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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kinderexistenzminimum (zwei Kinder) für die Veranlagungszeiträume 1987 und 1988
L e i t s a t z
zum Beschluß des [X.] vom 10. November 1998
- 2 BvR 1852/97 -
- 2 BvR 1853/97 -
Zum von [X.] wegen zu berücksichtigenden einkommensteuerlichen [X.] für zwei Kinder in den Veranlagungszeiträumen 1987 und 1988.
[X.]
- 2 BvR 1852/97 -
- 2 BvR 1853/97 -
gegen a) | das Urteil des
[X.] vom 22. Juli 1997 - VI R 121/90
-, |
b) | mittelbar § 32 Abs. 6 EStG |
- 2 BvR 1852/97 -,
gegen a) | das Urteil des
[X.] vom 22. Juli 1997 - [X.]/90
-, |
b) | mittelbar § 32 Abs. 6 EStG |
- 2 BvR 1853/97 -
hat das [X.] - Zweiter [X.] - unter Mitwirkung der [X.]innen und [X.]
Präsidentin [X.],
Kirchhof,
Winter,
[X.],
Jentsch,
Hassemer,
Broß,
Osterloh
am 10. November 1998 beschlossen:
Streitig ist, ob die den Beschwerdeführern für jeweils zwei Kinder gewährten einkommensteuerlichen Kinderfreibeträge in den Veranlagungszeiträumen 1987 (2 [X.]) und 1988 (2 BvR 1853/97) den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen.
1. Die verheirateten und jeweils gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagten Beschwerdeführer beider Verfahren erhielten für die Veranlagungszeiträume 1987 und 1988 für ihre beiden Kinder Kinderfreibeträge in Höhe von jeweils insgesamt 4.968 DM (2 x 2.484 DM). Sie wandten sich mit Einspruch, Klage und Revision im Ergebnis erfolglos gegen die nach ihrer Ansicht zu gering bemessenen und daher verfassungswidrigen Kinderfreibeträgen gemäß § 32 EStG.
2. Der [X.] bekundete zwar Zweifel an der [X.]mäßigkeit des § 32 Abs. 6 EStG i.d.[X.]des [X.] 1986/1988 [X.]. § 10 Abs. 1 und 2 [X.] vom 21. Januar 1986 ([X.]), konnte sich aber letztlich von der [X.]widrigkeit dieser Regelung nicht überzeugen (Urteil vom 22. Juli 1997 - VI R 121/90 -, BStBl II 1997, [X.] = [X.], 538; Urteil vom 22. Juli 1997 - [X.]/90 -, BStBl II 1997, [X.] = [X.], 544). Das [X.] habe rechtsfehlerfrei entschieden, daß den Klägern in den jeweiligen Verfahren keine höheren Kinderfreibeträge zu gewähren seien. Es sei zwar zweifelhaft, ob § 32 Abs. 6 EStG [X.]. § 10 Abs. 1 und 2 [X.] unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.]s noch mit dem Grundgesetz vereinbar sei, soweit Steuerpflichtige mit zwei Kindern und einem auf den Sockelbetrag geminderten Kindergeld gemäß § 10 Abs. 2 [X.] betroffen seien. Angesichts der unterschiedlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen, auf welche die Bemessung der Kinderentlastung in vertretbarer Weise gestützt werden könne, sei der [X.] jedoch nicht überzeugt, daß diese Regelungen unter Berücksichtigung des dem Gesetzgeber einzuräumenden Entscheidungsraums mit dem Grundgesetz unvereinbar seien.
Die Beschwerdeführer wenden sich jeweils gegen die Revisionsentscheidungen des [X.] und mittelbar gegen § 32 Abs. 6 EStG und rügen die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und 2, Art. 20 Abs. 1 GG sowie Art. 100 [X.]. Art. 101 GG.
