Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.02.2014, Az. V ZB 76/13

5. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7696

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Gegenstand

Ausländerrecht: Abschiebungshaft bei nachträglicher Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Ausweisung; Aufrechterhaltung des Einreiseverbots über die Fünfjahresfrist hinaus


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des [X.] vom 7. Mai 2013 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in dem Rechtsbeschwerdeverfahren notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste erstmals im Jahr 2002 in die [X.] ein und stellte am 27. Mai 2002 einen Asylantrag, der durch bestandskräftigen Bescheid vom 21. August 2002 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde; zugleich wurde er unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, die [X.] Deutschland zu verlassen. Am 24. März 2005 wurde er in die [X.] abgeschoben. Am 3. November 2011 wurde er erneut im [X.] angetroffen und gab an, am Vortag eingereist zu sein.

2

Mit Beschluss vom 29. November 2011 hat das Amtsgericht Abschiebungshaft bis zum 21. Dezember 2011 angeordnet. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] mit Beschluss vom 19. Dezember 2011 die Haftanordnung aufgehoben und deren Rechtswidrigkeit festgestellt. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde hat der [X.] den Beschluss des [X.]s aufgehoben, weil er den für die Entscheidung erheblichen Sachverhalt nicht wiedergab, und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen (Beschluss vom 29. März 2012 - [X.], juris). Mit dem angefochtenen Beschluss hat das [X.] erneut festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Hiergegen wendet sich die beteiligte Behörde mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie die Zurückweisung der Beschwerde erreichen will; der Betroffene beantragt Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, der Bescheid vom 21. August 2002 genüge nicht den Anforderungen an eine Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 3 Nr. 4 und Art. 11 der Richtlinie 2008/115/[X.] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (im Folgenden: Richtlinie 2008/115/[X.]). Insbesondere enthalte er keinen Hinweis auf ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall, dass der Betroffene die [X.] nicht freiwillig verlasse; auch eine Befristung eines solchen Verbots sei nicht erfolgt. Soweit § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] ein Antragserfordernis für die Befristung vorsehe, sei dies richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass jede Willensbekundung des Betroffenen genüge, mit der er sich gegen die Ausweisung wende. Nachdem der Betroffene bekundet habe, in der [X.] (erneut) einen Asylantrag stellen zu wollen, hätte die Behörde über die Befristung des mit der Abschiebung vom 24. März 2005 verbundenen [X.] entscheiden müssen, was unterblieben sei; auch auf § 71 Abs. 5 AsylVfG könne sie sich nicht berufen.

III.

4

Das Rechtsmittel ist unbegründet. [X.] sieht das Beschwerdegericht die Haftanordnung als rechtswidrig an, weil es an einer Entscheidung über eine nachträgliche Befristung des [X.] bzw. einer neuen Rückkehrentscheidung fehlt.

5

1. Infolge der am 24. März 2005 durchgeführten Abschiebung traf den Betroffenen zwar ein - nicht an eine Einzelfallprüfung anknüpfendes - unbefristetes Einreiseverbot (§ 11 Abs. 1 [X.] aF); eine nachträgliche Befristung des [X.], wie sie § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.] nF auf Antrag vorsieht, ist nicht erfolgt. Nach Erlass der Beschwerdeentscheidung hat aber der [X.] diese im nationalen Recht vorgesehene antragsabhängige Befristung als unvereinbar mit Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/[X.] angesehen, deren Umsetzung § 11 [X.] dient ([X.], [X.] 2013, 416 ff.). Geklärt hat er ferner, dass die Richtlinie auch auf die vor ihrem Inkrafttreten eingetretenen Wirkungen von Einreiseverboten Anwendung findet ([X.], aaO, Rn. 40 f.).

6

2. In Umsetzung dieses Urteils des [X.] in das nationale Recht hat der [X.] zwischenzeitlich entschieden, dass § 11 Abs. 1 [X.] richtlinienkonform dahingehend anzuwenden ist, dass über eine nachträgliche Befristung antragsunabhängig zu entscheiden ist; jedenfalls in [X.] der hier vorliegenden Art darf die Haft zur Sicherung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn im Zuge der angestrebten zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung über die ursprünglich nicht erforderliche Befristung nachträglich entschieden worden ist, die Einreise des Betroffenen danach (immer noch) eine unerlaubte war und ein Zeitraum verstrichen ist, der es einem verständigen Betroffenen ermöglicht, die von Art. 13 der Richtlinie 2008/115/[X.] eingeräumten Rechtsbehelfe zu ergreifen (ausführlich Beschluss vom 9. Januar 2014 - [X.] 137/12, juris Rn. 7 ff.). Weil bei richtlinienkonformer Anwendung von § 11 Abs. 1 Satz 4 [X.] die dort grundsätzlich vorgesehene Höchstdauer von fünf Jahren auch den Zeitraum vor Inkrafttreten der Richtlinie 2008/115/[X.] einbeziehen muss ([X.], aaO., Rn. 42), kann das Einreiseverbot nur noch unter den in § 11 Abs. 1 Satz 4 und Satz 7 [X.] genannten besonderen Voraussetzungen aufrechterhalten werden, wenn es - wie hier -bereits seit mehr als fünf Jahren bestanden hat. Ob es danach ohnehin einer erneuten Rückkehrentscheidung bedurfte, kann dahinstehen, weil es jedenfalls an der Entscheidung über die Aufrechterhaltung des [X.] fehlt. Auf § 71 Abs. 5 AsylVfG kann sich die Behörde nicht stützen, weil diese Norm eine aufgrund eines früheren Asylantrags ergangene vollziehbare Abschiebungsandrohung voraussetzt, an der es gerade fehlt.

IV.

7

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Stresemann                          [X.]                              Roth

                      Brückner                        Weinland

Meta

V ZB 76/13

20.02.2014

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Hannover, 7. Mai 2013, Az: 8 T 72/11, Beschluss

Art 3 Nr 4 EGRL 115/2008, Art 11 EGRL 115/2008, Art 13 EGRL 115/2008, § 11 Abs 1 S 4 AufenthG, § 11 Abs 1 S 7 AufenthG, § 71 Abs 5 AsylVfG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.02.2014, Az. V ZB 76/13 (REWIS RS 2014, 7696)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7696

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Referenzen
Wird zitiert von

V ZB 76/13

3 RVs 90/16

Zitiert

V ZB 137/12

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