Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.09.2011, Az. 2 StR 600/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3548

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafverfahren wegen Untreue: Bestimmung des untreuerelevanten Vermögensnachteils


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 24. Februar 2010 dahin ergänzt, dass von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten ein Monat Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

2. Die Revision des Angeklagten B.      gegen das Urteil des [X.] vom 24. Februar 2010 wird verworfen.

3. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen Untreue in drei Fällen schuldig gesprochen. Gegen den Angeklagten [X.]hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, gegen den [X.]     eine Gesamtfreiheitstrafe von zwei Jahren verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die hiergegen gerichtete Revision des [X.]    bleibt ohne Erfolg. Die Revision des Angeklagten [X.]     ist im Wesentlichen erfolglos; das Urteil ist lediglich um eine Kompensation für einen Konventionsverstoß zu ergänzen.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.] waren die Angeklagten geschäftsführende Gesellschafter der [X.], die zunächst mit der Vermittlung von Versicherungen für den [X.], ab Januar 2006 auch mit dem [X.] für die A.    Krankenversicherung AG beschäftigt war.

3

Im Juni 2006 kam es zu einer vertraglichen Vereinbarung mit der [X.] Versicherungsgesellschaft [X.]     , für diese gegen Entgelt als [X.] Versicherungen zu vertreiben und die [X.] sowie die Schadensbearbeitung zu übernehmen. Die [X.] hatte monatlich die eingenommenen Versicherungsprämien an die [X.]      weiterzuleiten. Hiervon in Abzug zu bringen waren die Schadensbearbeitungskosten, d.h. die an die Versicherten gezahlten Entschädigungsleistungen sowie die hiermit in Zusammenhang stehenden Aufwendungen (Kosten für Gutachten etc.) mit Ausnahme der allgemeinen Verwaltungskosten (z.B. Personalkosten, Büromieten), die von der [X.] zu tragen waren. Zur Schadensbearbeitung war die [X.] berechtigt, vereinnahmte Prämien bis zur Höhe von einer Mio. € durch Verrechnung als "[X.]" zurückzuhalten. Das Entgelt für die von der [X.] zu erbringenden Leistungen bestand in einem Prämienaufschlag gegenüber den Versicherungsnehmern. Dieser reichte jedoch nicht aus, um den hohen Kostenaufwand der [X.] zu decken, weshalb diese von Anfang an monatliche Verluste von mehreren 100.000 € zu verzeichnen hatte. Nachverhandlungen der [X.] mit der [X.]      über eine zusätzliche Provision scheiterten. Infolge dessen wurden ab [X.] 2006 vorrangig besonders bedürftige Kunden und solche, die sich mehrfach beschwert hatten, entschädigt, während die anderen "hingehalten" wurden. Die [X.] erstellte unter dem 22. Dezember 2006, 31. Januar 2007 und 8. Februar 2007 Abrechnungen, in die sie die Prämieneinnahmen zutreffend einstellte. Entgegen der vertraglichen Vereinbarung brachte sie jedoch - was die Angeklagten wussten - nicht nur die tatsächlich gezahlten Entschädigungen, sondern auch die lediglich angemeldeten, noch nicht regulierten Schäden in Abzug. Aufgrund der Höhe dieser vermeintlichen Entschädigungsleistungen und unter Berücksichtigung des von der [X.] berechtigterweise unterhaltenen [X.] von einer Mio. € führte die Gesellschaft zu keinem Zeitpunkt Prämien an die [X.]       ab. Die vorenthaltenen Prämien in Höhe von etwa 4.303.040 € verwendeten die Angeklagten zur Deckung ihrer Kosten und zum Aufbau der S.    -Gruppe.

4

Das [X.] hat das Handeln der Angeklagten jeweils als Untreue in drei Fällen - entsprechend den erfolgten drei Abrechnungen - gewertet. Diese hätten ihre gegenüber der [X.]      als Treugeberin bestehende Vermögensbetreuungspflicht verletzt, indem sie es unterlassen hätten, entsprechend ihrer vertraglichen Verpflichtung monatlich die [X.] abzuführen. Den der [X.]       entstandenen Schaden hat das [X.] aufgrund der Abrechnung vom 22. Dezember 2006 (Abrechnungszeitraum Juni bis November 2006) auf 1.434.419,51 €, der Abrechnung vom 31. Januar 2007 (Abrechnungszeitraum Dezember 2006) auf 382.057,36 € und der Abrechnung vom 8. Februar 2007 (Abrechnungszeitraum Januar 2007) auf 431.135,74 € beziffert. Hierbei hat es von den eingenommenen Prämien einen Betrag von einer Mio. € für den [X.], die von der [X.]        zu tragenden Aufwendungen zur Schadensbearbeitung und die tatsächlich erbrachten Schadenszahlungen in Abzug gebracht und zudem einen Sicherheitsabschlag von 20 % vorgenommen.

