Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.10.2013, Az. I B 8/13

1. Senat | REWIS RS 2013, 1931

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Widerstreitende Steuerfestsetzungen -- kumulativ begründetes FG-Urteil -- Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde


Leitsatz

NV: Die Rechtsauffassung des FG, es lägen keine widerstreitenden Steuerfestsetzungen vor, wenn Arbeitslohn aus einer Tätigkeit im Ausland (hier: China) sowohl vom inländischen FA (in der Annahme, der Steuerpflichtige habe Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt) als auch vom ausländischen Fiskus (in der Annahme, der Steuerpflichtige sei während der Ausübung der Tätigkeit ausschließlich in jenem ausländischen Staat wohnhaft gewesen) besteuert wird, ist kein zur Revisionszulassung führender qualifizierter Rechtsanwendungsfehler.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war bis zum 30. April 2007 (Streitjahr) für seinen inländischen Arbeitgeber in [X.] tätig. In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr gaben der Kläger und dessen Ehefrau an, in [X.] (Inland) zu wohnen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) erfasste den für die Tätigkeit in [X.] erzielten Arbeitslohn (20.212 €) als nach Maßgabe des Art. 15 Abs. 2 des Abkommens zwischen der [X.] und der Volksrepublik [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 10. Juni 1985 ([X.] 1986, 446, [X.] 1986, 329) im Inland steuerpflichtig. Er ging dabei davon aus, dass die Eheleute auch während der Tätigkeit des [X.] in [X.] Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten. Der auf dieser Grundlage ergangene Bescheid über die Festsetzung der Einkommensteuer ist bestandskräftig geworden. Einen Antrag des [X.] und seiner Ehefrau auf Änderung des Bescheids gemäß § 173 der Abgabenordnung ([X.]) hat das [X.] bestandskräftig abgelehnt.

2

Im streitgegenständlichen Verfahren hat der Kläger eine Änderung des Bescheids gemäß § 174 Abs. 1 [X.] (widerstreitende Steuerfestsetzungen) beantragt und vorgetragen, er habe bis einschließlich April 2007 im Inland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, so dass die für die Tätigkeit in [X.] bezogenen Einkünfte im Inland lediglich dem Progressionsvorbehalt unterlägen. In [X.] sei eine der [X.] Einkommensteuer entsprechende Besteuerung erfolgt.

3

Das [X.] hat den Antrag abgelehnt. Die deswegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg; das [X.] ([X.]) hat sie mit Urteil vom 11. Dezember 2012  8 K 246/12 als unbegründet abgewiesen.

4

Der Kläger beantragt mit seiner Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das [X.]-Urteil.

5

Das [X.] beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger die Voraussetzungen der geltend gemachten Zulassungsgründe nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) entsprechend dargetan hat.

7

1. Das [X.] hat sein Urteil auf zwei unabhängig nebeneinander stehende Entscheidungsgründe gestützt. Zum einen hält es § 174 Abs. [X.] auf Steuerbescheide von [X.] nicht anwendbar. Zum anderen sind seiner Auffassung nach im Streitfall keine widerstreitenden Steuerfestsetzungen i.S. von § 174 Abs. [X.] gegeben, weil der [X.] Fiskus von einem inländischen Wohnsitz des [X.] ausgegangen sei, während der [X.] Fiskus offenbar einen solchen in [X.] angenommen habe und mithin den Bescheiden nicht derselbe Sachverhalt zugrunde liege.

8

2. In einem solchen Fall eines auf kumulative Begründungen gestützten [X.]-Urteils ist die Nichtzulassungsbeschwerde nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer hinsichtlich jeder der Begründungen einen Zulassungsgrund geltend macht und hinreichend begründet (z.B. Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2010 I B 21-25/10, [X.], 833; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 28, m.w.N.). An einer hinreichenden Begründung fehlt es hier jedenfalls in Bezug auf den [X.] der Vorinstanz (keine widerstreitenden Steuerfestsetzungen).

9

a) Der Kläger macht insoweit zunächst geltend, er habe nicht mit dieser Begründung rechnen können, nachdem das [X.] zuvor das Verfahren mit Blick auf den [X.] bis zur Entscheidung des Senats in der Sache I R 73/10 (Senatsurteil vom 9. Mai 2012 I R 73/10, [X.], 1, [X.], 566) zum Ruhen gebracht hatte.

Eine unzulässige "Überraschungsentscheidung" (Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, § 96 Abs. 2 [X.]O, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) liegt jedoch nur dann vor, wenn das [X.] einen bisher nicht erörterten Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht hat rechnen müssen (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2006 I B 97/05, [X.], 2083). Dies ist dann nicht der Fall, wenn dieser Gesichtspunkt zuvor Gegenstand des Vorbringens der Beteiligten gewesen ist. Aus diesem Grund darf sich das Beschwerdevorbringen nicht darauf beschränken, das Verhalten des [X.] zu schildern, sondern muss sich auch mit dem Vortrag der anderen Beteiligten befassen (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 25. April 2006 X B 38/05, [X.], 1444). Daran fehlt es hier. Der Kläger lässt unerwähnt, dass das [X.] die im [X.] vom [X.] aufgegriffene Argumentation ausweislich der Feststellungen im angefochtenen Urteil schon während des Verfahrens vertreten hatte.

