Bundessozialgericht, Urteil vom 15.11.2016, Az. B 2 U 19/15 R

2. Senat | REWIS RS 2016, 2407

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Gesetzliche Unfallversicherung - Rechtmäßigkeit einer Überweisung gem § 136 Abs 1 S 4 SGB 7 an den sachlich zuständigen Unfallversicherungsträger - Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - rechtlich selbständiger Unternehmensbestandteil - Hauptunternehmen - Grundsatz der Unternehmeridentität - Neufassung des § 131 SGB 7 zum 11.8.2010: "die demselben Rechtsträger angehören" - Zuckerwarenproduktion - BG Rohstoffe und chemische Industrie - BG Nahrungsmittel und Gastgewerbe - rechtliche Überprüfung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung: Sach- und Rechtsstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung beim LSG)


Leitsatz

1. Die Überweisung eines Unternehmens in die Zuständigkeit eines anderen Unfallversicherungsträgers stellt einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar.

2. Rechtlich selbstständige Unternehmensbestandteile gehören in der Regel nicht dem Hauptunternehmen an.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen den Beschluss des [X.] vom 23. November 2015 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Überweisung durch die Berufsgenossenschaft ([X.]) Rohstoffe und chemische Industrie (Beklagte) an die [X.] Nahrungsmittel und Gastgewerbe (Beigeladene).

2

Die in [X.] ansässige Klägerin, die [X.], ist ein rechtlich selbständiges Tochterunternehmen der [X.] (im Folgenden: [X.]) aus [X.], die bislang der [X.] zugewiesen ist. Die Klägerin produziert Bonbons, Zuckerwaren und Hartkaramellen mit den Roh- und Hilfsstoffen Zucker, Glukose, Aromen, Fruchtsäfte, Fruchtmark, verwendet werden ferner Folien und Kartonagen.

3

Im Februar 2006 teilte die [X.] der [X.] mit, dass sie beabsichtige, die [X.]roduktionskapazitäten durch die Gründung eines neuen [X.]roduktionsstandortes in [X.] zu erweitern. [X.]s handele sich um eine eigenständige [X.]ersonengesellschaft mit dem Namen der Klägerin. Alle administrativen Belange würden von ihr, der [X.] durchgeführt, die auch künftig Ansprechpartner der [X.] bleibe. Die Beklagte stellte ihre Zuständigkeit für die Klägerin fest (Bescheid vom [X.]) und veranlagte sie zu einer Gefahrklasse (Bescheid vom 24.3.2006).

4

Die Beigeladene stellte sodann mit Bescheid vom [X.] ebenfalls ihre Zuständigkeit für die Klägerin fest und veranlagte sie mit weiterem Bescheid vom selben Tage zu den Gefahrklassen. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, weil sie bereits Mitglied der [X.] sei. [X.]s folgte ein umfangreicher Schriftwechsel zwischen den Beteiligten. Klägerin und Beklagte vertraten die Auffassung, dass eine Mitgliedschaft des Mutter- und des Tochterunternehmens bei derselben [X.] gewünscht sei. Die Beigeladene wies darauf hin, dass die Klägerin keine "chemisch-pharmazeutischen [X.]rodukte" herstelle, denn das Unternehmen bezeichne sich selbst als drittgrößten Zuckerwarenhersteller Deutschlands.

