Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.07.2011, Az. II B 24/11

2. Senat | REWIS RS 2011, 5100

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Gegenstand

Aktenübersendung in das Büro eines Prozessbevollmächtigten


Leitsatz

1. NV: Bereits aus dem Begriff "einsehen" in § 78 Abs. 1 FGO und der Regelung über die Erteilung von Abschriften usw. durch die Geschäftsstelle in § 78 Abs. 2 Satz 1 FGO ergibt sich, dass die Einsichtnahme der Akten bei Gericht die Regel sein soll und eine vorübergehende Überlassung von Akten an den Prozessbevollmächtigten nur ausnahmsweise in Betracht kommt .

2. NV: Dem steht die technische Fortentwicklung der Kopiertechnik nicht entgegen, weil sich der Vorrang der Akteneinsichtnahme bei Gericht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 78 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO ergibt .

Tatbestand

1

I. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) beantragte, ihm die Akten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) zur Einsicht in seine Kanzleiräume zu übersenden.

2

Das Finanzgericht ([X.]) lehnte den Antrag ab. Es entspreche einer Übung des erkennenden Senats, Gerichts- und Verwaltungsakten nicht zum Zweck der Gewährung von Akteneinsicht nach § 78 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) in das Büro von Prozessbevollmächtigten zu übersenden. Diese hätten jedoch nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) die Möglichkeit, die angeforderten Akten beim beklagten [X.] oder einem Gericht in der Nähe ihrer Kanzlei einzusehen. Eine elektronische Aktenübermittlung sei bereits aus technischen Gründen nicht möglich.

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Zur Begründung seiner gegen die Ablehnung gerichteten Beschwerde führt der Prozessbevollmächtigte aus, es sei kein Grund erkennbar, ihm die angeforderten Akten nicht persönlich zu überlassen. Eine Beeinträchtigung der Senate des [X.] könne insoweit ausgeschlossen werden und es würden durch die Aktenüberlassung auch keinerlei Rechte beeinträchtigt. Die vom [X.] angegebene [X.]-Rechtsprechung sei überholt, weil es inzwischen unschwer möglich sei, Akten sofort zu kopieren.

4

Das [X.] hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

6

1. Gemäß § 78 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO können die Beteiligten die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich auf ihre Kosten durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ergibt sich aus dem Begriff "einsehen" und der Regelung über die Erteilung von Abschriften usw. durch die Geschäftsstelle, dass die Einsichtnahme der Akten bei Gericht die Regel sein soll und eine vorübergehende Überlassung von Akten an den Prozessbevollmächtigten nur ausnahmsweise in Betracht kommt (vgl. etwa [X.]-Beschlüsse vom 11. Juni 2002 [X.], [X.]/NV 2002, 1464; vom 23. Juli 2003 [X.]/03, [X.]/NV 2003, 1595; vom 31. Oktober 2008 [X.], [X.]/NV 2009, 194; vom 26. Januar 2006 [X.], [X.]/NV 2006, 963; vom 2. September 2009 [X.]/08, [X.]/NV 2010, 49; vom 9. Juni 2010 [X.]/10, [X.]/NV 2010, 1653). Dem steht entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch die technische Fortentwicklung der Kopiertechnik nicht entgegen, weil sich der Vorrang der Akteneinsichtnahme bei Gericht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 78 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO ergibt.

7

2. Die vorgenannte Rechtsprechung verletzt auch keine Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2010, 1653). Das [X.] ([X.]) hat durch Beschluss vom 8. Oktober 2002  1 BvR 1503/02 ([X.] 2003, 46) die Verfassungsbeschwerde gegen den [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2002, 1464 nicht zur Entscheidung angenommen. Dem Beschluss des [X.] vom 12. Februar 1998  1 BvR 272/97 (Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1998, 836), der die Gewährung von Akteneinsicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren betraf (§ 100 Abs. 2 Satz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung in der bis 31. Juli 2001 geltenden Fassung --VwGO a.F.--), können keine Aussagen für das finanzgerichtliche Verfahren entnommen werden ([X.]-Beschlüsse in [X.]/NV 2003, 1595, und in [X.]/NV 2006, 963), denn § 78 FGO enthält anders als die VwGO keine Regelung, dass die Akten nach dem Ermessen des Vorsitzenden dem bevollmächtigten Rechtsanwalt (§ 100 Abs. 2 Satz 3 VwGO a.F.) bzw. der bevollmächtigten Person (§ 100 Abs. 2 Satz 2 VwGO in der Fassung ab April 2005) zur Mitnahme in seine bzw. ihre Geschäftsräume übergeben werden können. Vielmehr hat das [X.] im Beschluss vom 26. August 1981  2 BvR 637/81 ([X.] 1982, 77; ebenso [X.]-Beschluss vom 11. Juli 1984  1 BvR 1523/83, [X.] 1984, 478) ausgeführt, dass die Art und Weise, wie Akteneinsicht zu gewähren ist, in den einzelnen Verfahrensordnungen unterschiedlich geregelt werden kann.

8

3. Der Bevollmächtigte hat auch keine hinreichenden Gründe für eine ausnahmsweise Übersendung der Akten in die Kanzleiräume vorgetragen. Dies wäre umso mehr erforderlich gewesen, als die angeforderte Steuerakte nur geringen Umfang hat und durchgehend paginiert ist, so dass die bei Gericht oder an Amtsstelle zu kopierenden Seiten leicht benannt werden können.

9

4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 113 Abs. 2 Satz 3 FGO).

Meta

II B 24/11

05.07.2011

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 16. Februar 2011, Az: 14 K 332/10, Beschluss

§ 78 Abs 1 FGO, § 78 Abs 2 S 1 FGO, § 100 Abs 2 S 3 VwGO vom 13.07.2001, § 100 Abs 2 S 2 VwGO vom 22.03.2005

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.07.2011, Az. II B 24/11 (REWIS RS 2011, 5100)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5100

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