Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.01.2022, Az. 2 WDB 13/21

2. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2022, 1647

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Gegenstand

Beendigung des Reservewehrdienstverhältnisses wegen Freiheitsstrafe; Verlust des Dienstgrades


Tenor

Auf die Beschwerde der [X.] wird der Beschluss des Vorsitzenden der [X.] des [X.] vom 19. Oktober 2021 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen trägt der [X.].

Tatbestand

1

Mit ihrer fristgerecht erhobenen Beschwerde wendet sich die [X.] gegen den Beschluss des Vorsitzenden der [X.] des Truppendienstgerichts Süd vom 19. Oktober 2021, mit dem dieser das dort gegen den früheren Soldaten anhängige disziplinargerichtliche Verfahren eingestellt hat.

2

1. Der frühere, 19.. geborene Soldat stand von 19.. - 19.. im Dienstverhältnis eines Soldaten auf [X.] und nahm zuletzt bis zum 17. August 2011 als Oberstleutnant der Reserve an einer einmonatigen Wehrübung teil. Nachdem im Oktober 2011 disziplinare Vorermittlungen aufgenommen und das disziplinargerichtliche Verfahren im Februar 2018 eingeleitet worden war, wurde er unter dem 23. Mai 2018 angeschuldigt, den [X.] im [X.]raum Januar 2009 bis September 2011 mehrfach über Reisekosten und das Innehaben eines Doktorgrades getäuscht sowie [X.] begangen zu haben. Mit rechtskräftigem, der [X.] im August 2014 zur Kenntnis gelangten Urteil des Amtsgerichts ... vom 18. Juni 2014 (Strafurteil) war er deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden.

3

2. [X.] begründet die Verfahrenseinstellung damit, dass der frühere Soldat seinen Dienstgrad bereits durch das Strafurteil, mit dem er zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden sei, gemäß § 57 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 48 Satz 1 Nr. 2 [X.] kraft Gesetzes verloren habe. Mit Ausnahme der Handlungen im September 2011 seien die sonstigen Handlungen vor der am 17. August 2011 abgeschlossenen Wehrübung geschehen, sodass eine Tat vor Beendigung des Dienstverhältnisses vorliege. Unter Abzug der für die Handlungen im September 2011 angesetzten Einzelstrafe von drei Monaten ergäbe sich für die vorherigen Taten eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten. Der Verhängung einer einfachen Disziplinarmaßnahme stehe § 17 Abs. 2 WDO entgegen.

4

3. Die [X.] begründet ihre Beschwerde damit, dass der frühere Soldat seinen Dienstgrad der Reserve nicht bereits wegen der Verurteilung durch das Amtsgericht verloren habe; dazu hätte es gemäß § 57 Abs. 1, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.] der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedurft. § 57 Abs. 1 [X.] stelle für die Folgen von strafrechtlichen Verurteilungen nach [X.] von früheren [X.]soldaten ausschließlich auf die Beendigung des Dienstverhältnisses als Soldat auf [X.] und nicht auf nachfolgende Dienstzeiten als Reservistendienstleistender bzw. als Wehrübender ab. Dies folge aus dem Wortlaut der Vorschrift. Dafür spreche zusätzlich die systematische Stellung des § 53 Abs. 1 und des § 48 Abs. 1 [X.], die unmittelbar nur für aktive (§ 48 [X.]) und ehemalige (§ 53 [X.]) Berufssoldaten gelten und für ehemalige Soldaten auf [X.] erst durch die Verweisungsnorm des § 57 für anwendbar erklärt würden. Daher sei mit "Dienstverhältnis" im Sinne der §§ 48 und 53 [X.] das langfristige Dienstverhältnis eines (früheren) Berufssoldaten oder - wegen der Verweisung - das Dienstverhältnis eines [X.]soldaten, nicht aber das Dienstverhältnis im Rahmen einer Wehrübung oder Reservistendienstleistung gemeint. Es wäre auch ein Wertungswiderspruch, wenn ein früherer Soldat auf [X.], der keine nachfolgenden [X.] bzw. Reservistendienstleistungen absolviere, seinen Dienstgrad erst bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verliere (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.]), während dies bei einem früheren Soldaten auf [X.] wegen einer Reservistendienstleistung bereits bei einer Verurteilung von lediglich einem Jahr sein solle (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 48 Satz 1 Nr. 2 [X.]).

5

4. Unter dem 24. Januar 2018 hatte der frühere Soldat bei der [X.] beantragt, ihn als Reservisten zu entlassen, soweit dadurch die Einleitung eines disziplinargerichtlichen Verfahrens verhindert werden könne. Die [X.] teilte ihm mit, dass eine Entlassung als aktiver Reservist nur insoweit möglich sei, als er dadurch künftig nicht mehr zu [X.] herangezogen werde. Er bleibe dennoch Reservist und dies verhindere nicht ein disziplinargerichtliches Verfahren, in dem wohl mit seiner Dienstgradherabsetzung zu rechnen sei.

Entscheidungsgründe

6

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

7

Gemäß § 26 Satz 1 [X.] verliert ein Soldat seinen Dienstgrad nur - wie im Ausgangsverfahren beantragt - durch Richterspruch oder unmittelbar kraft Gesetzes. Ein Verlust kraft Gesetzes ist durch das Strafurteil vorliegend jedoch nicht eingetreten, sodass eine Aberkennung des ([X.] nur im wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren durch Richterspruch erfolgen kann (§ 26 Satz 2 [X.] i.V.m. der [X.]). Das darauf gerichtete Verfahren war deshalb nicht nach § 108 Abs. 3 Satz 1 [X.] einzustellen.

