Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.10.2023, Az. I R 9/18

1. Senat | REWIS RS 2023, 10255

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Gegenstand

Zahlungsverjährung vor Klageerhebung


Leitsatz

1. NV: Eine Anfechtungsklage gegen die Steuerfestsetzung (hier: Haftungsbescheid) ist wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn bereits vor Klageerhebung Zahlungsverjährung eingetreten war und der Eintritt der Zahlungsverjährung zwischen den Beteiligten nicht in Streit steht (Abgrenzung zum Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24.04.1996 - II R 37/93, BFH/NV 1996, 865). Es liegt kein Fall der Erledigung der Hauptsache vor.

2. NV: Erlässt das Finanzamt ohne Beachtung der während des Einspruchsverfahrens gegen eine Steuerfestsetzung eingetretenen Zahlungsverjährung noch eine Einspruchsentscheidung, wird dadurch nicht erneut der Lauf einer Zahlungsverjährung ausgelöst. Das Erlöschen der Steuerforderung gemäß § 232 der Abgabenordnung als Rechtsfolge der Zahlungsverjährung ist endgültig.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 29.01.2018 - 7 K 50/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH [X.] Rechts mit Sitz in [X.] ([X.]). Sie ist eine Schwestergesellschaft der unter der gleichen [X.]dresse ansässigen [X.] Die K-GmbH betrieb eine Konzertdirektion, die Gastspielreisen ausländischer Künstler unter anderem in den [X.]ereichen Konzert, Oper und Operette, Theater und [X.]allett in der [X.] veranstaltete. Seit [X.] 2000 schaltete die K-GmbH in ihre Rechtsbeziehungen zu den inländischen Veranstaltern eine beteiligungsidentische inländische GmbH ([X.]) mit Sitz in [X.] ein.

2

Die K-GmbH gab hinsichtlich der an die Künstler geleisteten Vergütungen keine Steueranmeldungen für die [X.]bzugsteuer nach § 50a [X.]bs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der für die Jahre 2000 bis 2005 (Streitzeitraum) geltenden Fassung (EStG) ab und wurde durch den [X.]eklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --F[X.]--) durch [X.] nach § 50a [X.]bs. 5 Satz 5 EStG für den unterlassenen Steuerabzug in [X.]nspruch genommen. Im Rahmen von gegen die [X.] gerichteten Verfahren auf [X.]ussetzung der Vollziehung stellte sich heraus, dass für einen Teil der [X.] nicht die K-GmbH, sondern die Klägerin [X.]uftraggeberin und Vergütungsschuldnerin gewesen ist.

3

In der Folge forderte das F[X.] die Klägerin auf, Steueranmeldungen für die [X.]bzugsteuer einzureichen. Nachdem die Klägerin dem nicht nachgekommen war und auch weder Freistellungsbescheinigungen der Künstler eingereicht noch Vertragsunterlagen über die Gastspielreisen vorgelegt hatte, erließ das F[X.] unter dem 23.01.2006 sechs [X.] für den Streitzeitraum --jeweils zusammengefasst für ein [X.] gegen die Klägerin. Die [X.]emessungsgrundlage für den Steuerabzug ermittelte das F[X.] durch Schätzung, indem es [X.] über die von der [X.] mit den inländischen Veranstaltern abgeschlossenen [X.]uftrittsvereinbarungen auswertete und die darin vereinbarten Vergütungen jeweils zur Hälfte der Klägerin und der K-GmbH als an die Künstler weitergeleitete Vergütungen zurechnete. Im Einzelnen wurde die Klägerin für folgende Haftungsbeträge in [X.]nspruch genommen:

Zeitraum   

   Einkommensteuer   

   Solidaritätszuschlag

2000   

… €     

… €     

2001   

… €     

… €     

2002   

… €     

… €     

2003   

… €     

… €     

2004   

… €     

… €     

2005   

… €     

… €     

4

Die gegen die [X.] von der Klägerin erhobenen Einsprüche wurden vom F[X.] mit Einspruchsentscheidung vom 06.11.2015 zurückgewiesen. Die anschließend erhobene Klage hatte nur insoweit Erfolg, als die Haftungssumme insgesamt mehr als … € beträgt; im Übrigen hat das Finanzgericht (FG) [X.] sie mit Urteil vom 29.01.2018 - 7 K 50/16 ([X.] Steuerrecht kurzgefasst 2019, 141) als unbegründet abgewiesen.

5

Gegen das [X.] richtet sich die Revision der Klägerin.

6

Nachdem die Klägerin sich in ihrer Revisionsbegründung unter anderem auf Zahlungsverjährung berufen hat, erließ das F[X.] am 14.01.2019 einen [X.]brechnungsbescheid gemäß § 218 [X.]bs. 2 der [X.]bgabenordnung ([X.]). Darin wird festgestellt, dass mit Wirkung vom 31.12.2011 Zahlungsverjährung hinsichtlich sämtlicher festgesetzter Haftungsbeträge sowie der hierfür angefallenen Säumniszuschläge eingetreten ist.

