Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.04.2017, Az. 2 StR 574/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 11938

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen und Kindern: Erheblichkeit der sexuellen Handlung


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 30. August 2016 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s missbrauchte der Angeklagte seine am 19. Juni 2008 geborenen Zwillingstöchter [X.]und [X.]am 30. Januar 2016 während eines [X.] der Kinder in seiner Wohnung.

3

Gegen 21:00 Uhr ging der Angeklagte in das Schlafzimmer zu seiner Tochter [X.]  . „Er fasste dort mit einer Hand in den Schlafsack des mit einem T-Shirt und einer Unterhose bekleideten Kindes und führte sie in der Absicht, sich sexuell zu erregen, über ihrer Unterhose bis einige Zentimeter oberhalb ihres Genitalbereichs und streichelte seine Tochter dort. Als [X.]  äußerte, sie wolle das nicht, ließ er von ihr ab“ (Fall 1 der Anklage).

4

Der Angeklagte forderte danach seine Tochter [X.]  auf, mit ihm zu kommen. Zu [X.]sagte er, ihre Schwester [X.]komme gleich wieder. Im Wohnzimmer entkleidete er [X.]  . Anschließend ging er mit ihr in das Badezimmer, wo er seine Hose und Unterhose herunterzog und sich auf die Toilette setzte. Auf sein Geheiß setzte sich das Kind auf seinen Schoß. Als das Kind erklärte, dies nicht zu wollen, hob er es herunter. Danach ging er mit [X.]  wieder ins Wohnzimmer, wo er ihren Körper im Bereich der Brust ableckte. Er veranlasste sodann das Kind dazu, Joghurt auf seinem Körper zu verteilen. Dann forderte er es auf, seinen Penis, der auch mit Joghurt benetzt war, in den Mund zu nehmen. Dem folgte das Kind zunächst, erklärte dann aber weinend, es wolle dies nicht. Darauf beendete der Angeklagte den Oralverkehr (Fall 2 der Anklage).

II.

5

Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil ist unbegründet. Der Erörterung bedarf nur die Frage, ob bei der Tat des Angeklagten zum Nachteil der Tochter [X.]  (Fall 1 der Anklage), die das [X.] als Vergehen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 3 in Tateinheit mit § 176 Abs. 1 StGB bewertet hat, eine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB vorlag.

6

1. [X.] hat zwar bei der rechtlichen Würdigung nicht erläutert, dass das Streicheln der zur Tatzeit siebeneinhalbjährigen [X.] „über deren Unterhose knapp über deren Genitalbereich“ im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut eine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit war (§ 184h Nr. 1 StGB). Das bedurfte aber keiner besonderen Begründung (vgl. Senat, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, [X.]R StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 1).

7

Als erheblich in diesem Sinne sind solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen (vgl. etwa [X.], Urteile vom 24. September 1980 - 3 [X.], [X.]St 29, 336, 338; vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91, [X.], 324; vom 1. Dezember 2011 - 5 [X.], [X.], 269, 270; vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, [X.], 43, 44). Dazu bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus. Bei Tatbeständen, die Kinder und Jugendliche schützen, können weniger strenge Maßstäbe anzulegen sein (vgl. Senat, Urteil vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, [X.], 43, 44; [X.] in [X.], StGB, 28. Aufl., § 184g Rn. 6; [X.] in Festschrift für Streng, 2017, [X.], 95). Letztlich sind aber auch beim Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Kindern (§ 176 StGB) nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die sexuell motiviert sind, tatbestandsmäßig. [X.] sind vielmehr kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, [X.], 43, 44).

8

Nach den Feststellungen des [X.]s lagen sexuelle Handlungen des Angeklagten zum Nachteil seiner zur Tatzeit erst siebeneinhalbjährigen Tochter [X.]vor, die ersichtlich für das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit waren. Dies folgt aus der Tatbegehung in der besonderen Beziehung zwischen Vater und Tochter, aus dem deutlich unter der [X.] liegenden Alter des Kindes zur Tatzeit, aus der Art der sexuellen Handlung und aus den Begleitumständen, wie der Tatsache, dass das Kind situativ in die nachfolgende Tat zum Nachteil der Zwillingsschwester einbezogen wurde.

9

2. Die Gesetzesänderungen durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung - vom 4. November 2016 ([X.]) geben keinen Anlass zu einer für den Angeklagten günstigeren Bewertung als milderes Recht im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB.

Die Einführung eines Auffangtatbestands für belästigend wirkende körperliche Berührungen in sexuell bestimmter Weise in § 184i StGB wirkt sich nicht auf die Auslegung des Begriffs der Erheblichkeit in § 184h Nr. 1 StGB aus (anders aber [X.], [X.], 157, 160 f.; [X.], [X.]. 2017, 514, 517 f.). Der Gesetzgeber bezweckte mit der Einführung des § 184i StGB nicht, bisher von § 184h Nr. 1 StGB erfasste Verhaltensweisen aus dem Schutzbereich herauszulösen und diese nunmehr nur noch unter den dort genannten Voraussetzungen in § 184i StGB unter Strafe zu stellen. Ziel der Neuregelung war es vielmehr, bisher strafrechtlich nicht erfasstes Verhalten auch unterhalb der Schwelle des § 184h Nr. 1 StGB zu poenalisieren (BT-Drucks. 18/9097 S. 29).

Ein Einfluss auf die Auslegung des § 184h Nr. 1 StGB ergibt sich auch nicht dadurch, dass die Rechtsprechung bei der Prüfung der Erheblichkeit der sexuellen Handlung auf eine nach Art, Intensität und Dauer sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts abstellt, womit bisher eine Abgrenzung zwischen strafbaren und straflosem Verhalten verbunden war, nunmehr aber nur noch eine solche zwischen Tatbeständen gemäß §§ 174, 176, 177 StGB einerseits und demjenigen des § 184i StGB andererseits vorzunehmen ist. Denn dieser Begriff der „sozial nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung“ bezieht sich auf andere, weiterreichende Rechtsgüter als dasjenige, das von § 184i StGB geschützt ist.

Krehl     

       

Eschelbach     

       

Zeng   

       

Bartel     

       

Wimmer     

       

Meta

2 StR 574/16

26.04.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 30. August 2016, Az: 102 KLs 14/16

§ 2 Abs 3 StGB, § 184h Nr 1 StGB, § 184i StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.04.2017, Az. 2 StR 574/16 (REWIS RS 2017, 11938)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11938

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 574/16 (Bundesgerichtshof)


2 StR 543/19 (Bundesgerichtshof)

Strafverurteilung wegen versuchten Ladendiebstahls sowie sexueller Belästigung u.a.: Rücktritt vom unbeendeten Versuch; sexuelle Handlung bei …


2 StR 271/23 (Bundesgerichtshof)

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen: Feststellung einer sexuellen Handlung von Erheblichkeit


3 StR 44/20 (Bundesgerichtshof)

Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung: Ärztliche Handlung als sexuelle Handlung; Anvertrautsein im Rahmen eines Schülerpraktikums; Behandlungsverhältnis …


2 StR 490/18 (Bundesgerichtshof)

Sexueller Missbrauch von Kindern: Erheblichkeit sexualbezogener Handlungen


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.