Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.08.2022, Az. 4 ARs 2/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2022, 8778

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Gegenstand

Internationale Rechtshilfe: Antragsbefugnis einer drittbetroffenen juristischen Person bei einem Herausgabeersuchen der ausländischen Strafverfolgungsbehörde auf Grund einer Europäischen Ermittlungsanordnung


Tenor

Die Sache wird an das [X.] zurückgegeben.

Gründe

I.

1

Mit [X.] vom 25. April 2019 hat das Büro für die Beseitigung und Bekämpfung von Korruption der [X.] um Rechtshilfe in dem wegen Verdachts des Betrugs und weiterer Delikte geführten Ermittlungsverfahren Nr.            ersucht; die [X.] Strafverfolgungsbehörden begehrten unter anderem die Durchsuchung der Räume der „Firma [X.]“ (jetzt firmierend als   [X.]) mit Sitz in [X.] und die Sicherstellung beweiserheblicher Unterlagen. Nach dem Inhalt der Europäischen Ermittlungsanordnung sind Beschuldigte des zugrunde liegenden Ermittlungsverfahrens Amtsträger des [X.];     [X.]bzw. die von ihm geführte     [X.] ist darin nicht als verdächtige oder beschuldigte Person, sondern als von den begehrten Ermittlungsmaßnahmen betroffener Dritter angeführt.

2

Mit Verfügung vom 7. Mai 2019 hat die Staatsanwaltschaft [X.] die Rechtshilfe bewilligt und beim Amtsgericht in dem „gegen Unbekannt“ geführten ausländischen Ermittlungsverfahren unter anderem die Durchsuchung der [X.]eschäfts- und Nebenräume der     [X.] beantragt, die durch Beschluss des [X.] vom 7. Mai 2019 angeordnet und am 13. Mai 2019 vollzogen wurde. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen    [X.] vom 16. Mai 2019 wurde verworfen.

3

Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2019 beantragte Rechtsanwältin    [X.]namens und in Vollmacht der    [X.], vertreten durch den [X.]eschäftsführer Dr.     [X.], die Bewilligung der Rechtshilfe im Hinblick auf die [X.] in dem [X.] Strafverfahren aufzuheben, die Sache zur Entscheidung an die Staatsanwaltschaft zurückzugeben sowie festzustellen, dass die Herausgabe der am 13. Mai 2019 in den Räumen der    [X.] sichergestellten [X.]egenstände sowie der am selben Tag in den Räumen des Steuerberaters         [X.]sichergestellten [X.]egenstände an den [X.] unzulässig ist.

4

Nach Einholung einer ergänzenden Erklärung des ersuchenden Staats beabsichtigt das [X.], den auf § 61 Abs. 1 Satz 2 [X.] gestützten Antrag der    [X.] als zulässig zu behandeln und in eine Sachprüfung einzutreten. Das [X.] ist der Überzeugung, dass sich das Ermittlungsverfahren der [X.] Justizbehörden, in dem die [X.] ergangen ist, (auch) gegen den [X.]eschäftsführer der    [X.], Dr.     [X.] , persönlich richtet und die Antragstellerin daher nicht „Dritte“, sondern Betroffene des ausländischen Ermittlungsverfahrens ist. Entgegen einer in der Rechtsprechung vertretenen Rechtsauffassung will das [X.] § 61 Abs. 1 Satz 2 [X.] dahin auslegen, dass auch der Betroffene des ausländischen Ermittlungsverfahrens antragsberechtigt ist. Hieran sieht es sich insbesondere durch die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte [X.], [X.], [X.], [X.] und Köln gehindert.

5

Das [X.] [X.] hat die Sache dem [X.] mit Beschluss vom 21. September 2020 zur Entscheidung der folgenden Rechtsfrage vorgelegt:

„Ist bei einem auf die Herausgabe von [X.]egenständen gerichteten Rechtshilfeersuchen der Beschuldigte des ausländischen Verfahrens, für das die Herausgabe begehrt wird, gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 ([X.].) [X.] antragsbefugt?“

6

Der [X.] hat beantragt, die Sache an das [X.] zurückzugeben.

II.

7

Die Sache ist an das [X.] zurückzugeben, da die Voraussetzungen der §§ 91a Abs. 4 Nr. 1, 61 Abs. 1 Satz 4, 42 Abs. 1 [X.] nicht gegeben sind.

8

Eine Vorlegung nach § 42 Abs. 1 [X.] ist nur zulässig, wenn die Rechtsfrage für das anhängige Rechtshilfeverfahren entscheidungserheblich ist ([X.], Beschluss vom 13. Januar 1987 – 4 [X.], [X.]St 34, 256, 259; [X.] in [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 42 [X.] Rn. 6). Dies ist in der Regel zu verneinen, wenn es auf die Beantwortung der Rechtsfrage nicht ankommt, weil sie sich in dem anhängigen Rechtshilfeverfahren nicht stellt. So liegt der Fall hier.