Im Übrigen hat der Kläger nicht dargetan, was er noch vorgetragen hätte, wenn er vorher auf die Rechtsauffassung des [X.] hingewiesen worden wäre und dass aufgrund dieses Vorbringens eine andere Entscheidung des [X.] möglich gewesen wäre (vgl. zu diesem [X.] Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 119 Rz 14, m.w.N.).

b) Auch die Rüge des qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers des [X.] führt nicht zur Revisionszulassung. Allerdings können besonders schwerwiegende Fehler des [X.] bei der Anwendung materiellen Rechts, die geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 [X.]O ermöglichen (Erforderlichkeit einer [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung). In diesem Sinne greifbar gesetzwidrig ist eine Entscheidung dann, wenn sie objektiv willkürlich und unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (z.B. Senatsbeschluss vom 18. April 2012 I B 123/11, [X.], 1299).

Solches ergibt sich aus dem Vorbringen des [X.] nicht. Er legt dar, dass seiner Auffassung nach die falsche Annahme des [X.] im Hinblick auf Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt des [X.] im Inland nicht als "Sachverhalt" i.S. von § 174 Abs. [X.] angesehen werden könne. Dass die gegenteilige Sichtweise des [X.] jedoch die Grenze der objektiven Willkür überschreitet, legt er nicht schlüssig dar. Die pauschale Behauptung, auf der Grundlage dieser Argumentation wäre fast jeder Änderungsantrag nach § 174 Abs. [X.] zum Scheitern verurteilt, wird nicht weiter begründet oder belegt.

Im Übrigen lässt sich für die Auffassung des [X.] ins Feld führen, dass eine Behörde einen Sachverhalt nur dann i.S. von § 174 Abs. [X.] "berücksichtigt", wenn er ihr bei der Entscheidungsfindung bekannt war und als Entscheidungsgrundlage herangezogen und verwertet wurde (Senatsurteil in [X.], 1, [X.], 566; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 174 [X.] Rz 10), das [X.] hingegen bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids keine Kenntnis vom Fehlen des Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthalts des [X.] im Inland hatte.

c) Die in diesem Punkt behauptete Abweichung des angefochtenen Urteils von dem Senatsurteil in [X.], 1, [X.], 566 (Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) wird vom Kläger ebenfalls nicht hinreichend begründet. Es fehlt bereits an dem grundlegenden Erfordernis, die nach Auffassung des Beschwerdeführers divergierenden abstrakten Rechtssätze aus den beiden Urteilen gegenüberzustellen, so dass die Abweichung sichtbar wird (z.B. Senatsbeschluss vom 25. April 2007 I B 117/06, [X.] 2007, 1619, m.w.N.). Auch die Vergleichbarkeit der Sachverhalte beider Urteile hat der Kläger nicht schlüssig dargetan. Denn entgegen der Darstellung in der Beschwerdebegründung kann dem Senatsurteil in [X.], 1, [X.], 566 kein Anhalt dafür entnommen werden, dass die Behörden in dem dortigen Fall --wie vom [X.] für den Streitfall angenommen-- unterschiedliche Vorstellungen über Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt des dortigen [X.] gehabt haben.

Meta

I B 8/13

16.10.2013

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 11. Dezember 2012, Az: 8 K 246/12, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 174 Abs 1 AO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 116 Abs 3 S 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.10.2013, Az. I B 8/13 (REWIS RS 2013, 1931)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1931

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II R 62/15 (Bundesfinanzhof)

(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 20.03.2019 II R 61/15 - Keine widerstreitenden Steuerfestsetzungen bei mehrfacher Berücksichtigungsmöglichkeit)


II R 61/15 (Bundesfinanzhof)

Keine widerstreitenden Steuerfestsetzungen bei mehrfacher Berücksichtigungsmöglichkeit


I R 73/10 (Bundesfinanzhof)

(Änderung widerstreitender Steuerfestsetzungen: Berücksichtigung ausländischer Steuerbescheide - Unionsrechtskonforme Auslegung - Keine Bescheidänderung nach § 173 …


III R 77/09 (Bundesfinanzhof)

Wohnsitz bei Geburt des Kindes im Ausland


7 K 846/17 (FG München)

Inländischer Wohnsitz, Rechtsprechung des BFH, Bundesfinanzhof, Auslandsaufenthalt, Steuerpflichtiger, Kindergeldfestsetzung, Einspruchsentscheidung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.