1. Die Beschwerdeführer im Verfahren 2 [X.] errechnen für das [X.] auf der Grundlage des Beschlusses des [X.]s vom 14. Juni 1994 ([X.] 91, 93) nach der dort angenommenen durchschnittlichen jährlichen Sozialhilfe für Kinder in Höhe von 11.232 DM Abweichungen zwischen dem tatsächlichen Existenzminimum und dessen gesetzlicher Berücksichtigung zwischen 13,03 % und 23,72 % je nach dem bei der Umrechnung von Kindergeld in einen Kinderfreibetrag zugrunde gelegten Grenzsteuersatz. Die Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1853/97 errechnen nach derselben Methode für den dort streitigen Veranlagungszeitraum 1988 Abweichungen zwischen 15,06 % und 25,50 %.
2. Die Abweichungen seien so schwerwiegend, daß eine [X.]widrigkeit der Kinderfreibeträge gegeben sei. Von entscheidender Bedeutung sei, daß die von der Finanzrechtsprechung, insbesondere vom [X.], ermittelten Bedarfswerte sich am extremen unteren Rand bewegten. Das [X.] habe sich demgegenüber an die vorgelegten Zahlen des Bundesministers für Familie und Senioren gehalten, der den durchschnittlichen [X.] der Kinder dargelegt habe.
Nach der Begründung des [X.] 1986/1988 (BTDrucks 10/2884, [X.], 100) sollte der Kinderfreibetrag seit dem 1. Januar 1986 nicht nur das allgemeine [X.] abdecken, sondern daneben auch kindbedingte Vorsorgeaufwendungen von der Steuer freistellen. Die Vorsorgeaufwendungen für zwei Kinder beliefen sich schon 1987 auf 454 DM pro Jahr, so daß diese bei den Vergleichsberechnungen jedenfalls mit 400 [X.]berücksichtigt werden könnten. Der Abschlag sei auch von der steuerlichen Systematik her notwendig.
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen [X.]beschwerden sind zulässig und begründet. § 32 Abs. 6 EStG war in seiner Anwendung auf die Veranlagungszeiträume der Jahre 1987 und 1988 in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang mit Art. 3 Abs. 1 [X.]. Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar. Insoweit gelten die im Beschluß vom 10. November 1998 im Verfahren 2 BvL 42/93 dargelegten Maßstäbe entsprechend. Nach den dort getroffenen Klarstellungen bildet das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum, die über-, aber nicht unterschritten werden darf. Der Wohnbedarf ist nach dem Mehrbedarf, nicht nach der Pro-Kopf-Methode zu ermitteln. Das damit quantifizierte steuerliche Existenzminimum ist für alle Steuerpflichtigen - unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz - in voller Höhe von der Einkommensteuer freizustellen.
Nach diesen Maßstäben ist der Familienleistungsausgleich für zwei Kinder im Veranlagungszeitraum 1987 verfassungswidrig. Gleiches gilt für den [X.] 1988.
1. Unter Berücksichtigung der auch vom [X.] in den Revisionsverfahren zugrunde gelegten Grenzsteuersätze der Beschwerdeführer in Höhe von 40 % bleibt das gesetzlich anerkannte Existenzminimum für zwei Kinder im Veranlagungszeitraum 1987 hinter dem verfassungsrechtlich gebotenen Mindestbedarf um 264 DM jährlich, im Veranlagungszeitraum 1988 um 576 DM jährlich zurück.
Der existenznotwendige Mindestbedarf bemißt sich nach der von der Bundesregierung zugrunde gelegten Methode zur Ermittlung des jeweiligen [X.] (vgl. [X.], Beschluß des [X.] vom 10. November 1998 - 2 BvL 42/93 - unter C.[X.]6.a) und beträgt damit im Veranlagungszeitraum 1987 4.416 DM pro Kind und Jahr und 8.832 DM für die beiden Kinder der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1852/97.
