Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2017, Az. V ZB 163/15

V. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 10078

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:010617BVZB163.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB
163/15

vom

1. Juni 2017

in der [X.]

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 62 Abs. 3 Satz 3
a)
Die Haftfähigkeit des Betroffenen zu prüfen, ist Aufgabe des Haftrichters.
b)
Ob die fehlende oder eingeschränkte Reisefähigkeit eine Aussetzung der Ab-schiebung (vgl. etwa § 60a Abs. 2 [X.]) oder begleitende Maßnahmen erfor-derlich macht, haben dagegen die beteiligte Behörde und die Verwaltungsgerichte zu prüfen. Der Haftrichter hat nach § 62 Abs. 3 Satz 3
[X.] nur festzustellen, ob die Abschiebung nach den von der beteiligten Be-hörde ergriffenen Maßnahmen und im Hinblick auf etwaige von dem Betroffenen bei den Verwaltungsgerichten eingeleitete Verfahren voraussichtlich durchgeführt werden kann.
[X.], Beschluss vom 1. Juni 2017 -
V [X.] -
LG [X.]

[X.]

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2
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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 1. Juni 2017
durch die

Vorsitzende Richterin [X.], die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und [X.], den Richter [X.] und die Richterin Haberkamp
beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 30. Oktober 2015 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000

Gründe:
I.
Der Betroffene reiste
am 26. September 1996 erstmals nach [X.] ein und wurde nach einem erfolglosen Asylverfahren am 20. Juni 2006 in sein Heimatland [X.] abgeschoben.
Am 24. November 2011 reiste er erneut nach [X.] ein und
stellte wiederum einen Asylantrag, den das zustän-dige [X.] mit Bescheid vom 10. Januar 2012 ablehnte. Eine für den 2.
April 2012 angekündigte Abschiebung scheiterte daran, dass der Betroffene in seiner Unterkunft nicht angetroffen wurde und untertauchte. Am 13.
August
2015 wurde er aus den [X.] nach [X.] [X.].

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Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 13. August 2015 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung von dessen
Abschiebung nach [X.] bis zum 13. November 2015 angeordnet. Die Be-schwerde des Betroffenen
ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde möchte er nach Auslaufen der Haft die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit errei-chen.
II.
Nach Ansicht des [X.] war die angeordnete Haft [X.]. Der
Haftantrag sei zulässig gewesen. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 [X.] habe vorgelegen. Der Betroffene habe sich der [X.] am 2. April 2012 entzogen und sei dann untergetaucht. Er habe im Be-schwerdeverfahren seine Reiseunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht. Sie liege auch eher fern, weil er vor Beginn der Haft aus den [X.] [X.] worden sei.
III.
Diese Erwägungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung stand.
1. Das Beschwerdegericht musste den Betroffenen im Beschwerdever-fahren nicht erneut persönlich anhören. Etwas anderes ergibt sich entgegen dessen
Ansicht nicht daraus, dass er Zweifel an seiner Reisefähigkeit dargelegt und die Notwendigkeit einer begleiteten Abschiebung geltend gemacht hat.
a) Allerdings verletzt die Aufrechterhaltung der angeordneten Siche-rungshaft durch das Beschwerdegericht die Rechte des Betroffenen nach Art.
104 Abs. 1 GG, wenn dessen zwingend gebotene erneute persönliche An-hörung unterbleibt; es kommt in diesem Fall auch nicht darauf an, ob die Haft in der Sache zu Recht aufrechterhalten worden ist. Das Beschwerdegericht ist 2
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indessen im Unterschied zum Haftrichter nicht in jedem Fall verpflichtet, den Betroffenen vor seiner Entscheidung (erneut) persönlich anzuhören. Es darf davon vielmehr unter den in § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG genannten Vorausset-zungen absehen. Zu einer Verletzung der Rechte des Betroffenen nach Art.
2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG führt ein Absehen von der erneuten persönli-chen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren deshalb nur, wenn diese Voraussetzungen nicht vorlagen und die Anhörung auch im [X.] zwingend geboten war (Senat, Beschluss vom 14. April 2016
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V [X.], juris Rn. 12 mwN).
b) Das war hier nicht der Fall.