5

Die Beigeladene wandte sich 2009 an die [X.] der [X.] ([X.]) und beantragte festzustellen, dass sie der sachlich zuständige Unfallversicherungsträger für die Klägerin und alle weiteren Unternehmen der [X.], die bei der [X.] eingetragen sind, sei. Die bisherige Zuordnung zur [X.] begründe sich nur damit, dass sich durch Lakritz auch eine medizinische Wirkung auf den menschlichen Körper nachweisen lasse und zur [X.] der Firmengründung die Herstellung von Lakritz für das gesundheitliche Wohlbefinden im Vordergrund gestanden habe. Die Schiedsstelle stellte mit Votum vom [X.] die Zuständigkeit der Beigeladenen für die Klägerin fest. In dem Votum wird ausgeführt, die Feststellung der Zuständigkeit durch die Beklagte sei von Anfang an unrichtig gewesen (§ 136 Abs 1 Satz 4 [X.]). Diese Zuständigkeit widerspräche iS des § 136 Abs 2 Satz 1 [X.] eindeutig den Zuständigkeitsregelungen, weil es sich hier um ein Unternehmen der Süßwarenindustrie handele, für das die Zuständigkeit der Beigeladenen gegeben sei. Dies ergebe sich schon aus dem Namen der Beigeladenen, ihrer Satzung, in der die Herstellung von Süßwaren aufgeführt sei, und den Zuständigkeitsregelungen im [X.] vom [X.] (Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung 1885, 143) sowie dem [X.] des Reichsversicherungsamtes ([X.]) und des vormaligen [X.] Berufsgenossenschaften.

6

Im Mai 2009 teilte die Beklagte der Klägerin das [X.]rgebnis des Schiedsverfahrens mit. Durch an die [X.] in [X.] adressierten Bescheid vom 12.6.2009 überwies sie die Klägerin unter Nennung ihres Namens und ihrer Anschrift in [X.] mit Ablauf des 31.12.2009 an die Beigeladene. Den hiergegen von der Klägerin als "Widerspruchsführerin" erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Bescheid vom [X.] zurück.

7

Mit Urteil vom 18.10.2013 hat das SG [X.]otsdam nach Beiladung der [X.] Nahrungsmittel und Gastgewerbe die Klage abgewiesen. Das [X.] hat durch Beschluss vom 23.11.2015 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat das [X.] ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht die Klägerin an die Beigeladene überwiesen, weil die ursprüngliche Feststellung der Zuständigkeit von Anfang an unrichtig gewesen sei. Nach dem Votum der Schiedsstelle sei nicht die Beklagte, sondern die Beigeladene zuständig, was von den Beteiligten auch nicht angezweifelt werde. Auch aus § 131 Abs 1 [X.] ergebe sich nicht die Zuständigkeit der [X.]. § 131 Abs 1 Satz 1 [X.] habe in der bis 10.8.2010 geltenden Fassung noch nicht den Zusatz gehabt "die demselben Rechtsträger angehören". Zur alten Rechtslage habe das BSG in seinem Urteil vom [X.] ([X.] U 20/07 R - [X.] 4-2700 § 136 [X.] 5) entschieden, dass ein Gesamtunternehmen nicht die rechtliche Identität in der [X.]erson des Unternehmers voraussetze. Da vorliegend eine isolierte Anfechtungsklage erhoben worden sei, sei die Sach- und Rechtslage im [X.]punkt des [X.]rlasses des Widerspruchsbescheids maßgeblich. Der Gesetzgeber habe ausweislich seiner Begründung zum [X.] und anderer Gesetze vom 5.8.2010 ([X.], [X.]Bl I 1127) lediglich eine Klarstellung "im Sinne der bisherigen [X.]raxis" und entgegen der zitierten BSG-[X.]ntscheidung vorgenommen. Die Beklagte sei im maßgebenden [X.]punkt des [X.]rlasses des Widerspruchsbescheids nicht gemäß § 131 Abs 1 [X.] zuständiger Unfallversicherungsträger für die Klägerin gewesen, nur weil sie auch für die [X.] zuständig gewesen sei. Denn bei der Klägerin und der [X.] handele es sich nicht um ein einheitliches Gesamt-, sondern um zwei eigenständige Unternehmen. [X.]ine Unternehmeridentität, die Voraussetzung für ein Gesamtunternehmen iS des § 131 Abs 1 [X.] mit der Folge der Zuständigkeit des [X.] des Hauptunternehmens sei, liege nicht vor, weil es sich bei ihnen um rechtlich selbständige juristische [X.]ersonen handele. Die Revision sei zuzulassen, weil die gesetzliche Neuregelung erst nach [X.]rlass des Widerspruchsbescheids in [X.] getreten sei und somit für den entscheidungserheblichen [X.]punkt eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG vorliege.