9

Die Rechtsfrage, ob antragsberechtigter Dritter im Sinne des § 61 Abs. 1 Satz 2 [X.]. [X.] (auch) der Beschuldigte des ausländischen Strafverfahrens ist, ist nicht entscheidungserheblich. Beschuldigter des ausländischen Strafverfahrens in diesem Sinne ist nach einhelliger Auffassung, die auch das vorlegende [X.]ericht nicht in Frage stellt, allein derjenige, gegen den sich das ausländische Ermittlungsverfahren richtet (vgl. nur [X.], Beschluss vom 13. Juli 2017 ‒ 6 Ausl S 45/17 ‒ 35, 6 Ausl S 45/17 ‒ 35, Rn. 21). Das [X.] Strafverfahren richtet sich ‒ entgegen der Auffassung des [X.]s ‒ weder gegen Dr.    [X.] persönlich noch gegen die     [X.].

1. Das von den [X.] Justizbehörden geführte Ermittlungsverfahren Nr.            , in dem die [X.] (künftig: [X.]) erlassen worden ist, richtet sich ausschließlich gegen Amtsträger des [X.]                  ([X.]). Diese stehen in Verdacht, sich wegen „Betrugs in großem Umfang, rechtswidriger Verschwendung einer fremden Sache in großem Umfang und Fälschung von Dokumenten sowie Verwendung von gefälschten Dokumenten“ nach Artikel 177 Abs. 3, Artikel 179 Abs. 3 und Artikel 275 Abs. 2 des [X.] Strafgesetzbuchs strafbar gemacht zu haben.

a) Nach dem eindeutigen und maßgeblichen Inhalt der [X.] vom 25. April 2019 wird das Strafverfahren im [X.] gegen namentlich im einzelnen bezeichnete Amtsträger des [X.]                  geführt (vgl. Abschnitt [X.] der [X.]). Demgegenüber werden    [X.] bzw. die von ihm vertretene [X.] (nunmehr:    [X.]         [X.]mbH) vom [X.] ausdrücklich als „Dritte“ (vgl. Abschnitt [X.]) der [X.]) bezeichnet.

b) Dies gilt auch unter Berücksichtigung der unter Abschnitt [X.] der [X.] enthaltenen weiteren Darstellung der bisher gewonnenen Erkenntnisse. Darin wird ausgeführt, dass „zwischen [X.]und den von   [X.] vertretenen Unternehmen mehrere Verträge abgeschlossen und die Leistungen gemäß Verträgen bezahlt worden“ seien; der Inhalt der Verträge sei „sehr allgemein“ gehalten worden. Diese Zusammenfassung der aktuellen Erkenntnisse der [X.] Ermittlungsbehörden dient ersichtlich der Beschreibung der Verdachtslage als [X.]rundlage der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermittlungsmaßnahmen. Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass die [X.] Behörden gegen den [X.] Staatsangehörigen und im Inland wohnhaften     [X.]förmliche Ermittlungen aufgenommen haben und ihn als Beschuldigten führen.

c) Anderes ergibt sich auch nicht aus der ergänzenden Stellungnahme der [X.] Justizbehörden vom 11. Februar 2020. Soweit das [X.] auf der [X.]rundlage dieser ergänzenden Stellungnahme des [X.]s zu der Überzeugung gelangt ist, dass     [X.] „Betroffener“ des ausländischen Ermittlungsverfahrens sei, weil ihm nach Auskunft der [X.] Justizbehörden zur Last liege, „möglicherweise“ im Zusammenwirken mit den Mitarbeitern des [X.]               widerrechtlich Finanzmittel des Büros „erschwindelt und vergeudet“ zu haben, und das Verfahren daher förmlich auch gegen ihn als Beschuldigter geführt werde, vermag der Senat diesen Schluss nicht nachzuvollziehen.

aa) Das [X.] hat auf der [X.]rundlage der Sachverhaltsschilderung des [X.] unter Abschnitt [X.] der [X.], das nach dortigem Verständnis darauf hindeute, dass das [X.] Ermittlungsverfahren auch gegen Dr.     [X.] als Organ der von ihm geführten [X.]esellschaft geführt werde, sowie dem hiermit nicht ohne Weiteres zu vereinbarenden Inhalt der nationalen Beschlüsse des zuständigen Ermittlungsrichters, wonach als Tatverdächtige ausschließlich Amtsträger des [X.] bezeichnet würden, eine ergänzende Auskunft des ersuchenden Staates erbeten. Das [X.] Amt für Korruptionsprävention und -bekämpfung hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. Februar 2020 auf die Frage, „gegen welche Personen genau das Ermittlungsverfahren der [X.] Behörden gerichtet sei“, bestätigt, dass das Strafverfahren Nr.            gegen „die Amtspersonen“ der von der Stadtverwaltung [X.]finanzierten Stiftung „[X.]                    “ ([X.]) gerichtet ist. Weiter ist in der ergänzenden Mitteilung ausgeführt:

