Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.03.2019, Az. III R 30/18

3. Senat | REWIS RS 2019, 9035

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Gegenstand

Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit in der Insolvenz


Leitsatz

1. Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn das Fahrzeug, für dessen Halten die Kraftfahrzeugsteuer geschuldet wird, Teil der Insolvenzmasse ist (Anschluss an BFH-Urteile vom 13. April 2011 II R 49/09, BFHE 234, 97, BStBl II 2011, 944, und vom 8. September 2011 II R 54/10, BFHE 235, 1, BStBl II 2012, 149).

2. Ein Fahrzeug, das bereits vor Insolvenzeröffnung untergegangen ist, fällt nicht unter den Insolvenzbeschlag gemäß § 35 Abs. 1 InsO.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 25. April 2018  3 K 1422/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung.

2

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin.

3

Die Schuldnerin war seit November 1998 Halterin eines Omnibusses. Das Fahrzeug war im Wege des [X.] erworben und einer Leasinggesellschaft sicherungsübereignet worden. Durch einen Brand im September 2011 wurde es völlig zerstört und ist physisch nicht mehr existent. Ein Versicherer erbrachte nach Anzeige des Kaskoschadens und Zahlung der letzten Mietkaufraten an das Leasingunternehmen eine Entschädigungsleistung an die Schuldnerin.

4

Durch Beschluss des Amtsgerichts ... wurde am 31. Oktober 2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Am 22. Mai 2016 meldete der Kläger das Fahrzeug bei der zuständigen Straßenverkehrszulassungsbehörde ab.

5

Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --[X.]--) erließ am 17. Juni 2016 einen Kraftfahrzeugsteuerbescheid gegenüber dem Kläger für den Zeitraum ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Abmeldung des Fahrzeugs in Höhe von 1.974 €.

6

Der Einspruch hiergegen blieb erfolglos. Das [X.] war der Auffassung, dass das Fahrzeug zur Insolvenzmasse gehörte. Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage hiergegen mit der Begründung statt, die Schuldnerin sei zwar Halterin des Fahrzeugs bis zur Abmeldung durch den Kläger gewesen, das Fahrzeug sei aber im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung infolge Zerstörung nicht mehr im Vermögen der Schuldnerin gewesen und könnte dementsprechend nicht Teil der Insolvenzmasse werden (§ 35 Abs. 1 der Insolvenzordnung --InsO--). Das Fahrzeug habe so auch nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterlegen (§ 80 Abs. 1 InsO), so dass die Kraftfahrzeugsteuer nicht als Masseverbindlichkeit (§§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) gegenüber dem Kläger als Vermögensverwalter der Schuldnerin (§ 34 Abs. 3 der Abgabenordnung --AO--) hätte festgesetzt werden dürfen.

7

Das [X.] rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

8

Das [X.] beantragt,
das [X.]-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Zu Recht hat das [X.] entschieden, dass die [X.] keine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 [X.] ist.

1. Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.

a) Im vorliegenden Fall liegt zwar eine nach Insolvenzeröffnung entstandene Verbindlichkeit vor. Denn Steuergegenstand der Kraftfahrzeugsteuer ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des [X.] (KraftStG) das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen (Urteil des [X.] --BFH-- vom 8. September 2011 II R 54/10, [X.], 1, [X.], 149, Rz 13). Die Steuerpflicht dauert gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG bei einem inländischen Fahrzeug --auch im Falle der Insolvenz des [X.] so lange an, wie das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist (Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuergesetz, § 5 Rz 26).

b) Die nach der Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer ist als Abgabenforderung i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 zweite Tatbestandsalternative [X.] den "in anderer Weise" durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründeten Verbindlichkeiten aber nur zuzuordnen, soweit sie die Insolvenzmasse betrifft (vgl. allgemein zu Abgabenforderungen Urteil des [X.] --BVerwG-- vom 16. Dezember 2009  8 [X.] 9/09, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2010, 2152). Dies ist der Fall, wenn die Abgabenforderung selbst einen Bezug zur Insolvenzmasse aufweist und erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde (BVerwG-Urteil in NJW 2010, 2152; BFH-Urteil vom 13. April 2011 II R 49/09, [X.], 97, [X.], 944, Rz 13). Maßgebend ist daher, ob das Fahrzeug (tatsächlich/körperlich) Teil der Insolvenzmasse ist (BFH-Urteile in [X.], 97, [X.], 944, Rz 15; in [X.], 1, [X.], 149, Rz 14, und vom 1. August 2012 II R 28/11, [X.], 319, [X.], 131, Rz 16).

