Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.10.2012, Az. V ZB 72/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 2365

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 72/12

vom

11. Oktober 2012

in der Zurückschiebungshaftsache

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 11. Oktober 2012
durch die
Vor-sitzende Richterin
Dr. Stresemann
und
die Richter [X.],
Prof.
Dr. Schmidt-Räntsch, [X.] und Dr. Kazele
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des [X.] vom 29. März 2012 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 5. Januar 2012 den Betroffenen in seinen Rech-ten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik [X.]
auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:
I.
Der Betroffene, ein [X.] St[X.]tsangehöriger, wurde am [X.] 2011 festgenommen, als er unerlaubt nach [X.] einreiste. Die [X.] Behörde stellte fest, dass der Betroffene in den [X.] hatte, und erwirkte die Anordnung von Haft zur Sicherung der Zurück-schiebung bis zum 15. März 2012. Die
Zurückschiebung
scheiterte daran, dass 1
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der vorgesehene Flug witterungsbedingt verspätet war und der Betroffene nicht mehr den [X.] Behörden übergeben werden konnte. Auf erneuten Haftantrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 5.
Januar 2012 gegen den Betroffenen zur Sicherung eines zweiten Versuchs der Zurückschiebung in die [X.] Haft bis zum 26. Januar 2012 ange-ordnet. Die nach seiner Zurückschiebung in die [X.] am 12. Januar 2012 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung gerichtete Be-schwerde des Betroffenen
hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter. Die beteiligte Behörde beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.
Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung für rechtmäßig. Die
Vo-raussetzungen
für die Anordnung von Zurückschiebungshaft nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 5 [X.] hätten vorgelegen. Der Betroffene sei unerlaubt eingereist. Es hätten auch konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, dass er sich der Zurückschiebung entziehen wolle.

III.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
Gegen den Betroffenen war zwar schon durch den Beschluss des [X.] vom 15. Dezember 2011 Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 15. März 2012 angeordnet worden. Grundlage der Inhaftierung des Be-troffenen war aber seit dem 5. Januar 2012 nicht mehr die frühere, sondern die 2
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an diesem Tag angeordnete neue Haft. Die frühere Haftanordnung bot hierfür keine Grundlage mehr, weil der durch sie
gesicherte erste Versuch der Zurück-schiebung aus Gründen gescheitert war, die der Betroffene nicht zu vertreten hatte (vgl. [X.], [X.] 2009, 188, 189; [X.], [X.], 639, 640).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Ausführungen des [X.] rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten.
a) Die Haftanordnung des Amtsgerichts hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil es bereits an einem zulässigen Haftantrag nach §
417 FamFG fehlte.
[X.]) Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschlüsse
vom 29. April 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 210, 211 Rn. 12
und vom 22. Juli 2010 -
V [X.], NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn.
7). Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden.
Erforder-lich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den [X.], zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbar-keit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§

417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzu-lässigkeit des [X.] (Senat, Beschlüsse
vom 29. April 2010 -
V
[X.], [X.] 2010, 210, 211
Rn. 14, vom 22. Juli 2010 -
V [X.], NVwZ 2011, 1511, 1512
Rn. 8
und vom 7. April 2011 -
V [X.], juris Rn. 7).
[X.]) Zu den in dem Haftantrag [X.] gehört das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] erforderliche Einverneh-men der St[X.]tsanwaltschaft, wenn sich -
wie hier -
aus dem Haftantrag oder den ihm beigefügten Unterlagen ergibt, dass gegen den Betroffenen ein straf-5
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rechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist
(Senat, Beschluss vom 20.
Januar 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 144 Rn. 9). Erforderlich ist das Einvernehmen auch bei einer Zurückschiebung (Senat, Beschluss vom 24.
Februar 2011 -
V ZB 202/10,
[X.] 2011, 146, 147 Rn. 17-21). [X.] ist das Einvernehmen auch dann, wenn die St[X.]tsanwaltschaft ihr Einver-nehmen generell erteilt hat, und dies dem Gericht bekannt ist (Senat, Beschlüs-se
vom 7.
Juni 2011 -
V [X.], juris Rn. 10
und vom 13. Oktober 2011
-
V [X.], juris Rn. 6). Diesem Erfordernis hat die beteiligte Behörde hier nicht entsprochen. Sie hat zwar mitgeteilt, die St[X.]tsanwaltschaft S[X.]rbrücken habe ihr Einvernehmen mit der Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung gene-rell für
Fälle erteilt, in denen Ermittlungsverfahren allein wegen unerlaubter [X.] eingeleitet worden seien. Diese allgemeine Aussage genügt aber nicht den Anforderungen, weil sie nicht prüffähig ist. Die Angabe zu dem Einverneh-men der St[X.]tsanwaltschaft soll den Betroffenen darüber informieren, woraus die antragstellende Behörde die Zustimmung der St[X.]tsanwaltschaft entnimmt, und ihm die Prüfung ermöglichen, ob das Einvernehmen tatsächlich generell erteilt worden ist und auch seinen Fall erfasst
(Senat, Beschluss vom
31.
Mai 2012 -
V [X.], [X.], 2448 Rn. 8). Das ist bei einem generell erteilten Einvernehmen etwa dadurch
zu erreichen, dass
das Datum und das Aktenzeichen angegeben werden, unter welchem die St[X.]tsanwaltschaft das Einverständnis erteilt haben
soll. Ohne eine solche Konkretisierung ist die An-gabe zum Einvernehmen der St[X.]tsanwaltschaft nicht prüffähig. So hat die St[X.]tsanwaltschaft S[X.]rbrücken in einer Verfügung des Leitenden Oberst[X.]ts-anwalts bei dem [X.] S[X.]rbrücken vom 28. Februar 1991 zum Beispiel
das Einvernehmen gerade nicht generell erteilt, sondern nur angekündigt, dies im Einzelfall erteilen zu wollen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2011
-
V [X.], juris Rn. 6).