7

Die Klägerin hat zuletzt den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

8

Das F[X.] stimmt der Erledigungserklärung nicht zu und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

[X.]

9

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Bei der Erklärung der Erledigung der Hauptsache durch die Klägerin handelt es sich --da das [X.] ihr nicht zugestimmt hat-- um eine sogenannte einseitige Erledigungserklärung des [X.]. Mit der einseitigen Erledigungserklärung nimmt der Kläger von seinem bisherigen Klagebegehren Abstand und beantragt stattdessen die Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist (Senatsbeschluss vom 12.10.1988 - I R 212/84, [X.], 491, [X.] 1989, 106; Urteil des [X.] --[X.]-- vom 23.02.2012 - IV R 32/09, [X.], 1479).

2. Im Streitfall kann dem Feststellungsbegehren der Klägerin nicht entsprochen werden, weil das die Hauptsache erledigende Ereignis --der Eintritt der [X.] nicht während der Rechtshängigkeit der Klage, sondern bereits vor Klageerhebung eingetreten ist. In dieser Situation ist die Klage wegen fehlenden [X.] vornherein unzulässig; es liegt kein Fall der Erledigung vor (Senatsurteil vom 19.05.1976 - I R 154/74, [X.], 219, [X.] 1976, 785; [X.] in Tipke/[X.], § 138 [X.]O Rz 11).

a) Die Zahlungsverjährung der Forderungen aus den [X.] vom [X.] ist ausweislich des von der Klägerin nicht angefochtenen und daher in Bestandskraft erwachsenen Abrechnungsbescheids des [X.] vom 14.01.2019 mit Wirkung vom 31.12.2011 eingetreten. Der Eintritt der Zahlungsverjährung bewirkt gemäß § 232 AO, dass der Anspruch aus dem Steuerverhältnis erlischt. Nach ständiger Rechtsprechung führt der Eintritt der Zahlungsverjährung daher zur Erledigung der Hauptsache eines anhängigen Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung (Fortfall des [X.], [X.]-Urteile vom 26.04.1990 - V R 90/87, [X.], 348, [X.] 1990, 802; vom 24.04.1996 - II R 37/93, [X.] 1996, 865; vom 18.08.2020 - VII R 39/19, [X.] 2021, 329). Ist Zahlungsverjährung --wie im [X.] bereits vor Erhebung der Klage über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung eingetreten, dann besteht schon im Zeitpunkt der Klageerhebung kein Rechtsschutzbedürfnis mehr; die Klage ist von vornherein unzulässig (Erledigung der Hauptsache vor Klageerhebung, vgl. [X.] in Tipke/[X.], § 138 [X.]O Rz 11).

b) Nach der Rechtsprechung des [X.] Senats des [X.] (Urteil vom 24.04.1996 - II R 37/93, [X.] 1996, 865) entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid ausnahmsweise nicht, wenn mit der Klage (unter anderem) Zahlungsverjährung geltend gemacht wird und das [X.] im Einspruchsverfahren und im Klageverfahren die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids behauptet und den Eintritt der Zahlungsverjährung bestritten hat. Eine vergleichbare Konstellation liegt hier indessen nicht vor, weil weder mit der Klage die Zahlungsverjährung geltend gemacht worden ist noch das [X.] den Eintritt der Zahlungsverjährung vor oder nach Erhebung der Klage bestritten hat. Die Beteiligten haben im Einspruchs- und im Klageverfahren ausschließlich um die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Haftungsbeträge gestritten. Während des erstinstanzlichen Verfahrens haben weder die Klägerin noch das [X.] (und auch nicht das [X.]) eine mögliche Zahlungsverjährung erwogen und geprüft. Aus der Unkenntnis der Beteiligten über die eingetretene Zahlungsverjährung lässt sich aber ein Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung der Anfechtungsklage gegen die Steuerfestsetzung nicht ableiten.

c) Entgegen der Auffassung der Revision hat der Erlass der Einspruchsentscheidung durch das [X.] am 06.11.2015 hinsichtlich der mit Ablauf des 31.12.2011 zahlungsverjährten [X.] nicht zum erneuten Beginn des Laufs einer Zahlungsverjährung geführt. Das Erlöschen der Steuerforderung gemäß § 232 AO als Rechtsfolge der Zahlungsverjährung ist endgültig. Die Forderung kann daher nach [X.] nicht durch einen weiteren Verwaltungsakt oder eine Zahlungsaufforderung der Behörde wiederaufleben.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 9/18

25.10.2023

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG München, 29. Januar 2018, Az: 7 K 50/16, Urteil

§ 40 FGO, § 138 FGO, § 228 AO, § 232 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.10.2023, Az. I R 9/18 (REWIS RS 2023, 10255)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10255


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 7 K 50/16

FG München, 7 K 50/16, 29.01.2018.


Az. I R 9/18

Bundesfinanzhof, I R 9/18, 25.10.2023.


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