8

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung der §§ 37 [X.], 131 Abs 1, 136 Abs 1 Satz 4 und Abs 2 [X.] und des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots aus Art 20 GG. Der angegriffene Bescheid vom 12.6.2009 sei an die [X.] adressiert gewesen, so dass es an einer wirksamen Bekanntgabe gerade gegenüber der Klägerin fehle. Aus der früheren Fassung des § 131 [X.] (vor dem [X.]) iVm der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom [X.], aaO) folge, dass die Beklagte auch für die Klägerin zuständig gewesen sei. Die Neufassung des § 131 [X.] entfalte nach Art 12 des [X.] keine Rückwirkung.

9

In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat am 15.11.2016 hat die Beklagte den Bescheid vom 12.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] aufgehoben, soweit als [X.]punkt der Überweisung der Klägerin an die Beigeladene der Ablauf des 31.12.2009 festgesetzt wurde.

Die Klägerin beantragt ,
den Beschluss des [X.] vom 23.11.2015 und das Urteil des Sozialgerichts [X.]otsdam vom 18.10.2013 sowie den Bescheid der [X.] vom 12.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] (in der Fassung der [X.]rklärung vom 15.11.2016) aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt ergänzend vor, sie habe den Bescheid vom 12.6.2009 an die [X.] zustellen dürfen, weil diese als Bevollmächtigte der Klägerin aufgetreten sei.

Die Beigeladene macht geltend, es lägen bereits die übrigen Voraussetzungen für eine Unternehmeridentität nicht vor, weil schon kein betriebstechnischer Zusammenhang zwischen der Klägerin und der [X.] bestehe. Die [X.]ntfernung zwischen den [X.]roduktionsstandorten betrage mehrere hundert Kilometer.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die Regelung über die Zuweisung in dem Bescheid der [X.] vom 12.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] und der [X.]rklärung vom 15.11.2016 rechtmäßig ist. Die Klägerin wurde von der [X.] gemäß § 136 Abs 1 Satz 4 [X.] zu Recht an die Beigeladene überwiesen. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG am 15.11.2016 ihre Bescheide insoweit zurückgenommen, als sie die Regelung enthielten, dass die Klägerin mit Wirkung zum Ablauf des 31.12.2009 an die Beigeladene überwiesen werde. Diese Regelung hätte in Widerspruch zu der gesetzlichen Bestimmung des § 137 Abs 1 [X.] gestanden, nach der die Überweisung erst wirksam wird, wenn der Bescheid der Klägerin gegenüber "bindend" geworden ist. Da maßgeblich hierfür die Bestandskraft iS des § 77 [X.] ist, hätte sich die Regelung über einen Überweisungszeitpunkt mit Ablauf des 31.12.2009 als rechtswidrig erwiesen.