„Aus den empfangenen Unterlagen geht hervor, dass im Zeitraum von Anfang 2017 bis Ende 2018 in [X.][…] die Amtspersonen der Stiftung [X.]: die Vorstandsvorsitzende […], das Vorstandsmitglied        T.     und die Angestellte       P.    […], sowie der [X.]ründer/[X.]eschäftsführer der Marketingfirma [X.]], möglicherweise widerrechtlich Finanzmittel der Stiftung in großem Umfang erschwindelt und vergeudet haben, indem sie unter anderem fiktive Kooperationsverträge abgeschlossen, private Reisen bezahlten, gefälschte Dokumente verwendeten und fiktive Mitarbeiter einstellten. Die im Rahmen des Strafverfahrens ermittelten Informationen sind eine ausreichende [X.]rundlage für die Annahme, dass    [X.]und die ihm gehörenden/durch ihn vertretenen Unternehmen […] mit den zu untersuchenden Straftaten in Verbindung stehen“.

bb) Soweit das [X.] auf der [X.]rundlage dieser Mitteilung zu der Auffassung gelangt ist, dass das [X.] Ermittlungsverfahren nachträglich auf    [X.]als Beschuldigten erstreckt worden sei, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn die Mitteilung der [X.] Justizbehörden, dass nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass     [X.] „mit den zu untersuchenden Straftaten in Verbindung stehe“, lässt nicht darauf schließen, dass die [X.] Justizbehörden ihre Ermittlungen förmlich auf ihn ausgedehnt hätten. Denn weder dem Inhalt der auf dem Durchsuchungsbeschluss der Ermittlungsrichterin   Mi.      vom 24. April 2019 beruhenden [X.] noch der klarstellenden ergänzenden Erklärung der [X.] Behörden lassen sich zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen,    [X.] werde von den [X.] Justizbehörden nunmehr als Beschuldigter geführt. Die ergänzende Mitteilung der [X.] Behörden beschreibt vor dem Hintergrund des Inhalts der [X.] eine konkrete Verdachtslage und dient ersichtlich dem Ziel, dem ersuchten Staat die Prüfung zu ermöglichen, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung der Herausgaberechtshilfe vorliegen. Auf den vom [X.] hervorgehobenen Umstand, dass die [X.] Strafprozessordnung die Möglichkeit einer Ausweitung der Ermittlungen auf weitere Verdächtige vorsehe, kommt es daher nicht an.

cc) Bei dieser Sachlage ist der Senat an die abweichende Beurteilung durch das [X.] nicht gebunden (vgl. [zu § 121 Abs. 2 [X.]V[X.][X.] in [X.], [X.], 26. Aufl., § 121 [X.]V[X.] Rn. 75 ff. mwN).

dd) Es kommt daher nicht mehr entscheidend darauf an, dass der Antrag gemäß § 61 [X.] nicht von     [X.] persönlich, sondern in seiner Eigenschaft als [X.]eschäftsführer der     [X.] für diese gestellt worden ist. Es ist unzweifelhaft, dass die [X.] [X.] in Ermangelung eines Unternehmensstrafrechts nicht gegen die    [X.] ermitteln und diese selbst daher Dritte im Sinne des § 66 Abs. 2 Nr. 3 [X.] und deshalb ‒ ungeachtet des [X.] ‒ nach § 61 Abs. 1 Satz 2 [X.] als von der Herausgaberechtshilfe in ihren Rechten betroffene Dritte antragsberechtigt ist.

Das vorlegende [X.]ericht könnte im Übrigen die Rechtsfrage, ob eine juristische Person, gegen deren Organ ([X.]eschäftsführer) im ersuchenden Staat ein Strafverfahren geführt wird, gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 [X.]. [X.] antragsbefugt ist, ‒ wie beabsichtigt ‒ bejahen, ohne dabei von entgegenstehender Rechtsprechung abzuweichen. Einer solchen Rechtsauffassung stünde ‒ soweit ersichtlich ‒ insbesondere weder der Beschluss des Oberlandesgerichts [X.] vom 30. März 1995 ‒ (2) 4 Ausl 352/93, [X.], 455 noch Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Oktober 2010 ‒ 6 [X.] 101/09 Rn. 21; Beschluss vom 27. Juli 2004 ‒ Ausl 92/04 [bloßer Hinweisbeschluss]; Beschluss vom 13. Juli 2017 ‒ 6 [X.] 45/17‒35) tragend entgegen.

2. Die Sache ist daher antragsgemäß an das [X.] [X.] zurückzugeben.

[X.]     

      

Bartel     

      

Rommel

      

Maatsch     

      

Messing     

      

Meta

4 ARs 2/21

18.08.2022

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 61 Abs 1 S 2 Alt 2 IRG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.08.2022, Az. 4 ARs 2/21 (REWIS RS 2022, 8778)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8778

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