Die nach derselben Methode zu ermittelnden existenznotwendigen [X.]werte von Kindern im Veranlagungszeitraum 1988 betragen unter Zugrundelegung der von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen 4.572 DM für ein Kind und damit für die beiden Kinder der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1853/97 9.144 DM jährlich. Dieser Mindestbedarf errechnet sich aus dem Sozialhilferegelsatz für Kinder in Höhe von 259 DM, einmaligen Leistungen in Höhe von 44 DM, einem Mietmehrbedarf in Höhe von 64 DM und Heizkosten in Höhe von 14 DM für jedes Kind pro Monat. Daraus ergibt sich ein [X.] von 381 DM, ein Jahresbedarf von 4.572 DM.
2. Die Abweichungen zwischen dem gesetzlich anerkannten und dem verfassungsrechtlich gebotenen Bedarf geben nachstehende Tabellen zusammenfassend wieder:
Veranlagungszeitraum 1987 2 Kinder |
|||
gesetzliche Berücksichtigung |
Bedarf |
Differenz |
|
bei Grenzsteuersatz |
|||
30 % |
9.768 |
8.832 |
+ 936 |
40 % |
8.568 |
8.832 |
- 264 |
50 % |
7.848 |
8.832 |
- 984 |
56 % |
7.539 |
8.832 |
- 1.293 |
Veranlagungszeitraum 1988 2 Kinder |
|||
gesetzliche Berücksichtigung |
Bedarf |
Differenz |
|
bei Grenzsteuersatz |
|||
30 % |
9.768 |
9.144 |
+ 624 |
40 % |
8.568 |
9.144 |
- 576 |
50 % |
7.848 |
9.144 |
- 1.296 |
56 % |
7.539 |
9.144 |
- 1.605 |
Die Sachen waren an den [X.] zurückzuverweisen. Dieser wird zu prüfen haben, ob er die Einkommensteuern der Beschwerdeführer auch ohne gesetzliche Änderung des § 32 Abs. 6 EStG entsprechend dem Grundgedanken der §§ 163, [X.] in den Höhen erlassen kann, die sich ergäben, wenn die jeweils von [X.] wegen zu berücksichtigenden Kinderexistenzminima in Form eines Kinderfreibetrages unter Einrechnung der individuellen Grenzsteuersätze der Beschwerdeführer gewährt würden.
Das [X.] hat eine [X.]pflicht zum Billigkeitserlaß festgestellt, wenn die Anwendung eines nicht zu beanstandenden Gesetzes in Einzelfällen zu einem "ungewollten Überhang" führen würde (vgl. z.B. [X.] 48, 102 <116>). In ähnlicher Weise könnte der [X.] sich zu der Prüfung veranlaßt sehen, im Ausgangsverfahren und in allen bei ihm anhängigen Parallelverfahren eine verfassungsrechtlich veranlaßte Herabsetzung der Steuerschuld zu prüfen, die auch ohne Durchführung eines getrennten Billigkeitsverfahrens den dort das Revisionsverfahren führenden Eltern ihr verfassungsrechtlich gebotenes Kindesexistenzminimum gewährt und damit eine gesetzliche Neuregelung mit Wirkung für zurückliegende Veranlagungsjahre in wenigen Fällen erübrigt. Anderenfalls wäre der Gesetzgeber verpflichtet, in den noch nicht bestandskräftig gewordenen Fällen die Benachteiligung der betroffenen Steuerpflichtigen zu beheben. In jedem Fall steht es ihm frei, die verfassungsrechtlich gebotene Änderung durch eine Anhebung des einkommensteuerlichen Kinderfreibetrages, durch eine Anhebung des Kindergeldes oder durch eine anderweitige Ausgleichsregelung vorzunehmen (vgl. [X.] 82, 60 <97>; 82, 198 <208>).
[X.] beruht auf § 34a Abs. 2 [X.]G.
[X.] | Kirchhof | Winter |
[X.] | Jentsch | Hassemer |
Broß | Osterloh |
Meta
10.11.1998
Sachgebiet: BvR
Zitiervorschlag: Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom 10.11.1998, Az. 2 BvR 1852/97, 2 BvR 1853/97 (REWIS RS 1998, 12)
Papierfundstellen: REWIS RS 1998, 12 BVerfGE 99, 273-279 REWIS RS 1998, 12
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