-
6
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[X.]) Der Mangel des [X.] wäre zwar -
mit Wirkung für die Zukunft -
geheilt worden, wenn die beteiligte Behörde die fehlenden Angaben nachgeholt und der Betroffene Gelegenheit erhalten hätte, dazu in einer persönlichen An-hörung Stellung zu nehmen (vgl. Senat, Beschlüsse
vom 29. September 2011
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V [X.], juris Rn. 8
und vom 6. Oktober 2011 -
V [X.], juris Rn. 12 f.). Hierzu ist es aber nicht gekommen.
b) Die Haftanordnung hätte auch deshalb nicht ergehen dürfen, weil der Antrag dem Betroffenen nach dem Protokoll zu Beginn der Anhörung vor dem Amtsgericht lediglich "bekanntgegeben", aber nicht ausgehändigt worden ist. Das genügte
nicht.
[X.]) Der Haftantrag kann dem Betroffenen zwar erst zu diesem Zeitpunkt eröffnet werden, wenn er einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überra-schung ohne weiteres auskunftsfähig ist (Senat, Beschluss vom 4. März 2010
-
V [X.], [X.], 323, 330 Rn. 16 mwN). Das bedeutet aber nicht, dass sich der Haftrichter in einem solchen Fall darauf beschränken dürfte, den Inhalt des [X.] mündlich vorzutragen. Vielmehr muss dem Betroffenen in jedem Fall eine Kopie des [X.] ausgehändigt werden und dies in dem Anhörungsprotokoll oder an einer
anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012 -
V [X.], juris Rn. 9). Die gebotene Aushändigung des [X.] ist hier nicht erfolgt, jedenfalls nicht dokumentiert.
[X.]) Anders als die beteiligte Behörde
meint, war die Aushändigung eines Exemplars des neuen [X.] nicht deshalb entbehrlich, weil dem [X.] ein Exemplar des alten [X.] ausgehändigt worden ist und der neue Antrag mit dem alten im Wesentlichen übereinstimmt. Ohne ein Exemplar
des 9
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neuen [X.] konnte weder der Betroffene noch sein Rechtsanwalt prüfen, ob die beiden Anträge tatsächlich im Wesentlichen übereinstimmen. Vor allem musste die beteiligte Behörde ihren alten Haftantrag fortschreiben und darle-gen, dass und weshalb die Zurückschiebung bei dem ersten Versuch geschei-tert ist, sowie dass und in welchem Zeitraum mit einem Gelingen des zweiten Versuchs zu rechnen war. Diese Angaben konnte der Betroffene nur dem [X.] entnehmen.
[X.]) Die Aushändigung eines Exemplars des [X.] an den [X.] war schließlich nicht deshalb entbehrlich, weil er dessen Rechtsanwalt während der Anhörung per Telefax übermittelt worden ist. Dadurch hat zwar der Rechtsanwalt Kenntnis von dem Inhalt des [X.] erhalten. Die [X.] einer Kopie des [X.] soll aber gewährleisten, dass der Betroffene seine Rechte effektiv wahrnehmen kann (Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012
-
V [X.], juris Rn. 9). In dieser Hinsicht änderte die Unterrichtung seines Rechtsanwalts während der Anhörung für den Betroffenen nichts. Ihm stand ein Exemplar nicht zur Verfügung. Sein Rechtsanwalt war bei der Anhörung nicht anwesend.

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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
81 Abs.
1 Satz
1 und 2, §
83 Abs.
2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
Stresemann
[X.]
Schmidt-Räntsch

Czub
Kazele

Vorinstanzen:
AG Bingen am Rhein, Entscheidung vom 05.01.2012 -
110 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 29.03.2012 -
8 T 26/12 -

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Meta

V ZB 72/12

11.10.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.10.2012, Az. V ZB 72/12 (REWIS RS 2012, 2365)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2365

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