aa) Im Verlauf des Beschwerdeverfahrens hat der Betroffene allerdings unter Vorlage eines ärztlichen Attestes bezweifelt, ob er im Hinblick auf eine posttraumatische Belastungsstörung reisefähig sei. Die posttraumatische Belas-tungsstörung eines Betroffenen kann zwar auch im Verfahren der Freiheitsent-ziehung Bedeutung erlangen. Uneingeschränkt gilt das aber nur, wenn sie
des-sen Haftfähigkeit in Frage stellt. Denn diese zu prüfen ist Aufgabe des [X.]. Anders liegt es dagegen, wenn Bedenken gegen die Reisefähigkeit des Betroffenen erhoben und begleitende Maßnahmen gefordert werden. Ob die fehlende oder eingeschränkte Reisefähigkeit eine Aussetzung der Abschiebung (vgl. etwa § 60a Abs. 2 [X.]) oder begleitende Maßnahmen erforderlich macht, haben die beteiligte Behörde und die Verwaltungsgerichte
zu prüfen. Der Haftrichter
hat nach § 62 Abs. 3 Satz 3 [X.] nur festzustellen, ob die Abschiebung nach den
von der beteiligten Behörde ergriffenen Maßnahmen und
im Hinblick auf etwaige von dem Betroffenen bei den Verwaltungsgerichten eingeleitete Verfahren voraussichtlich durchgeführt werden kann. Dazu hat er eigene Ermittlungen anzustellen; insbesondere muss er sich über den Stand und die Erfolgsaussichten eines behördlichen oder verwaltungsgerichtlichen 7
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Verfahrens erkundigen, in dem über das Vorliegen etwaiger [X.] oder die Notwendigkeit begleitender Maßnahmen entschieden wird (zum Ganzen: Senat, Beschluss vom 14. April 2016 -
V [X.], juris Rn.
16).
bb) Danach bestimmt sich auch, wann das Beschwerdegericht den Be-troffenen gemäß § 68 Abs. 3, § 420 FamFG erneut anzuhören hat. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn sich im Beschwerdeverfahren Anzeichen für das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses ergeben, sondern nur, wenn sich entweder neue Anhaltspunkte
für die Haftunfähigkeit des Betroffenen oder aus-reichende neue Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es aufgrund des möglichen Abschiebungshindernisses
zu einem Abbruch oder einer im angeordneten Haft-zeitraum nicht
zu bewältigenden Verzögerung der geplanten Abschiebung kommen könnte. Fehlt es an solchen Anhaltspunkten, kann das Beschwerdege-richt nach § 68 Abs. 3 FamFG von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen (Senat, Beschlüsse vom 10. Oktober 2012 -
V [X.], [X.] 2013, 40 Rn. 11 und vom 14. April 2016 -
V [X.], juris Rn. 14).
cc)
Danach musste das Beschwerdegericht den Betroffenen nicht per-sönlich anhören.
(1) Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene haftunfähig sein könnte [X.] nicht. Dieser
hatte seine Reisefähigkeit bezweifelt und in der [X.] Stellungnahme vom 26. Oktober 2015 nur die Ansicht vertreten, die beteiligte Behörde habe zu prüfen, ob er derart krank sei, dass er nicht reisefä-hig oder gar haftunfähig sei, was aber auf dasselbe hinauslaufe. Er hat aber im Beschwerdeverfahren nicht einmal behauptet, dass er nicht haftfähig sei,
oder dass er dies während der zu diesem Zeitpunkt schon etwa zwei Monate dau-ernden
Sicherungshaft der [X.] gegenüber geltend gemacht habe. Im Rechtsbeschwerdeverfahren macht er auch nur geltend, das Be-9
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schwerdegericht habe seiner Reisefähigkeit und der Notwendigkeit einer beglei-teten Abschiebung nachgehen müssen.
(2) Dazu war das Beschwerdegericht indessen nicht verpflichtet. Es hatte der Frage der Reisefähigkeit nicht nachzugehen, sondern nur zu prüfen, ob die beteiligte Behörde das Vorbringen des Betroffenen zum Anlass nahm, dieser Frage nachzugehen und von der Abschiebung vorerst abzusehen oder eine begleitete Abschiebung vorzusehen oder ob der Betroffene selbst wegen der Zweifel an seiner Reisefähigkeit und der Notwendigkeit einer begleiteten Ab-schiebung die Verwaltungsgerichte anrufen würde. Entsprechendes gilt für die weitere Frage, ob die posttraumatische Belastungsstörung, die der Betroffene geltend gemacht hatte, eine begleitete Abschiebung erforderlich machte. In [X.] eingeschränkten Prüfungsrahmen zu berücksichtigende Umstände lagen nicht vor. Der Betroffene hatte weder mitgeteilt, die Verwaltungsgerichte ange-rufen zu haben, noch, dies noch tun zu wollen. Die beteiligte Behörde hat in ihrer Stellungnahme mitgeteilt, der Betroffene werde erforderlichenfalls vor der Abschiebung noch einmal
medizinisch untersucht. Es erscheine aber nicht plausibel, dass er reiseunfähig sei, zumal er kürzlich erst aus den [X.] [X.] worden sei. Es sei Sache des Betroffenen, gegebenenfalls bei den [X.] zu beantragen. Daraus ergab sich, dass die beteiligte Behörde keine Veranlassung sah, ihre Planungen zu ändern. Damit bestand für das Beschwerdegericht kein Anlass zu einer [X.] persönlichen Anhörung.
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2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG ab-gesehen.
[X.]
Schmidt-Räntsch
Brückner

Göbel
Haberkamp

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.08.2015 -
29 [X.] (B) 17/15 -

LG [X.], Entscheidung vom 30.10.2015 -
5 [X.]/15 -

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Meta

V ZB 163/15

01.06.2017

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.06.2017, Az. V ZB 163/15 (REWIS RS 2017, 10078)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10078

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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