Verwaltungsverfahrensrechtliche Bedenken gegen den Ausgangsbescheid mit seinem die Überweisung regelnden Verwaltungsakt bestehen nicht. Dieser war inhaltlich hinreichend bestimmt iS des § 33 Abs 1 [X.]. Aus seinem Wortlaut wird für den [X.]mpfänger hinreichend deutlich (zur Maßgeblichkeit des [X.] vgl zuletzt BSG vom 26.4.2016 - [X.] U 13/14 R - [X.] Aktuell 2016, 456, juris Rd[X.] 14 mwN), dass die Klägerin (unter Nennung ihrer Anschrift) an die Beigeladene überwiesen werden soll. Der Verwaltungsakt vom 12.6.2009 wurde der Klägerin auch bekannt gegeben iS des § 37 [X.]. Zwar ist für den Vollzug der Bekanntgabe nicht allein die tatsächliche Kenntnisnahme durch die Klägerin maßgebend (vgl Schütze in von [X.]/Schütze, [X.], 8. Aufl 2014, § 37 Rd[X.] 4 mwN), die hier unstreitig erfolgte. Für eine wirksame Bekanntgabe ist notwendig, aber auch ausreichend, dass die Beklagte der Klägerin willentlich vom Inhalt des Verwaltungsakts Kenntnis verschafft hat (BSG vom 14.4.2011 - [X.] [X.] 12/09 R - [X.], 123 = [X.]-3500 § 82 [X.], juris Rd[X.] 12). Die Beklagte konnte hier davon ausgehen, dass die [X.] als Bevollmächtigte der Klägerin handelte, weil diese sich den Anschein gegeben hatte, für die Klägerin handeln zu dürfen. Die [X.] hat insofern der [X.] gegenüber den Rechtsschein gesetzt, von der Klägerin beauftragt zu sein und für diese handeln zu dürfen. Die Grundsätze der sog [X.] beruhen auf dem allgemeinen Rechtsgedanken, denjenigen, der den Rechtsschein einer Vollmacht gesetzt hat, daran festzuhalten, wenn ein Dritter darauf berechtigterweise vertraut (vgl grundlegend [X.] vom [X.] - [X.]Z 5, 111, 116, und [X.] vom [X.] - [X.] - NJW 1962, 1003). Sie gelten entsprechend im Sozialrecht (insbesondere BSG vom 15.10.1981 - 5b/5 RJ 90/80 - [X.], 245 = [X.] 2200 § 1303 [X.]; vgl auch BSG vom 21.2.2002 - B 3 KR 4/01 R - [X.] 3-2500 § 60 [X.] sowie vom [X.] - B 9 VJ 1/08 R - [X.]-3851 § 60 [X.] und vom 29.5.1980 - 9 [X.] 3/79 - [X.] 50, 136, 139 = [X.] 3850 § 51 [X.] S 32). Nach den Feststellungen des [X.] und dem Ablauf des Verwaltungsverfahrens ist die [X.] seit 2006 fortlaufend für die Klägerin aufgetreten und hat selbst vorgetragen, für diese handeln zu dürfen. Die Beklagte konnte folglich davon ausgehen und darauf vertrauen, dass die als Vertreter auftretende [X.] Vollmacht habe. Schließlich ist davon auszugehen, dass die Klägerin (also der Geschäftsherr) das Verhalten der [X.] kannte und nicht dagegen eingeschritten ist, obwohl ihr das möglich gewesen wäre.

Die mithin formell korrekt ergangenen Verwaltungsakte der [X.] vom 12.6.2009 und [X.] erweisen sich auch materiell als rechtmäßig. [X.]ntgegen der Rechtsansicht des [X.] ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit jedoch nicht der Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Verwaltungsakte, sondern die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem [X.]. Zwar handelt es sich bei dem prozessualen Begehren der Klägerin um eine reine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 [X.], bei der, wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, grundsätzlich auf den Zeitpunkt des [X.]rlasses der angefochtenen Verwaltungsakte abzustellen ist (vgl nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 54 Rd[X.]3 mwN; Urteil des [X.]s vom 22.9.2009 - [X.] U 32/08 R - [X.]-2700 § 168 [X.]). Der Überweisungsbescheid der [X.] stellte hier jedoch einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar.