II.

5

Die Verfahrensrügen haben - mit Ausnahme des von dem Angeklagten [X.]  geltend gemachten Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] (siehe dazu unten II. 2) - aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] keinen Erfolg. Auch die Sachrüge ist unbegründet.

6

1. a) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des [X.] tragen die Schuldsprüche wegen Untreue in drei Fällen. Die Tathandlung besteht jeweils in einem Unterlassen i.[X.]. § 13 StGB, dem Nichtabführen der [X.] zum monatlichen Abrechnungszeitpunkt. Für die Abgrenzung von [X.] und Unterlassen kommt es auf den Schwerpunkt des Täterverhaltens an, über das in wertender Würdigung zu entscheiden ist ([X.]St 6, 46, 59; NStZ 1999, 607). Hier liegt - schon mit Blick darauf, dass ins Einzelne gehende Feststellungen zur vertragswidrigen Verwendung der Gelder nicht getroffen sind - der Schwerpunkt des treuwidrigen Verhaltens in der unterbliebenen Weiterleitung der zum Abrechnungszeitpunkt an die [X.]       zu zahlenden [X.]. Demgegenüber tritt die als positives [X.] zu betrachtende Erstellung falscher Abrechnungen bei wertender Betrachtung als bloße Vorbereitung der den eigentlichen Schaden herbeiführenden Nichtabführung zu zahlender Prämien zurück. Soweit das [X.] die treuwidrige Handlung i.[X.]. § 266 StGB nicht zum jeweiligen vertraglich vorgesehenen monatlichen Abrechnungsstichtag, sondern zum Zeitpunkt der drei Prämienabrechnungen angenommen hat, belastet dies die Angeklagten nicht, die sich ansonsten wegen acht Untreuestraftaten zu verantworten gehabt hätten.

7

b) Das [X.] hat auch den eingetretenen Vermögensnachteil zutreffend berechnet.

8

Ein Nachteil i.[X.]. § 266 StGB liegt vor, wenn die treuwidrige Handlung unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Treugebers führt (Prinzip der Gesamtsaldierung, [X.]St 15, 342, 343 f.; 47, 295, 301 f.; [X.], 205, 206; 2010, 330, 331). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der pflichtwidrigen Tathandlung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach dieser Handlung.

9

Nach den Feststellungen des [X.] nahmen die Angeklagten zu den jeweiligen Abrechnungszeitpunkten eine Abrechnung vor, die die abzuführenden Prämien nach Abzug eines Betrages von einer Mio. € für den [X.], den von der [X.]     zu tragenden Aufwendungen zur Schadensbearbeitung sowie den tatsächlich von der [X.] erbrachten Entschädigungszahlungen sowie den lediglich angemeldeten, aber noch nicht regulierten Schadensbeträgen für den jeweiligen Zeitraum verbindlich und abschließend darstellte. Sie reduzierten damit den auszuzahlenden Betrag an eingenommenen Prämien zu Unrecht um Beträge für lediglich angemeldete Schadensposten. Die Angeklagten beabsichtigten nach ihren Vorstellungen nicht, die vorenthaltenen Prämien jemals auszuzahlen; sie wollten vielmehr die vertragswidrig einbehaltenen Geldbeträge durch eine bewusst falsche Abrechnungsweise als berechtigt einbehalten ausweisen und diese zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs nach und nach vertragswidrig für eigene Zwecke verwenden. Damit war zum jeweiligen Abrechnungszeitpunkt ein endgültiger Schaden eingetreten. Der Umstand, dass die [X.] in Einzelfällen Entschädigungszahlungen, die sie in ihrer Abrechnung zunächst nur zum Schein als bereits ausgezahlt verbucht hat, im Nachhinein bei besonders drängenden oder bedürftigen Versicherungsnehmern tatsächlich noch erbracht hat, steht dem nicht entgegen. Das [X.] von durch spätere Geschäfte erzielten "Vermögensvorteilen" (Befreiung von einer Verbindlichkeit gegenüber den Versicherten) durch die Treugeberin konnte den bereits eingetretenen Schaden nicht mehr beseitigen, sondern stellte eine bloße Schadenswiedergutmachung dar (vgl. [X.]St 55, 266, 284).

