundesbaugesetz, Forschungsbericht 34, 1984, [X.] f., 251). Auch zur Reduzierung eines angesichts des geringen Anteils von Fällen, in denen ein Vorkaufsrecht überhaupt ausgeübt wurde, letztlich überflüssigen Verwaltungsaufwands ist in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] das Vorkaufsrecht auf die durch Satzung festgesetzten Gebiete beschränkt worden (siehe auch Materialien a.a.[X.] S. 136); ein solches Erfordernis war nach dem Gesetzeswortlaut bisher nicht vorgesehen (so auch die h.M. im Schrifttum, siehe die Nachweise bei [X.], [X.] 1986, 96 <98 mit [X.]. 29>). Aus der Formulierung "Nr. 4 entspricht § 24a des Bundesbaugesetzes" ([X.]. 10/4630 [X.] ) kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass mit Ausnahme des räumlichen Anwendungsbereichs das Vorkaufsrecht insoweit im Wesentlichen unberührt bleiben sollte (so aber [X.], in: [X.], [X.], Stand März 2003, § 24 Rn. 57). Dem steht schon entgegen, dass es nunmehr an einer tatbestandlichen Anknüpfung an zukünftige Nutzungsabsichten fehlt (vgl. [X.], in: [X.], [X.], Stand Juli 2018, § 24 Rn. 185). Nichts anderes folgt auch aus der allgemeinen Feststellung, wonach der Gemeinde "gesetzliche Vorkaufsrechte weiterhin (...) in [X.] nach dem bisherigen § 39h [X.] zustehen" sollen ([X.]. 10/4630 [X.]). Denn über den genauen Inhalt dieses Rechts ist damit noch nichts gesagt. Es wird vielmehr durch die Neuregelung im Einzelnen ausgeformt.

Mit der Ausübungsvoraussetzung nach § 24 Abs. 3 [X.] wird in Bezug auf eine Rechtfertigung durch das Wohl der Allgemeinheit die alte Rechtslage wiederholt (§ 24a Satz 3 i.V.m. § 24 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Demgegenüber wird mit der Neuregelung der [X.] insoweit die Rechtslage geändert, als diese Gründe nunmehr einheitlich für alle Vorkaufsrechte gelten und der Ausschlussgrund der plankonformen Bebauung und Nutzung (§ 24 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 [X.]) entsprechend auf eine maßnahmenkonforme Bebauung und Nutzung erstreckt wird (vgl. auch [X.], Beschluss vom 29. Juni 1993 - 4 B 100.93 - [X.] 406.11 § 25 [X.] Nr. 1 S. 3). Darin liegt ein Unterschied zum [X.] im Bericht der [X.], die sich in Absatz 4 des Vorschlags zum Ausschluss des Vorkaufsrechts noch im [X.] an die bestehenden Vorschriften auf die planentsprechende Bebauung und Nutzung beschränkt hat und somit festhalten konnte, dass die Ausschlussgründe des geltenden Rechts erhalten bleiben (Materialien a.a.[X.] S. 138). Wenn der Gesetzentwurf hiervon abweicht und die Reichweite des [X.] erweitert, spricht vieles dafür, dass er sich für eine neue inhaltliche Ausgestaltung des Vorkaufsrechts im Gebiet von [X.] ausgesprochen hat. In den weiteren parlamentarischen Beratungen ist darauf - soweit schriftlich dokumentiert - nicht weiter eingegangen worden (siehe [X.]. 10/6166 [X.] f.), der Bundesrat hat zu §§ 24 bis 26 [X.]-E keine Empfehlungen formuliert (siehe [X.]. 575/1/85 S. 42 bis 44), und das Gesetz ist so verabschiedet worden. Damit wird das Vorkaufsrecht in [X.] eingeengt, läuft aber nicht von vornherein leer. Ein Anwendungsbereich verbleibt jedenfalls in den Fällen, in denen eine bauliche Anlage Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 Satz 1 [X.] aufweist (vgl. auch [X.], in: [X.], [X.], Stand September 2017, § 26 Rn. 53; Stock, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand Mai 2021, § 27 Rn. 44). Ein eindeutiger Widerspruch zwischen der in der Begründung des Gesetzentwurfs formulierten [X.] und dem Verständnis der gesetzlichen Regelung, die eine interpretatorische Korrektur angezeigt erscheinen ließe, liegt folglich nicht vor. Vielmehr war dem Gesetzgeber eine solche Beschränkung des Anwendungsbereichs des Vorkaufsrechts im Interesse einer Vereinheitlichung und auch Vereinfachung der verschiedenen Vorkaufsrechte - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der (damals) geringen praktischen Bedeutung dieses städtebaulichen Instruments - unbenommen. Eine Vereinfachung des Vorkaufsrechts mag dabei auch darin gesehen werden, dass zum einen die Schwierigkeiten eines hinreichend verlässlichen Nachweises künftiger erhaltungswidriger Nutzungsabsichten entfallen (siehe dazu [X.], in: [X.], [X.], Stand Juli 2018, § 24 Rn. 182 f.) und zum anderen eine Abgrenzung entbehrlich ist, inwiefern die Erhaltungsziele die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigen oder die Möglichkeiten einer Genehmigungsversagung nach § 172 Abs. 4 [X.] für deren Verwirklichung ausreichen (siehe dazu Stock, in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], Stand Mai 2021, § 24 Rn. 65a, 76 einerseits; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 14. Aufl. 2019, § 24 Rn. 25 a.E. andererseits).

Des Weiteren belegen auch die neugefassten Regelungen über das Abwendungsrecht in § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht, dass dem Gesetzgeber dabei die Ausübung des Vorkaufsrechts zur Abwehr drohender Nutzungsänderungen in [X.] vor Augen stand. Die Ausübung des Vorkaufsrechts kann abgewendet werden, wenn der Käufer in der Lage ist, das Grundstück binnen angemessener Frist den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme entsprechend zu nutzen. Die Abwendung setzt folglich ein fristgerechtes Handeln voraus. Eine Verpflichtung zum Unterlassen einer Änderung, die in Zukunft zu befürchten steht, wird demgegenüber nicht erwähnt.

3. Kommt es von Gesetzes wegen allein auf eine maßnahmenkonforme Nutzung im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts an, ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die mit dem insoweit übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten in Einklang stehen, die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage hat danach auch insoweit Erfolg, als sie auf die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines Negativzeugnisses gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 [X.] gerichtet ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO.

Meta

4 C 1/20

09.11.2021

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 22. Oktober 2019, Az: OVG 10 B 9.18, Urteil

§ 24 Abs 1 S 1 Nr 1 BauGB, § 24 Abs 3 S 1 BauGB, § 26 Nr 4 BauGB, § 27 Abs 1 S 1 BauGB, § 28 Abs 1 S 3 BauGB, § 172 Abs 1 S 1 Nr 2 BauGB, § 177 Abs 2 BauGB, § 177 Abs 3 S 1 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.11.2021, Az. 4 C 1/20 (REWIS RS 2021, 1265)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1265

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