aa) Gemäß § 35 Abs. 1 [X.] wird das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur [X.] der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt, als Insolvenzmasse definiert. Die Insolvenzmasse umfasst die [X.] und die [X.]. Die [X.] stellt die Summe einzelner geldwerter (körperlicher und unkörperlicher) Rechtsgegenstände dar (Hirte/[X.] in [X.], Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 35 Rz 1), die von Rechts wegen vom [X.] erfasst und den Gläubigern haftungsrechtlich zugewiesen sind (MünchKomm[X.]/[X.], 3. Aufl., § 35 Rz 19). Die [X.] umfasst alle Gegenstände, die der Insolvenzverwalter tatsächlich in Besitz nimmt (vgl. §§ 80, 81 [X.] -- [X.] in [X.]/[X.], Insolvenzordnung, 4. Aufl., § 35 Rz 2). Beiden gemeinsam ist das [X.]. Denn nach dem Sinn und Zweck des § 35 [X.] wird den [X.] nur der Teil des Vermögens des Schuldners zugewiesen, der für dessen Schulden haftet, also Zugriffsobjekt in der Zwangsvollstreckung ist (Hirte/[X.] in [X.], a.a.[X.], § 35 Rz 13, 7). Zwar spielt die Verwertbarkeit des Gegenstands für die Feststellung der Massezugehörigkeit keine Rolle ([X.] in [X.] Kommentar zum Insolvenzrecht, 7. Aufl., § 35 Rz 12; Windel in Jaeger, Insolvenzordnung, 2007, § 80 Rz 28; Urteil des [X.] vom 1. Februar 2007 IX ZR 178/05, [X.] 2007, 977, unter [X.] [X.]). Dementsprechend können auch wertlose Gegenstände als Vermögensgegenstände zur Insolvenzmasse gehören. Ist der Gegenstand hingegen verbraucht oder veräußert, so ist er dem Gläubigerzugriff --vorbehaltlich der [X.] entzogen ([X.] in Jaeger, Insolvenzordnung, 2004, § 35 Rz 5). Dasselbe gilt, wenn die Sache vollständig zerstört und nicht mehr existent ist, da sie dann keine Haftungsfunktion mehr erfüllen kann.

[X.]) Nach diesen Grundsätzen hat im vorliegenden Fall das [X.] zu Recht erkannt, dass die Kraftfahrzeugsteuer für das untergegangene Fahrzeug keine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ist.

Das [X.] hat aufgrund der vorgelegten Nachweise (Anlageverzeichnis, Schriftverkehr mit der Versicherung, Zahlung der Entschädigungszahlung) festgestellt, dass das Fahrzeug im [X.]punkt der Insolvenzeröffnung bereits völlig zerstört und physisch nicht mehr existent war. An diese Feststellung ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O gebunden.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel eines Verstoßes gegen das Gebot fehlerfreier Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) liegt nicht vor. Die Bewertung des Sachverhalts durch das [X.], dass das Fahrzeug aufgrund seiner vollständigen Zerstörung tatsächlich nicht mehr existent sei, ist [X.] auch nicht zwingend-- zumindest möglich.

cc) Die Frage, ob ggf. ein Ersatzanspruch für ein zerstörtes Fahrzeug noch einen ausreichenden Bezug zur Insolvenzmasse begründen kann, kann der Senat dahinstehen lassen, da im Streitfall der Ersatzanspruch schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Erfüllung erloschen ist.

dd) Entgegen der Ansicht des [X.] kann allein die vom Kläger erfolgte tatsächliche Abmeldung des Fahrzeugs eine Massezugehörigkeit nicht bewirken.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

III R 30/18

21.03.2019

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 25. April 2018, Az: 3 K 1422/16, Urteil

§ 1 Abs 1 Nr 1 KraftStG 2002, § 5 Abs 1 Nr 1 KraftStG 2002, § 7 Nr 1 KraftStG 2002, § 35 Abs 1 InsO, § 55 Abs 1 Nr 1 InsO, § 34 Abs 3 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.03.2019, Az. III R 30/18 (REWIS RS 2019, 9035)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 2343 REWIS RS 2019, 9035

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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