Der der [X.]     entstandene Vermögensnachteil beläuft sich daher - es ist zu keinerlei Auszahlungen an sie gekommen - auf die Summe der eingenommenen Prämienzahlungen abzüglich des Betrages von einer Mio. € für den [X.], die von der [X.]     zu tragenden Aufwendungen zur Schadensbearbeitung und die tatsächlich von der [X.] erbrachten Entschädigungszahlungen. Der hypothetische Umstand, dass jedenfalls ein Teil der angemeldeten und noch nicht regulierten Schäden, die die [X.] in ihren Abrechnungen als bereits ausgezahlte Schadensersatzleistungen auswies, von der [X.] hätte erstattet werden müssen und von dieser dann hätte einbehalten werden dürfen, hat bei der Schadensberechnung unberücksichtigt zu bleiben. Eine Kompensation durch Zugrundelegung hypothetischer Sachverhalte findet bei der Schadensberechnung nicht statt (für den Bereich des Sozialversicherungsrechts [X.] NStZ 1995, 85, 86; [X.], 313, 315).

2. Schließlich begegnet die von der [X.] vorgenommene Strafzumessung hinsichtlich des Angeklagten [X.]keinen rechtlichen Bedenken. Entgegen der Auffassung der Revision hat das [X.] dem Postulat des [X.], dass gegen Mittäter verhängte Strafen in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollen (vgl. zuletzt [X.] NJW 2011, 2597 mwN), Rechnung getragen. Es hat bei dem Angeklagten [X.] eingestellt, dass dieser - im Gegensatz zu dem [X.]     , der keine Vorstrafe aufweist, den [X.] weitgehend eingeräumt hat und u.a. angesichts einer eingetragenen Zwangshypothek von 800.000 € wirtschaftlich ruiniert ist - einschlägig hinsichtlich einer in allen Einzelheiten vergleichbaren Tat vorbestraft ist und sich beim Ermittlungsrichter lediglich teilweise geständig eingelassen hat. Angesichts beschränkter revisionsgerichtlicher Kontrolle ist daher das unterschiedliche Strafmaß nicht zu beanstanden.

3. Zu Recht beanstandet die Revision des Angeklagten [X.]  mit der Verfahrensrüge nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] allerdings, dass nach der Urteilsverkündung eine der Justiz anzulastende, erhebliche Verfahrensverzögerung eingetreten ist. Dem Angeklagten [X.] wurde das am 24. Februar 2010 verkündete Urteil am 21. Mai 2010 zugestellt. Diese Urteilszustellung war unwirksam, da das [X.] vom 8. Februar 2010 von dem Protokollführer nicht unterschrieben und das Protokoll daher nicht fertiggestellt war. Fertig gestellt i.[X.]. § 271 Abs. 1 Satz 2 StPO ist das Protokoll erst mit der letzten Unterschrift der Urkundsperson ([X.]St 23, 115, 117; [X.] 54. Aufl. § 271 Rn. 19). Fehlt es hieran, ist eine vorangegangene Urteilszustellung unwirksam ([X.]St 27, 80, 81). Die deshalb erforderliche erneute Urteilszustellung erfolgte am 10. Dezember 2010. Infolge dessen ist eine unangemessene Verfahrensverzögerung von mehr als sechs Monaten eingetreten. Über die angemessene Kompensation kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 a Satz 2 StPO selbst entscheiden (vgl. [X.] NStZ-RR 2008, 208, 209). Auf der Grundlage der [X.] ([X.] NJW 2008, 860) stellt der Senat fest, dass von der verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten ein Monat Freiheitsstrafe als Entschädigung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt.

4. Die gegen die Verurteilung insgesamt gerichtete Revision des Angeklagten [X.]     hat nur einen geringen Teilerfolg, so dass es nicht unbillig ist, diesen mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).

Fischer     

Schmitt     

Herr Ri[X.] Dr. Berger
ist wegen Urlaubs an
der Unterschriftsleistung
gehindert.

Fischer

Krehl     

Eschelbach     

Meta

2 StR 600/10

07.09.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bonn, 24. Februar 2010, Az: 410 Js 734/07 - 27 KLs 2/09, Urteil

§ 266 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.09.2011, Az. 2 StR 600/10 (REWIS RS 2011, 3548)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3548

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 600/10 (Bundesgerichtshof)


2 StR 588/18 (Bundesgerichtshof)

Untreue eines Rechtsanwalts durch zweckwidrige Verwendung von Mandantengeldern: Eintritt eines Vermögensnachteils bei dem Berechtigten; Handeln …


1 StR 88/18 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Ablehnung eines Beweisantrages wegen einer aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellten Beweisbehauptung


2 StR 2/16 (Bundesgerichtshof)

Untreue eines Insolvenzverwalters: Verkauf von Teilen der Insolvenzmasse unter Wert


5 StR 194/22 (Bundesgerichtshof)

Strafbare Untreue: Treuepflichtverletzung des Versicherungsvertreters durch Buchung von Versicherungsprämien auf das eigene Konto; rechtsfehlerhafte Strafzumessung


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.