Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2022, Az. 1 StR 480/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 4122

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Gegenstand

Revision in Strafsachen: Anforderungen an die Verfahrensrüge wegen der Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. Mai 2021 aufgehoben

a) in den Fällen 114 bis 116 der Urteilsgründe mit den jeweils zugehörigen Feststellungen,

b) soweit die Festsetzung der [X.] für die verhängten [X.] unterblieben ist,

c) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den [X.], 104, 107, 108, 111, 112, 113 und 126 der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten im ersten Rechtszug wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 118 Fällen, wegen Steuerhinterziehung in 27 Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil, soweit der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden ist, sowie im gesamten Strafausspruch aufgehoben und das Verfahren an das [X.] zurückverwiesen ([X.], Beschluss vom 9. Juli 2020 – 1 StR 567/19).

2

Das [X.] hat den Angeklagten nunmehr wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 118 Fällen, wegen Steuerhinterziehung in 26 Fällen und wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

1. Die Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) ist schon nicht in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhoben.

4

Der Angeklagte rügt, das [X.] habe den Wortlaut entscheidungserheblicher Urkunden im Urteil verwertet, ohne dass diese verfahrensfehlerfrei über das Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien; der Vorsitzende habe die [X.] zur Kenntnisnahme so knapp bemessen, dass insbesondere die [X.] nicht sämtliche Urkunden während der Unterbrechung der Verhandlung hätten lesen können. Der Angeklagte teilt allerdings bereits nicht mit, dass er diese Art der Durchführung des [X.], namentlich die Feststellung des Vorsitzenden über den ordnungsgemäßen Abschluss des [X.] (§ 249 Abs. 2 Satz 3 StPO), beanstandet und eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt habe (§ 238 Abs. 2 StPO); dies wäre aber für die Zulässigkeit der Verfahrensrüge erforderlich gewesen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. November 2017 – 1 StR 554/16 unter 2. a; vom 13. September 2017 – 4 StR 88/17 Rn. 9 und vom 14. Dezember 2010 – 1 [X.] Rn. 8).

5

2. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung indes teilweise nicht stand.

6

a) In den Fällen 114 bis 116 der Urteilsgründe hätte das [X.] prüfen müssen, ob der Angeklagte durch die [X.] zumindest wirksame Teilselbstanzeigen abgab (§ 371 Abs. 2a [X.]); die Taten betrafen jeweils Umsatzsteuervoranmeldungen für [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Juli 2019 – 1 [X.] Rn. 6-8). Im Fall 116 der Urteilsgründe überstiegen gar die nacherklärten [X.] die verwirklichten.

7

b) Bezüglich der Fälle 103, 104, 107, 108 und 111 der Urteilsgründe ist das [X.] zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die [X.] wegen nicht nur geringfügiger Abweichungen von den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen nicht zu einer Straffreiheit führen. Es hätte allerdings erörtern müssen, ob solch "verunglückte" Selbstanzeigen gleichwohl zumindest strafmildernd wirken können (vgl. [X.], Beschluss vom 20. November 2018 – 1 [X.], [X.]R [X.] § 370 Abs. 1 Strafzumessung 31 Rn. 10).

8

c) In den [X.], 107, 112, 113 und 126 der Urteilsgründe hat das [X.] gegen das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) verstoßen; die betroffenen Einzelstrafen sind (teilweise auch deswegen) aufzuheben.

9

d) Die Aufhebung der genannten Einzelstrafen, insbesondere der Einsatzfreiheitsstrafe, zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Hinsichtlich der anderen Einzelstrafen schließt der Senat aus, dass sie von den vorgenannten [X.] beeinflusst sein könnten.

e) Bezüglich der verhängten [X.] wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht die [X.] zu bestimmen haben (§ 40 Abs. 2 StGB); dabei wird es zu beachten haben, dass die [X.] im ersten Rechtsgang mit 30 € festgesetzt worden war (dort [X.]). Das Ergebnis der Multiplikation der Anzahl der Tagessätze mit der [X.] darf die jeweilige Summe aus dem ersten Urteil nicht überschreiten (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Raum     

      

Bellay     

      

Hohoff

      

Leplow     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 480/21

24.03.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 25. Mai 2021, Az: 5-28 KLs 8/21

§ 238 Abs 2 StPO, § 249 Abs 2 S 3 StPO, § 261 StPO, § 337 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2022, Az. 1 StR 480/21 (REWIS RS 2022, 4122)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4122

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