[X.]in Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn sich der Verwaltungsakt nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet oder inhaltlich ändert (vgl nur Schütze, aaO, § 45 Rd[X.]3 mwN). Der [X.] hat insofern in ständiger Rechtsprechung die statusbegründenden Verwaltungsakte im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung als Verwaltungsakte mit Dauerwirkung betrachtet (vgl für den sog [X.] vom 18.1.2011 - [X.] U 16/10 R - [X.]-2700 § 123 [X.] Rd[X.]3 f; für Veranlagungsbescheide Urteile des BSG vom 11.4.2013 - [X.] U 8/12 R - [X.] 113, 192 = [X.]-2700 § 157 [X.], Rd[X.]1 und - [X.] U 4/12 R - NZS 2013, 745, juris Rd[X.]1). Auch der auf § 136 Abs 1 Satz 4 [X.] gestützte Überweisungsbescheid erschöpft sich nicht in der einmaligen Zuweisung eines Unternehmens an einen anderen Unfallversicherungsträger (vgl BSG vom 12.4.2005 - [X.] U 8/04 R - [X.] 94, 258, 261 = [X.]-2700 § 136 [X.] 1). Vielmehr folgt aus dieser Zuweisung eine Dauerrechtsbeziehung zu dem neuen Träger mit zahlreichen Rechten und [X.]flichten. Dies unterstreicht schließlich insbesondere die Regelung des § 136 Abs 2 Satz 2 [X.], die für die Frage der Änderung der Zuständigkeit ausdrücklich auf den die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung regelnden § 48 [X.] verweist (vgl hierzu schon BSG vom 12.4.2005, aaO).

Für die rechtliche Überprüfung eines solchen Verwaltungsakts mit Dauerwirkung ist maßgeblich der Sach- und Rechtszustand zum Zeitpunkt der [X.]ntscheidung der letzten Tatsacheninstanz (BSG vom [X.] [X.] - [X.] 61, 203, 205 = [X.]100 § 186a [X.]1; vgl auch Urteil des [X.]s vom 22.9.2009 - [X.] U 2/08 R - [X.] 104, 170 = [X.]-2700 § 168 [X.], Rd[X.] 17; [X.], aaO, Rd[X.]c nach § 54 [X.]). [X.]s kommt für die [X.]rüfung der Rechtmäßigkeit der Überweisung der Klägerin in die Zuständigkeit der [X.] mithin auf die Rechtslage zum 23.11.2015 (Datum des Beschlusses des [X.]) an. Ausgehend hiervon bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.

§ 136 Abs 1 Satz 4 [X.] in der hier maßgeblichen Fassung des Unfallversicherungs-[X.]inordnungsgesetzes ([X.] vom 7.8.1996, [X.]) lautet: "War die Feststellung der Zuständigkeit für ein Unternehmen von Anfang an unrichtig oder ändert sich die Zuständigkeit für ein Unternehmen, überweist der Unfallversicherungsträger dieses dem zuständigen Unfallversicherungsträger." Die Beklagte war von Anfang an unzuständig für die Klägerin. Dies folgt aus dem eingehend begründeten Beschluss des [X.] für Katasterfragen der [X.], dessen inhaltliche Richtigkeit von keinem der Beteiligten am Rechtsstreit ernsthaft in Zweifel gezogen wird. Die Zuständigkeit der [X.] widerspricht iS des § 136 Abs 2 Satz 1 [X.] eindeutig den Zuständigkeitsregelungen. Bei der Klägerin handelt es sich um ein Unternehmen der Süßwarenindustrie, das ua Bonbons herstellt. Aus der Satzung der Beigeladenen, der Selbstbezeichnung der Klägerin und schon aus dem alphabetischen Verzeichnis des [X.] (vom 1.7.1903, [X.] 1903, 57) folgt die Zuständigkeit der Beigeladenen für Bonbonfabriken und damit für die Klägerin.

An der auch zwischen den Beteiligten insofern unstreitigen Zuständigkeit der Beigeladenen für die Klägerin ändert sich auch nichts unter Berücksichtigung des § 131 Abs 1 [X.]. [X.]ntgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen ist § 131 Abs 1 [X.] hier in der Fassung anzuwenden, die er durch das [X.] vom 5.8.2010 ([X.] 1127, 1130) mit Wirkung zum [X.] (vgl Art 12 Satz 1 dieses Gesetzes) erhalten hat. Dies folgt daraus, dass der Überweisungsbescheid - wie ausgeführt - einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellt.

