Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.01.2019, Az. 2 StR 490/18

2. Strafsenat | REWIS RS 2019, 10952

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Gegenstand

Sexueller Missbrauch von Kindern: Erheblichkeit sexualbezogener Handlungen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. Juli 2018 im Fall 1 der Urteilsgründe aufgehoben und der Angeklagte insoweit freigesprochen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen. Im Übrigen trägt der Angeklagte die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Zu Fall 1 der Urteilsgründe hat das [X.] festgestellt, dass der Angeklagte an einem Tag im Zeitraum zwischen [X.] und Dezember 2015 der damals neunjährigen Geschädigten „zielgerichtet mit der Hand an deren bedeckte Brust“ gegriffen habe. Das [X.] hat dies als sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB bewertet. Zum Vorliegen einer sexuellen Handlung „von einiger Erheblichkeit“ (§ 184h Nr. 1 StGB) hat es ausgeführt, die Handlung sei zwar nur von kurzer Dauer und geringer Intensität gewesen; jedoch hätten der Handlungsrahmen und die Beziehung des zur Tatzeit über dreißigjährigen Angeklagten zu dem neunjährigen Kind als Lebenspartner der Mutter dazu geführt, dass die [X.] deutlich überschritten sei.

3

2. Gegen diese rechtliche Bewertung bestehen im Fall 1 der Urteilsgründe, anders als in den Fällen 4 und 5, bei denen die Geschädigte bereits elf Jahre alt war und der Angeklagte zusätzliche Handlungen vorgenommen oder Bemerkungen gemacht hat, durchgreifende rechtliche Bedenken.

4

a) Als erheblich im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB sind solche sexualbezogenen Handlungen anzusehen, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts darstellen. Die Feststellung der Erheblichkeit erfordert eine Gesamtbetrachtung sämtlicher Umstände hinsichtlich der Gefährlichkeit der Handlung für das betroffene Rechtsgut. [X.] Handlungen scheiden aus. Bei Tatbeständen, die dem Schutz von Kindern dienen, sind an das Merkmal der Erheblichkeit zwar geringere Anforderungen zu stellen als bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Erwachsener. Allerdings reichen auch insoweit kurze, flüchtige oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen grundsätzlich nicht aus (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Mai 2017 - 3 [X.], [X.], 527).

5

b) Nach diesem Maßstab ist der einmalige, kurzzeitige und wenig intensive Griff an die bedeckte kindliche Brust des neunjährigen Mädchens keine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit (vgl. auch [X.]/[X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 184h Rn. 15b).

6

Zwar sind nach der Rechtsprechung bei der notwendigen Gesamtwürdigung auch die Begleitumstände der sexuellen Handlung sowie die Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu berücksichtigen (vgl. [X.], Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 [X.], [X.], 269, 270; krit. [X.]/[X.], 3. Aufl., § 184h Rn. 19), allerdings nur als konstellative Faktoren. Daher vermag die persönliche Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Kind zur Tatzeit hier nichts an der fehlenden Erheblichkeit der Berührung der kindlichen Brust im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB zu ändern. Andere Umstände (vgl. Senat, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, [X.], 432 f.) oder einen speziellen „Handlungsrahmen“, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, wie etwa ein „Nötigungsszenario“ (vgl. [X.], Urteil vom 20. März 2012 - 1 StR 447/11), hat das [X.] nicht festgestellt.

7

3. Da der Senat ausschließt, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch ergänzende Feststellungen zu dem Geschehen getroffen werden könnten, die eine Verurteilung des Angeklagten im Fall 1 der Urteilsgründe zu tragen vermögen, spricht er den Angeklagten insoweit mit der entsprechenden Kostenfolge frei (§ 354 Abs. 1, § 467 Abs. 1 StPO). § 184i StGB in der Fassung des [X.] zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 4. November 2016 ([X.] I S. 2460), der sexuelle Belästigungen durch sexuell konnotierte körperliche Berührungen unterhalb der Schwelle zur sexuellen Handlung von einiger Erheblichkeit erfassen soll (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2018 - 4 StR 570/17, [X.], 22, 23, für [X.]St 63, 98 ff. bestimmt), galt zurzeit der Handlung des Angeklagten im Fall 1 noch nicht. Er ist deshalb auch nicht anzuwenden (§ 2 Abs. 1 und 3 StGB).

8

4. Angesichts der verbliebenen Einzelstrafen von einem Jahr und acht Monaten, einem Jahr und zwei Monaten, neun sowie acht Monaten ist auszuschließen, dass das [X.] ohne die aufgrund des Freispruchs entfallene Einzelfreiheitsstrafe von acht Monaten auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte.

Franke     

        

Appl     

        

Eschelbach

        

Meyberg     

        

Wenske     

        

Meta

2 StR 490/18

29.01.2019

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Rostock, 2. Juli 2018, Az: 12 KLs 195/17 (2)

§ 176 Abs 1 StGB, § 184h Nr 1 StGB, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.01.2019, Az. 2 StR 490/18 (REWIS RS 2019, 10952)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 10952

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