8

1. Das Reservewehrdienstverhältnis, für das gemäß § 58a [X.] vorrangig das Reservistengesetz gilt, ist zwar kraft Gesetzes gemäß § 12 Nr. 4 [X.] i.V.m. § 48 Satz 1 Nr. 2 [X.] beendigt worden, weil der frühere Soldat zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden ist. Dieser Umstand hat jedoch nicht zugleich den Verlust des [X.] bewirkt, weil es dafür gemäß § 26 Satz 1 [X.] einer gesetzlichen Regelung wie § 49 Abs. 2 [X.] bedurft hätte, an der es jedoch mangels einer entsprechenden Verweisung des Reservistengesetzes fehlt ([X.], in: Eichen/Metzger/[X.], [X.], 4. Aufl. 2021, Anhang zu § 58a, dort zu § 12 [X.], Rn. 56).

9

2. Dies ist auch folgerichtig, weil sich der Verlust des [X.] bei einem früheren Soldaten auf [X.], der seinen Dienstgrad gemäß § 2 Abs. 1 [X.] mit dem Zusatz "d.R." führt, wegen der Verweisung in § 57 Abs. 1 [X.] nach § 53 Abs. 1 [X.] richtet. Dabei ist § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] nicht anwendbar, weil die Tat nicht vor dem Ende des Dienstverhältnisses begangen worden ist. Vielmehr ist § 53 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 Buchst. a [X.] maßgeblich, weil das Dienstverhältnis, nach dessen Beendigung die Tat erfolgt sein muss, das Dienstverhältnis eines Soldaten auf [X.] (§ 54 [X.]) und nicht - wie vom [X.] angenommen - das letzte Dienstverhältnis als Wehrübender ist. Der frühere Soldat hätte demnach nur dann kraft Gesetzes seinen ([X.] verloren, wenn er zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden wäre.

3. Für die Orientierung an der Dienstzeit, die der Soldat als Soldat auf [X.] erbracht hat, spricht - wie von der Beschwerde zutreffend betont - bereits der Wortlaut des § 57 Abs. 1 [X.], der ausdrücklich von den Folgen einer Verurteilung spricht, die nach Beendigung des Dienstverhältnisses als Soldat "auf [X.]" erfolgt ist. Hinzu tritt, dass § 53 Abs. 2 [X.], auf den § 57 Abs. 1 [X.] verweist, § 30 Abs. 2 [X.] ausdrücklich für unanwendbar erklärt und damit eine Anknüpfung an eine Freiheitsstrafe nur von einem Jahr (§ 30 Abs. 2 Nr. 2 [X.]) gerade untersagt. Aber auch Sinn und Zweck der Regelungen, denen der Senat bereits in einer früheren Entscheidung maßgebliche Bedeutung beigemessen hat (BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 1988 - 2 WD 48.86 - BVerwGE 83, 379 <382>), sprechen für dieses Verständnis. Es ist nicht einsichtig, warum eine relativ kurze Wehrübung das nach dem Ausscheiden aus dem Dienst stark gelockerte Verhältnis zum [X.] wieder so intensivieren sollte, dass eine nachteilige Rechtsfolge eintritt, die nur bei einem während des aktiven Dienstes begangen Dienstvergehens vorgesehen ist.

Soweit das [X.] zur Begründung seiner abweichenden Rechtsauffassung auf die Kommentierung von [X.] (in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 10. Aufl. 2018, § 53 Rn. 2) verweist, geht der Verweis ins Leere. Dort wird lediglich dargelegt, dass von § 53 Abs. 1 Nr. 1 [X.] auch Taten erfasst werden, die bereits vor und somit nicht nur während des Dienstverhältnisses begangen worden sind.

4. Die Sache ist deshalb nach Maßgabe der vom Senat bereits entwickelten Maßstäbe (BVerwG, Urteil vom 10. Februar 2016 - 2 WD 4.15 - BVerwGE 154, 163 - 168) vom [X.] erneut zu entscheiden. Dabei wird es den Umstand zu würdigen haben, dass der Dienstherr über den Antrag des früheren Soldaten, ihn als Reservisten zu entlassen (soweit dadurch die Einleitung eines disziplinargerichtlichen Verfahrens verhindert werden könne), in der Sache nicht entschieden hat. Sollte der Antrag - was der erstinstanzlichen Sachverhaltsaufklärung und Würdigung überlassen bleiben muss - dahingehend zu verstehen sein, dass der frühere Soldat damit seinen Verzicht auf den Dienstgrad erklärt hat, stünde die Frage einer Verfahrenseinstellung unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Raum (BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2019 - 2 [X.] 1.18 - [X.] 449 § 23 [X.] Nr. 1 Rn. 17 f.). Bei einer Dienstgradherabsetzung wird zudem die beträchtliche Verfahrensdauer - sowohl auf Seiten der [X.] als auch des [X.]s - mildernd einzustellen sein.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, § 140 Abs. 3 Satz 3 [X.]. Es wäre unbillig, den früheren Soldaten mit den Kosten eines Rechtsmittels zu belasten, das allein wegen der fehlerhaften Entscheidung eines vom [X.] getragenen Gerichts Erfolg hat (BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2019 - 2 [X.] 1.18 - [X.] 449 § 23 [X.] Nr. 1 Rn. 19).

Meta

2 WDB 13/21

28.01.2022

Bundesverwaltungsgericht 2. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WDB

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 19. Oktober 2021, Az: S 5 VL 38/18, Beschluss

§ 26 S 1 SG, § 48 S 1 Nr 2 SG, § 49 Abs 2 SG, § 53 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a SG, § 53 Abs 2 SG, § 54 SG, § 57 Abs 1 SG, § 58a SG, § 12 Nr 4 ResG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.01.2022, Az. 2 WDB 13/21 (REWIS RS 2022, 1647)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1647

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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