§ 131 Abs 1 Satz 1 [X.] lautet in der hier entscheidungserheblichen Fassung (wobei die maßgebliche Änderung des § 131 Abs 1 [X.] zum [X.] auch über die späteren Änderungen der Norm hinaus jeweils erhalten geblieben ist): "Umfaßt ein Unternehmen verschiedenartige Bestandteile (Hauptunternehmen, [X.], [X.]), die demselben Rechtsträger angehören, ist der Unfallversicherungsträger zuständig, dem das Hauptunternehmen angehört". Nach dem Normzweck des § 131 Abs 1 [X.] sollen unter den dort aufgeführten Voraussetzungen Unternehmen mit verschiedenartigen Unternehmensbestandteilen nur dem [X.] angehören, der für deren wirtschaftlichen Schwerpunkt (Hauptunternehmen) fachlich zuständig ist. Der Gesetzgeber verfolgt damit das Ziel, ein Unternehmen im Rechtssinne auch dann einem [X.] zuzuordnen, wenn dessen Unternehmensbestandteile selbst Unternehmen im unfallversicherungsrechtlichen Sinne darstellen würden (vgl [X.] in juris-[X.]K [X.] § 131 Rd[X.] 12, 2. Aufl 2014).

Die Klägerin ist als GmbH & Co. KG ein rechtlich selbständiges Unternehmen und gehört gerade nicht demselben Rechtsträger - der [X.] - an, die ihrerseits ein rechtlich selbständiges Unternehmen darstellt. Allein aufgrund dieser - durch die Neufassung des § 131 Abs 1 [X.] ab [X.] hervorgehobenen Tatsache - scheidet eine Zugehörigkeit der Klägerin zur [X.] aus. Der Gesetzgeber verfolgte mit der [X.]infügung des Zusatzes "die demselben Rechtsträger angehören" das Ziel, den "sog. Grundsatz der Unternehmeridentität" als Voraussetzung für das Vorliegen eines Gesamtunternehmens festzuschreiben (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom [X.], BT-Drucks 17/1684, [X.] zu [X.] 14). In dem Gesetzentwurf heißt es weiter: "Um die rechtliche Selbständigkeit von Unternehmen als eindeutig definierten Anknüpfungspunkt einer eigenständigen Zuordnung zu einem Unfallversicherungsträger zu erhalten, damit Rechtsunsicherheiten auszuschließen …, wird die Rechtslage im Sinne der bisherigen [X.]raxis klargestellt".

Somit kann aus dem eindeutigen Wortlaut des § 131 Abs 1 [X.] idF des [X.] (aaO) und dem in den Materialien zum Ausdruck kommenden [X.] abgeleitet werden, dass jedenfalls rechtlich verselbständigte, dh in je eigener Rechtspersönlichkeit betriebene Unternehmen kein Gesamtunternehmen bilden können (zur Kritik an der Verwendung des Begriffs "Rechtsträger" vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.] K § 131 Rd[X.] 15 f, Stand 3/2016).

Folglich ist auch eine genaue Feststellung der tatsächlichen betriebstechnischen Zusammenhänge und Abläufe zwischen der Klägerin und der [X.] entbehrlich (hierzu etwa BSG vom [X.] - [X.] U 33/05 R - [X.] 97, 279 = [X.]-2700 § 136 [X.]). Die Beigeladene weist zu Recht darauf hin, dass aufgrund der räumlichen Distanz zwischen den Standorten [X.] und [X.] erst noch festzustellen wäre, wie sich der tatsächliche Zusammenhang der beteiligten Unternehmen darstellt. [X.]rst hiernach könnte aufgrund einer Gesamtschau beurteilt werden, ob es sich um [X.], [X.] oder ein Gesamtunternehmen handelt (vgl hierzu nur [X.], aaO, Rd[X.] 8 ff oder Ricke in [X.] § 131 Rd[X.], Stand 12/2014). Dies kann jedoch dahinstehen, weil die Klägerin schon nicht demselben Rechtsträger iS des § 131 Abs 1 [X.] angehört wie die [X.].

[X.]ntgegen dem Vorbringen der Beteiligten kommt es auf die [X.]ntscheidung des [X.]s vom [X.] ([X.] U 20/07 R - [X.]-2700 § 136 [X.]) nicht mehr an, weil diese zum Rechtszustand vor dem [X.] ergangen ist. § 131 Abs 1 [X.] enthielt - wie ausgeführt - bis zum [X.] gerade nicht den Zusatz "die demselben Rechtsträger angehören" und der erkennende [X.] hatte hieraus in seinem Urteil vom [X.] (aaO) die Schlussfolgerung gezogen, dass ein Gesamtunternehmen keine rechtliche Identität in der [X.]erson des Unternehmers voraussetze. Unabhängig davon, ob diese [X.]ntscheidung angesichts der eingehenden Kritik in der Literatur (vgl nur [X.], [X.] 2010, 180) weiter aufrecht zu erhalten gewesen wäre, ist jedenfalls aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Norm, der insoweit auch den gesetzgeberischen Willen klar zum Ausdruck bringt, ab [X.] als maßgebliches rechtliches Kriterium auf die sog "Unternehmeridentität" abzustellen. Gehören die Unternehmensbestandteile nicht demselben Rechtsträger an - wie hier -, so kann ein Gesamtunternehmen in der Regel nicht vorliegen.

Soweit die Klägerin die Zulässigkeit einer Korrektur der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch den Gesetzgeber grundsätzlich in Zweifel zieht, ist dem nicht zu folgen. Nach der Ordnung des Grundgesetzes (Art 20 Abs 2 GG) steht dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber insofern der Vorrang zu. Bedenken könnten allenfalls dann bestehen, wenn der Gesetzgeber mit seiner Korrektur des § 131 [X.] seinerseits gegen Grundrechte verstoßen und damit einen verfassungswidrigen Rechtszustand herbeigeführt hätte. Hierfür bestehen aber keinerlei Anhaltspunkte.

Die Kostenentscheidung, nach der die Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens und damit der beiden anderen Beteiligten zu tragen hat, beruht auf § 197a [X.] iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Meta

B 2 U 19/15 R

15.11.2016

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Potsdam, 18. Oktober 2013, Az: S 2 U 92/10, Urteil

§ 131 Abs 1 S 1 SGB 7 vom 05.08.2010, § 136 Abs 1 S 4 SGB 7 vom 07.08.1996, § 136 Abs 2 S 1 SGB 7, § 136 Abs 2 S 2 SGB 7, § 137 Abs 1 SGB 7, § 37 SGB 10, § 48 SGB 10, § 54 Abs 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 15.11.2016, Az. B 2 U 19/15 R (REWIS RS 2016, 2407)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2407

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 2 U 17/20 R (Bundessozialgericht)

Gesetzliche Unfallversicherung - Überweisung - Zuständigkeitsbescheid - Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - wesentliche Änderung - grundlegende …


L 3 U 283/14 (LSG München)

Kein Überweisungsanspruch eines Integrations- bzw. Inklusionsunternehmens an andere Berufsgenossenschaft


L 2 U 311/16 (LSG München)

Unfallversicherung: Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften nach Beschluss des Bundesrates von 1885


L 3 U 287/14 (LSG München)

Begriff eines Unternehmens der Jagd


B 2 U 5/11 R (Bundessozialgericht)

(Gesetzliche Unfallversicherung - Unfallversicherungsschutz - Beschäftigungsverhältnis gem § 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7 …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.